SV Werder Bremen: Verein und Fanszene

SV Werder Bremen: Verein und Fanszene

Der FC St. Pauli trifft am Samstag auf den SV Werder Bremen. Nina hat sich die Historie des Vereins und dessen Fanszene genauer angeschaut.
(Titelfoto: Christof Koepsel/Getty Images/via OneFootball)

Juhu, es kommt eines der Spiele, auf das ich mich in der Bundesliga-Saison mit am meisten freue: Der SV Werder Bremen kommt zum FC St. Pauli ans Millerntor. Ja, ich bin biased, aber ich sag wie’s ist: Wenn der FC St. Pauli nicht wäre, dann hätte der SV Werder Bremen mein Herz gewonnen. Ich bin diesem Verein also ziemlich wohl gesonnen und es folgt ein wohl, im Vergleich zu manch meiner vorherigen Vorstellungen, positiverer Text. Ich freu mich drauf.

Werder Bremen und der FC St. Pauli stehen viel in Verbindung zueinander. Von Spielern, die in beiden Vereinen bereits spielten bis zur offiziellen Fanfreundschaft zwischen Ultrà Sankt Pauli und Infamous Youth. Und auch Werder Bremen ist ein Verein voller Geschichte mit Erfolgen und Tiefpunkten, gehen wir rein.

Geschichte

Gründerjahre

Im Jahr 1898 gewann eine Gruppe Jugendlicher einen sportlichen Wettbewerb in Bremen. Um welchen Sport es sich dabei handelte, ist tatsächlich unklar. Trotzdem fiel am Anfang des Jahres 1899 die Entscheidung, einen Verein zu gründen, nachdem man sich regelmäßig auf den Wiesen des „Kuhhirten“ in Bremen traf. So gründete diese Gruppe den „Fußball-Verein ‚Werder‘ Bremen von 1899“. Schon früh waren sie erfolgreich, denn in den ersten Jahren holten bereits alle drei Mannschaften des Vereins die Meisterschaften in der jeweiligen Bremer Spielklasse. Seit 1919 durften auch Frauen Mitglied im Verein werden und 1920 weitete man das Sportangebot auf Leichtathletik, Schach, Tennis, Baseball und Cricket aus. Das Weserstadion wurde schon in den 1920ern die Spielstätte von Werder Bremen.

SV Werder Bremen während des Nationalsozialismus

Anders als in einigen anderen Vereinschroniken, hat der SV Werder Bremen eine sehr ausführliche und reflektierte Aufarbeitung der Rolle des Vereins während der NS-Zeit in seiner Vereinschronik und beschreibt dabei das dunkelste Kapitel der Vereinsgeschichte. Ich werde versuchen, es so gut es geht zusammenzufassen, aber ich empfehle Euch, es selbst einmal zu lesen.

Werder Bremen war stark daran beteiligt, die NS-Propaganda mitzutragen. Die unpolitische Haltung, die Werder vorher vertrat, wurde in der Generalversammlung 1933 abgelegt, um zu einem nationalsozialistischen Vorbild zu werden. Der 1. Vorsitzende wurde zum Beispiel umbenannt in „Vereinsführer“. Auch war Werder Bremen an Propaganda-Aktionen beteiligt und trat bewusst als Veranstalter auf. Es wurde unter anderem ein Spiel gegen die Sportfreunde 05 Saarbrücken ausgetragen mit einer anschließenden Kundgebung, aus dem Interesse der „Saargebiet-Propaganda“. Dabei ging es darum, das Saargebiet wieder dem Deutschen Reich anzugliedern.

Auf der „Bremer Kampfbahn“ (so hieß das Weser-Stadion während der NS-Zeit) wurden bereits 1932 Wahlkampfveranstaltungen durchgeführt und auch sonst wurde die Spielstätte immer wieder für Aufmärsche und Massenveranstaltungen der NSDAP genutzt.
Außerdem wurden im Weser-Stadion Flak-Stellungen (Fliegerabwehr-Kanonen) installiert. Bekannte Fußballer waren an diesen Flak-Stellungen stationiert, die gleichzeitig in der Gauliga für den Werder Bremen spielten. Die Erfolge Werder Bremens in der Gauliga (Gauligameisterschaft 1934, 1936, 1937 und 1942) hatten also auch politische und militärische Hintergründe.
Bei Werder Bremen wurden seit 1933 Ausschlüsse von „Nichtariern“ gefordert und spätestens 1939 wurde in Aufnahmeanträgen nach der „Abstammung“ gefragt. In der Chronik sind auch die Schicksale von Leo Weinstein, den Rosenthals und Alfred Ries beschrieben. Nach letzterem ist heute die Promenade auf der Westseite des Weser-Stadions benannt. 

Neugründung und eine Reihe von Erfolgen

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Spielbetrieb eingestellt und 1945 kam es zur Auflösung des Vereins. Nach einer Fusionierung der in der NS-Zeit verbotenen Vereine TV Vorwärts und Freie Schwimmer 1910 gründete man sich als TuS Werder 1945 neu. Nach einem Jahr kam es zur erneuten Umbenennung in „SV Grün-Weiß 1899“, die 1899 erinnerte allerdings zu sehr an den Verein während der NS-Zeit. So kam es nach erneuter Umbenennung zum Namen „SV Werder Bremen“ und der Spielbetrieb wurde wieder aufgenommen. In der Oberliga Nord kämpfte man (hinter dem HSV) lieber um die Bremer Stadtmeisterschaft. Zwischen 1959 und 1963, wurde man jedes Jahr Vize-Meister. Bei der Neugründung der Bundesliga 1963 wurde man zum Gründungsmitglied neben dem HSV und Eintracht Braunschweig.

Den ersten großen Titel holten man sich bereits 1961, als man das DFB-Pokalfinale gegen Kaiserslautern mit 2:0 für sich entschied. Die erste Meisterschaft feierte Werder Bremen bereits in der zweiten Bundesliga-Saison 1964/65, im gleichen Jahr, in dem die Stadt Bremen 1000-jähriges Bestehen feierte. In den folgenden Jahren spielte man nur im Mittelfeld der Bundesligatabelle mit, bis es 1980 zum ersten Abstieg Werder Bremens kam. Otto Rehhagel übernahm als Trainer und schaffte den direkten Wiederaufstieg im Folgejahr. Unter Rehhagel war man in der Bundesliga wieder erfolgreich und Werder Bremen holte 1988 sowie 1993 die erneute Meisterschaft. Weitere Titel mit Rehhagel als Trainer waren der erneute Gewinn des DFB-Pokals 1991 und 1994 sowie der Europapokal der Pokalsieger 1992. Im Jahr 1995 verließ Otto Rehhagel nach 14 Jahren den SVW und wechselte zum FC Bayern München.

Thomas Schaaf, Erfolge und Abstieg

Nachdem es unter anderem unter Felix Magath in den Folgejahren nur um Plätze im Mittelfeld und gegen den Abstieg ging, übernahm ein neuer Trainer, der weitere 14 Jahre bei Werder Bremen bleiben sollte: Thomas Schaaf wurde 1999 Cheftrainer und holte im selben Jahr noch den Titel im DFB-Pokal. Auf die 2003 vollzogene Umstrukturierung und Ausgliederung in die „Werder Bremen GmbH & Co. KG aA“ für die Profifußballabteilung, das Leistungszentrum und die ersten Mannschaften im Handball, Schach, Tischtennis, folgte 2004 das Double mit Meisterschaft und weiterem DFB-Pokalsieg. 2009 folgte der sechste DFB-Pokalsieg und damit vorerst letzte große Erfolg der Bremer. Nachdem Thomas Schaaf 2013 Werder Bremen verließ, begab man sich im Laufe der kommenden Jahre in eine Abwärtsspirale. Unter Florian Kohfeldt schaffte man 2017 noch den Klassenerhalt, 2021 ging es aber für Werder Bremen zum zweiten Mal runter in die 2. Bundesliga. Der heutige Trainer Ole Werner holte sie direkt wieder in die 1. Bundesliga, wo Bremen bis heute im Tabellenmittelfeld positioniert ist.

BREMEN, GERMANY - JULY 15: 1. BUNDESLIGA 99/00 SV WERDER BREMEN; SPORTLICHER DIREKTOR Klaus ALLOFS und TRAINER Thomas SCHAAF (Photo by Marcus Brandt/Bongarts/Getty Images)
Klaus Allofs, sportlicher Leiter, und Thomas Schaaf, Cheftrainer, während der Saison 1999/2000. Erst 2012, nach zwei Pokalsiegen und einer Meisterschaft und etlichen Teilnahmen an der Champions League, endete ihre Zusammenarbeit.
(Marcus Brandt/Bongarts/Getty Images/via OneFootball)

Fans und Fanszene

Fanclubs, Mitglieder, Zuschauer

Werder Bremen zählt aktuell rund 56.000 Mitglieder und um die 780 eingetragene Fanclubs. Diese finden sich sowohl in ganz Deutschland als auch international in China, Jordanien und in den USA wieder. Der größte Fanclub Werder Bremens, „27801“, zählt eine stolze Anzahl von über 2.000 Mitgliedern. Das Weserstadion (Zuschauerkapazität von 42.100) ist zumeist voll ausgelastet.

Die Ultras in der Ostkurve

Ganze sieben Ultragruppen zählt Werder Bremen, die alle gemeinsam in der Ostkurve stehen. Dazu zählen „Infamous Youth“, „Caillera“, „UltrA-Team Bremen“, „L’Intesa Verde„, „Wanderers Bremen“, „HB Crew“ und „Ultra Boys“. Die Ultragruppierungen von Werder Bremen halten an einem mindestens antirassistischen sowie antifaschistischem Grundkonsens fest.
Da zwischen Ultrà Sankt Pauli und Infamous Youth eine Freundschaft besteht und es zu Caillera gute Kontakte gibt, beschränken wir uns mal auf diese beiden Gruppen.

Infamous Youth (IY), gegründet 2005, vertritt einen starken antifaschistischen Grundkonsens. Seit dem 07. Oktober 2023 war das Jahr geprägt durch Veranstaltungen und Kundgebungen in Bezug auf die Geiselnahmen durch die Hamas. Durch die Freundschaft zwischen IY und der Ultras von Hapoel Jerusalem, forderten sie vor allem, dass Hersh Goldberg Polin aus Jerusalem (ein großer Werder-Bremen-Fan) befreit wird. Hersh wurde als Geisel durch die Hamas ermordet. Die Fanszene Werder Bremens würdigten Hersh nach seinem Tod mit einer großen Choreo in der Ostkurve.

Auch Caillera, seit 2012 aktiv, setzten eine antifaschistischen Grundkonsens voraus: „Wir legen dabei besonderen Wert auf ein respektvolles Verhalten und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich brisanten Themen. Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus oder Antiziganismus sind aktuelle Probleme in allen Städten und Stadien. Antifaschismus bedeutet mehr als ,,gegen Nazis‘‘ zu sein, etwa die kritische Auseinandersetzung mit faschistischen Konstrukten“ schreiben sie auf ihrer Webseite. Auch an der Organisation von Veranstaltungen, mit zuletzt Themen zu Antisemitismus oder „Fußball und Widerstand Rojava“, war Caillera beteiligt.
IY und Caillera rufen außerdem in regelmäßigen Abständen dazu auf, die 1. Frauen von Werder Bremen in der Bundesliga zu unterstützen, und organisieren Support auf Platz 11 oder insbesondere, wenn die Frauen im Weser-Stadion spielen.  
Die Freundschaft zwischen USP und IY besteht übrigens seit 2019, aber es gab vorher bereits jahrelange Kontakte.

BREMEN, GERMANY - SEPTEMBER 21: Fans display a tiffo that reads "Shalom, salam, peace, may your memory be a revolution, achi" during the Bundesliga match between SV Werder Bremen and FC Bayern München at Weserstadion on September 21, 2024 in Bremen, Germany. (Photo by Stuart Franklin/Getty Images)
Choreo der Bremer Ostkurve für Hersh im September 2024.
(Stuart Franklin/Getty Images/via OneFootball)

Schlussworte

Ich war bisher (leider erst) zweimal bei Werder Bremen in der Ostkurve. Aber diese beiden Male haben mich wirklich mitgerissen. Die Stimmung und Energie dieser Kurve lösen wirklich totale Freude aus, und es hat so einen Spaß gemacht, das mitzuerleben. Besonders die Gesänge bei Werder Bremen haben es mir sehr angetan und ich bin erstaunt, wie eine Kurve es so gut schafft, dass Lieder auch mit mehreren Strophen einwandfrei laufen, so zumindest mein Eindruck. Und dann auch noch so tolle Lieder, mit wundervollem Stadtbezug (wo vier Tiere musizieren…). Ach ja, ich schwärme nur so vor mich hin, aber ich habe wirklich regelmäßig Ohrwürmer von Bremer Kurvenliedern, das schafft kaum ein anderer Verein. Ihr merkt schon und ich sagte ja bereits: Wenn St. Pauli nicht wäre, hätte Bremen mein Herz gewonnen.

Auch den Verein Werder Bremen schätze ich sehr und ich finde es gut, dass sie es als Verein geschafft haben, ihre NS-Vergangenheit richtig aufzuarbeiten, und sich auch dieser Vergangenheit, die der Verein nun mal hat, zu stellen und daran zu erinnern. Ich wünschte mir, noch mehr Vereine würden diesen Schritt auch gehen (ja, auch der FC St. Pauli), denn oft habe ich den Eindruck, dass dieses Thema umgangen wurde oder zumindest kaum Erwähnung findet.

Ich freue mich auf dieses Spiel, und ich freue mich auf die Fans von Werder am Millerntor. Natürlich möchte ich aber auch, dass der FC St. Pauli gewinnt, damit Ihr mir jetzt nicht unterstellt, dass ich eigentlich Werder-Bremen-Fan sei (ich würde mich aber auch mit einem Unentschieden zufriedengeben).

Immer weiter vor!
//Nina

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6 thoughts on “SV Werder Bremen: Verein und Fanszene

  1. Liebe Nina,
    als gebürtiger Bremer geht es mir mit den Prioritäten genauso.
    Als sie und wir in der 2. Liga waren, war ich überhaupt das erste Mal im Weserstadion und bereits zu Fuß in der Nähe des Szadions wurden wir sehr freunlich, ja freundschaftlich begrüßt und willkommen geheißen. (das Spiel in Bremen war am 30.10.2021 und ging 1:1 aus)
    Das war soooo schön. Allein deswegen werde ich versuchen in der Rückrunde Auswärtskarten zu bekommen und hoffe auf eine positive Wiederholung.
    Danke für deinen tollen Text
    Michael

  2. Sehr gut recherchierter Artikel über den SV Werder Bremen. Interessant zu lesen, insbesondere die NS-Historie kannte ich so detailliert noch nicht. Viele Grüße aus Bremen und auf ein schönes Spiel übermorgen!

  3. Interessanter Artikel aber trotz aller Sympathie sollte man nicht verschweigen, dass Werder noch vor wenigen Jahren massive Probleme mit rechten Fans hatte (Fanclub „Standarte“ usw.). Da hätte mich schon interessiert wie das heute ausschaut.

    1. Moin aus Bremen

      Das sieht heute wirklich anders aus! Die sehr klare Haltung des Vereins in Verbindung mit dem sehr präsenten und aktiven Auftreten der genannten Ultra Gruppen haben dazu geführt, dass es einige Zeit noch regelrechte Kämpfe gab (bspw Überfall von rechts auf eine Ultra Party), inzwischen aber das Stadion und die Fans so gut wie „rechts-frei“ sind. Klar, Ausnahmen finden sich, aber eben nicht mehr organisiert im Stadion.
      Gruß, Nico

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