Der FC St. Pauli hat aktuell Adam Dźwigała als Testspieler im Training zu Gast. Der ehemalige polnische U-Nationalspieler ist momentan vereinslos. Zugegeben, ich habe den Namen Adam Dźwigała Anfang der Woche zum allerersten Mal gehört. Natürlich haben wir bereits Kontakt zu Personen aufgenommen, die Spiele von ihm gesehen haben und ihn etwas besser kennen.
Aber um Adam Dźwigała gut einschätzen zu können (nicht abschließend, aber bereits gut), braucht es auch nicht unbedingt persönliche Sichtungen. Die Welt der Daten liefert bereits einige Antworten.
(Titelbild: Patricia de Melo Moreira/AFP via Getty Images/via OneFootball)
Ich habe mich zu Beginn des Sommers im Blog mal intensiv mit datengetriebenem Scouting befasst. Hierbei habe ich unter anderem die Arbeit von Global Soccer Network (GSN) vorgestellt. Dustin Böttger, Gründer und Geschäftsführer von GSN, hat uns auf Twitter auf Adam Dźwigała aufmerksam gemacht und mir nun ausführlich Rede und Antwort zur Leistungsfähigkeit von Adam Dźwigała, aber auch zum FC St. Pauli allgemein gestanden.
Taucht mit mir ein in ein datenbasiertes Scoutingprofil (und starten wir erst einmal mit den Definitionen des GSN-Index, der die Stärke von Spielern beschreibt:)
Bringt euch erstmal nix, ich weiß. Aber ihr braucht die, um das folgende Interview und die präsentierten Daten besser verstehen zu können.
Moin Dustin, Adam Dźwigała ist aktuell im Probetraining beim FC St. Pauli. Aus datenbasierter Sicht: Kann er den FCSP verstärken?
Die Daten sagen, ja. Avevor ist verletzt, mit Ziereis hat man nur einen Rechtsfuß auf der Innenverteidigerposition. Dźwigała ist ein Rechtsfuß, bringt direkt 2.Liga-Niveau mit und hat reichlich Erfahrung aus der polnischen Ekstraklasa, eine Liga, die, was die physischen Ansprüche angeht, durchaus mit der 2.Liga vergleichbar ist. Was ihn noch spannender macht, ist, dass er sich mit seinen 25 Jahren noch weiterentwickeln kann. Da ist noch Luft nach oben.
Kann Adam Dźwigała den FCSP verstärken?
„Die Daten sagen: Ja“
Der GSN-Index zeigt einen leicht überdurchschnittlichen Innenverteidiger für die 2.Liga. Was sind die Stärken von Adam Dźwigała?
Richtig, Dźwigała ist aktuell ein leicht überdurchschnittlicher 2.Liga Innenverteidiger. Aber er kann sich noch entwickeln, auch das zeigt der Index. Hin zu einem durchschnittlichen Bundesligaverteidiger. Der kann dir also kurz-, mittel- und langfristig helfen. Dazu kostet er keine Ablöse, das Gehalt wird auch nicht immens sein. Seine Stärken liegen klar im Defensivspiel, greifen wir mal stellvertretend zwei relevante Datenkategorien heraus: Er hat zuletzt 16 Spiele in der portugiesischen Liga NOS für Desportivo Aves absolviert und war sowohl bei den erfolgreichen Defensivaktionen als auch beim defensiven Expected Goals Wert (dieser gibt an, wie gut ein Spieler im direkten Duell verteidigt) in den Top 20 der Liga. Das ist schon ordentlich. Überdurchschnittlich ist er im Zweikampfverhalten, im Positionsspiel sowie in der Entscheidungsfindung. Auch physisch bringt er interessantes mit, sein Antritt sowie seine Geschwindigkeit über längere Distanzen sind ebenfalls überdurchschnittlich. Was ihn zusätzlich interessant macht, ist, dass er in einer möglichen Dreierkette alle Positionen bekleiden kann. Als Rechtsfuß natürlich rechts innen, aber auch links innen fühlt er sich wohl, da das trotz seines starken rechten Fußes seine Primärposition war.
In welchen Bereichen kann er sich noch verbessern bzw. wo wird er den FCSP eher nicht sofort verstärken?
Ganz klar im Kopfball- sowie im Passspiel. Das Passspiel ist durchschnittlich, meist mit wenig Risiko. Auch hier zwei Datenkategorien, die das verdeutlichen: Bei den „Pässen nach vorne“ sowie den „progressiven Pässen“ liegt er nur auf Rang 43 bzw. 42 von 89 Innenverteidigern. Ausbaufähig, gerade wenn St.Pauli unter Timo Schultz mit passstarken Innenverteidigern agieren will. Bei den Kopfballduellen liegt er ebenfalls nur im mittleren Drittel. St.Pauli darf also keinen Innenverteidiger erwarten, der das Spiel von hinten heraus ankurbelt oder durch eine überragende Physis besticht. 1.85m und 80kg sind okay für die Position, aber es gibt hier durchaus größere und körperlich stärkere Kandidaten. St.Pauli würde einen gerade in der Defensive sehr spielintelligenten Verteidiger bekommen, der cleveres Zweikampfverhalten und Mobilität mitbringt und nach der Devise „Defense first“ handelt.
„Mit Ausnahme von Ziereis wird Dźwigała mittel- und langfristig alle derzeitigen FCSP-Innenverteidiger qualitativ überholen.“
Unterdurchschnittlich ist die Säule „Spielniveau“ – bedeutet dies, dass er sich noch an die 2.Liga anpassen müsste?
Generell muss er sich wieder an den Wettkampf und das Training anpassen, sein letztes Spiel hat er am 16. Februar diesen Jahres absolviert. Den Wert Spielniveau muss man aber etwas anders verstehen. Er zeigt quasi rückwirkend bis zum heutigen Tag, auf was für einem Level der Spieler bisher gespielt hat. Zu einem Großteil in der polnischen Ekstraklasa, dazu 16 Partien in der portugiesischen Liga NOS. Ohne vermessen zu sein, sind beide Ligen nicht das erste europäische Regal, was die allgemeine Qualität angeht, die Ekstraklasa noch weniger als die Liga NOS. Deshalb ist Dźwigałas Wert relativ niedrig, wird aber mittelfristig steigen, sollte er regelmäßig in der zweiten Liga spielen. Ob ein Spieler zweitligatauglich ist oder nicht, dafür ist letztendlich der derzeitige GSN Index relevant und dieser sagt ganz klar, dass Adam Dźwigała ein Zweitligaspieler ist.
Das er überhaupt beim FCSP ein Thema ist liegt auch an der Verletzung von Christopher Avevor. Kannst Du anhand der Daten die Spieler vergleichen?
Schauen wir uns die Indexdaten an. Christopher Avevor hat einen derzeitigen GSN Index von 55,66 und einen zukünftigen GSN Index von 56,19. Nicht mehr allzu viel Luft nach oben. Adam Dźwigała hat einen derzeitigen GSN Index von 50,02 und einen zukünftigen GSN Index von 60,21. Er wird Avevor also irgendwann überholen. Verläuft alles reibungslos, wird Dźwigała mit 27 stärker sein als Avevor.
Ist man bei St.Pauli darauf aus, Avevor möglichst 1 zu 1 zu ersetzen, dann ist Dźwigała sicherlich der falsche Spieler. Legt man die Eigenschaften und Fähigkeiten der beiden übereinander, sind sie nur zu 83,67% deckungsgleich. Dies findet sich auch in ihrer Interpretation der Innenverteidigerposition wieder. Avevor ist eher der Typ ballverteidigender Innenverteidiger, Dźwigała der Allround-Innenverteidiger.
„Ist man bei St.Pauli darauf aus, Avevor möglichst 1 zu 1 zu ersetzen, dann ist Dźwigała sicherlich der falsche Spieler.“
Um abschätzen zu können, ob Adam Dźwigała den FCSP verstärken kann, müssen wir auch wissen, wie die Innenverteidigung des FCSP aktuell aufgestellt ist. Wie schätzt Du die Stärke der FCSP-Verteidigung ein?
Schauen wir uns die Indexwerte der in Betracht kommenden Spieler mal genauer an, jeweils aufgeteilt in derzeitigen und möglichen GSN Index.
- James Lawrence (56,51 / 57,53)
- Christopher Avevor (55,66 / 56,19)
- Daniel Buballa (59,54 / 59,54)
- Philipp Ziereis (62,17 / 63,30)
- Marvin Senger (37,26 / 55,74)
- Marvin Knoll (59,60 / 60,93)
Mit Ausnahme von Ziereis wird Dźwigała mittel- und langfristig alle derzeitigen St.Pauli Innenverteidiger qualitativ überholen. Mit Marvin Knoll, den wir allerdings eher im defensiven Mittelfeld sehen, wird er auf dem selben Level spielen.
Generell ist die Innenverteidigung absolut zweitligatauglich, alle Spieler mit Ausnahme von Senger kann man als überdurchschnittlich gute Zweitligaspieler bezeichnen. Auch sind die Innenverteidiger nicht auf eine Rolle festgelegt, man hat sowohl ballverteidigende, ballspielende als auch Allround-Innenverteidiger.
Der FC St. Pauli benötigt für das Spiel unter Timo Schultz vor allem einen physisch starken, aber zeitgleich auch passstarken Spieler. Erfüllt Adam Dźwigała diese Kriterien?
Nein! Wenn genau dies das aktuelle Anforderungsprofil an einen Innenverteidiger ist, dann ist Dźwigała sicherlich nicht der richtige Kandidat. Er könnte eher als Absicherung für einen etwas „offensiveren“ Innenverteidiger Verwendung finden, beispielsweise in Kombination mit Marvin Knoll, sollte dieser Innenverteidiger spielen.
Im Interview mit einsachtvieracht habe ich gesehen, dass ihr auch ziemlich genau angeben könnt, welche Spieler am besten zum System in den Klubs passen. Wie sieht das denn beim FC St. Pauli aus? Ist Adam Dźwigała da die beste Wahl unter den vertragslosen Spielern?
Tatsächlich ist es so, dass es da eine sehr hohe Übereinstimmung gibt, was Spieler und St.Pauli Spielsystem angehen. Unser System gibt hier einen Wert von 90,09 % aus, das würde also schon durchaus Sinn machen, ihn zu verpflichten. Eine höhere Übereinstimmung, gerade bei vereinslosen Spielern, haben wir da nicht gefunden. Generell gibt es ein paar vertragslose Innenverteidiger, deren Index ein bisschen höher ist als der von Dźwigała, namentlich Sebastian Langkamp und Bjarne Thoelke. Die haben aber weitem nicht eine so hohe Übereinstimmung mit dem Spielsystem, Langkamp liegt bei 81,67%, Thoelke bei 83,01%.
By the way, falls man das hier sagen darf, Dźwigała wäre noch einen Ticken interessanter für Eintracht Braunschweig, da liegt die Übereinstimmung bei genau 91,00%.
„Eine höhere Übereinstimmung, gerade bei vereinslosen Spielern, haben wir da nicht gefunden.“
Fernab von dieser Personalie benötigt der FCSP aus meiner Sicht dringend einen spielstarken Sechser. Sehen Eure Daten das auch so?
Ja, da stimmen wir mit dir überein. Auch hier einen Blick auf die Kandidaten: Marvin Knoll eher der Typ Balleroberer, Afeez Aremu mehr der Typ Allrounder, der sowohl defensiv präsent sein muss als auch in der Lage, das Spiel nach vorne einzuleiten, ohne dabei überragend in beidem zu sein. Leon Flach könnte die Zukunft sein, ihn gilt es, nach und nach an die Aufgabe zu gewöhnen. Hier wäre es sinnvoll, vielleicht einen Spieler mit etwas Erfahrung zu holen, von dem er lernen kann.
Und welche Sechser wären da finanziell und von der Stärke her passend?
Wir haben mal drei Kandidaten, die auf der Sechs spielen und diese Position als tiefer liegenden Spielmacher interpretieren. Namentlich sind das Maciej Gajos, 29 Jahre alt und derzeit für Lechia Gdansk in der polnischen Ekstraklasa aktiv. Sein derzeitiger GSN Index liegt bei 56,98, sein möglicher GSN Index bei 58,34. Zweiter Kandidat ist Ben Rienstra von Fortuna Sittard aus der niederländischen Eredivisie, 30 jähriger Niederländer. Derzeitiger GSN Index bei 60,33, möglicher GSN Index bei 61,44. Beide mit gehobenem Zweitliganiveau, eher sogar 1.Liganiveau. Dritter möglicher Sechser ist der Algerier Victor Lekhal vom AC Le Havre aus der französischen Ligue 2. Er hat derzeit den niedrigsten Index mit 53,05, auf Sicht aber mit Sicherheit der interessanteste Spieler mit einem möglichen GSN Index von 63,87.
Alle drei genannten Spieler spielen im übrigen für Clubs, welche eine hohe Übereinstimmung mit der Spielweise von St.Pauli haben. Somit müssen diese sich nicht auf ein neues Spielsystem einlassen, kommen schneller in die Abläufe und brauchen so im Normalfall weniger Eingewöhnungszeit.
Wenn ihr Spieler einzeln bewerten könnt, dann könnt ihr sicher auch ganze Teams bewerten. Wie bewertet ihr den FC St. Pauli im Vergleich zur zweiten Liga?
Basierend auf unserem Index liegt der FC St.Pauli auf Rang 10 in der 2.Bundesliga. Auch wir berechnen die sogenannten „Expected points“, hier liegt der FC St.Pauli mit 11.6 auf Rang 9. Schaut man sich die 7 Punkte an, die man tatsächlich hat, kann man sagen, dass der FC St.Pauli aktuell sehr unglücklich agiert.
Schaut man sich die Index-Werte des gesamten Kaders des FC St. Pauli an, so ergeben sich einige Fragezeichen. Zum Beispiel muss der Index von Boris Tashchy im Training ermittelt worden sein und der von Daniel-Kofi Kyereh in den letzten 3-4 Spielen.
Nicht wirklich verwunderlich sind die Prognosen bei Becker und Daschner. Das auch Afeez Aremu eine Prognose in Richtung internationale Klasse hat, lassen seine Aktionen teilweise auch erkennen. Ich persönlich hätte eine ähnliche Prognose bei Zalazar und auch Flach erwartet und bin allgemein etwas verwundert, dass James Lawrence da doch eher etwas abfällt im Vergleich zu seinen Mitspielern.
Aber bevor hier jetzt jemand schreit „Das ist ja Null aussagekräftig!“: Eine datenbasiertes Scouting sollte ein Zusatz zum visuellen Scouting sein, da es auch immer „weiche“ Faktoren gibt (im Fall von Lawrence z.B. Coaching von Mitspielern). Eine Spielerverpflichtung allein auf Datenbasis wäre hochgradig unprofessionell. Eine Spielerverpflichtung ohne allerdings auch. Allein schon deshalb, da ich für meine Einschätzung zu den Index-Werten nicht wirklich viel mehr als kurze Eindrücke und Empfindungen nutze. Und diese sind voll von Fehlern, die menschlich sind (abermals verweise ich auf den cognitive bias index).
Falls ihr die GSN-Indexe des FCSP-Kaders mal mit anderen vergleichen wollt, schaut mal hier, hier oder in diesem tollen Interview.
Danke für deine Einschätzung zu Adam Dźwigała und zum FC St. Pauli allgemein, Dustin!
Ich fasse das mal zusammen: Adam Dźwigała kann den FC St. Pauli verstärken. Allerdings eher nicht sofort sondern mit etwas Anlaufzeit. Und vom Spielstil her ist er kein adäquater Ersatz für Christopher Avevor und würde auch nicht zu den Ansprüchen (passstark/Physis) von Timo Schultz passen. Legt man nur die Daten zugrunde, so spricht nicht viel dafür, dass der FCSP diesen Spieler als Avevor-Ersatz verpflichten wird. Allerdings könnte eine Verpflichtung Sinn ergeben, da sich die Kosten in Grenzen halten dürften. Dem Spieler könnte somit die Chance zur Entwicklung gegeben werden. Ein direkter Ersatz für Christopher Avevor wird jedoch weiterhin benötigt.
Doch jetzt, wo ich Dustin gerade mal an der Angel hatte, hatte ich gleich noch ein paar weitere Fragen zu Global Soccer Network allgemein:
Wie muss man sich Eure Arbeit vorstellen? Verkauft ihr solche Scoutingprofile an Klubs?
Wir analysieren Spieler, Teams, Ligen, Wettbewerbe, riesige Datenmengen. Dazu haben wir diverse Algorithmen und künstliche Intelligenz entwickelt, die uns hilft, all diese Daten in relevanten Kontext zu setzen, damit wir die größtmögliche und objektivste Bewertung für unseren Scouting- und Analyseprozess bekommen. Selbstverständlich verkaufen wir Scoutingreports aber auch noch sehr, sehr viel mehr. Im Prinzip sind dem Ganzen keine Grenzen gesetzt, wir können auf alle möglichen individuellen Wünsche unserer Klienten eingehen. Seien es Kaderanalysen, shots maps, Action scores, Advanced analytics wie Expected goals, xGOT, Expected saves oder wie oben passende Spieler für einen bestimmten Club oder Spielsystem zu finden. Es gibt wenig was wir nicht liefern können. Und so machen wir das weltweit bei Topclubs wie Manchester City, Paris Saint Germain, Bayern München oder Inter Mailand genau so wie im kleineren bei 3.Liga- sowie Regionalligaclubs.
„Durch Datenscouting wird der gesamte Scoutingprozess so viel effizienter und letztendlich auch kostengünstiger.„
Was sind Deiner Meinung nach die Stärken des datenbasierten Scoutings?
Sinn des Ganzen ist es, Clubverantwortlichen etwas an die Hand zu geben, was deren Arbeit besser, effizienter und auch kostengünstiger macht. Die Stärke des Datenscoutings ist es, dass man quasi mit Knopfdruck komplette Ligen und Märkte analysiert bekommt, Scouts die passenden Kandidaten für ihren Club angezeigt bekommen. Die müssen sich dann nicht 200 Mittelstürmer via Video oder live anschauen, sondern haben im Idealfall, durch das Filtern von Daten, vielleicht nur noch sieben bis zehn Kandidaten. Dadurch wird der gesamte Scoutingprozess so viel effizienter und letztendlich, wie schon gesagt, auch kostengünstiger. Zusätzlich sind die richtigen Zahlen so viel objektiver im Bewertungsprozess als die Einschätzung von Menschen. Ich spreche da aus eigener Erfahrung aus meiner Scoutingzeit in Hoffenheim und Sandhausen. Trotz allem brauchen wir menschliche Eindrücke im Scoutingprozess, die haben auch wir in unserem System, allerdings transferiert in Zahlenwerte. Bleibt hier zu sagen, dass diese ganzen Datenanalysen niemandem den Job wegnehmen sollen, ganz im Gegenteil. Sie sollen an der richtigen Stelle unterstützen.
Und welche Bereiche können nicht abgedeckt werden?
Hierzu: In den Stärken/Schwächen wird unter anderem auch die „Mentalität“ ausgewiesen. Wie wird das in Daten gemessen?
Vieles, was mit der Persönlichkeit des Spielers zu tun hat, lässt sich schwierig mit Daten abbilden. Wir haben uns von Sportpsychologen der Uni Heidelberg beraten lassen, was Körpersprache, Kommunikation und Performance in Drucksituationen angeht. So haben wir auch hier ein System entwickelt, welches uns die vorangegangen Eigenschaften einschätzen lässt. Das machen allerdings Menschen, unser System transferiert deren Einschätzung in Zahlenwerte. Zusätzlich beschäftigen wir uns auch mit Social Media, schauen, ob ein Spieler dort eher extrovertiert oder introvertiert daher kommt. Auch das gibt Rückschlüsse auf die Persönlichkeit. Dazu schauen wir auf Dinge wie Schulbildung, Fremdsprachen und ähnliches. Auch das gibt Rückschlüsse. All das machen aber wie gesagt Menschen, soweit ist die künstliche Intelligenz dann noch nicht. Das ist so mit der größte Bereich, der nicht zu 100 Prozent abgedeckt werden kann.
Was sich ebenfalls nur in Teilen abbilden lässt, ist das komplette Verhalten jedes einzelnen Spielers über 90 Minuten. Wann ist er wie weit gelaufen, wann hat er welchen Raum zugelaufen, wann ist er zu früh aus der Viererkette rausgerückt. Wir sind mit den Daten immer noch sehr eventbasiert, sprich, wir sammeln und evaluieren alle Aktionen an und um den Ball. Uns fehlen flächendeckende Trackingdaten, diese liegen aktuell nur von den großen europäischen Ligen bzw. der Champions League vor. Will ich aber den 6er aus der 3.Liga mit dem 6er aus der slowakischen Liga vergleichen, brauche ich eben diese Trackingdaten auch für kleine Ligen. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass wir diese Daten in einigen Jahren ebenfalls haben. Das wird ein Quantensprung in unserer Branche.
Danke Dustin für den tiefen Einblick in eure Arbeit. Ich bin ziemlich beeindruckt!
Und nun: Basierend auf diesem intensiven Einblick in die Daten: Wie würdet ihr entscheiden? Ist Adam Dźwigała ein Spieler, den der FCSP braucht und verpflichten sollte? Gar nicht mal so einfach, oder? Im Vergleich zu sonstigen Transferaktivitäten ist die Situation für den FCSP ja sogar ziemlich luxuriös, da Dźwigała sogar mehrere Tage im Probetraining ist und die Verantwortlichen ihn daher sehr viel besser einschätzen können als nur anhand des visuellen Scoutings und (hoffentlich!) tiefgehender Datenanalyse. Es bleibt trotzdem weiterhin eine schwierige Entscheidung.
// Tim
Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.
MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube
Auch an dieser Stelle sehr gerne noch mal ein:
Sehr geil und Danke an beide.
Bei solchen Artikeln, geht mir das Herz auf. Schön und extrem wichtig, dass es soetwas noch gibt.
Ich weiß, von Lob allein kann man nicht leben, aber immerhin ?
Danke!
Danke für die interessanten Einblicke. Wie immer super zu lesen.
Aber eine Frage hätte ich. Du schreibst: „Ein direkter Ersatz für Christopher Avevor wird jedoch weiterhin benötigt.“
Warum? Bei aller Liebe für ihn als Mensch – ich fand nicht, dass sein Spiel so perfekt zu uns passt. Und seine Form zuletzt noch viel weniger. Wenn man also jetzt jemanden holen will, sollte man nicht auf Avevor schauen, sondern wirklich nur auf die Anforderungen an das System, welches man spielen möchte. Oder übersehe ich etwas?
Nein, tust du nicht. Das stimmt schon, dass die Position evtl nicht 1-zu-1 ersetzt werden sollte sondern auch die notwendige Ver@nderung mit einem Transfer angestrebt wird.
Sehr spannender Artikel! Es wäre interessant zu verstehen, bei welchen Spielern das System gerade nicht gut funktioniert (nicht weil ich das System anzweifle, sondern weil ich denke, dass man damit besser verstehen könnte, wo man beim menschlichen Scouting genauer hinschauen muss). Es gab diese Urban Legend, dass Mats Hummels aufgrund seiner fehlenden Schnelligkeit bei den Bayern damals aussortiert wurde. Schnell ist es ja nun echt nicht, aber das Stellungsspiel und die Spieleröffnung würden sogar uns in der Innenverteidigung verstärken… *hüstel* Oder ob man den Fleiß von einem Miro Klose oder Alex Meier in den Daten sieht. AMFG war ja in goal/expected goal am Ende total überdurchschnittlich, weil er einfach jeden Tag Extraschichten geschoben hat, um seinen Innenrist zu trainieren – was letztendlich zum schauernden Abwenden von den seiner Ansicht nach viel zu faulen Mannschaftskameraden beim FC St. Pauli geführt hat… Oder ob man den fabulösen Leader Fabian Boll in den Daten gesehen hätte? Vielleicht sogar ja?
Manchmal führt so eine Abweichungsanalyse ja auch auf neue Metriken, die man einfach nur noch erfinden muss. Mit Packing konnte man endlich auch den Fernsehkommentatoren erklären, warum Mesut Özil der Grundstein für die WM 2014 war (unabhängig davon, was man persönlich von ihm hält).
Ich finde es auf jeden Fall klasse, dass Du da dran bleibst und uns mit immer neuen Erkenntnissen aufschlaust!
Forza!
Jan
Ja, ich denke auch, dass ein gutes Scouting nur im Zusammenspiel zwischen Datenanalyse und klassischem visuellen Scouting funktionieren kann und hoffe sehr, dass der FCSP hier genau so agiert (habe aber meine Zweifel).
Gerade Özil ist ein gutes Beispiel. Dessen Stärke wurde erst durch Packing, aber noch mehr durch Dinge wie „dangerousity“ und „xGThread“ auch in Daten sichtbar.
Du kannst dir sicher sein, dass ich bei den Daten dranbleiben werde 😉
Wie ich entscheiden würde?
Nun, weniger Fifa und Virtual Bundesliga spielen und mehr an den Sportplatz gehen. 😉
Ehrlich, das wirkt für mich einfach nur wie ein riesiger Datenwulst und hat wenig mit dem zu tun, wie ich einen Spieler beurteilen würde bzw. beurteilen würde, ob und wie gut der zum FC St. Pauli passt. Einfach zu viel Statistik und zu wenig „Und was macht der eigentlich so auf dem Platz, während des Spiels“?
Aber jetzt ernsthaft: Durchaus interessanter Einblick, aber ich bleib echt eher der Anstoss 3 statt der Fifa oder Fussball Manager (keine Ahnung, welche Version da gerade aktuell ist)- Spieler. Und das, was mir Anstoss 3 an statistischen Daten zu einem Spieler liefert ist für mich auch ausreichend, um als Fan zu beurteilen, wie gut ein Spieler zum FCSP passt, und was irgendwelche X-keine-ahnungwas-Werte aussagen verstehe ich auch bei Tims Berichten noch immer nicht.
Und die Scouts? Nun, Wichtig ist auf dem Platz. 😉 Aber ich bin wohl in der Hinsicht echt zu sehr 1990.
Moin, sehr interessant… Ich frage mich aber bei den ganzen unterschiedlichen Beurteilungen, ob und wie verlässlich die in den unterschiedlichen Ligen erfasst werden. Was sind die Grundlagen, wo „zapft“ man solche Daten, wie z.B. Passart an?
Ach ja, gibt es in der DB vielleicht zehn Spieler, die sich auf dem Platz im Abstiegskampf den Arsch aufreißen und 2.Liga Fußball verstehen???? Dann bitte direkt an den FCSP übermitteln…