FC St. Pauli – Eintracht Braunschweig 2:0 – Klassenunterschied

FC St. Pauli – Eintracht Braunschweig 2:0 – Klassenunterschied

Der FC St. Pauli gewinnt gegen Eintracht Braunschweig so dermaßen überzeugend, dass ich am Ende dieses Textes einen Abschnitt eingebaut habe, der darüber nörgelt, dass das Spiel nur 2:0 endete. Bereits nach weniger als 15 Minuten war das Spiel entschieden, auf dem Platz war ein erheblicher Klassenunterschied spürbar.
(Titelbild: imago images/via OneFootball)

Die Aufstellung

Der FC St. Pauli musste in der Defensive neben dem schon länger bekannten Ausfall von Rechtsverteidiger Sebastian Ohlsson auch noch kurzfristig auf den erkrankten James Lawrence verzichten. Und da der etatmäßige Ersatzmann von Lawrence, Tore Reginiussen, ebenfalls erkrankt ausfiel, fand sich Adam Dźwigała in der Startelf wieder (und in der zweiten Halbzeit fand sich erfreulicherweise noch jemand anderes dort wieder).
Diese Wechsel in der Defensive hätten vor ein paar Wochen Schweißperlen auf meiner Stirn produziert. Inzwischen ist das nicht mehr der Fall. Zu stabil hat der FCSP zuletzt auch defensiv gespielt. Und an der Formation mit der Mittelfeldraute änderte sich nichts.

Auf der Gegenseite gab es gleich eine ganze Reihe von Wechseln. Mit Wiebe, Behrendt, Nikolaou, Ji und Kaufmann fielen aus verschiedenen Gründen gleich fünf Spieler aus, die zuletzt gegen Darmstadt zur Startelf gehörten. Vermutlich auch dadurch war Eintracht Braunschweig gezwungen die Formation leicht umzustellen: Das zuletzt erfolgreich gespielte 4-2-3-1 wich einem 3-5-2 bei dem Felix Kroos etwas überraschend nicht nach hinten in die defensive Mittelfeldzentrale rückte, sondern als hängende Spitze agierte. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass Eintracht Braunschweig versuchte das Mittelfeld des FCSP besser aufzunehmen, was mit dem 3-5-2 zumindest auf dem Papier etwas besser möglich ist, da Wydra, Kammerbauer und Ben Balla zentral Zalazar, Kyereh und Becker hätten aufnehmen können. Ihr merkt, ich gehe in den Konjunktiv, denn der Auftritt von Eintracht Braunschweig war schon ziemlich ernüchternd. Wie Thomas Stickroth, Aushilfscoach der Gäste und bekanntlich früher auch mal bei uns im Funktionsteam, nach dem Spiel auf der Pressekonferenz aber mitteilte, war es tatsächlich der Plan, „im Mittelfeld die Raute 1:1 zu deckeln“ – er sagt aber auch gleich im nächsten Satz, dass ihnen dies „nicht gut gelungen“ ist. So kann man das auch formulieren.

Dem FCSP Raum geben – Eine blöde Idee

Denn was nützt es, dass ein 3-5-2 im tiefen Pressing die Formation des FCSP gut aufnimmt, wenn der eigentlich viel gefährlicheren Spielweise des FCSP nicht ansatzweise etwas entgegengestellt wird? Im Vorbericht bei BlauGelbe-Datenwelt hatte ich das Spiel des FCSP ein wenig genauer beschrieben. Ein Auszug: „Das Angriffsspiel des FC St. Pauli zeichnet sich vor allem durch enormes Tempo aus. Als wäre das nicht genug sind vor allem Spieler wie Marmoush, Kyereh und Zalazar immer wieder mit tiefen Dribblings erfolgreich.“ – Ich hatte nicht damit gerechnet, dass diese Beschreibung so dermaßen gut auf die erste Halbzeit des FC St. Pauli passen würde. Eintracht Braunschweig schien auf diese Stärke des FCSP überhaupt nicht vorbereitet und ließ bereits kurz nach Spielbeginn unglaubliche Lücken in defensiven Umschaltmomenten erkennen und war dem starken Gegenpressing des FCSP teilweise hilflos ausgeliefert. Das war schon bemerkenswert, da Braunschweig in den letzten fünf Spielen nur ein einziges Gegentor hinnehmen musste und besonders die Defensive eines der wichtigsten Elemente für einen erfolgreichen Abstiegskampf zu werden schien. Auf das enorm starke Umschaltspiel des FC St. Pauli war Eintracht Braunschweig in Sachen Rückverteidigung jedoch nur unzureichend vorbereitet.

Stattdessen saß ich um 20.38 vor dem Rechner und rief: „Marmoush! Tempo!“ – Ja, wenn der FCSP erst einmal Tempo aufgenommen hat, dann ist er ganz schwer zu verteidigen. Gerade Omar Marmoush sollte da von jedem gegnerischen Analysten mit „keinen Raum für tiefe Dribblings geben“ markiert worden sein. In der siebten Minute bekam Marmoush diesen Raum. Es folgte ein-, zwei-, dreimal „Tanze Samba mit mir“ mit Gegenspieler Klaß und dann ab die Kirsche. Wenn er damit seine Gegenspieler so auswackeln kann, dann hätte ich auch gerne die Hüftprobleme, die Marmoush unter der Woche nach Auskunft von Timo Schultz hatte.

Eintracht Braunschweig hatte in den ersten 20 Minuten keinen, wirklich überhaupt keinen Zugriff auf die Spieler des FC St. Pauli in Umschaltmomenten. Sie schienen ob der vielen personellen Wechsel und auch aufgrund des System-Wechsels schlicht überfordert mit dem FCSP. Es war mehr als ein Klassenunterschied.
Auf der anderen Seite sprudelte die Spielfreude nur so heraus. Besonders die Agilität von Rico Benatelli in diesen ersten Minuten war beeindruckend. Laut sofascore hat Rico Benatelli satte 76 Pässe an den Mitspieler gebracht, was einer Quote von über 90% entspricht. Und im Gegensatz zu vielen anderen Auftritten waren es nicht meist nur Quer- oder Rückpässe, nein, Benatelli hat das Aufbauspiel trotz engem Raum sehr häufig nach vorne getrieben.

Und es war dann wieder ein Umschaltmoment, den der FC St. Pauli in der 14. Minute zum zweiten Tor nutzte. Und wieder muss sich Eintracht Braunschweig fragen, wie so eine offene Stellung gegen den FC St. Pauli passieren kann. Das darf einfach nicht sein. Aber ich möchte hier gar nicht die Leistung des FCSP schlechtreden. Denn die Ballgewinne und das schnelle Umschalten, aber auch die Passsicherheit waren richtig, richtig gut, das 2-0 durch Daniel-Kofi Kyereh nach einer Viertelstunde hochverdient.

Während Eintracht Braunschweig erst durch ein grenzwertig hartes Einsteigen von Kroos gegen Benatelli auffällig wurde, hatte Omar Marmoush bereits auch schon einen Kopfball aus nächster Nähe an den Pfosten gesetzt. Kroos holte sich eine Gelbe Karte ab, die ich mit dem Attribut „mindestens“ versehe.
In der Folge beruhigte sich das Spiel merklich. Mit der Führung im Rücken konnte der FCSP noch mehr den Fokus auf Umschaltmomente legen, während Eintracht Braunschweig eindrucksvoll zeigte, das sie mit 23 Toren die bisher schwächste Offensive der Liga stellen.

Auf und davon: Daniel-Kofi Kyereh auf dem Weg zum 2:0
(imago images/via OneFootball)

Nur fünf Torschüsse in der ersten Halbzeit – Trotzdem eine überzeugende Vorstellung

Schon bemerkenswert: Der FC St. Pauli hat nach 45 Minuten nur fünf Torschüsse abgefeuert. Das ist eigentlich eine ziemlich schwache Bilanz. Aber Eintracht Braunschweig darf sich glücklich schätzen., dass sie nicht mit vier oder sogar fünf Gegentoren in die Pause gehen. Denn alle Torschüsse waren glasklare Torchancen. Nach den beiden Toren setzte Marmoush den bereits erwähnten Kopfball an den Pfosten, Burgstaller traf nach toller Kombination mit Kyereh das leere Tor nicht und Benatelli zeigte einmal mehr, dass freistehende Einschussgelegenheiten im Rückraum (noch) nicht sein Spezialgebiet sind. Sei es drum, wir reden hier von einer verdienten 2:0-Führung zur Halbzeit.

Auch aus der Halbzeit kommt der FCSP besser raus als Braunschweig: Zalazar, Burgstaller und Marmoush hätten bereits in den ersten zehn Minuten für die Vorentscheidung sorgen können.
Das Braunschweig nicht einmal mehr selbst an einen Punktgewinn glaubte, zeigte sich spätestens in der 65.Minute mit der Auswechslung von Abwehrchef Oumar Diakhite, um ihn vor der fünften gelben Karte zu schützen (am nächsten Spieltag kommt das enorm wichtige Spiel gegen Osnabrück).

Im Verlauf der zweiten Halbzeit zeigte sich dann auch, dass es nicht nur die Umschaltmomente waren, mit denen der FCSP gute Offensiv-Aktionen kreierte. Der FCSP spielte verhältnismäßig häufig diagonale Seitenverlagerungen, um die Dreierkette von Braunschweig maximal horizontal zu belasten. Und da Braunschweig in einem 3-5-2 presste und sich nicht dauerhaft defensiv zu einer Fünferkette hinten formierte, waren diese Räume durchaus vorhanden und die Seitenverlagerungen sorgten häufig für Gefahr. Zusätzlich zeigte sich der FCSP etwas variabler im Mittelfeld: Rodrigo Zalazar tauschte in der ersten Halbzeit die Position mit Finn Ole Becker. Kyereh war viel häufiger als zuletzt auf der linken Seite zu finden und wenn ich penibel wäre, dann würde ich die Offensiv-Formation des FCSP dadurch sogar eher als 4-3-3 bezeichnen, mit Marmoush und Kyereh als Außenstürmer. Auch im Aufbau waren leichte Änderungen bemerkbar: Rico Benatelli wurde sehr viel mehr in das Spiel eingebunden (oder um es aktiv auszudrücken: Er verstand seine Rolle sehr viel mehr als deep playmaker als in den Spielen zuvor). Er ließ sich häufig vor die gegnerischen Stürmer fallen und holte sich tief die Bälle ab (evtl. auch der Abwesenheit von Lawrence geschuldet). Teilweise boten sich auch Becker und Zalazar tief in den Halbräumen der eigenen Hälfte an und konnten so auch zentral eine Überzahl erzeugen, da Benatelli dadurch vorrücken konnte und anspielbar war. Die tiefe Ordnung von Braunschweig und der mannorientierte Fokus von Ben Balla und Kammerbauer öffneten hierbei den Raum für ihn. Somit hat der FCSP sein Aufbauspiel um eine Facette erweitert (kann auch sein, dass diese Eröffnung in den Spielen vorher auch schon versucht wurde, aber mir ist sie gestern zum ersten Mal aufgefallen). Gut für uns, schlecht für die kommenden Gegner.

Durch die Mannorientierung auf Becker und Zalazar ergaben sich bei guten Laufwegen des zentralen Mittelfelds des FCSP ungeahnte Räume im Spielaufbau in der Zentrale für Rico Benatelli.

Es war schon richtig gut, wie ballsicher sich der FCSP zeigte. Im gesamten Spielverlauf ließen wir keine einzige längere Druckphase von Braunschweig zu, konnten uns dem Zugriff der Braunschweiger immer gut entziehen und hatten diesen selbst eigentlich immer. Das war schon richtig überzeugend und ich muss zugeben, dass ich nach dem Spiel gegen Osnabrück schon begeistert etwas zur Dominanz des FCSP schrieb. Gegen Braunschweig wurde aber noch eine Schippe draufgelegt. In diesen beiden Spielen dominierte der FC St. Pauli wie lange, lange Zeit nicht mehr und zeigte, dass es in der 2.Liga, eigentlich für ihre Ausgeglichenheit berühmt, erhebliche Klassenunterschiede gibt. Das ist äußerst ungewohnt aus FCSP-Sicht, aber umso großartiger finde ich es.

Für die letzten 20 Minuten wechselte der FCSP dann positionsgetreu Lukas Daschner für den gelb-vorbelasteten Kyereh und Maximilian Dittgen als zweite Spitze neben Burgstaller ein. Zu diesem Zeitpunkt war Marvin Knoll bereits zehn Minuten auf dem Spielfeld. Er ersetzte Adam Dźwigała nach rund einer Stunde in der Innenverteidigung.
Daschner hatte bereits Sekunden nach seiner Einwechslung das dritte Tor auf dem Fuß, scheiterte aber an Fejzic. Kurz darauf verlor Ziereis den Ball in der Vorwärtsbewegung und ermöglichte so die bis dahin größte Chance für Braunschweig. Und schon fing mein Kopfkino an.

Zum Spielende sorgte nicht Eintracht Braunschweig sondern Schneefall für Gefahr.
(imago images/via OneFootball)

Einmal das 3-0 machen!

Zugegeben: Es ist meckern auf sehr hohem Niveau. Aber der FC St. Pauli kann auf solche Spiele, in denen er haushoch überlegen ist, gerne mal frühzeitig den Deckel draufmachen und das dritte Tor erzielen. Zum siebten Mal in den letzten zwölf Spielen führte der FCSP Mitte der zweiten Halbzeit mit 2-0, war teils hoch überlegen. Alle diese Spiele wurden gewonnen, daher gibt es eigentlich auch keinen Grund zum Nörgeln. ABER… in fünf dieser sieben Spiel erzielte der Gegner mindestens noch den Anschlusstreffer (Darmstadt und Hannover glichen sogar noch aus) und es war Zittern angesagt.
Und auch gegen Braunschweig war es durch „nur“ Zwei-Tore-Führung ein Spiel, das jederzeit hätte kippen können, wenn der Gegner einen Ball irgendwie reinschlingert. Das wäre gerade aus Braunschweiger Sicht zwar absolut glücklich und unverdient gewesen, aber es waren durchaus Situationen da, in denen sie den Anschlusstreffer hätten erzielen können, während der FCSP auf der Gegenseite einige Chancen liegengelassen hat (xG laut fivethirthyeight bei 3.3 zu 0.7, womit der FCSP die Tabellenführung als beste Offensive der Liga nach xG verteidigt haben dürfte).
Die Ansicht deckt sich auch mit der von Timo Schultz, der nach dem Spiel sagte: „Wenn ich hier sitze und mich über den Spielverlauf beim 2:0-Sieg ärgere, dann sieht man, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Egal. Das sind echte Luxus-Probleme von denen ich hier schreibe. Der FC St. Pauli gewinnt in überzeugender Manier gegen ein schwaches Eintracht Braunschweig. Besonders beim Vergleich mit dem Hinspiel fällt auf, wie enorm breit die Brust des FCSP inzwischen ist, wie unglaublich gut sich dieses Team inzwischen entwickelt hat, wie stabil es ist und seinen Stiefel runterspielen kann. Das ist einfach großartig, wenn ich bedenke wie ich vor Wochen auf die letzten beiden Spieltage gegen Osnabrück und Braunschweig geschaut habe und dies für enorm wichtige Spiele im Kampf um den Klassenerhalt hielt. Das der FCSP nach diesen beiden Spielen mit nun 38 Punkten auf dem Konto und zwölf Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz den Klassenerhalt nahezu sicher hat, damit hatte ich nicht gerechnet. Jetzt noch bei solchen Spielen im Stadion sein, es wäre nahe an der Perfektion!
// Tim

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