Der frühe Vogel… heißt FC St. Pauli!

Der frühe Vogel… heißt FC St. Pauli!

Wenn ihr den Spielen des FC St. Pauli aktuell folgt, dann solltet ihr recht pünktlich eingeschaltet haben. Denn der FCSP läuft in den ersten 15 Minuten eines Spiels immer richtig heiß und hat in den letzten drei Spielen jeweils bereits nach wenigen Minuten in Führung gelegen. Aber es gibt einen anderen Spielabschnitt, in dem der FCSP noch stärker ist. Und auch einen, in dem es deutlich schlechter läuft.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Ganze acht Tore hat der FC St. Pauli allein in 2021 in der Anfangsviertelstunde erzielt. Im Gegenzug hat er sich in dieser Zeit nur zwei Gegentore gefangen. Das sah in dieser Saison in den Spielen vorm Jahreswechsel noch ganz anders aus: Fünf Gegentore und nur einen einzigen Treffer selbst erzielt. In der Summe macht das neun eigene Tore und sieben gegnerische Tore in der Anfangsviertelstunde. Zuletzt gegen Würzburg, Aue und Braunschweig hat der FCSP nach 15 Minuten bereits in Führung gelegen, gegen Würzburg sogar mit zwei Toren.

Es klingt also ganz so, als wenn der FC St. Pauli besonders zu Beginn eines Spiels momentan enorm gut zurechtkommt, quasi eine Art Kickstarter geworden ist. Aber bevor wir hier komplett zu Lobeshymnen auf die Anfangsviertelstunde ansetzen, lasst uns erst einmal die Daten validieren und schauen, ob die Anzahl der Torschüsse und die expectedGoals-Werte eine ähnliche Sprache sprechen:

SpielabschnittToreGegentorexG forxG againstown shotsshots against
Minute 1-15978.75.25845
Minute 16-306510.45.57046
Minute 31-45+543.88.14967
Minute 46-60866.76.76049
Minute 61-75798.48.16166
Minute 76-90+131314.213.68290

Die weitergehenden Daten bestätigen das, was die Anzahl der Tore bereits vermuten lässt: Der FC St. Pauli ist in der Anfangsviertelstunde enorm stark. In diesem Spielabschnitt wurden neun Tore erzielt, was fast genau dem xG-Wert von 8.7 entspricht. Aber diese Daten verraten noch mehr. Denn zwar hat der FCSP in den ersten 15 Minuten eines Spiels auch sieben Gegentore gefangen, aber der xG-Wert liegt nur bei 5.2. Auch die Anzahl der gegnerischen Torschüsse ist mit 45 sehr niedrig. Schaut man nur auf die xG-Werte und Torschüsse, so hat der FCSP in keinem anderen Spielabschnitt weniger zugelassen als in der Anfangsviertelstunde.

Offensiv noch stärker ist der FC St. Pauli aber im zweiten Spielabschnitt, also zwischen Minute 16 und 30. Hier wurden zwar „nur“ sechs Tore erzielt, aber der xG-Wert und auch die Anzahl der Torschüsse sind mit 10.4 und 70 enorm hoch, während die der gegnerischen Teams weiter relativ niedrig sind. Rechnet man die ersten beiden Abschnitte zusammen, so wären nach xG-Werten fast 20 Tore möglich gewesen (19.1) bei einem gegnerischen xG von 10.7. Das Torverhältnis von 15 zu 12 spricht hier nur knapp zugunsten des FCSP, die anderen Werte entsprechen sehr viel mehr dem, was ich persönlich und vermutlich auch einige andere meist wahrnehmen: Der FC St. Pauli kommt meist sehr gut in ein Fußballspiel in dieser Saison. Woran das liegt? Keine Ahnung. Vielleicht geht der Matchplan meist besser auf als der des Gegners. Vielleicht ist die Brust der FCSP-Spieler inzwischen aber auch einfach so breit, dass die gar nicht abwarten müssen sondern direkt aus allen Rohren feuern.

Ja, Guido, der zweite Spielabschnitt ist der beste von euch!
(c) Peter Böhmer

Besonders spannend ist der Abschnitt ab Minute 30 bis zum Halbzeitpfiff. Zwar hat der FCSP auch in diesem Abschnitt mehr Tore als der Gegner erzielt (5 vs. 4 Tore), aber der eigene xG-Wert fällt fast ins Bodenlose mit 3.8, während die der Gegner auf 8.1 steigen (zusätzlich feuert der FCSP in dieser Phase die wenigsten Torschüsse ab). Was sind die Gründe für diese krasse Veränderung?
Zumindest scheinen die Gegner in diesem Spielabschnitt immer ein wenig mehr zu investieren. Der PPDA-Wert (Passes Played per Defensive Action) gegen den FCSP liegt im Mittel in den ersten 30 Spielminuten bei rund 14. Im Abschnitt ab der 30.Minute fällt er im Mittel auf 11, während er nach Wiederanpfiff wieder bis auf 14 hinaufklettert. Das bedeutet: Der FC St. Pauli erfährt in diesem Abschnitt mehr Druck im Aufbauspiel oder aber wird selbst ein wenig ungenauer im Offensivspiel. Beides ist möglich. Dafür spricht auch die Anzahl an Ballverlusten in dieser Phase. Die ist mit durchschnittlich fast 22 Ballverlusten relativ hoch (Minute 1-15: 18 Ballverluste; 16-30: 15 Ballverluste; 45-60: 18 Ballverluste).
Diese Daten weichen so eklatant von denen der ersten 30 Minuten ab, da sollte ganz dringend mal seitens des Trainer-Teams nachgeforscht werden. Oder aber der FC St. Pauli nimmt ganz bewusst nach der meist recht drückenden Anfangsphasse etwas Druck vom Kessel in dieser Phase und versucht das Ergebnis etwas zu verwalten (wie zum Beispiel im Spiel gegen Würzburg geschehen). Das erklärt aber nicht den hohen xG-Wert des Gegners. Ich habe diese Tabelle ja bereits schon einmal erstellt, nach dem Spiel gegen Sandhausen. Damals waren die Werte im Abschnitt 16-30.Minute noch weit nicht so gut, aber der Abschnitt 31. bis Halbzeitpfiff war auch damals schon bedenklich aus Sicht des FCSP.

Gleiche Daten, wie in der Tabelle oben, aber in Farbe (und bunt!)

Die Daten für die zweite Halbzeit zeigen in allen drei Abschnitten ähnliche Werte sowohl für den FCSP als auch für den Gegner. Bemerkenswert, aber nicht verwunderlich ist der krasse Anstieg aller Daten im letzten Spielabschnitt. Das ist zwar auch damit zu erklären, dass in diesen Abschnitt auch die Nachspielzeit mit einberechnet wird (im letzten Abschnitt der ersten Halbzeit übrigens auch, was die niedrigen Werte des FCSP noch krasser erscheinen lässt). Aber es ist eben auch generell, selbst ohne Nachspielzeit immer die Phase eines Spiels in der am meisten Tore erzielt werden (Müdigkeit lässt grüßen).
Die Anzahl der erzielten Tore, aber auch die Torschüsse und xG-Werte für die gesamte zweite Halbzeit sind also ausgeglichen. Das bedeutet dann im Umkehrschluss, dass der FC St. Pauli häufig von der ersten Halbzeit profitiert. Und dort eben besonders von der ersten halben Stunde.

Übrigens ist der Abschnitt von Minute 16 bis 30 nicht erst seit dieser Saison ein enorm starker des FCSP. Letzte Saison wurden in diesen Minuten satte 13 Tore erzielt und nur vier gefangen. Allerdings gab es da andere Abschnitte, die nicht ganz so erfolgreich waren: Es wurde nur ein Tor in der Anfangsviertelstunde erzielt und die elf Gegentore in der Schlussviertelstunde (vier eigene Tore) rufe ich nur ungern wieder in Erinnerung.

Ihr könnt das alles für Hokuspokus und Zufall halten. Sicher wird auch der Zufall einige Werte massiv beeinflusst haben. Aber der krasse Abfall der Werte im letzten Abschnitt der ersten Halbzeit ist nicht mit dem Zufall zu erklären. Dafür unterscheiden sich die Werte zu stark und die Anzahl der Spiele ist inzwischen auch groß genug, sodass Ausreißer nicht mehr so sehr ins Gewicht fallen.
Ich werde ab sofort jedenfalls alle meine Nebenaktivitäten zwischen die 31. und 45.Minute legen und veruschen den Anpfiff nicht mehr zu verpassen.

// Tim

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