Holstein Kiel – FC St. Pauli 4:0 – effektiv vs. aggressiv

Holstein Kiel – FC St. Pauli 4:0 – effektiv vs. aggressiv

Puuh, das war deutlich. Der FC St. Pauli verliert klar gegen Holstein Kiel. Zwar hatte der FC St. Pauli den besseren Start und durchaus Chancen zur Führung, aber zuerst effektive und dann dominante Kieler gewannen letztlich verdient. Holstein Kiel hat damit mehr Chancen denn je aufzusteigen. Der FC St. Pauli hingegen kann endgültig mit einer weiteren Saison in der 2.Liga planen.
(Titelbild: imago images/via OneFootball)

Ich will ganz ehrlich sein: Ich möchte diesen Spielbericht und dieses Spiel, genauso wie ihr, schnellstmöglich abhaken. Das hat gar nicht mal nur den Grund, dass der FCSP mit 0:4 in Kiel unter die Räder gekommen ist. Ich schaue mir für die Taktik-Analyse die Spiele ja immer noch ein zweites Mal an. Da habe ich einfach mehr Ruhe, um mich wirklich nur auf die Formationen und Prinzipien zu konzentrieren.
In Stadien wie dem in Kiel (oder Sandhausen, Heidenheim), bringt es mir aber auch nichts die Spiele fünf- oder sechsmal zu schauen. Wenn die Totale der Fernsehbild-Kamera nicht mindestens ein Drittel des Spielfeldes zeigt, dann kannste dir das meist nur vorstellen, wie die Formation wirklich aussieht. Wie aber in der Viererkette reagiert wird, wenn der Gegner das Spiel verlagert? Ich habe keinen blassen Schimmer, wenn ich es in der Totalen nicht mindestens zwei-dreimal pro Spiel sehen kann. Wenn dann also eine gewisse Vorstellungskraft notwendig ist, da man die genaue Formation zu keiner Zeit im TV-Bild erkennen kann und zusätzlich dann auch noch so ein intensives Hin und Her auf dem Platz stattfindet wie gestern: Dann habe ich fast keine Chance. Und wenn dein Team dann noch 0-4 verliert, dann ist auch meine Motivation, die Lücken auf dem Spielfeld mit Hilfe meiner Vorstellungskraft schließen zu wollen, ziemlich im Keller.

Klar, der FC St. Pauli spielte im 4-4-2 mit Raute und Kiel im 4-3-3 (oder 4-1-4-1, je nach Definition). Beide Teams pressten relativ hoch, damit das andere Team ja nicht in eine Art Spielfluss kommt. Das ist vor allem vom FC St. Pauli eine gute Idee gewesen. Denn von der Dominanz, die Holstein Kiel in den meisten Spielen dieser Saison ausstrahlte, war vor allem zu Spielbeginn nichts zu sehen. Aus taktischer Sicht habe ich mir jedoch nur zwei Dinge notiert, die mir bei zweimaligen Anschauen des Spiels aufgefallen sind: Rico Benatelli hat im offensiven Pressing voll mit raufgeschoben und Omar Marmoush hat sich immer wieder zentral fallen lassen, wenn der FCSP im Spielaufbau den Ball in den eigenen Reihen hielt. Das ist mir vor allem deshalb aufgefallen, da er sonst bei eigenem Ballbesitz immer auf den Außenbahnen rumturnte. Zack, Taktik-Analyse vorbei. Bei diesem Spiel ging es eh nicht primär darum den Gegner mit einer taktischen Finesse auszucoachen und weder Kiel noch der FCSP überraschten taktisch in irgendeiner Art und Weise. Die Formation beider Teams mit je mindestens drei zentralen Mittelfeldspielern ließen schon erahnen, dass das Spiel in den direkten Duellen im Zentrum entschieden werden würde.

Der FC St. Pauli dominierte die ersten 15 Minuten des Spiels vor allem deshalb, da sie konsequent die Zweikämpfe im Pressing gewannen. Selbst wenn sie die Zweikämfe mal verloren, waren sie in der Rückverteidigung gut aufgestellt und nahmen recht schnell den Druck aus den Umschaltmomenten von Kiel. Aus diesem Übergewicht für den FC St. Pauli, aus diesen Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, resultierte leider nichts Zählbares. Es wäre verdient gewesen, denn Kiel war schon ziemlich am schwimmen zu Spielbeginn.
Diese Phase zeigte, dass der FC St. Pauli gegen einen defensiv wirklich starken Gegner dann doch noch ein paar Probleme mit der Genauigkeit in den Pässen, aber auch der Zielstrebigkeit zum Tor in der gegnerischen Box hat. Und Holstein Kiel hat auf der anderen Seite gezeigt, wie das idealerweise zu funktionieren hat.

Viel Arbeit, wenig Ertrag von der Offensiv-Abteilung des FC St. Pauli
(imago images/via OneFootball)

Recht häufig in den letzten Spielen ging der FC St. Pauli aus diesen druckvollen Anfangsphasen mit einer Führung hervor. Dieses Mal war es jedoch der Gegner, der sich quasi mit der ersten erfolgreichen eigenen Angriffsaktion aus dieser Umklammerung befreite: Nach einem Ballverlust von Finn Ole Becker im Kieler Gegenpressing spielten sie es richtig gut aus und gingen durchaus überraschend nach 21 Minuten in Führung.
Am Spielverlauf änderte das noch eher wenig. Der FC St. Pauli blieb weiter druckvoll. Doch drei Minuten nach dem Rückstand fing sich der FCSP einen Konter nach einer Ecke. Der wurde vor allem deshalb gefährlich, da eben jene Rückverteidigung in diesem Fall eher mangelhaft umgesetzt wurde (hier Maik, Gegentor nach Ecke! [Anm. Maik: Ja, nee… so ist das ja auch wieder nicht gemeint!]).

Zack, steht es in einem Spiel, welches der FCSP dominiert, plötzlich 0-2. Das war zu diesem Zeitpunkt recht unverdient. In der Folge zeigte sich der FC St. Pauli zwar unbeeindruckt und spielte weiter aggressiv nach vorne, aber die Kieler konnten nun auch mehr und mehr dagegen halten, weil sie selbst zeigten, dass sie im Mittelfeldzentrum ebenfalls über die nötige Gier und Aggressivität in Richtung Ball verfügen.
Objektiv betrachtet war die erste Halbzeit ein richtig gutes, ein wahnsinnig intensives Fußballspiel. Subjektiv, aus FCSP-Sicht kannste natürlich nur in die Tischkante beißen, dass Du aus so einer Halbzeit mit einem 0:2-Rückstand rausgehst.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit war die Einstellung aus der ersten Halbzeit bei den FCSP-Spielern auch noch auf dem Platz spürbar. Die wollten das noch drehen. Als Holstein Kiel aber mit einem richtig guten Spielzug auf 3-0 erhöhte, kam das komplette Spiel zum Erliegen. Die Entscheidung war gefallen. Auch wenn in der Folge noch einige Halbchancen vom FC St. Pauli zu sehen waren, so ließ der Druck ziemlich nach. Holstein Kiel durfte in der Folge dann auch endlich das zeigen, was sie im Saisonverlauf so stark machte: Sie kontrollierten das Spiel über Ballbesitz, gutes Positionsspiel und eine enorme Passsicherheit. Und da Dejan Stojanović nicht seinen besten Tag im FCSP-Dress hatte, konnte Kiel sogar noch auf 4-0 erhöhen.

Ja, ok. Hat er schon ganz ansehnlich verwandelt zum 0-3, der Fin.
(imago images/via OneFootball)

Stellt Euch vor, dass ist alles, was ich zum Spiel selbst zu sagen habe. Das würde ich noch nicht einmal eine Analyse nennen, es ist eher eine Spielbeschreibung. Da es beim Spiel gegen Hannover aber sicher eine bessere Kamera-Einstellung gibt (die am Millerntor ist super für Analysen), der FC St. Pauli das Spiel sicher nicht 0-4 verlieren wird und ich sicher bin, dass taktisch ein wenig ausprobiert wird, dürfte der nächste Spielbericht wieder sehr viel mehr Taktik enthalten.

Der FC St. Pauli verliert also in Kiel. Kann passieren. Ist aufgrund des Spielverlaufs trotzdem ärgerlich. Und verlieren ist sowieso immer kacke. Ich kann mich da nicht von frei machen. In mir stirbt einfach immer etwas, wenn wir verlieren. Aber es zeigte sich eben, warum Holstein Kiel erst 27 Gegentore gefangen hat: Die haben es zwar nicht geschafft den FCSP dauerhaft von der eigenen Box fern zu halten, aber sie haben meist immer irgendwie noch ein Körperteil an den Schuss, den letzten Pass oder die Flanke bekommen. Leser:innen des Vorberichts wussten ja bereits, dass die Kieler sehr gut sind in Sachen Schüsse abblocken (Platz 2 in der Liga). Und sie wussten auch, dass Holstein Kiel nicht viele Chancen und Torschüsse braucht, um erfolgreich zu sein (Platz 14 bei der Anzahl an Torschüssen).

Was nun folgt sind altbekannte Mechanismen: Im Laufe der nächsten Woche werden in den üblichen Medien die Fragen zur Motivation mit Zitaten des Sportchefs zur Wichtigkeit der Endplatzierung aufgrund der Fernsehgelder beantwortet. Ich persönlich rechne aber auch damit, dass sich in den nächsten Tagen einiges in Sachen Kaderplanung tun wird. Das Spiel in Kiel hat dabei gezeigt, dass es durchaus noch einige Baustellen gibt, die es zu bearbeiten gilt. Sogar abgesehen davon, dass Leihspieler den Klub verlassen werden.

Ich werde jedenfalls ein entspanntes Wochenende verbringen. Kein banger Blick auf die Ergebnisse der restlichen Spiele, keine Sorge vor Siegen von Konkurrenten. Und das trotz einer 0:4-Niederlage. So sehr ich mich darüber ärgere, so angenehm ist es doch, dass diese Niederlage vor allem eher bei einem Sportklub in der Nähe für Schweißperlen sorgt. Auch mal gut, dass es nicht die eigenen sind. Und damit schnell weg von diesem Spiel!
// Tim

Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.

MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube

5 thoughts on “Holstein Kiel – FC St. Pauli 4:0 – effektiv vs. aggressiv

  1. Danke, Tim. Nach so einem Spiel hätte ich auch keine Lust auf eine Analyse, sogar ganz unabhängig von der Kameraeinstellung.

    Ich denke, dass in den nächsten Monaten (also der Vorbereitung), der Fokus unbedingt hier liegen sollte:

    Dein Zitat: „Das Spiel in Kiel hat dabei gezeigt, dass es durchaus noch einige Baustellen gibt, die es zu bearbeiten gilt. Sogar abgesehen davon, dass Leihspieler den Klub verlassen werden.“

    In den Spielen gegen Düsseldorf und Kiel haben die Gegner schonungslos unsere Schwächen offen gelegt. Zum einen (und das ist jetzt keine neue Erkenntnis), tun wir uns gegen Teams schwer, die sehr körperbetont im Mittelfeld agieren. Da geraten wir regelmäßig ins Schwimmen. Die Verpflichtung von Smith ist diesbezüglich sehr wichtig, aber er allein wird diese Baustelle nicht lösen können, selbst wenn er dauerhaft fit ist. Zumal, und jetzt das „zum anderen“: Wir brauchen eine qualitative Verstärkung in der IV neben Lawrence. Und aus meiner persönlichen (unpopulären) Sicht wird die Antwort darauf weder Ziereis, noch Avevor, noch Dzwigala oder gar Senger heißen. Das in Kurzform. Da gäbe es sicher noch andere Planstellen zu bedenken (beispielsweise die Ersatzspieler auf AV oder im Sturm), oder die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis offensiver Aufwand/Ertrag. Jedenfalls: Wenn wir nächstes Jahr in einer erwartet richtig starken Liga eine ähnlich gute Rolle spielen wollen wie in dieser Rückrunde, dann gilt es weit mehr zu bedenken, als nur die Klärung der Fragen nach dem Ersatz für Marmoush, Zalazar und Stojanovic.

  2. Yo, Paul, geh ich konform mit Dir! Wir brauchen unbedingt einen backup für Leart -auch der fällt irgendwann mal aus-; die IV ist und bleibt ne Baustelle -ein Königreich für die Rückkehr von Leo-; Zander ist mir einfach körperlich nicht robust genug und damit keine echte Alternative für Ohlsson; Und zu Stojanovic: werde ich nicht vermissen, zu Marmoush:dito. Er nervt seit Wochen. Dribbelt in 3 Leute rein, während Burgi völlig frei steht und die Krise kriegt, verliert logischerweise den Ball, setzt aber dann eben auch nicht nach, sondern jammert. Im Gegensatz dazu Zalazar, der hatte auch jetzt einige Male nicht seinen besten Tag, aber er kämpft und rackert, bei ihm ist ne Entwicklung zu sehen, bei Marmoush höchstens eine in die falsche Richtung..Tja, wer sich -wie ich- mal den kurzen Moment gegönnt hat, dran zu glauben, wir könnten nächste Saison in der nun aber mal wirklich stärksten zweiten Liga aller Zeiten Oben mitzuspielen, sollte schleunigst wieder auf den Boden der Realität zurückkommen.

  3. Mit den Topdogs der BL2 konnten wir leider diese Spielzeit
    nur an Sahnetagen (Heidenheim 2x zBsp) mithalten.

    Trotz allem, wenn wir zurückblicken und uns anschauen, in
    welchem Teil der Tabelle wir an Weihnachten gelistet waren,
    ist das alles schon ziemlich easy peasy gelaufen. Schulle
    und sein Team können offensichtlich SP-Coaching.

    😉 Ansonsten darf sich der Hamburger Serien-Vizestadtmeister
    wohl über ein weiteres Jahr Planungssicherheit in BL2 freuen
    und sehnsuchtsvoll nach Bochum, Fürth und Kiel blicken…

  4. Moin, danke, alles gut. Heimsieg gegen die Kinder und dann nach Regensburg, hat sich mal jemand deren Restprogramm angeschaut?
    Schönen Sonntag.
    Ah, Buchtipp. Nachtgestalten von Rudis.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert