Der FC St. Pauli hat mit Lars Ritzka den zweiten Neuzugang für die kommende Saison (nach Torwart Nikola Vasilj) vermeldet. Der 23-Jährige kommt ablösefrei vom SC Verl aus der 3.Liga. Als nomineller Linksverteidiger besetzt er eine im Kader frei gewordene Position und könnte mehr als nur ein Back-up auf dieser Position sein.
(Titelbild: Imago Images via OneFootball)
The story so far
Den TSV Limmer kennt Ihr natürlich, wenn Ihr unseren Verein vollumfänglich verfolgt, denn das erste Team spielte bis 2019 in der Regionalliga Nord der Frauen. Im Herren-Bereich hingegen pendelte man in den letzten Jahren oft zwischen der Kreisklasse und Kreisliga in Hannover – und das dürfte dann auch der Grund dafür gewesen sein, dass Lars Ritzka 2014 von der dortigen U17 zu Hannover 96 wechselte. Er durchlief dann dort die U17, U19 und U23, ehe er im Sommer 2019 zum SC Verl in die Regionalliga wechselte, wo nach einem Jahr der Aufstieg in die 3.Liga gefeiert werden konnte. In einem Interview bei Sportbuzzer aus dem Sommer 2020 erfährt man u.a., dass er dort noch Sport und Mathematik auf Lehramt studierte – und dass auch da schon die 2.Liga das Ziel war.
Wer übrigens denkt, dass sich die Wege von Timo Schultz und Lars Ritzka in der Jugend-Bundesliga schon mal gekreuzt haben müssen, irrt, denn Ritzka marschierte altersmäßig dann doch noch vor den von Schultz trainierten Teams her. Allerdings spielte er in der Zeit u.a. gegen Ersin Zehir, Florian Carstens, Luis Coordes und Christian Viet.
Die erste Saison in Verl endete dann wie erwähnt mit dem Aufstieg aus der Regionalliga West, in den beiden Aufstiegsspielen gegen Lok Leipzig (2:2 und 1:1) spielte Ritzka jeweils durch. Und die Drittligasaison verlief dann für ihn auch nach Maß, in der Kicker-Rangliste für die „Außenbahn Defensiv“ landete er gleich auf Rang 7 und damit in der Kategorie „Auffällig“. 35 Spiele, die allermeisten über die kompletten 90 Minuten, zwei Tore und vier Vorlagen sowie für einen Verteidiger bemerkenswerte „nur“ drei Gelbe Karten. Eines seiner beiden Tore erzielte er in Unterhaching (ab 0m50s) und das zweite bei einer seiner wenigen Einwechslungen gegen Uerdingen (ab 3m00s).
Die Statistik sagt: ein offensiver Linksverteidiger
Eine Einschätzung von Seiten eines Blogs oder gar ein Scoutingprofil können wir leider nicht liefern. Leider müssen wir euch auch maßlos enttäuscht mitteilen, dass Lars Ritzka nicht bei Instagram aktiv ist (don’t judge him!). Was wir aber liefern können ist ein Blick in die Daten. Und der ist vielversprechend.
Vorweg: Unter allen Außenverteidigern der 3.Liga der letzten Saison wird Lars Ritzka auf dem sechsten Platz im Index-Ranking von Wyscout geführt.
Die größte Stärke von Lars Ritzka ist laut Daten seine Fähigkeit Bälle abzufangen. Mit mehr als sieben Interceptions pro 90 Minuten liegt er ligaweit auf dem 13.Platz. Das ist schon beeindruckend, aber noch nicht herausragend. Spannend wird es aber, wenn dieser Wert in Relation zum Ballbesitz des eigenen Teams betrachtet wird (der Wert bekommt dann das klobige Kürzel „Padj“ – das bedeutet ‚possession adjusted‘). Denn klar ist, dass Ballgewinne nur dann stattfinden können, wenn der Ball nicht bereits in den eigenen Reihen ist (eine gute Erklärung findet ihr hier). Betrachtet man nun den Wert der Interception in Relation zum Ballbesitz kommt heraus: Lars Ritzka ist deutlich der beste Ballabfänger der Liga mit 11.3 angefangenen Bällen pro Spiel. Zudem ist Ritzka auch bemerkenswert zweikampfstark und hat knapp 69% seiner Defensivduelle gewonnen.
Doch nicht nur in den Defensiv-Statistiken ragt Lars Ritzka heraus. Die Daten zeigen, dass er auch in der Offensive viele Aktionen hat. Er spielte letzte Saison die zweitmeisten Pässe ins Offensivdrittel, in den Strafraum und hatte auch die zweitmeisten ‚deep completions‘. Allgemein bringt er sein Team mit seinen Pässen eher vorwärts, liegt bei der Anzahl der ‚progressive passes‘ (Pässe, die erhebliche Meter in Richtung des gegnerischen Tores überbrücken) ligaweit auf Rang sieben.
Die hohe Anzahl an Pässen weit vorne bzw. die verhältnismäßig vielen vertikalen Pässe, aber auch die vielen abgefangenen Bälle sprechen eine klare Sprache: Lars Ritzka interpretiert seine Rolle als Linksverteidiger recht offensiv. Dafür spricht auch seine eher mittelmäßige Passquote, denn die weist nicht unbedingt auf technische Unzulänglichkeiten im Passspiel hin sondern weist eher zusammen mit der hohen Anzahl an Pässen tief in des Gegners Hälfte auf ein hohes Risiko im Passspiel hin. Laut Daten gibt es eigentlich nur zwei Bereiche, in denen Ritzka nicht mit in der vordersten Reihe tanz: Klare Abstriche muss er bei der Flankengenauigkeit hinnehmen, die mit 30% ebenfalls maximal mittelmäßig ist. Zudem ist sein Kopfballspiel ausbaufähig (wenn das für einen Linksverteidiger überhaupt notwendig ist).
Der visuelle Eindruck sagt: ein unangenehmer Linksverteidiger
Ich habe mir zusätzlich bei Wyscout viele kurze Videosequenzen von Lars Ritzka angeschaut, damit ich sein Skill-Set etwas besser einschätzen kann. Da zeigt sich dann auch, dass ein reiner Blick auf die Daten natürlich nicht ausreicht, um einen Spieler zu bewerten.
Vom visuellen Eindruck würde ich zum Beispiel die Qualität seiner Flanken etwas höher einschätzen, als die Quote es in den Daten angibt. Der visuelle Eindruck bestätigt auch die Vermutung, dass Ritzka wesentlich bessere Pässe spielt, als seine Passquote vermuten lässt. Nicht selten ist sein erster Kontakt direkt der Pass und ja, in der Offensive geht er mit seinen Pässen viel Risiko ein. Allgemein würde ich seinen ersten Kontakt hervorheben wollen, der sich schon abhebt und mit dem er nicht nur direkt Pässe spielen kann sondern diesen auch gut für seine anschließenden Aktionen einsetzt.
Lars Ritzka zeichnet sich vor allem durch sein Tempo aus. Damit meine ich gar unbedingt die physische Geschwindigkeit, sondern eher das Tempo im Kopf, seine Fähigkeit Spielsituationen zu antizipieren. Das führt dann dazu, dass er im Spiel eher etwas „träge“ daherkommt, da er häufig gut positioniert ist in Umschaltmomenten.
Die Videos zeigen mir auch: Ich möchte Lars Ritzka definitiv nicht als Gegenspieler haben. Grund hierfür ist seine meist faire, aber sehr aggressive Zweikampfführung. Wenn sein Gegenspieler den Ball mit dem Rücken zum Tor angenommen hat, muss dieser eigentlich immer davon ausgehen, dass er im nächsten Moment hart angegangen wird. Die Quote erfolgreicher Defensivzweikämpfe spricht die gleiche Sprache. In diese Kerbe schlägt auch eine Fähigkeit, die vielerorts inzwischen verpöhnt ist, aber einfach wichtig ist, wenn es mal brennt: Grätschen. Die Videos zeigen (man kann sich bei Wyscout auch nur seine Grätschen anzeigen lassen): Wenn Lars Ritzka im Zweikampf runtergeht, dann ist der Ball definitiv weg vom gegnerischen Fuß.
Offensiv bestätigt der visuelle Eindruck die Daten: Lars Ritzka ist an sehr vielen Offensivaktionen seines Teams beteiligt. Vor allem im Passspiel, aber auch im Torabschluss. Die Anzahl seiner Torschüsse ist ähnlich hoch wie die von Leart Paqarada (etwa 0.8 Torschüsse pro Spiel). In der Art und Weise würde ich aber einen Unterschied machen. Während Paqarada auch mit feiner Klinge abschließt, kommen die Abschlüsse von Lars Ritzka immer aus der Kategorie „Fackel“, er verfügt über einen wirklich starken linken Fuß.
Auch in Sachen Torschussvorlagen ist Lars Ritzka ein wichtiger Baustein im Spiel vom SC Verl gewesen. Mit einem „expected Assists“-Wert von 0.11 pro 90 Minuten ist er in den Top10 der Liga auf der Außenverteidiger-Position zu finden und der beste Torschussvorlagengeber seines Teams. Basierend auf diesem Wert hätte er etwa doppelt so viele Torvorlagen in seiner Vita stehen haben müssen, als es letztlich geworden sind. Für einen Linksverteidiger sind das gute Werte.
Ein Back-up? Mindestens!
Mit Lars Ritzka hat der FC St. Pauli die durch den Weggang von Daniel Buballa frei gewordene Planstelle besetzt (und das sicher deutlich günstiger). Ritzka dürfte als Back-up auf der Position des Linksverteidigers in die Vorbereitung gehen. Sollte er auch in der 2.Liga ähnliche Leistungen abrufen wie eine Klasse darunter, so könnte er sich schnell zu einem echten Herausforderer von Leart Paqarada entwickeln. Allerdings ist Leart Paqarada in den offensiven Kategorien und im Passspiel (noch) etwas stärker einzuschätzen. Defensiv sieht das nach meiner Beurteilung anders aus.
Die Leistungsunterschiede zwischen 2. und 3.Liga sind ja bekanntlich gering. Einen Stammspieler eines gut platzierten Drittligisten (Verl wurde Siebter) zu verpflichten ist da sicher alles andere als ein gewagter Transfer. Zumal Ritzka mit erst 23 Jahren und dem nun steigenden Level im Training und in den Bereichen Athletik/Analyse/etc. wohl noch einige Schritte in der Entwicklung gehen kann.
Herzlich Wilkommen am Millerntor, Lars Ritzka!
// Maik & Tim
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Herzlichen Willkommen am Millerntor! Die Statistiken lesen sich doch schon mal gut, und: keinen Insta-account? DAS spricht doch für ihn 🙂
Ich frage mich, ob er eventuell auch für die linke Position auf der Raute eine Überlegung sein könnte. Eventuell als doppelter Backup… also sowohl für Buchti als auch für Leart?
Mit der guten und fairen Zweikampfführung wäre er im Pressing eine Wucht und mit den expected Assists (welche sich dann sicher nach oben anpassen würden mit Umstellung auf die Position) auch nicht gerade fehl am Platz, oder?
Das ist sicher auch eine Überlegung. Bin mir aber nicht ganz sicher, ob er den Ansprüchen auf den Halbpositionen genügt. Da ist dann doch noch einges mehr an techn sicher Finesse gefragt. Trotzdem: als Back-up ist er sicher auch auf dieser Position eine gute Alternative.