Bericht von der Kollaustraße, 16. Juni 2022

Bericht von der Kollaustraße, 16. Juni 2022

Es ist eine kleine, aber sehr feine Gruppe von Fußballern, die aktuell an der Kollaustraße trainiert. Seit wenigen Tagen bereitet sich das Team auf die neue Saison vor. Der Bericht vom Training des FC St. Pauli – mit Connor Metcalfe, ohne Guido Burgstaller, aber dafür immerhin Roland Kaiser.

Leute, was soll ich sagen: Ich trage da ein gewisses Päckchen mit mir herum. Schwer fiel es mir, mich gestern auf das Fahrrad zu schwingen. Schwer fiel es mir in die Pedalen zu treten. Je näher ich kam, umso müder wurden die Beine, umso schwerer die Atmung, umso trauriger das Herz. Die Zeit auf dem Fahrrad, die wie üblich, (nicht nur) nach dem Urlaub, etwas länger dauerte als Google von mir erwartet – ich nutzte sie, um vor meinem inneren Auge Rückschau zu halten. Um bereit zu sein für einen Abschied. Um Raum zu schaffen für Neues.

GB9? No show!

Ja, es ist vielleicht eine andere Art des „Päckchens“ von dem ich hier schreibe. Nicht das übliche, welches ich seit Jahren mit mir herumtrage. Nein, es ist alles ein wenig schwerer gewesen gestern. Denn ich wollte Guido Burgstaller gerne verabschieden. Wollte ihm Danke sagen, ihm alles Gute wünschen – und ganz vielleicht wollte ich nochmal einen letzten Doppelpass mit ihm spielen. Ihm nochmal diese Ehre des gemeinsamen Fußballspiels mitgeben auf seinem Weg, der nun nicht mehr beim FC St. Pauli weitergehen wird. Denn immerhin ist er der einzige FCSP-Spieler, der jemals mit mir einen Doppelpass spielen durfte.

Doch der Plan, der während der Hinfahrt erdachte besondere Moment, der den Abschied erleichtern sollte, er zerschellte jäh und kalt nach meiner Ankunft. Während viele Spieler bereits den Platz betraten, fehlte Guido noch. Erst redete ich mir ein, dass er schon gleich noch aus der Kabine kommen würde. Der war doch sonst auch gern mal der letzte, der aus der Kabine kam, oder? ODER?! Die Pfeife von Timo Schultz ertönte. Nach lockerem Ditschi-Datschi sollte nun der offizielle Teil des Trainings beginnen. Spätestestens jetzt hätte Guido doch da sein müssen. Aber Guido kam nicht mehr aus der Kabine. Guido war schon gar nicht mehr da, trainierte nicht mit. Vermutlich war sein Spind bereits ausgeräumt, die Stadt bereits verlassen. Einfach so. Kein Doppelpass, keine warmen Worte, kein Moment des Abschieds. Einfach weg. Erschrocken, enttäuscht und verlassen stand ich da.

Nun gut, ganz vielleicht enthalten die drei oberen Absätze leichte Portionen Theatralik, Schmalz und Übertreibung, also abgesehen von den müden Beinen und dem Päckchen. Spieler kommen, Spieler gehen – die Party mit GB9 endet fast auf dem Zenit, vielleicht sogar etwas später. Es ist alles genau richtig so. Es ist Zeit für Neues, für die neue Saison, für neue Spieler. Daher mache ich meinem Kollegen und Schlager-Schwerenöter Maik eine Freude, indem ich folgenden Song zitiere:

„Ich glaub, es geht schon wieder los
Das darf doch wohl nicht wahr sein
Dass man so total den Halt verliert
Ich glaub, es geht schon wieder los
Und wird auch nie vorbei sein
Wenn man so die Lust auf Leben spürt“

Roland Kaiser (oder wer auch immer diese Zeilen für ihn geschrieben hat)

Ich hab mega Bock auf die kommende Saison, auch wenn es „schon wieder“ losgeht, nach nur wenigen Wochen Pause. Und genauso hatte ich auch großen Spaß bei bestem Wetter das Training des FC St. Pauli zu besuchen. Um altbekannte Gesichter und vor allem neue Nasen zu begutachten. Dass das Treiben auf dem hinteren Teil des Trainingsplatzes stattfand, geschenkt. Dafür ist endlich mal mehr neben dem Platz los, denn endlich ist das Training wieder öffentlich.

Zu voll ist der Kader aktuell nicht

Zwanzig Feldspieler und zwei Torhüter nahmen mehr oder weniger am Training teil. Es fehlten wie erwartet Daniel-Kofi Kyereh, Guido Burgstaller, Nikola Vasilj und Jackson Irvine. Zudem waren auch Afeez Aremu, Adam Dźwigała und Nathanael Kukanda abstinent. Der Rest, zu dem auch U23-Stürmer Serhat Imsak gehörte, trudelte im Verlauf des Trainings auf dem Platz ein. Das bedeutet auch, dass Christopher Avevor und Igor Matanović dabei waren. Beide kamen später dazu und machten leichte Übungen auf dem Platz. Ebenfalls „nur“ im Lauftraining nach dem ausgedehnten Warm-up: Jannes Wieckhoff und Connor Metcalfe, die fleißig ihre Runden drehten.

Die verbliebenden 16 Feldspieler absolvierten insgesamt drei verschiedene Übungen. Zuerst wurde in zwei Gruppen jeweils ein 5vs3 gespielt, bei dem auf einen initialen Pass ein 1vs1 folgte und danach die verbliebenden Spieler ihre Überzahl im 3vs2 auf ein großes Tor mit Torwart ausspielen sollten. Eine sehr temporeiche Angelegenheit.

Deutschland, Hamburg, 12.06.2022, Training FC St. Pauli auf den Trainingsplaetzen an der Kollaustrasse David Nemeth (FC St. Pauli) im Zweikampf mit Leart Paqarada (FC St. Pauli)
So in etwa sah es auch am Donnerstag beim Training aus. Ich muss aber ehrlich sein und euch sagen, dass dieses schöne Foto nicht von mir stammt und auch nicht vom gestrigen Training ist. Meine Handy-Kamera reicht nicht ansatzweise aus, wenn die Spieler auf dem hinteren Teil des Platzes trainieren, da könnte man sonst nur kleine graue Punkte erahnen. Daher habe ich ein Bild vom Trainingsauftakt am Samstag genutzt.
(c) Peter Böhmer

Bei der folgenden Übung stellten sich zwei Teams im 8vs8 auf einem kleinen Feld auf. Eines der Teams hatte dabei ein Tor zu verteidigen (Torwart war dabei) und stellte sich mit zwei Viererketten auf. Das andere, angreifende Team stellte sich mit zwei Spielern vor der hohen Viererkette auf und gleich sechs Spieler befanden sich zwischen den Ketten. Durchbrüche wurden dabei meist auf der Außenbahn erzielt und man konnte dabei auch schon erste Eindrücke bekommen, wie gut eine Flanke von Manolis Saliakas ist. Gleiches, aber in Sachen Spiel gegen den Ball, sah man auch bereits von David Nemeth. Grundsätzlich ist aber bemerkenswert, wie gut eine Viererkette gegen eine Überzahl verteidigen kann, wenn sie diszipliniert zusammenarbeitet.

Zum Abschluss gab es ein nahezu freies Spiel auf zwei Tore. Allerdings nur noch im 6vs8, da Eric Smith Runden mit Jannes Wieckhoff drehte und Carlo „one-touch“ Boukhalfa und Connor Metcalfe gemütlich auf dem Rasen Platz nahmen und dem Treiben der anderen zuschauten. Das wirkte aber alles ganz im Sinne der Belastungssteuerung.

Ein bisschen Sommerpause ist noch

Ich will ganz ehrlich sein, die Belastung wirkte aber auch insgesamt nicht sonderlich hoch. Klar, da wird nach Plan vorgegangen, wann Spieler welche Art von Belastung und auch Ermüdung in der Vorbereitung erreichen sollen und wer weiß, ob es am Nachmittag noch die gefürchteten 7x1000m im Niendorfer Gehege gab. Ich meine damit auch eher, dass schon von der Intensität her spürbar war, dass der Kampf um Stammplätze noch nicht seine volle Blüte entfaltet hat und das erste Pflichtspiel noch etwas entfernt ist.

Ist mir aber auch ganz recht gewesen. Denn ein ganz klein wenig bin ich dann doch auch noch in der Sommerpause. So konnte ich nochmal durchatmen, bevor wir dann heute zum ersten Mal richtig den Atem der neuen Saison zu spüren bekommen, wenn der Verein die neuen Trikots und die DFL die neuen Spielpläne vorstellt. Ich hab mega Bock.

// Tim

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2 thoughts on “Bericht von der Kollaustraße, 16. Juni 2022

  1. „Ein bisschen Spaß muss sein. Dann ist die Welt voll Sonnenschein.“ R.B.
    Vielen Dank für diesen Bericht (und auch für die vielen anderen)!
    Die Kombination aus persönlichen Anmerkungen und sachlicher Beschreibung finde ich total gut! Man merkt, dass Du Hobby und Beruf prima verbinden kannst. 😎
    Ich habe auch schon wieder richtig Bock auf Fußball!

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