Wunderdinge aus Dänemark

Wunderdinge aus Dänemark

Mit dem FC Midtjylland empfängt der FC St. Pauli einen sehr aufregenden Testspielgegner. Denn der Club wird sein einigen Jahren massiv von Daten beeinflusst. Mit großem Erfolg.
(Titelbild: Gonzales Photo/imago images/via OneFootball)

Ja, die Story des FC Midtjylland ist vielen von Euch sicher schon einmal über den Weg gelaufen. Aber da ich persönlich eine gewisse Daten-Affinität nicht von der Hand weisen kann und der FC St. Pauli nun am kommenden Samstag auf diesen so spannenden, wie erfolgreichen Verein aus Dänemark treffen wird, möchte ich die jüngere Geschichte des Clubs auch noch einmal beleuchten.

Gründung 1999, Neugeboren 2014

Den FC Midtjylland gibt es noch gar nicht so lange. Erst im Jahr 1999 ist der Club aus einer Fusion von Herning Fremad und Ikarst FS hervorgegangen. Seitdem ging es aber steil bergauf: Direkt im ersten Jahr nach der Gründung gelang der Aufstieg in die höchste dänische Spielklasse und es folgten mehrere Vizemeisterschaften und verlorene Pokalendspiele. Das gehört zu der gesamten Story dazu und ist nicht unwichtig: Schon vor der club-internen Revolution ab 2014 war der FC Midtjylland ein wirklich erfolgreicher Fußballclub.

Ankersen, Benham – Midtjylland, Brentford

Dann aber ging es erst richtig los mit dem, was mich so begeistert: 2014 übernahm Matthew Benham den FC Midtjylland. Er war damals Besitzer eines englischen Drittligisten, dem Brentford FC, der heute in der Premier League spielt und eine ziemlich ähnliche Geschichte aufweist wie Midtjylland. Benham hatte Jahre zuvor eine Firma gegründet, mit der er auf Fußballspiele wettete. Hierzu nutzte er mathematische Modelle und der Erfolg gab ihm recht, denn Benham hatte vor der Übernahme von Brentford und Midtjylland ein Vermögen mit Sportwetten gemacht.

Die zweite wichtige Person in der Geschichte des FC Midtjylland heißt Rasmus Ankersen. Ankersen war Spieler in Midtjylland, verletzte sich aber ehe seine Karriere richtig losging schwer am Knie und musste diese beenden. Er machte danach zwar Trainerscheine, aber erfolgreich wurde er als Autor. Sein Buch „The Goldmine Effect“ befasst sich mit der Talenterkennung im Sport und sollte eines der Standardwerke in jeder Scouting-Abteilung sein (hier ein tolles Video dazu). Ehe Ankersen Karriere als Sportdirektor im Profifußball machte, wurde er bereits als Redner und Dozent gebucht, verdiente damit seinen Lebensunterhalt.

Matthew Benham übernahm also 2014 den FC Midtjylland und Rasmus Ankersen wurde als Vereinsboss installiert. Die beiden lernten sich Jahre vorher auf einer Konferenz kennen. Benham wollte neben Brentford einen weiteren Club unter seine Fittiche nehmen, Ankersen fädelte den Kontakt nach Mitjütland ein. Dieses Duo sollte in der Folge an den Grundfesten des Fußballs rütteln und ihr auch heute noch vorhandener Erfolg ist eine Art Leuchtturm-Projekt für all jene, die sich mehr Nutzung von Daten in ihren Fußballclubs wünschen (ich fühle mich angesprochen…).

Meisterschaften, Aufstiege, Pokalsiege, Champions League

Unter der Führung von Benham und Ankersen gewann der FC Midtlylland seit 2014 insgesamt drei Mal den dänischen Meistertitel und zweimal den Pokal. Seit der Saison 15/16 ist der Club jedes Jahr in einem internationalen Wettbewerb vertreten, 20/21 gelang sogar die Qualifikation für die Gruppenphase der Champions League. Wie konnte es so weit kommen für einen Club aus dem knapp 50.000 Einwohner fassenden Herning?

Klar, eine rhetorische Frage – der FC Midtjylland setzt auf die Nutzung von Daten auf allen Ebenen und in allen Bereichen des Clubs. Das tun inzwischen immer mehr Vereine, in Midtjylland wurde und wird das aber etwas radikaler umgesetzt. Egal, ob im Scouting oder bei der Spielanalyse. Einer der Köpfe, die damals in diesen Bereichen für Smartodds, der Firma von Benham, federführend agierten: Ted Knutson, der kurze Zeit später die Analyse-Plattform „StatsBomb“ gründete und inzwischen etliche Fußballclubs mit Datensätzen ausstattet. Er befasste sich unter anderem auch intensiv mit Standard-Situationen, welche eine Zeitlang ein großes Erfolgsrezept des FC Midtjylland gewesen sind.

Bestyrelsesformand Rasmus Ankersen og CEO Claus Steinlein, FC Midtjylland, foer kampen i Europa League kvalifikationskampen FC Midtjylland mod Rangers FC paa MCH Arena i Herning, torsdag 8. august 2019. Rasmus Ankersen forlader baade formandsposten i FC Midtjylland og rollen som sportsdirektoer i Brentford. Det skriver Ritzau, fredag den 10. december 2021.
Rasmus Ankersen brachte dem FC Midtjylland zusammen mit Matthew Benham großen Erfolg – und eine ganze Menge Geld.
(Ritzau Scanpix/imago images/via OneFootball)

Was und wie genau das datengetriebene Scouting abläuft, wird natürlich nie so wirklich verraten. Doch der Erfolg, den der FC Midtjylland seit der Übernahme von Benham nahm, gibt dem Projekt recht. Seit 2014 wurde dort mit KPI’s gearbeitet, sogenannten „Key Performance Indikatoren“ (und einer damals noch nicht so populären Metrik namens „expected Goals“…). Diese daten-basierten Analysen wichen und weichen teilweise deutlich von dem ab, was in anderen Clubs von Scouts und Spielanalyst*innen als leistungsstark definiert wurde. Der Vorteil: Daten machen keine menschlichen Fehler und können daher, richtig angewandt, zu besseren Entscheidungen führen. So wurden z.B. im Scouting Spieler identifiziert, die unterbewertet und entsprechend günstiger zu haben sind.

Als gutes Beispiel für die Arbeitsweise in Midtjylland dient der erste daten-getriebene Transfer, den Benham und Ankersen tätigten: Tim Sparv wechselte von der SpVgg Greuther Fürth nach Dänemark. Er sollte später Kapitän werden und sein Team auch in internationalen Spielen auf das Feld führen. Eine Entwicklung, die ihm damals in Fürth nicht unbedingt zugetraut wurde.

Für den FC Midtjylland und den Brentford FC brachen spätestens ab 2014 erfolgreiche Zeiten an. Midtjylland schloss die Saisons nie schlechter als auf Rang drei ab. Die Netto-Transfer-Bilanz der Dänen seit der Saison 14/15: Ein Plus von 74 Millionen Euro(!). Die des Brentford FC, der in dieser Zeit aus der dritten in die höchste englische Spielklasse aufgestiegen ist und dort mit Geld zugeschüttet wird: Ein Plus von 26 Millionen Euro.

The saga continues?

Rasmus Ankersen, der übrigens auch immer betont, dass sportlicher Erfolg nur mit einem Zusammenspiel von Daten und visuellen Eindrücken funktioniert, ist weiter gezogen. Zwar war er auch bei Brentford FC von 2015 bis 2020 aktiv, doch inzwischen ist er Sportdirektor in Southampton und Präsident beim türkischen Erstligisten Göztepe Izmir, den er mit seiner Firma SportRepublic übernommen hat. Benham, der übrigens einen Abschluss in Physik in Oxford gemacht hat, belegt aktuell mit Brentford den achten Tabellenplatz in der Premier League. Die haben diesen Winter übrigens 25 Millionen Euro für Freiburgs Kevin Schade ausgegeben. Und während viele dabei von „Wahnsinn“ sprechen, frage ich mich, was Schade zu einem solch besonderen Spieler macht, dass sogar ein spar- und achtsamer Club wie Brentford so viel Geld in die Hand nimmt.

Diese Geschichte, die stark an die Moneyball-Story aus dem Baseball erinnert, wurde schon oft und ausführlich erzählt. Hier ist sie nur gaaanz kurz angerissen worden. Und das eigentlich viel interessantere Thema, mit genau welchen Methoden Brentford und Midtjylland denn so erfolgreich geworden sind, habe ich fast überhaupt nicht beleuchten können. Das liegt daran, dass es so wenig Infos darüber gibt, wie denn nun gescoutet und analysiert wird. Einen kleinen Einblick liefert Vitaly Janelt im kicker-Interview, der darin die Abläufe seines Wechsels nach Brentford genauer erklärt. Sicher ist aber: Der Erfolg gibt dem Fokus auf Daten recht. Der FC St. Pauli tritt am Samstag also nicht gegen einen kleinen Club aus der Mitte Dänemarks, sondern sicher gegen einen der spannendsten und erfolgreichsten Fußballclubs der letzten Jahre an.
// Tim

Falls ihr mehr zu Rasmus Ankersen, dem FC Midtjylland, Matthew Benham und Co. lesen wollt:

Analyisport – What can data do for a football club?
Footballchatters – FC Midtjylland: Data-driven delight and sporting success
90min – Daten, Daten, Daten: Der revolutionäre Aufstieg des FC Midtjylland
11Freunde – Moneyball im Niemannsland
The guardian – ‚what we do isn’t rocket science‘

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One thought on “Wunderdinge aus Dänemark

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