Der FC St. Pauli bastelt weiter an einer historischen Serie und gewinnt auch in Heidenheim. Beim 1:0-Erfolg zeigte sich der FCSP nach anfänglichen Problemen defensiv enorm stabil und verdiente sich so den zehnten Sieg in Serie. Die Analyse.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Langsam gehen einem die Superlative aus angesichts der Siegesserie, die der FC St. Pauli da einfach immer weiter ausbaut. Mit zehn Erfolgen in Serie egalisiert das Team den bisherigen Zweitligarekord und klopft damit nun endgültig oben an.
Die Aufstellung
Überraschungen gab es keine bei den personellen Aufstellungen beider Teams. Der FC St. Pauli war durch den Ausfall von Eric Smith zum Wechsel gezwungen. Adam Dźwigała kam für ihn in die Startelf, nahm aber nicht die zentrale, sondern die rechte Innenverteidiger-Position ein. Jakov Medić rückte auf die zentrale Abwehrposition.
Beim 1. FC Heidenheim kam Denis Thomalla nach abgessener Rotsperre wieder in die Startelf. Beide Teams agierten auch in den Formationen wie erwartet: Der FC St. Pauli in einem 5-2-3, welches bei diesem Spiel meist eher ein 5-4-1 war. Die Heidenheimer boten nominell ein 4-2-3-1 auf, welches aber meist als 4-1-3-2 auf dem Platz zu erkennen war.
Exzessive Heidenheimer Mannorientierung
Fabian Hürzeler erklärte auf der Pressekonferenz vor dem Spiel, dass der 1. FC Heidenheim sehr mannorientiert im Pressingverhalten agieren würde. Wie extrem sie das spielten, zeigte vor allem die erste Halbzeit. Wenn die FCSP-Abwehrreihe den Ball hatte wurde sie meist nicht direkt unter Druck gesetzt, sondern Kleindienst und Thomalla stellten sich ihnen im Raum entgegen. Sobald die Abwehr aber zu statisch wurde oder Rückpässe erhielt, wurde sie auch direkt angelaufen.
Eine ganz starke Mannorientierung konnte man eine Reihe weiter vorne erkennen: Florian Pick folgte Leart Paqarada unablässig, auch wenn dieser von links in den Halbraum auflöste. Jan Schöppner schob von der Sechserposition vor auf Jackson Irvine, der zentral auf der Sechs im Aufbau agierte, durch die enge Deckung aber eigentlich nie anspielbar war. Manos Saliakas wurde entweder von Jan-Niklas Beste oder Jonas Föhrenbach bewacht. Hier fand meist ein Wechsel statt, da Connor Metcalfe immer wieder in den Halbraum fiel und so Beste auf sich zog.
Die meisten Freiheiten auf dem Platz versuchte sich Marcel Hartel zu erarbeiten, dem Lennard Maloney auf den Füßen stand. Hartel schob oft nach links (weniger in die Spitze) raus, wohin Maloney ihm aber folgte. Und wenn nicht, dann vollzogen Pick und Maloney eine einfache Mannübergabe, da Paqarada eine Gegenbewegung zeigte, wenn Hartel rauszog. Entsprechend ist es wenig verwunderlich, dass Maloney und Hartel die Spieler mit den meisten gelaufenen Kilometern auf dem Platz waren.
No Smith, no Aufbauspiel
Auffällig war, dass Medić die Rolle von Smith im Aufbauspiel überhaupt nicht übernahm, sondern in zentraler Position in der Dreierkette verblieb. Auch dadurch wurden keinerlei personelle Engpässe in den Mannorientierungen der Heidenheimer erzeugt, weil sie stets eine Überzahl in der eigenen Hälfte hatten. Natürlich fehlte dieser „Smith-Faktor“ beim FCSP, denn so war Irvine auf der Sechs gebunden (allein schon für die Konterabsicherung) und Metcalfe musste oft in den Halbraum fallen, sodass der horizontale Druck auf die Viererkette der Heidenheimer fehlte.
Aber ich bin mir gar nicht mal so sicher, ob das Spiel mit Eric Smith auf dem Platz so viel besser gelaufen wäre. Denn wie auch zuletzt gegen Jahn Regensburg, besonders in den ersten 30 Minuten sogar noch etwas krasser, zeigte sich der FC St. Pauli erschreckend ungenau und unsicher im Aufbauspiel. Auf den Heidenheimer Druck und die nicht vorhandenen freien Spieler, konnte der FCSP auch nicht mit langen Bällen reagieren bzw. tat es auch einfach nicht, da vorne nicht jemand wie Maurides, sondern der in dieser Hinsicht bemitleidenswerte Lukas Daschner stand, der dort alles gab, aber als Einzelkämpfer agieren musste und meist fiese halbhohe Bälle in von ihm noch zu erlaufende Räume gespielt bekam.
Gar keine Entlastung
Klar, die vielen Ungenauigkeiten kamen auch dadurch zustande, dass der 1. FC Heidenheim sehr gut abgestimmt Druck auf die Gegenspieler erzeugte. Aber allein das reicht nicht, um die vielen Fehlpässe in der ersten Halbzeit zu erklären. Dem FCSP fehlte es vielerorts an der Feinjustierung, oft reihte sich Missverständnis an Missverständnis. Da war das Team in den letzten Wochen schon wesentlich weiter und da muss es auch wieder hinkommen, wenn die Serie weiter ausgebaut werden soll.
So entwickelte sich in Heidenheim anfangs ein Spiel in dem der FCSP offensiv eigentlich gar nicht stattfand. Zwar tat sich auch der 1. FC Heidenheim schwer zwingende Offensivaktionen zu kreieren, aber gerade im Zusammenhang mit dem Regensburg-Spiel muss man für den FC St. Pauli feststellen, dass es so langsam weitere Antworten auf das Pressingverhalten der Gegner benötigt, um offensiv wieder präsenter zu werden.
Zu schnell, zu tief…?
Erst nach rund einer halben Stunde konnte sich der FCSP etwas besser befreien (zu diesem Zeitpunkt hätte sich das Team aber nicht über einen Rückstand beschweren dürfen), sich auch mal längere Ballbesitzphasen erspielen. Abgesehen von der Situation, als Heidenheim-Keeper Müller den Ball direkt in den Fuß von Daschner spielte, waren es aber im ersten Abschnitt nur ganz selten Umschaltmomente, die für Gefahr sorgten. Denn der FC St. Pauli ließ sich erneut gegen eine Viererkette sehr schnell in ein tiefes 5-4-1 fallen. Ein offensives Anlaufen der Gegner findet aus dieser Grundordnung nur selten statt bzw. es braucht so seine Zeit, bis sich die Spieler aus der tiefen Position wieder nach vorne bewegt haben.
…oder genau richtig?
Zwar erspielte sich der FCSP offensiv sehr wenig, aber auch der 1. FC Heidenheim war eher selten richtig zwingend vor das gegnerische Tor gekommen im ersten Abschnitt. Das 5-4-1 mag nicht optimal sein, um daraus vielversprechende Umschaltmomente zu generieren oder um überhaupt einen hohen Druck auf das gegnerische Aufbauspiel zu erzeugen. Aber über die gesamten 90 Minuten hatten die Heidenheimer eigentlich keine wirkliche Antwort darauf gefunden, wie genau man diese Formation eigentlich bespielen kann.
Und so verbuchen wir die 41. Minute mal unter „Das Glück des Tüchtigen“, als der FC St. Pauli eine Einwurf-Variante zeigte, die so schon seit einiger Zeit praktiziert wird. Durch eine kreuzende Bewegung kam Marcel Hartel am linken Strafraumeck an den Ball und tat das, was Spieler von Teams nunmal so tun, die auf einer Erfolgswelle reiten: Er erzielte einen sehr unwahrscheinlichen Treffer (xG: 0.04), indem er den Ball volley und unhaltbar ins kurze Eck knallte – ein Traumtor.
Defensives Glanzstück
Na klar, mir ist es viel lieber, wenn ein Team nach der Führung noch auf den zweiten Treffer spielt. Das tut der FCSP im Jahr 2023 bisher sehr selten, agiert auch bei Ballbesitz sehr bedacht und geht bei Führung offensiv wenig ins Risiko. Dieser Plan geht bisher voll und ganz auf. Und gegen den 1. FC Heidenheim war nach der Führung vollkommen klar, dass das Spiel ab diesem Zeitpunkt auch genau in diese Richtung gehen würde.
Denn wenn Du schon vor der eigenen Führung Probleme hattest dir Chancen zu erspielen, mit deiner Defensivarbeit den Gegner aber vor Probleme stellen konntest, warum sollte man sich dann nicht darauf konzentrieren? Der FCSP legte in den zweiten 45 Minuten eine defensive Meisterleistung hin. Nur bei einer Chance (Beste, 74. Minute) gelang es den Heidenheimern das 5-4-1 des FCSP wirklich zu knacken. Weitere (Halb)Chancen waren entweder Produkte von Standardsituationen oder aber von eigenen Ballverlusten (Kleindienst, 69. Minute).
Ein entscheidener Faktor dafür, dass der FC St. Pauli defensiv so stabil stehen konnte, waren aber auch die Entlastungsangriffe im zweiten Abschnitt, die in den ersten 45 Minuten zu oft fehlten. Besonders Dapo Afolayan konnte das immer größere Risiko, welches die Heidenheimer gehen mussten, für sich nutzen und so für Entlastung sorgen.
Den Deckel draufmachen
So gut und überzeugend stabil die Defensive des FCSP auch stand: Eine knappe Führung zu verteidigen ist einfach immer ein Spiel mit dem Feuer. So darf, nein, muss dann auch irgendwann der Deckel auf so eine Partie draufgemacht werden. Möglichkeiten dazu boten sich dem FCSP besonders in den letzten 20 Minuten einige. Das Ausspielen von Kontern ist sicher aufgrund des Tempos eine schwierige Angelegenheit, aber die vielen sehr guten Ballgewinne im Mittelfeld hätten gerne genutzt werden dürfen.
Natürlich war das Spiel durch die knappe Führung eine Zitterpartie. Aber die Schlussviertelstunde zählte für mich zur stärksten Phase des FC St. Pauli, bei der sie wenig zuließen und bei eigenem Ballbesitz immer stärker wurden. So war es auch nicht verwunderlich, dass die Formation nicht mehr verändert wurde. In den letzten knappen Spielen stellte Hürzeler oft auf ein 5-3-2 um. Da das 5-2-3 aber als 5-4-1 gut funktionierte (also das Verschiebeverhalten, um in diese Formation zu kommen), gab es schlicht keinen Grund, daran etwas zu verändern. Vielleicht wurde der 1. FC Heidenheim auch etwas müde, was angesichts unfassbarer Laufdaten (126 Kilometer, 259 Sprints) auch verständlich ist, sodass es für den nicht minder aktiven FCSP (ebenfalls 126 Kilometer, 216 Sprints) etwas einfacher wurde.
Fehler nicht bestraft
Der FC St. Pauli gewinnt also auch die schwere Auswärtspartie beim 1. FC Heidenheim. Dabei hatte das Team aber eine ganz schwere und wenig überzeugende erste Halbzeit zu überstehen. Und während der FCSP mehr oder weniger aus dem Nichts in Führung ging, nutzten die Heidenheimer die Möglichkeiten nicht. Tim Kleindienst fasste es nach der Partie ziemlich passend zusammen: „Es macht St. Pauli in der Rückrunde so stark, dass sie für ihre Fehler nicht bestraft werden.“
(Anmerkung: „ziemlich passend“ ist es in diesem Fall in Bezug auf die erste Halbzeit. Hier soll keinesfalls der Eindruck entstehen, dass der FCSP einzig aufgrund nicht bestrafter Fehler zehn Siege in Serie geholt (und auch dieses Spiel gewonnen) hat. Wie der folgende Absatz zeigt, sehe ich das nicht so. Das Zitat von Kleindienst ist daher falsch gewählt, da es sich eben auf die gesamte Rückrunde bezieht.)
Mit der Führung im Rücken wurde der FC St. Pauli aber immer stärker und stabiler und verdiente sich die drei Punkte durch eine überzeugende Defensivleistung in der zweiten Halbzeit. Der verdiente Lohn: Nur noch vier Punkte Rückstand auf den Relegationsrang. Der FC St. Pauli greift nun ganz ernsthaft in den Aufstiegskampf ein. Shit is about to get real. This is not a test. Ten in a row – seven to go!
Immer weiter vor!
// Tim
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Hallo Tim. Ich mag einen Faktor zufügen der so lange nicht mehr wahrgenommen wurde. Aremu wurde nach langer Zeit eingewechselt und hatte aus meiner Sicht mehrmals das „EssenvomTellerklauen“ Phänomen. Mehrmals hat er da frech und genial abgeräumt und war überall zu finden. Eine Variante die der FC St. Pauli gerne auch wieder stärken darf.
Ansonsten ist der Begriff des Wochenendes „Donauwörth“.
Tollen Ostermontag euch
Ja, der bekommt mehr Aufmerksamkeit im „Stimmen und Statistiken“-Artikel. Hat es richtig, richtig gut gemacht, fand ich auch
afeez habe ich genauso gesehen. er hat zwar nur etwa zehn minuten gespielt, war nach seiner einwechslung aber sofort präsent und hatte starke und wichtige aktionen… hat mir sehr gut gefallen
Meines Erachtens sieht man das fehlen von Smith immer bei Medic am deutlichsten, da der noch nicht zum alleinigen Abwehrchef gereift ist.
Vielleicht lag es an der braun-weißen Brille, aber ich fand die erste Halbzeit gar nicht so schlecht.
Ich persönlich fand alles ab Minute 30 gut, aber im Vergleich zur zweiten Halbzeit war das nicht so gut. Mit der Führung wurde es ein anderes Spiel und der FCSP richtig stark.
Ich bin halt gewöhnt, dass es beim FC St. Pauli immer eine gute und eine schlechte Halbzeit gibt und dachte die ganze Zeit „hoffentlich schießen die bald ein Tor, die zweite Halbzeit wird bestimmt wieder eine Katastrophe.“
Aber wie du schreibst, war ich auch überrascht. Das war schon eine gute Schippe oben drauf.
Auf Sky fiel von Matuschka der Satz „Im Stile einer Spitzenmannschaft“
Und da mußte ich ihm zustimmen. Die zweite Halbzeit war defensiv Spitzenmannschaft.
Und das obwohl Smith fehlte.
Aber wenn man sieht, was beispielsweise mit Aremu von der Bank kommt…
Geil!
Und ich bin es gewohnt bei Toren in der ersten Halbzeit zu sagen: „Das ist zu früh! Solange können wir nicht verteidigen“ 😉
Du hast ja völlig recht, Mario. Wir alle kennen unseren FCSP nicht mehr wieder. Es ging gegen die Nr. 2 der Liga. Und auch in Halbzeit 1hat Braun-Weiß klug und mit hoher Präsenz gespielt. Das konnte ich selbst am Sport-1-Bildschirm nachvollziehen. (Schwierig war vor allem, die sehr unterkomplexen Kommentare zu ignorieren).
Tim sitzt immer noch weit hinten im Choochootrain. Aber den holen wir noch nach vorne in den Tanzwagen.
Um heutigen Datum übrigens:
10 Siege in
4 Monaten in
2023
Frohe Ostern und einen
dicken Kuss für das gesamte
Millernton Team
*Zum
>>>Tim Kleindienst fasste es nach der Partie ziemlich passend zusammen: „Es macht St. Pauli in der Rückrunde so stark, dass sie für ihre Fehler nicht bestraft werden.“<<<
Das war für mich nicht passend zusammengefasst, sondern schlicht respektlos und zeugte davon, dass Kleindienst ein ziemlich schlechter Verlierer ist, der versuchte die Leistung des Gegners kleinzureden, anstatt die Schuld bei sich selber zu suchen. Dass es auch anders geht, bewies Kevin Müller in seinem Interview direkt nach dem Spiel.
Davon abgesehen aber natürlich wieder viel Zustimmung und natürlich ein grundsätzliches Danke für Deine taktische Aufarbeitung des Spiels!
Ja, da wurde ich völlig zurecht schon drauf aufmerksam gemacht, weshalb ich da noch was ergänzt habe. Ich habe das Interview nicht gesehen, sondern nur als Zitate gelesen. Ich habe das Gefühl, dass der Kontext eine gewichtige Rolle einnimmt und Kleindienst das schon sehr abschätzig meinte. Das aber lese ich nicht in der Schärfe aus dem Zitat heraus. Es ist auf jeden Fall ein gutes Beispiel dafür, warum man sich in solchen Fällen am besten die Primärquellen anschaut.
*Da das 5-2-3 aber als 5-4-1 gut funktionierte (also das Verschiebeverhalten, um in diese Formation zu kommen)*
Moin & Danke Tim.
Dickes Knuddel.
Und wenn nicht eh schon bekannt. Die № 11 trägt Johannes Eggestein.
*Bremsenlos Durch Die Nacht*
Choo Choo