Der FCSP gewinnt verdient in Darmstadt, hatte aber einige Schwierigkeiten in der ersten Halbzeit zu überwinden. Die Stimmen und Statistiken zum Spiel.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Nein, ein Spaziergang war das ganz sicher nicht, den der FC St. Pauli auswärts beim SV Darmstadt 98 absolvierte. Besonders in der ersten Hälfte hatte das Team große Probleme mit dem mannorientierten Pressing der Lilien klarzukommen und durchaus Glück, dass die vielen eigenen Ballverluste nicht zu Gegentreffern führten. Mehr oder weniger aus dem Nichts ging der FCSP dann kurz vor der Pause in Führung, zeigte dann aber im zweiten Abschnitt die ganz große Klasse und ließ Tabellenführer Darmstadt keine Chance mehr, etwas Zählbares zu holen. Die Analyse: Immer weiter vor!
Trainerstimmen
Lieberknecht: „…hätten trotzdem kein Tor geschossen“
SVD-Trainer Torsten Lieberknecht war natürlich enttäuscht nach dem Spiel. Vor allem darüber, dass es seinem Team nicht gelang in Führung zu gehen, denn die Lilien hätten ein „Chancenplus in der ersten Halbzeit“ gehabt. Doch nicht nur die eigenen vergebenen Chancen waren aus seiner Sicht ärgerlich, sondern auch eine Schiedsrichter-Entscheidung: „Aus meiner Sicht war es ein klarer Elfmeter gegen Marvin Mehlem beim Stand von 0:0.“ Gemeint hat er damit die Situation in der 20. Minute, als Adam Dźwigała das Bein vor Mehlem vor den Ball bekam und dieser drüber fiel. Meine Einschätzung: Keine glückliche Aktion von Dźwigała. Hätte der Schiedsrichter gepfiffen, dann wäre diese Entscheidung nicht kassiert worden.
Im zweiten Abschnitt sah Lieberknecht den Gegner und seine „komplexe Spielidee“ aber stärker: „Nach der Halbzeit kam der FC St. Pauli besser ins Spiel, hatte schon vor dem 2:0 gute Chancen.“ Lieberknecht verwendete gleich mehrfach das Wort „unglücklich“ in Bezug auf die Offensivaktionen seines Teams, welches dann wohl auch nicht mehr zum Torerfolg gekommen wäre, egal wie lange das Spiel gelaufen wäre: „Nach dem Abseitstor hatten wir kurz das Gefühl, dass wir ewig hätten spielen können und wir hätten trotzdem kein Tor geschossen. Auch weil der FC St. Pauli, und diesen Respekt haben sie sich verdient, mit viel Leidenschaft verteidigt hat.“
Hürzeler: „Momentum in unserer Hand“
Die Einschätzung von Fabian Hürzeler auf der Pressekonferenz nach dem Spiel fasst das Spiel sehr gut zusammen: „Speziell in der ersten Halbzeit hat Darmstadt uns sehr gut und sehr hoch gepresst, da haben wir nicht wirklich spielerische Lösungen gefunden.“ Und so sei dann auch der Führungstreffer „aus dem Nichts“ gefallen gegen „aktivere“ Darmstädter. Das Tor habe dem Team dann aber natürlich sehr gut getan und Hürzeler zeigte sich vor allem zufrieden mit der Reaktion auf diesen Treffer:
„Wir sind dann mit viel Selbstvertrauen aus der Pause gekommen, haben auch einige gute Angriffe gehabt und gehen aus meiner Sicht verdient mit 2:0 in Führung. Danach verteidigen wir es sehr gut weg, waren sehr entschlossen. In der Höhe ist der Sieg deutlich zu hoch, wir hatten aber das Momentum in unserer Hand.“
Fabian Hürzeler zeigte sich zufrieden mit der zweiten Halbzeit
Kern-Statistiken
Der Blick in die Statistiken zeigt, dass dieser Auswärtserfolg in Darmstadt nicht nur der erste überhaupt am Böllenfalltor gewesen ist, sondern dieser auch mit einem doch recht ungewöhnlichen Spielverlauf zustande kam. Denn der FC St. Pauli hatte nur knapp 44% Ballbesitz und spielte nur 337 Pässe, bei einer Erfolgsquote von unter 80% – das ist alles weit unterdurchschnittlich.
Und auf der Gegenseite sah es ähnlich aus: Nur Paderborn (Rückspiel) und Magdeburg (Hinspiel) spielten in dieser Saison mehr Pässe als Darmstadt gegen den FC St. Pauli.
FC St. Pauli | SV Darmstadt 98 | |
11(7) | Torschüsse (auf’s Tor) | 17(3) |
15 | Fouls | 13 |
43.7% | Ballbesitz | 56.3% |
337 (79.8%) | Pässe (erfolgreich) | 509 (83.9%) |
34 (52.9%) | …davon ins letzte Drittel (erfolgreich) | 73 (63%) |
46 (54.4%) | …davon lange Pässe (erfolgreich) | 67 (49.3%) |
15 | Ballkontakte gegn. Strafraum | 22 |
3 | deep completions | 12 |
64 (59.4%) | Defensivduelle (erfolgreich) | 64 (64.1%) |
47 (46.8%) | Kopfballduelle (erfolgreich) | 47 (51.1%) |
13.4 | PPDA | 7.8 |
121.7km | Laufdistanz* | 111.8km |
222 | Sprints* | 189 |
Gnadenlos effizient
Ein Grund für die geringen Ballbesitzanteile des FCSP waren die fast 140 Ballverluste. Das größte Problem: 37 davon gab es im eigenen Drittel – nur zum Rückrundenauftakt gegen Nürnberg waren es mehr in dieser Saison (38 – dort allerdings zumeist auf den Außenbahnen). Ansonsten sind diese Zahlen eigentlich immer deutlich niedriger. Der Durchschnitt liegt ungefähr bei 20 Ballverlusten im eigenen Drittel pro Spiel (zuletzt gegen Bielefeld waren es 13, HSV: 19; Braunschweig: 5).
Und wenn man die Bälle bereits früh verliert, dann können sie auch nur selten ins Angriffsdrittel gespielt werden: Nur 34 Passversuche gab es vom FCSP überhaupt in diese Spielfeldzone – das ist ein Saison-Minimum und nur im Hinspiel gegen Fürth war die Erfolgsquote niedriger als gegen die Lilien. Bemerkenswert: Trotz dieser sehr geringen Anzahl an Pässen ins letzte Drittel gelangen dem FC St. Pauli 15 Ballkontakte im gegnerischen Strafraum. Das ist gnadenlos effizient.
Expected Goals
FC St. Pauli | SV Darmstadt 98 | |
2.6 / 3.3 / 2.3 / 2.4 2.7 | expected goals (xG) (wyscout / DFL / 538 / fotmob) | 1.8 / 1.5 / 1.0 / 0.8 1.3 |
0.3 | xG – 1. Halbzeit | 0.3 |
2.1 | xG – 2. Halbzeit | 0.5 |
1.9 | xG – herausgespielt | 0.7 |
0.6 | xG – Standards | 0.0 |
2.6 | xGOT* | 0.2 |
*xGOT: Expected Goals on Target (xGOT) misst die Wahrscheinlichkeit, dass ein gezielter Schuss zu einem Tor führt, basierend auf der Kombination aus der zugrunde liegenden Chancenqualität Expected Goals (xG) und der Endposition des Schusses im Tor. Dabei werden Schüsse, die platzierter sind und in den Ecken landen, besser gewertet als Schüsse, die direkt in die Mitte des Tores gehen.
Der Ausdruck „gnadenlos effizient“ passt auch sehr gut, wenn man sich die Torschüsse des FC St. Pauli anschaut. Insgesamt elf Stück waren es. Richtig starke sieben davon gingen auch auf das Tor, sodass Darmstadt-Keeper Schuhen eingreifen musste (wenn er konnte). Allerdings muss es heißen: Nur elf Torschüsse, aber ein sehr hoher xG-Wert von 2.6 – nur gegen Sandhausen (Hin- und Rückspiel) und Braunschweig im Rückspiel war der xG-Wert in dieser Saison höher. Aber in diesen Spielen hatte der FCSP auch jeweils mehr als 20 Torabschlüsse. Vier Spiele gab es diese Saison mit weniger Torschüssen als jene elf gegen Darmstadt. Und nur drei Spiele gab es diese Saison mit einem höheren xG-Wert. Das zeigt: Wenn es dem FC St. Pauli gelang ins letzte Drittel zu kommen, dann kamen sie meist auch zu hochwertigen Torabschlüssen.
Einzelbewertung
Ich möchte ihm gar nicht seine gute Leistung absprechen, aber… Adam Dźwigała ist erneut der Liebling der Rating-Webseiten (letztes Wochenende wurde ihm ein Assist gutgeschrieben, dessen Entstehung eher glücklich war). Dabei haben alle drei Anbieter den gleichen Fehler im System: Dźwigała soll der Torschütze zum 1:0 gewesen sein, dabei war Philipp Tietz der (Eigentor)Schütze. So muss aus der Bewertung also zumindest schonmal das Tor abgezogen werden. Und dann bleiben die Defensivaktionen, in denen er nicht immer glücklich aussah: Dźwigała hatte vor allem in den ersten 45 Minuten große Probleme mit Tietz, gewann insgesamt nur fünf von 13 Defensivduellen. Aber er steigerte sich im zweiten Abschnitt und ist einfach ein enorm wichtiger Spieler, weil er eben immer da ist, wenn er gebraucht wird (und er ist ja nicht der erste, sondern ein weiterer Verteidiger, der gegen Tietz Probleme hatte).
Team | whoscored / sofascore / fotmob |
FC St. Pauli | (7.3 / 7.2 / 7.7) -> 7.4 |
SV Darmstadt 98 | (6.4 / 6.7 / 6.7) -> 6.6 |
Spieler | |
Nikola Vasilj | (7.6 / 7.7 / 8.0) -> 7.8 |
Manolis Saliakas | (7.0 / 6.6 / 7.5) -> 7.1 |
Adam Dźwigała | (8.6 / 8.2 / 8.5) -> 8.4 |
Jakov Medić | (7.3 / 7.3 / 7.3) -> 7.3 |
Karol Mets | (7.2 / 7.3 / 7.1) -> 7.2 |
Leart Paqarada | (8.1 / 7.7 / 8.3) -> 8.1 |
Jackson Irvine | (7.3 / 6.8 / 7.8) -> 7.3 |
Marcel Hartel | (6.8 / 6.8 / 7.5) -> 7.0 |
Dapo Afolayan | (6.8 / 6.5 / 6.7) -> 6.6 |
Lukas Daschner | (8.3 / 8.1 / 8.6) -> 8.4 |
Elias Saad | (8.1 / 7.5 / 8.5) -> 8.1 |
Inakzeptable Werte in erster Halbzeit
Bevor aber nun vor allem Dźwigała die Probleme in der ersten Halbzeit angelastet werden: Alle FCSP-Spieler agierten unter ihren Möglichkeiten. Zum Beispiel Jackson Irvine, der insgesamt 16 Bälle verlor und diese teilweise, völlig ungewohnt, in höchst gefährlichen Zonen, zentral vor der Abwehrkette. So führten dann auch drei dieser Ballverluste zu gegnerischen Torschüssen und insgesamt muss sich Darmstadt vorwerfen, aus diesen Ballgewinnen (nicht nur Irvine verlor in solchen Zonen den Ball) zu wenig gemacht zu haben.
Nicht nur die Ballverluste waren ein Problem, fast noch viel mehr war es das Zweikampfverhalten: In den ersten 45 Minuten gewann der FC St. Pauli völlig inakzeptable 29% seiner Defensivduelle. Im zweiten Abschnitt lag dieser Wert dann aber bei starken 75% und das dürfte der Hauptgrund sein, warum der FCSP nach dem Seitenwechsel besser zurecht kam. Und auch Irvine betrieb Wiedergutmachung, fing insgesamt herausragende 13 Darmstädter Pässe ab (Medic auf Platz zwei mit neun, danach Saliakas mit sechs).
Insgesamt gab es acht Spieler mit jeweils sechs Defensivzweikämpfen am Boden. Bis auf Dźwigała haben alle diese Spieler mehr als die Hälfte dieser Duelle gewonnen. Dazu zählen auch Elias Saad, Dapo Afolayan und Lukas Daschner. Alle drei zusammen haben in der zweiten Halbzeit überhaupt nur ein Defensivduell verloren (11/12). Während Afolayan dann aber offensiv fast überhaupt nicht zurechtkam, waren Daschner (zwei Torvorlagen; zwei Torschüsse) und Saad (7/15 Offensivduelle, drei Torschüsse, ein Tor, eine Torschussvorlage, drei Ballkontakte im gegnerischen Strafraum) die Kernelemente des Offensivspiels.
Stimmen
Entsprechend waren Saad und Daschner auch im Anschluss an die Partie die gefragten Leute. Und während der eine oder andere Spieler in Interviews schon routiniert die Phrasen runterbetet, sind die Antworten von Elias Saad komplett authentisch, auch wenn sie eigentlich identisch zu den üblichen Phrasen sind (am Sky-Mikro): „Ich bin einfach stolz. Es macht mich überglücklich, hier zu treffen. Ich habe davon geträumt, hier zu spielen.“ Es ist einfach Wahnsinn, was Saad gerade für eine Geschichte schreibt. Diese fing spätestens mit dem Derby an in Gold zu glänzen („Nach der Derbyniederlage hat Fabian Hürzeler klar gesagt, was gefehlt hat. Er macht uns vor dem Spiel so heiß, dass jeder auf dem Platz sein Herz lässt.“) und jeder dieser Momente ist ihm zu gönnen und es ist zu spüren, dass er diese gerade in vollen Zügen genießen kann.
Etwas routinierter, aber trotzdem natürlich hochzufrieden war Lukas Daschner am gleichen Mikro. In der ersten Halbzeit habe das Team „ein bisschen Glück gehabt, denn Darmstadt war besser drin“. Aber der Führungstreffer habe einen „Push gegeben“ und im zweiten Abschnitt wurde dann „alles wegverteidigt“.
Zufrieden war er natürlich auch, weil er zwei Treffer vorbereiten konnte. Interessant: Über die Aktion zum 3:0 sagte er: „Den hätte ich vor ein paar Jahren noch sinnlos auf das Tor geknallt.“ – und angesichts des Wortes „sinnlos“ schreibe jetzt mal lieber nicht, was ich in der Situation in Richtung Daschner gerufen habe…
Routiniert am Mikrofon ist auf jeden Fall Marcel Hartel, den ich eigentlich noch nie nicht am Mikro nach dem Spiel gesehen habe. Und trotz dieser Routine (oder gerade genau deshalb?) war er für die kleine Kampfansage in Richtung Relegationsrang verantwortlich (aus Abendblatt (€)): „Wir schauen erst mal auf uns und darauf, die nächsten drei Spiele zu gewinnen, darauf haben wir Bock. Und dann gucken wir mal, was der HSV macht.“
Also ich hab auch Bock!
// Tim
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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.
„… und es ist zu spüren, dass er diese gerade in vollen Zügen genießen kann.“
ich sag’s jetzt nicht 😉
Choo, Choo….
ich hatte den Eindruck, dass in der 1. HZ mehrere Spieler Probleme mit dem Boden bzw. ihren Schuhen hatten. Bei Hartel(!) ist mir mehrfach aufgefallen, dass er weggerutscht ist. Das habe ich in der 2. HZ nicht mehr wahrgenommen.
Das 1:0 wird jetzt wohl tatsächlich Dźwigała zugeschrieben und nicht mehr als Eigentor gewertet.
Hat ihm auch direkt eine Kicker-Elf des Spieltages Nominierung eingebracht.
Ich hab auch Bock!
Es ist schon merkwürdig: Da gewinnt man in Heidenheim, in Darmstadt und verliert zuhause gegen
Braunschweig.Da fragt man siich: was wäre wenn?