Unpolitisch oder „unpolitisch“?

Unpolitisch oder „unpolitisch“?

Der FC St. Pauli tritt am Samstag im DFB-Pokal beim SV Atlas Delmenhorst an. Dabei trifft der FCSP auf eine problematische Fanszene und einen Umgang mit dieser, der ebenfalls problematisch ist.
(Titelbild: Stefan Groenveld)

(Wir empfehlen zusätzlich zum Lesen dieses Textes das „Vor dem Spiel“-Gespräch von Yannick mit Timo und Tobi vom Podcast „Hensel und Bremen“ zu hören.)

Bereits nach der Auslosung der ersten Runde des DFB-Pokals, spätestens aber nach den Ereignissen der letzten Woche, sollte den meisten bewusst sein, dass die Partie zwischen dem SV Atlas Delmenhorst und dem FC St. Pauli auch für einige Nebengeräusche sorgt. Die Diskussion um das Thema führt zu einer eigentlich oft genug bereits beantworteten Frage: Wie politisch ist „unpolitisch“ im Fußballumfeld?

Der SVA und der „Block H“

Zum Hintergrund: Der SV Atlas Delmenhorst hat eine problematische Fangruppierung, den „Block H“. Laut Tobi, der im Vor dem Spiel-Gespräch zu Gast war, handelt es sich beim „Block H“ um 30 bis 50 Personen. Was genau die Probleme sind, hat die Fanszene des Bremer SV ausführlich aufgeschrieben (Das Atlas-Problem).
Auch das Regionalbüro Nord/West der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Niedersachsen (MBT), bestätigt diese Probleme: „In der Tat sind Teile der Fanszene offen für rechte Personen“. Als Beispiele werden Verbindungen zu der extrem rechten und vor der Auflösung vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe „Farge Ultras“ und rechten von Fans von Rot-Weiß Essen genannt. Zudem gebe es immer wieder Berichte von rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen im Stadion des SVA.

Der SV Atlas Delmenhorst scheint in dieser Thematik jedoch eher wenig Handlungsbedarf zu sehen. Angesprochen auf den Vorwurf, dass der SVA nach rechts offen ist, sagt Stefan Keller, Vorstand Marketing beim SVA, dem Abendblatt (€): „Wenn einzelne Individuen auffallen, kann der Verein dafür nicht verantwortlich sein.“ und verweist dabei auf die Stadionordnung, die sich ähnlich liest wie die des FC St. Pauli.
Das stimmt natürlich auf der einen Seite. Andererseits stellt sich die Frage, wie aktiv der SVA tatsächlich gegen rechte Tendenzen im eigenen Stadion vor- und allgemein damit umgeht. Gegenüber der taz sagte Keller 2021: „Wir haben in den letzten Jahren keine Kenntnis davon, dass es queerfeindliche oder rechte Fans gab“. Das sehen viele Personen anders. Das MBT erklärt in Bezug auf den Umgang des SVA mit rechten Tendenzen: „(…) die Realität im Stadion wird ausgeblendet“ und das Fazit der Fanszene des Bremer SV fällt entsprechend aus: „(…) Der SVA hat ein Problem, das Verein und Umfeld nicht als solches erkennen und bearbeiten.“

AfD darf kommen – im richtigen T-Shirt

Als weiteres Beispiel für den Umgang mit solchen Themen dient ein Fall aus dem Jahr 2019: Als der ehemalige AfD-Ratsherr Rainer Kutz im Stadion ein T-Shirt der inzwischen zumindest offiziell aufgelösten Gruppierung „Borussenfront“ trug, wurden nach dessen Bekanntwerden deutliche Worte auch von Vereinsseite gewählt. Passiert ist außer den Worten dann aber wohl nicht wirklich was. Jedenfalls schreibt die Fanszene des Bremer SV dazu: „Auch die im Zusammenhang mit dem AfD-Politiker im Nazishirt angekündigte Überarbeitung der Stadionordnung für ein Verbot des Zeigens rechtsradikaler Symbole wurde nie umgesetzt. Stattdessen erklärte der Atlas-Vorstand öffentlich, dass man die Entschuldigung des ehemaligen AfD-Ratsmitgliedes „angenommen“ habe und dieser mit einem anderen T-Shirt wieder zu Spielen kommen dürfe.“

Betont „unpolitisch“

Auch Mitglieder des „Block H“ haben sich zu den Vorwürfen und Themen geäußert. In einem Interview mit dem Weser-Kurier aus dem Jahr 2019 sagte Timo Conrad in Bezug auf die Gruppierung: „Wir sind unpolitisch und bleiben es auch.“
Das MBT kritisiert dieses Vorgehen, denn „(…) die Gruppe „Block H“ versucht rechte Vorkommnisse herunterzuspielen, in dem sie Probleme leugnet und sich selbst als „unpolitisch“ darstellt.“

Auch 2021 führte der Weser-Kurier ein Interview mit Timo Conrad über den SVA und „Block H“. Erneut betonte er, dass die Gruppierung „unpolitisch“ sei. Conrad ist Anfang 2022 „aus persönlichen Motiven“ aus dem „Block H“ ausgetreten und übernahm kurz danach die „Abteilungsleitung Medien“ beim SVA.
Ebenfalls interviewt als Teil von „Block H“ wurde 2021 Florian Ahlers, dessen Unternehmen als Sponsor des Vereins auftritt und der auch sonst aktiv für den SVA ist. Er sagte: „Wer uns kennenlernt oder kennt, weiß, dass wir Fußball-Asis und keine Nazis sind.“ – eine kleine Recherche unsererseits zeigt: Diese Worte kommen vom gleichen Florian Ahlers, der sich 2018 in einem Thor Steinar-Zipper ablichten ließ.

Training im Chang Tong Gym

Und in dieses bereits sehr stimmige Bild einer „unpolitischen“ Fanszene passt es dann auch, dass der SV Atlas Delmenhorst Ende Juli im von Danny Gierden geleiteten Chang Tong Gym trainierte. Laut MBT war dies nicht das erste Mal der Fall. Die Antifa Bremen hat 2020 im Artikel „Rechte Schläger und Geschäfte“ folgendes über Gierden und das Gym geschrieben: „Schon seit mehreren Jahren trainieren im Chang Tong unter Gierdens Anleitung nicht nur Kampfsport-begeisterte Menschen aus rein sportlichen Gründen, auch Nazihooligans aus der Region haben hier einen Raum gefunden, in dem sie mit ihrer Ideologie nicht nur geduldet und hofiert, sondern auch sportlich gefördert werden.“

Der SV Atlas Delmenhorst reagierte auf die Veröffentlichung des Trainings der Mannschaft im Chang Tong Gym mit einer Stellungnahme (den Inhalt findet ihr hier). Ein Auszug daraus: „Am Tag des Trainings wurde zu keiner Zeit eine Ansprache einer politischen Ausrichtung erkennbar.“ Eine Distanzierung von Danny Gierden fehlt in der Stellungnahme. Stattdessen wird erklärt, um welche Inhalte es bei dem Training ging und dass sich die Auswahl des Gyms ausschließlich an diesen Kriterien orientiert habe. Zudem schreibt der SVA: „Derartige Trainingsformen und auch in diesem Gym werden von vielen Sportvereinen wahrgenommen.“ Das MBT betont, dass auch „in Delmenhorst und Umgebung (oder sonst irgendwo) niemand gezwungen in einem Gym mit solchen eindeutig extrem rechten Bezügen zu trainieren.“
Angesichts der bereits seit Jahren immer wieder aufkommenden Vorwürfe, die stets neues Futter bekommen, ist der Besuch in diesem Gym und die darauf folgende Stellungnahme entweder ein unfassbarer Fehltritt – oder aber ein weiteres Puzzle-Teil, welches ein stimmiges Gesamtbild ergibt.

Distanzierung fehlt

Der SV Atlas Delmenhorst hat also eine problematische Fangruppierung, die seit Jahren immer wieder auffällig ist – und scheint sich dennoch schwer damit zu tun diese Probleme klar zu benennen. Zudem trainiert die Mannschaft wiederholt in einem Gym, in dem, laut Antifa Bremen, Nazihooligans trainieren. Und der Verein gibt dazu eine Stellungnahme ab, die es in dieser Form, ohne jegliche Distanzierung, nicht einmal von den üblichen Verdächtigen z.B. aus Chemnitz oder Cottbus zu solchen Vorfällen gibt. Da schüttelt man natürlich den Kopf und es bleibt die Frage: Ist das Ahnungslosigkeit? Hilflosigkeit? Oder ist auch die Vereinsführung bewusst „unpolitisch“ oder gewissermaßen auf dem rechten Auge blind?

Nun ist es natürlich sehr einfach den Verein und die dort handelnden Personen angesichts der Vorfälle an den Pranger zu stellen. Doch es muss auch das Umfeld betrachtet werden, welches in diesem Fall einen nicht unerheblichen Einfluss haben könnte. Als Fan des FC St. Pauli ist es nämlich leicht rechte Strukturen und Kontakte zu Nazis anzuprangern und sich davon klar abzugrenzen. Denn hier gibt es immer einen breiten Kanon der miteinstimmt. Aber wie ist das in Delmenhorst? Im Stadtteil Düsternort, in dem auch das Stadion des SVA steht, bekam die AfD bei der Kommunalwahl 2016 mehr als jede fünfte Stimme. Zustimmung zu rechten Denkweisen scheint dort also viel ausgeprägter zu sein als an anderen Standorten – was die Abgrenzung erschwert.
Und wer die Geschichte des Vereins betrachtet – sehr ausführlich beschrieben im „Vor dem Spiel“-Gespräch – hat mitbekommen, dass der „Block H“ eines der zentralen Elemente in Zeiten war, als der SVA (oder wie auch immer er hieß im Lauf der Zeit) sportlich alles andere als erfolgreich gewesen ist.

Das reicht natürlich nicht als Ausrede, um sich nicht klar abzugrenzen. Doch trotzdem muss man sich der eigenen priviligierten Position bewusst sein und auch verstehen, dass eine solche Abgrenzung in kleineren, engeren Umfeldern ggf. auch Gefahren für einzelne Personen bedeuten kann. Es muss auch klar sein, dass es eben im Verein keine große Medienabteilung gibt, kein Fanprojekt mit vielen Mitarbeitenden, weniger Fans, die sich deutlich gegen rechte Tendenzen positionieren können. Und natürlich gibt es auch Fans des SVA, die sich gegen den „Block H“ positionieren, wie auch die Fanszene des Bremer SV betont. Sie zu unterstützen, muss das Ziel sein. Leider muss man feststellen, dass es beim SV Atlas Delmenhorst eine problematische Fangruppierung gibt und anscheinend (zu) wenig gegen rechte Tendenzen unternommen wird.
Sicher ist: Unpolitisch gibt es in Fußballstadien nicht. Es gibt nur „unpolitisch“ – und das ist nahezu immer ein Problem.
// Tim

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11 thoughts on “Unpolitisch oder „unpolitisch“?

  1. Mich haben diese 30 min „ja, aber“ Gelaber im VdS Podcast über den SVA und Delmenhorst extrem genervt. Für alles haben die beiden Verständnis und eine Erklärung, und so richtig schlimm ist das eh nicht, weil sind ja nur ein paar Hanseln usw. usf. alles schon tausendmal gehört. Wenn es denen sogar egal ist, dass der „Presseonkel“ des SVA der Trommler im Block H war, dann ist auch alles wurscht. Die beiden SVA Schluffis sind für mich der Inbegriff von Menschen auf´m Dorf: Es darf nie richtig falsch sein, weil mit den Leuten brechen, das kommt nicht infrage. Wenn man anders aufgestellt ist, zieht man aber vermutlich auch nicht aus der Stadt zurück aufs Dorf. Nach dem VdS ist mir der SVA jedenfalls noch viel unsympathischer.

    1. Ich verstehe hier den Bezug zu „Menschen auf’m Dorf“ nicht? Ist denen alles egal? Beziehen die keine klare Stellung? Sind diese sogar alle rechts? Das passt alles nicht und ist extremes Schubladendenken. Sagt einer der schon in Stadt und Dorf gelebt und beides genossen hat.

  2. Vielen Dank Tim für die Aufarbeitung. Ich habe mich erst heute mit der Thematik genauer beschäftigt, hatte mich schon bei der Auslosung gewundert, warum das „FCSP gegen Rechts“ so betont wurde. Jetzt weiß ich, warum. Den Blogartikel des Bremer SV „Das Atlas-Problem“ hatte ich eben noch vor deinem Artikel gelesen, sehr empfehlenswert für die Hintergründe. Ich bin gespannt, wie das heute beim Spiel sein wird (nur vor dem TV, jetzt muss ich sagen, bin ich darüber eigentlich ganz froh). In diesem Sinne: Siamo tutti antifascisti!

    1. Hmm, ist es nicht gerade bei solchen Fratzen wichtig denen zu zeigen, dass sie in der Minderheit sind und eben NICHT vor dem Fernseher, sondern vor Ort zu sein?

  3. Die Realität vor Ort hat deutlich gezeigt, wie wichtig solch eine Aufarbeitung ist. Finstere Gestalten, die sich da einfinden. Und das nicht nur in „H“.

  4. Als gebürtiger Delmenhorster bin ich selbst im Zwiespalt was den SV Atlas angeht aber nicht alles oben genannte stimmt so (im Artikel und in den Kommentaren). Zuerst einmal: Delmenhorst ist und war praktisch schon immer gelebte Migration. Delmenhorst ist kein Dorf, sondern hat (u.a. auch als Vorstadt von Bremen) vor allem einen städtischen Charakter und Strukturen. Historisch ist die Stadt um die Nordwolle herum gebaut, die fast ausschließlich Migranten beschäftigte. Auch später lebte Delmenhorst immer vom Zuzug aus dem Ausland. Ich kenne aus meiner Kindheit fast niemanden ohne Migrationsgeschichte in der Familie (inkl. mir). Zusätzlich war Delmenhorst lange ein großer Bundeswehrstandort, wodurch noch ein paar ehemalige Soldaten dazu kommen. Dadurch ergab sich immer auch ein (rechtes) Rockerproblem. Trotz der vereinzelten Rechten und einer hohen Kriminalität gab es aber nie einen großen Konflikt zwischen rechts und links, Migranten und Nazis. Im Gegenteil war alles ziemlich durchmischt. Der Stadtteil Düsternort hat übrigens einen der größten Anteile an Migranten. Die AFD wird hier vor allem von Migranten in Dritter oder Vierter Generation gewählt (leider auch Teile meiner Familie). Beim alten und auch beim neuen SV Atlas haben vor allem immer Migranten gespielt und waren im Verein aktiv. Delmenhorst funktioniert allgemein anders als andere Städte. Die Durchmischung von rechts und links ist ziemlich hoch. Schauen wir nun auf die Fotos der rechten Kräfte sehen wir u.a. einen linken Kampfsporttrainer mit italienischer Abstammung neben puren Nazis. Man sieht auch tragische Schicksale (soll keine Ausrede, nur eine Erklärung sein): eine immer wieder genannte Person musste beispielsweise mit ansehen wie ein Freund zu Tode geprügelt wurde nachdem er aufgrund seiner natürlichen Glatze als Nazi bezeichnet wurde und hat sich danach Nazis angeschlossen. Eine andere Person auf dem Bild hat aufgrund gesundheitlicher Schicksalsschläge die geistige Entwicklung eines 12-Jährigen und hat beim Training (mit Nazis) die Anerkennung gefunden die er vorher nicht hatte. Beide werden durchaus in der Gemeinschaft geschützt weil man ihre Geschichten kennt. In Delmenhorst sitzen links und rechts oft im gleichen Raum. Personen wechseln zwischen den Positionen. Und rechte haben oft eine Migrationsgeschichte. Alles viel komplexer als es aussieht. Ausgrenzung von Rechten ist problematisch wenn linke Personen im Verein lange mit einer rechten Person befreundet sind, mit ihr arbeiten und sie zusammen eben auch diesen Verein wiederaufgebaut haben. Ich selbst habe ein Problem den neuen SVA zu supporten, allerdings hat er in einer sehr heruntergekommenen Stadt wieder Selbstbewusstsein, soziale (auch gute) Strukturen und eben auch eine gewisse erneute Mischung der Gesellschaft hervorgebracht.

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