Nicht zu schnell normal werden

Nicht zu schnell normal werden

Elias Saad wirbelt auf der linken Offensivseite. Daran hat man sich beim FC St. Pauli bereits gewöhnt. Doch nicht vergessen: Sein Weg im Profifußball ist besonders – und hat gerade erst angefangen.
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Am Mittwoch segelte an der Kollaustraße Ball um Ball auf die linke und rechte Außenbahn. Die Spieler des FC St. Pauli trainierten die Spieleröffnung unter hohem Druck. Kurze Pässe knapp vor dem eigenen Tor, den Gegner kommen lassen und dann im richtigen Moment eine Seitenverlagerung per Diagonalball auf die Außenbahn. Dort wartete unter anderem Elias Saad und durfte das tun, was er auf dem Platz am liebsten macht: Ins Dribbling gehen.

Diese Dribblings zählt Elias Saad natürlich auch zu seinen Stärken. Alle, die ihn schonmal auf dem Platz gesehen haben, dürften ihn darin bestätigen. Was er nicht zu seinen Stärken zählt? „Vor so vielen Leuten reden“, wie er angesichts von gleich 15 Personen, die mit Aufnahmegeräten und Kameras um ihn herumstanden, erklärte. Saad stand nämlich am Mittwoch zu einer Medienrunde an der Kollaustraße bereit.

„Nicht so gut wie die Anderen“

Dass es tatsächlich so weit kommen könnte im August 2023 von mehr als einem Dutzend Personen mit Fragen durchlöchert zu werden, daran hat Saad bis Ende September des Vorjahres, als es den ersten Kontakt mit dem FCSP gab, wohl nicht gedacht: „Weil ich es einfach nicht glauben konnte. (…) Ich konnte damals auch nicht schlafen, weil ich die ganze Zeit davon geträumt habe, wie es ist hier zu spielen.“
Klar, den Traum vom Profifußball gab es zu diesem Zeitpunkt schon („Letztes Jahr wollte ich auf jeden Fall den nächsten Schritt machen. Die zweite Liga erschien da aber schon sehr unwahrscheinlich.“), doch davor hatte er ihn eigentlich schon begraben, wie er mit einem Grinsen erzählte: „Vorher habe ich relativ früh damit abgeschlossen Fußballprofi zu werden, weil ich einfach nicht so gut war wie die Anderen in meinem Jahrgang. Ich glaube, ich hab das jetzt die letzten Jahre ein bisschen nachgeholt.“

Was seit diesem Erstkontakt vor weniger als einem Jahr passiert ist, gehört eigentlich eher ins Märchenbuch: Elias Saad wechselte im Dezember zum FC St. Pauli, begleitet von einigen Unkenrufen, dass sich der Verein mit der Verpflichtung eines Viertligaspielers bereits auf den Abstieg in die dritte Liga vorbereite. Doch viele, die die Regionalliga Nord und die Karriere von Elias Saad verfolgten, trauten ihm diesen Schritt zu. Eine Rückrunde und Sommervorbereitung später ist klar: Saad hat diesen Schritt gemeistert – und das sogar schneller und besser, als von vielen erwartet wurde.

Unterschiede zum NLZ

Das Besondere an seinem Karriereweg: Saad besuchte nie ein NLZ, spielte stattdessen in der Futsal-Nationalmannschaft und machte nebenbei eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Entsprechend musste er einiges aufholen, als er beim FCSP ankam. Was ihn von seinen Mitspielern unterscheidet, weil er nie in einer Jugendakademie war? „Neben dem Platz ist die Professionalität ein Unterschied, was Vor- und Nachbereitung rund ums Training angeht. Da gucke ich mir sehr viel ab. Auf dem Platz sieht man, dass der erste Kontakt bei meinen Mitspielern sitzt und taktisch sind sie alle sehr gut geschult.“

So ging es für Elias Saad in seiner Anfangszeit beim FC St. Pauli erst einmal (und immer noch) darum das aufzuholen, was er in der Jugend verpasst hat. Unterstützt wird er dabei insbesondere von seinem Cheftrainer: „Fabi holt mich zu sich und zeigt mir welche Wege die guten sind, was ich lernen muss als Außenspieler.“
Auch körperlich musste er einiges zulegen, hat in diesem Bereich die größten Schritte gemacht, wie er erzählt. Inzwischen kann er die Intensität der Spiele fast über die vollen 90 Minuten mitgehen, es reiche aktuell für (interessant, dass er das so exakt benennt) punktgenau 84-85 Minuten.

Die persönliche Entwicklung von Elias Saad ist rasant. Nach der Wintervorbereitung ging es erstmal erstmal zurück in die Regionalliga Nord, wo Saad für die U23 des FCSP in vier Einsätzen drei Treffer erzielte. Als es dann Mitte April an einem Sonntag zum Duell der U23 mit Eintracht Norderstedt, seinem alten Verein, kam, da war auch für Saad ein besonderer Tag gekommen: Gegen Eintracht Braunschweig feierte er sein Debüt in der 2. Bundesliga. Wenige Tage später erzielte er im Derby gegen den HSV seinen ersten Treffer – spätestens da war allen klar, dass der FC St. Pauli einen richtig dicken Fang gemacht hat. Und dass die Entwicklung von Elias Saad viel rasanter vonstatten geht, als er selbst vermutete („Dass es so schnell geht, hätte ich nicht gedacht“).

Deutschland, Delmenhorst, 12.08.2023, Fussball DFB-Pokal 1. Runde, Atlas Delmenhorst - FC St. Pauli im Stadion an der Duesternortstraße  Elias Saad (FC St. Pauli) - Nicolas Liam George Fenski 
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Elias Saad in seinem natürlichen Habitat: Einem Dribbling
(c) Peter Boehmer

Fast zu schön, um wahr zu sein

Und, Elias? Wie fühlt es sich nun an Profi in der 2. Bundesliga zu sein und vor einem prall gefülltem Millerntor zu spielen? Er erklärt: „Ich habe das Gefühl, dass es zu schnell normal wird“. Daher versuche er, dass es für ihn „immer besonders“ bleibe. Die Erklärung dafür, warum er trotz der enorm gesteigerten Aufmerksamkeit auf dem Boden bleibe ist Ausdruck eines enorm gestiegenen Selbstbewusstseins, hohem Ehrgeiz und durchaus auch als Drohung an Gegenspieler zu verstehen: „Ich bin nach Spielen eigentlich immer unzufrieden (…) Weil ich weiß, dass ich es besser kann.“

Ja, die ganze Story ist vielleicht etwas cheesy und so habe ich sie auch aufgeschrieben. Aber so ist sie halt einfach. Klar, da werden sicher noch Phasen kommen, in denen es für Elias Saad schwieriger werden wird. Trotzdem hat sich seine Verpflichtung bereits jetzt für alle Seiten ausgezahlt. Dass ein Spieler, der nie in einem Nachwuchsleistungszentrum war und mit Anfang 23 noch nie höher als Regionalliga spielte, nur wenige Monate braucht, um Stammspieler bei einem ambitionierten Zweitligisten zu werden, ist im Bundesliga-Betrieb einfach sehr, sehr selten. Und normal ist die ganze Geschichte schon mal gar nicht, auch wenn man sich schon ein wenig daran gewöhnt hat, dass dort auf der Außenbahn jemand dribbelt, der gerade am Drehbuch einer ganz besonderen Karriere schreibt. Umso schöner, dass man eine solche Story beim FC St. Pauli beobachten kann.
// Tim

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2 thoughts on “Nicht zu schnell normal werden

  1. Herrlicher Werdegang von Elias Saad……wir werden hoffentlich noch viel Freude an ihm haben,
    wie auch das 3. Tor in Delmenhorst gezeigt hat (was für ein Sololauf durch die Abwehr !!)
    Ich wünsche ihm alles Gute !!
    Aber auch ein großes Kompliment an Fabian Hürzeler und das Trainerteam.
    Diesem Jungen das Vertrauen zu schenken und zunächst das Auge für das Talent zu haben,
    das ist großartig…..sicher haben viele Leute im Umfeld eine Anteil an dem Transfer und der aktuellen Entwicklung
    Und:
    Wie schön, dass Elias Saad auch noch aus der Region kommt und sich sofort zu 100% mit allem identifizieren konnte,
    das macht es sicher ein bissche einfacher
    Ich freue mich auf die weitere Entwicklung von ES und ggf. auf das nächste Derbytor…..
    so beim Spielstand von 3:3. in der 95. Minute
    Forza FCSP

  2. der junge macht großen spaß. er is einer der sorte, die noch gar nich wissen, was sie gerade auf dem platz mit ball und gegner tun, wo sie es schon tun… sogenannte instinktfußballer. wenn er eine gute mischung aus taktischem verständnis und unbekümmertheit in seinen handlungen auf dem platz, vor allem offensiv, hinbekommt und vor allem weitesgehend verletzungsfrei bleibt, wird die zweite liga für ihn nur durchgangsstation bleiben… dann hoff ich mal, daß er mit uns zusammen die liga nach oben wechselt. am liebsten diese saison. sport frei

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