Geduld, individuelle Klasse und eine taktische Umstellung brachten dem FC St. Pauli den späten, aber verdienten Sieg gegen den Karlsruher SC. Die Analyse.
(Titelbild: Stefan Groenveld)
Bevor das hier falsch verstanden wird: Der FC St. Pauli verdiente sich auch gegen den KSC die drei Punkte, weil er einfach besser war. Trotzdem, gemessen an den bisherigen Saisonleistungen, zeigte das Team eine nicht so gute Leistung, hatte es aber auch mit gut eingestellten Karlsruhern zu tun. Zu tun habe auch ich. Denn erneut gab es aus taktischer Sicht einige Dinge, auf die ich gerne einen Fokus legen möchte. Denn zuerst gelang es dem KSC, das Spiel des FCSP zu lähmen. Später gelang es dann aber dem FC St. Pauli, dank geduldiger und umgestellter Spielweise einen Rückstand doch noch zu drehen.
Die Aufstellung
Smith und Metcalfe neu dabei
Zwei Veränderungen gab es in der Startelf des FC St. Pauli, mit einer konnte fest gerechnet, die andere durfte zumindest erwartet werden. Eric Smith kehrte nach überstandenen Adduktorenproblemen wieder auf den Platz zurück. Er verdrängte Adam Dźwigała aus der Innenverteidigung. Dadurch schob Hauke Wahl wieder auf die halbrechte IV-Position, Smith übernahm das Zentrum.
Die Startaufstellung von Connor Metcalfe konnte zumindest erwartet werden. Er spielte nach seiner Einwechslung eine sehr starke zweite Halbzeit gegen den SC Paderborn. Zudem erklärte Fabian Hürzeler auf der Pressekonferenz vor dem Spiel, dass er es präferiert, wenn seine offensiven Außen invers agieren können. Mit Metcalfe als Linksfuß auf der rechten Seite ist das gegeben. Er verdrängte damit Dapo Afolayan, der auf die linke Seite wechselte und dort seinerseits Elias Saad aus der Startelf verdrängte. Angesichts der bisherigen Leistungen von Saad war das sicher etwas überraschend, aber es ist auch ein Ausdruck der enormen Qualität des FC St. Pauli auf dieser Position.
Luft auf der Bank beim KSC
Beim Karlsruher SC gab es eine Veränderung in der Startelf. Die hatte es aber in sich: Jerome Gondorf konnte die Reise nach Hamburg nicht antreten. Für ihn stand Leon Jensen auf dem Platz. Wie bereits im Vorbericht beschrieben, ist der Kader des KSC ziemlich dünn. So kam es, dass auf der Bank gleich mehrere Plätze frei geblieben sind. Mit Budu Zivziadze saß nur eine Offensivkraft einwechselbereit auf der Bank. Mit Dzenis Burnic nur ein weiterer Mittelfeldspieler. Gerade im Vergleich mit dem FC St. Pauli, der im Spielverlauf noch richtig Qualität von der Bank für die Offensive bringen konnte, zeigt sich, dass das für den KSC ein Problem gewesen ist.
Zentrum dicht, Außen nicht erreicht
Der Karlsruher SC agierte sowohl mit als auch gegen den Ball mit einer Mittelfeldraute. KSC-Trainer Eichner erklärte später, dass man das Team ganz bewusst so auflaufen ließ: „Wir wollten die Mannschaft in ihrer Grundordnung so lassen, in der sie sich wahrscheinlich auch am wohlsten fühlt.“
Mit dem Ball war die Mittelfeldraute sehr deutlich auf dem Spielfeld zu erkennen, es sei denn, Lars Stindl holte sich die Bälle im Sechserraum ab. Ein Fokus auf die offensiven Abläufe in der Mittelfeldraute des KSC muss aber nicht gelegt werden. Dafür erzeugte das Team im Ballbesitz einfach viel zu wenig Gefahr für das Tor des FC St. Pauli.
KSC-Mittelfeldraute da, aber offensiv ungefährlich
Dem FCSP gelang es äußerst zuverlässig, die Gäste offensiv nicht zur Entfaltung kommen zu lassen. In den Abläufen zeigte sich das Team sehr gut auf den KSC eingestellt. Jackson Irvine und Marcel Hartel schoben öfter mal vor, wenn Jensen und Stindl zusammen im Sechserraum agierten. Die Spieler auf den Halbpositionen, Nebel und Wanitzek, wurden von Manos Saliakas und Lars Ritzka bewacht, die dafür ihre Außenpositionen verließen und in die defensiven Halbräume einrückten. Gerade dieses Verhalten der Schienenspieler, welches deutlich vom üblichen Defensivverhalten des FC St. Pauli abwich, zog den Gegnern den Zahn. Denn so kontrollierte der FCSP die Zwischenräume. Hürzeler hatte vor der Partie betont, dass der KSC besonders dort seine Stärken habe. Raum für die gegnerischen Außenverteidiger entstand durch das Einrücken der Schienenspieler nicht, auch weil die offensiven Außen des FCSP etwas breiter als üblich standen und dadurch besseren Zugriff auf die KSC-Außenverteidiger hatten.
Bei diesem richtig, richtig starken Verhalten des FC St. Pauli gegen einen Gegner im 4-4-2 mit Mittelfeldraute, dürfte Fabian Hürzeler und seinem Team die Erinnerung geholfen haben. Denn sie selbst haben noch zu Beginn der Vorsaison mit so einem System agiert. Das Spiel gegen den KSC hat gezeigt, dass der FC St. Pauli noch ganz genau zu wissen scheint, wo die kritischen Punkte der Mittelfeldraute sind.
Ich habe das mal etwas ausführlicher runtergeschrieben mit dem Defensivverhalten des FC St. Pauli. Denn bei all dem berechtigten medialen Fokus auf das innovative und dominante Aufbauspiel und die dadurch erfolgreiche Offensive, darf nicht vergessen werden, wie stark das Team defensiv agiert. Zwar gab es erneut einen Gegentreffer, was das siebte Spiel in Serie mit mindestens einem Gegentor bedeutet, aber der KSC – eigentlich ein offensivstarkes Team – kam mit eigenen Ballbesitzpassagen überhaupt nicht zurecht.
Kein Platz im Zentrum
In der Offensive wurde der FC St. Pauli mal wieder mit etwas Neuem in dieser Saison konfrontiert. Nicht nur offensiv, sondern auch defensiv agierte der KSC mit einer Mittelfeldraute (da Stindl meist direkt auf Smith orientiert war, sah das wie ein 4-3-3 aus). Das Team von Christian Eichner zog sich dabei ganz, ganz eng zusammen. Nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Den Außenbahnen schenkte das Team erst einmal keine Beachtung. Zudem stand die hintere Viererkette enorm hoch, wodurch das gesamte KSC-Team oft in einem Quadrat von 20 x 20 Metern zu finden war. Dadurch gab es im Zentrum des Spielfeldes eigentlich gar keinen Platz für den FC St. Pauli. Die Folge war Arbeitsarmut für Marcel Hartel, der sonst eine so wichtige Rolle im Offensivspiel einnimmt. Einen persönlichen Negativrekord von nur 19 Ballaktionen hatte er im ersten Abschnitt.
Diese defensive Spielweise des Karlsruher SC konnte aber nur funktionieren, wenn das Verschieben klappte. Denn sobald der FCSP den Ball auf eine der Außenbahnen spielte, schoben alle KSC-Spieler extrem auf diese Seite rüber und verknappten dort den Raum. Diese Überzahl der Gäste in Ballnähe führte dann oft dazu, dass der FCSP den Rückwärtsgang mit dem Ball antrat. Denn wenn eine Seite komplett überladen ist, dann ist die andere Seite natürlich frei. Entsprechend veränderte sich das Spiel des FC St. Pauli im Vergleich zu allen anderen Partien der Saison: Statt zu versuchen, durch das Zentrum aufzubauen oder auf eine Seite zu spielen und dort durchzubrechen, versuchte es das Team mit schnellen Verlagerungen, um die ballferne und vom KSC vernachlässigte Seite zu erreichen.
Der Karlsruher SC verschob sein Quadrat sehr diszipliniert und unter hohem Laufeinsatz. Knapp 125 Kilometer spulte das Eichner-Team ab, fast genauso viele wie der FCSP. Kein gegnerisches Team machte in einem Spiel gegen den FCSP in dieser Saison mehr Kilometer. Umso mehr wurde der FC St. Pauli bei Ballbesitz gefordert, diesen schneller auf die gegenüberliegende Seite zu bringen.
Tempo fehlt
Doch genau diese Verlagerungsversuche wollten nicht so recht klappen. Im ersten Schritt musste der FCSP das Spiel auf eine Seite lenken, um von dort in die Verlagerung kommen zu können. Genau das war aber nicht so erfolgreich, wie Fabian Hürzeler nach der Partie sagte: „Es war zu langsam, zu behäbig. Wir haben nicht den richtigen Moment gefunden, die Seite zu verlagern.“
Es war zwar auch nicht so, dass es dem FC St. Pauli überhaupt nicht gelang, in die Verlagerung zu kommen. Doch wenn sie es mal schafften, den Ball schnell auf die andere Seite zu bekommen, dann war leider recht zuverlässig die Anschlussaktion nicht gut.
So gab es eine erste Halbzeit, in der es dem FCSP nur ganz selten gelang, gefährlich vor dem KSC-Tor aufzutauchen. Zwar war er das balldominante Team, aber im letzten Drittel klappte nicht wirklich viel. Das lag auch daran, dass das Team trotz der hohen Stellung der Karlsruher nie den Ball hinter die Kette spielte, weil diesen dort schlicht kein FCSP-Spieler hätte erlaufen können. Dass in der Offensive nicht viel klappte, kann man zwar auch über den Karlsruher SC sagen. Allerdings gelang es den Gästen zweimal, in chaotischen Szenen aus gefährlicher Position zum Abschluss zu kommen. Den ersten konnte Nikola Vasilj noch parieren, beim wuchtigen Abschluss von – ausgerechnet – Igor Matanovic, war er dann aber machtlos. Entsprechend ging es mit Ernüchterung und einem Rückstand in die Pause.
Umstellung bindet KSC tief
Struktur geht flöten
„Am dunkelsten ist die Nacht vor der Dämmerung“, könnte man über das schreiben, was der FC St. Pauli bis zu einer taktischen und personellen Umstellung in der zweiten Halbzeit zeigte. Denn bis zur Einwechslung von Simon Zoller und Danel Sinani war es teilweise wirklich chaotisch auf dem Platz, was überhaupt nicht im Sinne eines ballbesitzorientierten Teams ist.
Dabei waren die ersten Minuten nach Wiederanpfiff noch recht druckvoll. Der FCSP hatte nämlich sein Spiel etwas angepasst. Standen Karol Mets und Hauke Wahl im ersten Abschnitt noch recht weit auseinander bei Ballbesitz, zogen sie sich nun ganz eng zusammen. Eine gute Idee gegen eine zentrumsfokussierte Formation, wie der KSC sie zeigte. Denn durch das enge Zusammenstehen der FCSP-Innenverteidiger schoben auch die beiden KSC-Stürmer (noch) eng(er) zusammen. Eine Folge: Die Passwinkel waren nun vorteilhafter für den FCSP. Wenn Wahl und Mets in zentralerer Position im Ballbesitz waren, boten sich durch die Anpassung nun beide Seiten zum Anspiel an. Bei der breiten Staffelung war das nicht der Fall, weil die jeweils ballnahe Seite bereits zugestellt war.
Ein weiterer Vorteil des Zusammenziehens der FCSP-Innenverteidiger: Bei der breiten Staffelung von Wahl und Mets in der ersten Hälfte blieb den beiden Schienenspielern eigentlich nur die „Flucht nach vorne“, denn im Zentrum war ja kein Platz. Dort standen sie sich aber mit den offensiven Außen auf den Füßen. Nun konnten sie sich aber etwas tiefer positionieren und waren so besser ins Spiel eingebunden. Das führte auch dazu, dass die Abstände zwischen den einzelnen Spielern während einer Verlagerung (die muss ja nicht immer via Diagonalball gespielt werden – können ja nicht alle wie Eric Smith spielen) geringer sind. Durch geringere Abstände kann der Ball generell schneller gespielt werden, was theoretisch zu einer schnelleren Verlagerung führt. Gebracht hat das alles aber vorerst nicht so viel.
Eine Frage des Timings
Begleitet wurden die ersten 20 Minuten der zweiten Halbzeit tatsächlich auch von einigen Pfiffen von den Rängen. Gerade das Verhalten der eigenen Innenverteidiger schien Teilen des FCSP-Anhangs nicht zu gefallen. Zugegeben, es ist auch echt schwierig: Das Team liegt 0:1 hinten und der eigene Innenverteidiger hat nichts Besseres zu tun, als den Fuß auf den Ball zu stellen und lasziv zu warten, bis sich die Gegenspieler dazu bequemen ihn anzulaufen. Die tun das aber nicht, lassen sich nicht locken und so friert das Spiel mal kurz-, leider auch mal längerfristig ein. Ein Grund zu Pfeifen? Natürlich nicht! Was ist denn das für eine Art Support? Zumal das Abwarten genau die Spielweise des FCSP ist, die schon oft genug in dieser Saison zum Erfolg führte. Das erklärte Fabian Hürzeler immer wieder und tat gleiches auch nach Abpfiff erneut. Beeinflusst haben die Pfiffe die Spieler aber nicht, erklärte der 30-jährige: „Karol, Hauke und Eric sind ruhig geblieben. Das ist das Entscheidende.“
Ich bin aber ganz ehrlich: Auch ich habe in dieser Phase geschimpft auf der Pressetribüne. Wie ein Rohrspatz. Aber nicht, weil Mets und Wahl versuchten die Gegenspieler herauszulocken, sondern weil das Timing ihrer Pässe oft nicht gut war. Denn wenn man den Ball schnell von der einen auf die andere Seite spielen möchte, dann ist es auch wichtig, dass der Ball, oh Wunder, schnell gespielt wird. Der x-te Kullerball, der mit 0,5 km/h in Richtung von Elias Saad hoppelte, ließ mich dann kurzzeitig explodieren. Geschmeckt hat dieses schlechte Timing der Pässe sicherlich auch dem Trainerteam nicht. Dem FC St. Pauli gelang es in den ersten 20 Minuten der zweiten Halbzeit, trotz veränderter Staffelung, nur ganz selten, die weiterhin gut und diszipliniert spielenden Karlsruher vor Probleme zu stellen.
Mit Doppelspitze mürbe gespielt
Es musste also etwas passieren, damit der FCSP in diesem Spiel noch zu etwas Zählbaren kommen konnte. Und es passierte etwas: In der 66. Minute kamen Danel Sinani und Simon Zoller für Saliakas und Ritzka. Ein Doppelwechsel, der schon anhand des Personals zeigte, dass sich in Sachen Formation etwas verändern würde. Der FC St. Pauli stellte mit diesem Wechsel auf eine Formation mit zwei Spitzen um (Zoller und Eggestein). Saad und Metcalfe agierten nun nicht mehr als offensive Außen, sondern als Schienenspieler. Sinani fand im Zehnerraum einen Platz.
Durch diese Umstellung geriet die Viererkette des KSC massiv unter Druck. Zoller und Eggestein wurden von den beiden Innenverteidigern des KSC aufgenommen. Bei Ballbesitz schoben Saad und Metcalfe deutlich vor, sodass sie von den beiden KSC-Außenverteidigern aufgenommen wurden. Vier Verteidiger auf vier Offensivkräfte also. Wenn nun noch Sinani, Irvine oder Hartel vorne mit reinrückten, was vor allem Sinani und Hartel taten, dann gerieten die Karlsruher in letzter Linie in Unterzahl. Für die Gäste setzte sich damit ein Teufelskreis in Gang.
Denn eine Unterzahl in letzter Linie gilt es unbedingt zu vermeiden. Besonders dann, wenn diese so zentral entsteht, wie es für den KSC der Fall war, da Sinani und Hartel oft da vorne auftauchten. Als Reaktion auf diese Unterzahl fielen Spieler aus der Mittelfeldraute tiefer. Das führte dazu, dass das gesamte Team tiefer fallen musste, um die Abstände weiter gering zu halten. Der Karlsruher SC, der ohnehin das gesamte Spiel über Probleme hatte, für offensive Entlastung zu sorgen, kam nun überhaupt nicht mehr aus dieser tiefen Position heraus. Eichner erklärte hierzu: „Es war mehr Druck da, wir kamen immer seltener raus, konnten seltener für Entlastung sorgen. Es kam dann eine Welle nach der anderen, die vielleicht von außen nicht immer so gefährlich aussehen, aber in Summe immer wieder Körner kosten.“
Eggestein gekonnt, Treu knallhart
Der FC St. Pauli blieb geduldig in seinem Offensivspiel, verlor nicht den Kopf. Sicher wird dabei geholfen haben, dass man durch die Umstellung nun deutlich mehr Feldvorteile hatte. Für den Ausgleich, und damit die endgültige Einleitung der Wende in diesem Spiel, brauchte es dann aber die individuelle Klasse von Johannes Eggestein. Im Vorfeld gelang es dem FCSP, das Spiel gut auf die rechte Seite zu verlagern. Metcalfe konnte von dort flanken und fand im Zentrum Eggestein, der den wundervollen Dreiklang aus Annahme, Mitnahme und Abschluss auf der Fläche eines Bierdeckels vollführte. Mit dem ersten Kontakt ließ er den Ball mit der Brust hochklatschen, mit dem zweiten Kontakt hob er ihn über das gestreckte Bein vom eingewechselten Burnic und mit dem dritten schoss er den Ball, nach einer Drehung, unhaltbar ins Tor. Christian Eichner beklagte sich im Anschluss, dass der FCSP-Stürmer in dieser Situation von drei KSC-Spielern nicht richtig attackiert wurde. Ich sage: Einfach eine großartige Aktion von Eggestein.
Spätestens mit dem Treffer wurde der Druck des FC St. Pauli für den KSC zu hoch. Kurze Zeit nach dem Ausgleich lag der Ball erneut im Netz, doch Simon Zoller wurde sein Premieren-Tor für den FCSP aufgrund eines vermeintlichen Fouls an KSC-Torwart Drewes verwehrt. Ich sehe dieses Foul (Saad soll der Übeltäter gewesen sein) auch nach mehrmaligem Anschauen der Zeitlupe nicht, nur einen leichten Kontakt. Der These, dass der VAR sich bei anderer Feldentscheidung ebenfalls nicht eingeschaltet hätte, stimmen sicher viele zu.
Es dauerte dann aber bis in die Nachspielzeit hinein, ehe der FC St. Pauli seinem Ruf, ein Spitzenteam zu sein, endgültig gerecht wurde. Also bis in eine Phase hinein, in welcher der ganz große Druck eigentlich schon wieder ein wenig nachließ. Es gab nochmal eine Ecke, die in Richtung des eingewechselten Philipp Treu geklärt wurde, der sich nicht lange bitten ließ und den Ball sehenswert in der Nachspielzeit unhaltbar ins Tor jagte. Das Millerntor war bereits seit dem Ausgleich in guter Verfassung, eskalierte durch den Siegtreffer in der Nachspielzeit natürlich komplett (Siegtreffer in der Nachspielzeit sind sowieso die besten!).
Ein Spitzenteam!
Klar, zwei so späte Tore zu erzielen, kann als glücklich bezeichnet werden. Und das sind sie natürlich auch. Trotzdem: Beim KSC hat zum Ende hin sicher auch einfach die Kraft nachgelassen. Da hat bestimmt die fehlende Kadertiefe und die entsprechend teils unbesetzte Bank ihren Teil zu beigetragen. Einen anderen Teil zum Erfolg trugen die taktische Umstellung des FCSP und der damit verbundene stete Druck auf die KSC-Hintermannschaft bei. Irgendwann, wenn du als Gegner Angriffswelle auf Angriffswelle gegen dich hast, wirst du müde. Irgendwann wirst du unaufmerksam. Und dann ist da dieser FC St. Pauli, der dich so tief hinten reindrückt, der so fest an sich glaubt, der so stark in seinen Abläufen und individuell richtig gut besetzt ist – irgendwann bist du einfach mürbe gespielt. Dieser Sieg ist verdient, genauso wie es die Tore sind.
So drehte der FC St. Pauli dann also ganz spät doch noch das Spiel, grüßt mindestens eine weitere Woche von der Tabellenspitze und ist seit nunmehr 17 Spielen ungeschlagen. Feiern ist aber nicht, Durchschnaufen nur ganz wenig – am Dienstag kommt Schalke ans Millerntor. Die zweite Runde im DFB-Pokal steht an. Die Schalker haben unter ihrem neuen Trainer gegen Hannover gewonnen, sind also gut drauf. Doch auch die sechs letzten FCSP-Gegner gewannen ihre Partie, bevor sie auf das Team von Fabian Hürzeler trafen. Fünf dieser sechs Spiele konnte der FCSP gewinnen, tat dies gegen den KSC, obwohl das Team nicht seinen besten Tag erwischte. Es ist egal, wie man es dreht und wendet: Der FC St. Pauli ist aktuell das beste Team der 2. Bundesliga.
Immer weiter vor!
// Tim
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Moin und danke für die taktische Analyse!
Allerdings komme ich zu einer anderen Gesamteinschätzung : der Sieg beruht auf zwei Ausnahme-Aktionen, die man definitiv nicht als systemisch und geplant bezeichnen darf. Glückwunsch an Eggestein und Treu!
Unmut zeigen über provozierende „Aktionen“ von Vasilj, Mets und Wahl finde ich absolut verständlich, legitim und nachvollziehbar. Zu oft boten sich Räume auf den offensiven Aussenbahnen, die unverständlicherweise ungenutzt blieben. Dadurch kam es in den ersten 80 Minuten zu keinerlei Überraschungsmomenten, das Spiel schleppte sich trotz Rückstand dahin. Die letzten zehn Minuten bewiesen, dass es auch anders geht.
Immerhin, die beiden genialen Aktionen entschädigen für einen zähen Kick, der den Spitzenplatz sogar ausbaut.
Man darf sich ja über die teilweise behäbige Spielweise leise ärgern, aber Spacken (ja, das ist der wissenschaftliche Fachbegriff), die gerade in unserer Situation als Tabellenführer pfeifen, haben in unserem Stadion nichts verloren. Was soll das und wem soll das helfen?
Generell muss der Trainer aber Antworten auf eine geballte Defensive der Gegner finden. Bis zu den entscheidenden Wechseln gab es zu oft lange Querpasspassagen zwischen Mets und Wahl und nahezu keine Bewegung der anderen Spieler, obwohl auf den Außenbahnen Platz war.
Die behäbige Spielweise, in der es zu den Pfiffen kam, ist Teil der Taktik, die uns derzeit erfolgreich macht. Verstanden. Aber wenn dann einige Gegner anfangen, sich konsequent nicht locken zu lassen, bräuchte es einen zweiten Meister-Schachzug, der darauf reagiert, oder? Was lässt eigentlich Roberto de Zerbi in solchen Konstellationen spielen?
Aber apropos Pfeiffen: Wann hat es eigentlich angefangen, dass die Gastmannschaft ausgepfiffen wird, wenn sie das Spielfeld betritt oder gleich einen Eckball ausführen wird? Das ist so ein ärgerliches Spacken-Verhalten (danke für Deine wissenschaftliche Vorarbeit). In solchen Momenten erwarte ich immer, dass gleich ein Möbelhaus die Einwürfe präsentiert und im nächsten Moment alle „Nuuuuuuuull – danke – bitte“ brüllen. Wi-der-lich.
Wir spielen ein Gäste-Lied, nach einer guten Leistung wird das Schiedsrichtergespann mit Applaus verabschiedet – _so_ unterscheidet sich das Millerntor für mich von den allermeisten anderen Stadien. _Das_ überwiegt die negativen Seiten des Stadionerlebnisses (Rauchende, Alkoholisierte, „Männers“, Kombinationen aus den vorgenannten drei Ätzthemen etc.) so doll, dass ich Fußball im Stadion gucken mag.
…nun brauch sich zwar niemand grämen, wenn ich empfindliches Häschen nicht mehr ans Millerntor mag (vielleicht sieht das immerhin meine „Bezugsgruppe“ anders, müsste mal fragen), aber eigentlich wähne ich mich als Teil der Mehrheit im Stadion. Zu gern hätte ich daher mal eine Idee, wie die, die gern die Pfeiffenden auspfeiffen würden, das (ihre Meinung und die Mehrheiten) im Stadion zum Ausdruck bringen könnten. Tapeten mit „Hier pfeiffen nur Event-Fans“? Nimm dies, du Pursche.
Anregungen?
Das Pfeifen fand ich auch nicht gut allerdings ist „Spacken“ ganz sicher nicht der wissenschaftliche Begriff dafür. Im norddeutschen Raum wird jemand, der dürr und klapprig ist als „spack“ bezeichnet. Du benutzt das Wort aber offenbar als Schimpfwort („Spacken“ als Mehrzahl von „Spacko“), was seine Herkunft vermutlich in Ableitung von „Spastiker“ hat und somit behindertenfeindlich und ableistisch ist. Solltest du vermeiden…
Nicht für ungut, Tommy, aber Zeigefingerbelehrungen von Menschen mit bestenfalls Halbwissen sind auch dann anstrengend, wenn sie aus positiven Absichten geschehen. Nein, „Spacken“ ist keine Ableitung von „Spastiker“ und muss daher auch nicht vermieden werden. Siehe bspw. hier https://marjorie-wiki.de/wiki/Spacken oder hier https://www.sprachnudel.de/woerterbuch/Spacken oder auch https://de.wiktionary.org/wiki/Spacko
Ich habe mich mit genau dieser Frage schon mehrfach auseinandergesetzt, deshalb triggert mich deine falsche Belehrung, da sie mir zeigt, dass du das eben nicht getan hast, ansonsten wüsstest du, dass es keine etymologischen Belege für deine Behauptung gibt. Der einzige Zusammenhang dürfte sein, dass Menschen bewusst von „Spast(i)“ auf „Spacken“ wechseln, weil eben „Spast(i)“ die von dir angesprochene ableistische Bedeutung hat und tatsächlich nicht verwendet werden sollte. Und dann wird eben auf den phonetisch ähnlich klingende „Spacken“ oder „Spacko“ zurückgegriffen.
Danke Tommy, dass Du das inflationär benutzte S-Wort erklärst und somit verdammt hast. Selbst auf Hoodies mit pseudo norddeutsches Touch wird es schon gedruckt.
Bin einer total anderen Meinung.
1. Aus meiner Sicht entsteht der Unmut bei einigen, weil keinen blassen Schimmer davon zu haben scheinen, wie das Spiel des FCSP unter Hürzeler funktioniert und mit welchem wir Tabellenführer sind. Was nichts damit zu tun hat, dass das Spiel von uns insgesamt vielleicht mal nicht so gut war.
2. Die letzten 10 Minuten sind vorwiegend der Tatsache geschuldet, dass Karlsruhe durch den enormen Laufaufwand ab etwa der 70. Minute völlig auf war. Das muss man sich mal vergegenwärtigen, dass der KSC mit dieser absolut defensiven Spielweise 125km abreißen musste. Dazu die kurze Bank, die qualitativ nicht an die ersten 11 heranreicht. Das Spiel dauert aber nicht 70 Minuten. Und dessen muss sich der ignorante pfeifende Zuschauer vielleicht auch mal bewusst werden.
Spieltaktisch war das Klasse. Klar brauchst du auch Spielglück und mal eine Einzelleistung, das bestreitet aber auch niemand. Den Nebensätzen des gegnerischen Trainers zu lauschen ist ebenfalls empfehlenswert. Auch wenn es manchmal nicht so aussah, aber auch die ersten 70 Minuten haben permanenten Stress erzeugt, der Körner um Körner kostete. Und dazu hat der FCSP Spieler in seinen Reihen, die einen Unterschied in der Liga machen.
Ein absolut verdienter Sieg. Und dass es ein dickes Brett zu bohren war: Klar. Das musst du gegen jeden. Niemand schenkt dir in der Liga etwas.
Wer die eigene Mannschaft – egal ob verdient oder, wie gestern, unverdient – auspfeifft, hat beim FC Sankt Pauli und erst recht im Heimbereich vom Millerntor nichts verloren. Das sollte bekannt und unverhandelbar sein.
Moin Tim,
vielen Dank für die wieder mal treffende und ausführliche Spielanalyse! Ich hoffe, du kannst der auf der Pressekonferenz angebotenen Aufnahme in das Trainerteam des KSC widerstehen und bleibst dem Millernton treu 😉 🙂
Schöne, frühe Analyse, die wie immer sehr zutreffend ist.
Gestern war kein wirklich gutes Spiel von uns, die Schiedsrichterleistung war auch eher stark verbesserungswürdig, aber genau das macht es eigentlich so super. Wir waren trotzdem die stärkere Mannschaft, haben leider in den ersten 35. Minuten es nicht geschafft das Tor zu machen aus den paar Räumen und Chancen, so mussten wir lange durchhalten und uns was anderes einfallen lassen, was am Ende ja gelang. Auch der Offensive für Defensiv erste Doppelwechsel war richtig stark. All das macht uns in Summe aktuell eben zur Spitzenmannschaft. Hinten die null zu halten würde ich der Mannschaft mal wieder sehr wünschen/gönnen.
Kannst du mir mal den Wechsel Dapo-Saad erklären? Dass zu bringen war richtig, aber meiner Meinung nach war Dapo ein Lichtblick, während Metcalfe nix zustande brachte. Warum also nicht Saad für Metcalfe?
Zollers Tor sehe ich genauso. Wo soll da ein Foul von Saad gg. einen Feldspieler vorliegen? Lächerlich.
Sinani fand ich überraschend und erfrischend stark.
Das Team wirkt weiter extrem überzeugt von sich, sehr stabil und unsere starke Bank ist ein echter Gamechanger.
Wieder top analysiert. Ich freu mich immer riesig, das Spiel noch mal in Textform zu erleben, da ich auf der Nord nur bedingt Sicht auf taktische Formationen und Aufstellungen habe. Und ganz wichtig: Nur Pfeifen pfeifen!
Komm in meine Arme, schön, dass sich daran neuneinhalb Jahre später noch jemand erinnert! http://www.ipernity.com/doc/kiezkicker/31505313
Danke, Robert.
Nach dem Wechsel wollte ich auch gerade fragen.
Mich würde Tims Meinung bzw. Einschätzung dazu auch interessieren.
Ich denke, die Antwort steht im Hinweis auf die PK vor dem Spiel – Präferenz inverted winger. 😉
Im übrigen fand ich Metcalfe durchaus nicht so negativ, wie es aus deinen Zeilen klingt, Robert. Alleine die beiden Kopfballsituationen in Hälfte 1 waren deutlich gefährlicher als die Schussversuche von Afolayan. Insofern kann ich den Wechsel schon nachvollziehen und alleine die Flanke auf Eggestein gibt ihm ja auch Recht. Und ob nicht die Option der Systemumstellung schon eine Rolle spielte, weiß ja auch niemand
Tim, wie schätzt Du das ein: Wieso ist der KSC der erste Verein in dieser Saison, der es schafft bei der Laufleistung mit unseren Boys in Brown mitzuhalten? Trainieren andere Vereine nicht so sehr auf eine solche Laufleistung?
Ich frage mich, ob die nächsten Gegner die Physis haben, um ein ähnliches System wie der KSC auf den Platz zu bringen oder gar nicht in der Lage sind, das zu kopieren.
A possible answer could be that the defensive system the KSC chose is very demanding in terms of running : playing a high defensive line and packing the center of the pitch implies that everyone has to run up and sown the field and left to right in avery defensive action. Paderborn chose another option : a low defensive line, which is less demanding in terms of running against the ball. That is also an explanation why the KSC got tired towards the end of the match.
Das mag ja sein, dass Karol, Hauke und Eric ruhig geblieben sind, aber ich war wegen der bescheuerten Pfiffe kurz davor mir eine Hand voll Beta-Blocker in den Organismus zu jagen.
Klar, ein Fußballstadion ist dafür da, dass man mal emotional ausflippen kann und man kann auch mal anpisst sein. Aber die eigene Mannschaft auszupfeifen ist einfach das allerletzte. Vor allem, wenn diese Mannschaft seit 22 Spielen ungeschlagen ist und vom ersten Tabellenplatz winkt.
Sind wir auf Schalke oder was?
Sorry, aber da bekomm ich echt Puls.
Boah Mario, Du sprichst mir so aus der Seele.
Ich habe immer noch Föhn…
Danke für die interessante Analyse mal würde. Was mich interessiert ist, in wie weit die taktischen Umstellungen evtl. auch Risiken mit sich bringen. Bei deinen Analysen klingt es oft so, als sei es das Ziel in vorderster Reihe Überzahl herzustellen (so sie nach den Wechseln). Aber: es werden die Räume hinten dann ja offen, oder? Hätte Karlsruhe da nicht auch vorne in Überzahl kontern können? Warum waren die Nachteile der Umstellung nicht so sichtbar wie die Vorteile?
I would say it definitely is a risk, and one you’re willing to take if you’re a a goal down. Actually, Paderborn managed to exploit these vulnerabilities, but Karlsruhe had three issues to implement a succesful counterattacking parade : The tiredness after having run so much for the whole game, the lack of players on the bench, and possibly, the lack of personnel that has the characteristics required like Sirlord Conteh’s pace.
Schön das unser Coach auch das Thema systemisch angeht (siehe: https://www.kicker.de/H-rzeler-und-der-Kampf-gegen-die-Pfiffe-Kann-nicht-5000-Leute-zu-einer-Fortbildung-einladen–976288/artikel)
Ich hab hinter mir nicht nur Pfiffe sondern auch persöhnliche Anfeindungen an unsere #5 und laut nach hinten gemeckert ob der Junge nicht lieber woanders ein Problem finden möchte.
Den Erfolg und die Spielweise gibt es nur im Paket, ich hab keinen Bock auf 10 hohe Bälle nach vorne…
man spielt selbst immer so gut, wie der gegner es zuläßt. der gegner gestern hat es lange gut gemacht und uns nicht wirklich ins spiel kommen lassen. dies hat natürlich enorm körner gekostet und sie konnten auch nich mehr wirklich von der bank nachlegen. der ksc is neben uns die laufstärkste mannschaft der liga. heißt für mich im umkehrschluß: andere werden das nich so lange hinbekommen, weshalb sich die kommenden gegner auch nich darauf verlassen können, so zu agieren, wie es karlsruhe tat.
ich sehe in dieser spielweise, mal abgesehen, daß das anrennen auf so kompakte abwehrreihen nich sehr ansehnlich is und bleibt, dann doch auch einen vorteil für uns: wir sind gezwungen, lösungen dafür zu finden. und das werden wir auch, da bin ich mir sicher. soviel dann zu: unser system wäre entschlüsselt…
zum ende zu wurde unser druck wirklich übergroß. auch weil karlsruhe nix mehr zuzusetzen hatte. die torschußstatistik spricht mal wieder für sich selbst…
was das pfeifen gegen unsre jungs in braun betrifft, so ist hier, denke ich, alles geschrieben, was es dazu zu schreiben gibt…
zuguterletzt: auch ich hoffe, daß tim das angebot des gästetrainers nicht annimmt und seine expertise weiterhin exclusiv für den fc st pauli abgibt… ein tolles kompliment des gästetrainers. absolut zu recht.
wir sind und bleiben tabellenführer, weil wir zur zeit die beste mannschaft der liga haben, punkt!
Danke Tim für diesen unterhaltsamen und lehrreichen Analyse.
PK war auch wieder Top.
Eichner, mit einen klasse Kompliment an deine Expertise.