Warnung und Motivation

Warnung und Motivation

Satte 26 Punkten nach zwölf Spieltagen – diese Ausbeute hatte der FC St. Pauli auch vor zwei Jahren. Was spricht heute mehr als damals für einen Aufstieg des FCSP?
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Ein Kommentar von Tim

Etwas mehr als ein Drittel der Zweitliga-Saison 23/24 ist rum. Zwar sind Entscheidungen noch nie im ersten Drittel der Saison gefallen, aber die Leistungen aus dieser Saisonphase reichen, um zumindest abschätzen zu können, in welche Richtung es für Teams in einer Saison geht. Und beim FC St. Pauli ist diese Richtung klar wie selten: Es geht um nicht weniger als den Aufstieg in die Bundesliga!

26 Punkte nach 12 Spielen? Aufstiegsreif!

Um zu verdeutlichen, wie stark die Richtung bereits vorgegeben ist, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Der FCSP hat nach zwölf Spielen 26 Punkte auf dem Konto. So viele oder mehr Punkte hatten seit der Saison 11/12 (also seit der FCSP ununterbrochen in der 2. Liga spielt) folgende Teams:

  • SV Darmstadt 98, Saison 22/23 -> am Ende aufgestiegen
  • Fortuna Düsseldorf, Saison 17/18 -> am Ende aufgestiegen
  • Eintracht Braunschweig, Saison 16/17 -> in der Aufstiegsrelegation gescheitert
  • FC Ingolstadt, Saison 14/15 -> am Ende aufgestiegen
  • Eintracht Braunschweig, Saison 12/13 -> am Ende aufgestiegen
  • SpVgg Fürth, Eintracht Frankfurt, Fortuna Düsseldorf, Saison 11/12 -> am Ende alle aufgestiegen

All diese Zweitiligsten, die nach zwölf Spieltagen 26 oder mehr Punkte gesammelt hatten, sind also mindestens in die Relegation gekommen. In sieben von acht Fällen sind die Teams am Ende sogar aufgestiegen. Halt! Moment! Ein Team fehlt in der Liste: Der FC St. Pauli der Saison 21/22 – der trotz dieses Saisonstarts am Ende nur auf dem fünften Platz einlief.

Erinnerungen an 2021

Wir erinnern uns schmerzhaft: Am 12. Spieltag 21/22 endete durch ein für Werder schmeichelhaftes 1:1 in Bremen die zuvor fünf Spiele andauernde Siegesserie in der Liga, durch die der FC St. Pauli an die Tabellenspitze gesprungen war. Kurz vor diesem Spiel hatte das Team das Pokalspiel in Dresden nach Verlängerung gewonnen. Das 13. Ligaspiel war dann jenes vom 14. Spieltag (weil der SV Sandhausen am geplanten Termin nicht antreten konnte): Es folgte eine krachende 0:4-Niederlage gegen Darmstadt – und damit wurde der Anfang vom Ende eingeleitet. Man konnte sich das damals nicht vorstellen, dass es möglich ist, weil alle so stark spielten. Aber das war es. Werder und Schalke drehten nach schwachem Saisonstart in der Rückrunde auf, ebenso der HSV und Darmstadt, sodass man sich beim FCSP am Saisonende eingestehen musste, dass man nicht gut genug gewesen ist, auf vielen Ebenen.

Es gibt unzählige Ähnlichkeiten zwischen dem Jahr 2021 und 2023. Damals wie heute gab es zwei Absteiger, denen der direkte Wiederaufstieg zugetraut wurde und wird und die schwach in die Saison starteten. Damals wie heute hörte man sehr positive Signale rund um die Vertragsverlängerung mit dem Cheftrainer. Damals wie heute begeisterte der FCSP die Liga mit einer neuen Spielidee, agierte erfolgreich mit einer Mittelfeldraute. Damals wie heute startete der Lauf des FC St. Pauli bereits in der Rückrunde der Vorsaison. 75 Punkte holte das Team in den 40 Zweitligapartien des Jahres 2021 (Punkteschnitt 1,9). In diesem Jahr hat der FCSP bisher noch einen draufgelegt: In 29 Partien wurden bereits 67 Zähler geholt, der Punkteschnitt ist also deutlich höher, liegt bei 2,3 pro Spiel. Die bessere Ausbeute ist ein Hinweis darauf, dass doch ein paar Dinge heute anders sind, als vor zwei Jahren.

Defense wins titles!

Denn im Spätherbst 2021 setzte so etwas wie eine Rautendämmerung ein, die sich zusammen mit einer gewissen Zufriedenheit über das Erreichte (= Herbstmeisterschaft) breitmachte, wie ein Jahr nach dieser Entwicklung mehrfach aus dem Verein zu hören war. Auf dem Platz entdeckten die gegnerischen Teams die Fünferkette als erfolgreiches Stilmittel im Spiel gegen den FC St. Pauli. Bis Saisonende sollte der FCSP aus spieltaktischer Sicht damit immer wieder große Probleme haben. Auch 2023 präsentierten Gegner bereits Ideen, wie sie dem dominanten Spiel des FCSP beikommen können. Doch sämtliche Versuche sind bisher ins Leere gelaufen (teilweise im wahrsten Sinne des Wortes). Weil das Team von Fabian Hürzeler sehr viel flexibler ist, stets mehrere Ideen hat, wie man die gegnerische Abwehrreihe in Verlegenheit bringen kann.

Es gibt noch einen weiteren deutlichen Unterschied zwischen den Jahren 2021 und 2023: Der FC St. Pauli ist aktuell defensiv deutlich stabiler. 55 Gegentore gab es in den 40 Zweitligapartien 2021, aktuell sind es 23 nach 29 Spielen. Das Sprichwort „Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Meisterschaften“ ist bekanntlich nicht aus der Luft gegriffen. Nur einmal seit 11/12 landete die beste Defensive der Saison nicht auf einem der ersten drei Tabellenplätze am Saisonende.

Hamburg, Deutschland, 05.08.2023, Fussball, 2. Bundesliga - Fabian Hürzeler und Peter Nemeth, das Trainerteam des FC St. Pauli - Copyright: Stefan Groenveld
Fabian Hürzeler und Peter Nemeth sind seit Anfang 2023, zusammen mit Marco Knoop, ein äußerst erfolgreiches Trainerteam.
(c) Stefan Groenveld

Kader mit Tiefgang

So richtig problematisch wurde es für den FC St. Pauli in der Saison 21/22, als wichtige Spieler ihr Leistungsniveau nicht halten konnten. Daniel-Kofi Kyereh reiste Anfang 2022 zum Africa-Cup, fehlte einige Spiele und kam verletzt zurück. Guido Burgstaller steckte im Formtief und Eric Smith fehlte in der Sieglosserie zwischen Spieltag 28 und 33 aufgrund einer Wadenverletzung. Diese Ausfälle konnte der FC St. Pauli nicht ersetzen, dem Kader fehlte es an Tiefe. Die ersten Ausfälle in dieser Saison wie von Jackson Irvine oder Eric Smith, führten zu vielen tollen Geschichten, die Spieler aus der zweiten Elf schrieben und aktuell schreiben, wenn sie in die Startelf auftauch(t)en. Es zeigt, dass der Kader mehr Tiefe hat als in der Saison 21/22.

Alles, die bisher erkennbaren Anpassungen des FC St. Pauli auf die Reaktionen anderer Teams, der tiefere Kader, sowie die starke Defensive, machen Mut für die kommenden beiden Drittel der Saison. Die Erlebnisse aus dem Jahr 2022 sollten aber eine Warnung sein, wie schnell sich eine solche Situation verändern kann. Spieler wie Irvine, Hartel, Smith und Vasilj – allesamt Führungsspieler im aktuellen Kader – haben den Einbruch damals hautnah miterlebt. Auch Fabian Hürzeler hat das. Für sie dürfte diese Erinnerung nicht nur eine Warnung, sondern auch Motivation sein, es dieses Mal besser zu machen.

Unzufriedenheit als Stärke – Immer weiter vor!

Von Selbstzufriedenheit aufgrund der aktuellen Tabellenführung oder des bisher überzeugenden Jahres 2023, ist absolut keine Spur in und um den Kader herum. Man hat das Gefühl, dass die beim FCSP für den Sport verantwortlichen Personen genau darauf ein besonderes Augenmerk gelegt haben. Immer wieder wird betont, dass man noch nichts erreicht habe, dass man eine ganze Saison ein konstant hohes Niveau haben müsse. Immer wieder werden Potenziale genannt, Bereiche, in denen man sich noch verbessern könne. Immer wieder wird versucht, kleinste Anzeichen von Nachlässigkeiten, von aufkommender Zufriedenheit, von Gefühlen, dass man auch nur einen Deut weniger investieren könne, im Keim zu ersticken. Damit sich Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen.

Nein, es wird nicht alles so geschmeidig weiterlaufen, wie bisher in der Saison für den FC St. Pauli. Wenn zum Beispiel im Winter drei wichtige Spieler aufgrund von Asia- und Africa-Cup fehlen oder der Kader weitere schwere Verletzungen hinnehmen muss. Wenn Spieler ihre Form nicht halten können oder aber doch mal eine größere Umstellung der eigenen Spielidee notwendig ist. Trotzdem sind die Vorzeichen andere als in der Saison 21/22. Der FC St. Pauli ist stabiler geworden – auch weil er aus dem verpassten Aufstieg gelernt zu haben scheint.

// Tim

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12 thoughts on “Warnung und Motivation

  1. Vielen Dank Tim, dass du all die Argumente, die wir uns auch in meiner Bezugsgruppe seit Tagen und Wochen immer und immer wieder mit nur einem möglichen Ergebnis zuschieben: 2023 ist nicht 2021.

    Mit Blick auf die Konkurrenz habe ich noch ein weiteres:

    Die großen Aufstiegsfavoriten hießen damals Schalke, Werder und HSV. Es wurde 2021 erwartet, dass diese Vereine irgendwann ihren schlechten Start drehen.

    Schalke war 21 am 12 Spieltag auf Platz drei (-4 Punkte), der HSV auf 7 (-7 Punkte) und Werder auf 10 (-10 Punkte).

    Aktuell ist der HSV auf Platz 2 (-2 Punkte), Hertha auf Platz 12 (-10 Punkte) und Schalke auf Platz 15 (-13 Punkte).

    Das heißt, insbesondere Schalke hat eine deutlich schlechtere Ausgangsposition als Werder damals. Bei Werder spukte noch kein Abstiegsgespenst durch die Reihen.

    Nicht unwahrscheinlich, das Hertha uns in der Rückrunde nochmal ärgern wird, Aber dennoch ist auch die Konkurrenz dieses Jahr schwächer als 2021.

    Und am Ende des Tages kennt der Hype-Train ohnehin nur eine Richtung:

    Immer weiter vor!

    Choo-Choo!!

  2. Und Verträge haben uns damals die Rückrunde gekostet

    Da gilt es Anreize für die Spieler zu schaffen und Klarheit.

    Und Verlängern von den Schlüssel Spielern und Trainer

    1. Das ist ein Punkt, der mir auch beim Artikel oben gefehlt hat – mögliche Unruhe im Frühjahr durch unklare Vertragssituationen. Hoffentlich hat die sportliche Führung da aus den Fehlern der Saison 21/22 gelernt …

      Ansonsten gilt: Vielen Dank Tim für die vielen tollen Artikel!

      Und volle Kraft voraus für den Hype-Train! Choo-choo!

      1. Sollte hier wirklich nur die „sportliche Führung“ gefordert/gemeint sein, ist mir das zu einseitig.

        Gerade bei auslaufenden Verträgen sind es die Spieler und deren Berater, die am längeren Hebel sitzen.
        Den eigenen Anteil am Erfolg und Misserfolg eines Teams – also den eigenen Stellenwert – zu erkennen ist sehr sehr schwierig.

        Ja, es gibt Äußerungen von Spielern, dass sie den Ablauf nicht toll fanden. Wer schon länger im Berufsleben steht, wird die Situation kennen. Nicht alle Seiten bewerten Verhandlungen gleich. Gerade, wenn am Ende kein neuer (lukrativer) Vertrag unterschrieben wird.

      2. Wenn wir damals blindlings verlängert hätten, wären wir mit einem nicht Bundesliga fähigen Kader wohlmöglich aufgestiegen…und danach in die dritte Liga durchgereicht worden….

  3. Hoffentlich hast Du Recht!

    Denn:
    Ungerade Kalenderjahre = top!
    Gerade Kalenderjahre = Horror!

    Aber die Verantwortlichen wissen ja, dass die 24 eine gerade Zahl ist und können da jetzt schon gegensteuern. 🙂

  4. Apropos „Wer nach soundsoviel Spieltagen…“ Gehen wir mal ins (gerade!) Jahr 2022 zurück.

    Da waren wir noch am 27. (!!!) Spieltag Tabellenführer, mit 51 Punkten.

    Damit NICHT aufzusteigen, das hat in den vergangenen 20 Jahren nur Energie Cottbus geschafft, 2004. Und die hatten am 27. Spieltag lediglich 47 Punkte. Alle anderen sind direkt aufgestiegen, die allermeisten als Erstplatzierter.

    Und wir haben’s trotzdem vergeigt. Nur so als Warnung!

  5. Vielen Dank Tim für diese Analyse.
    Leider bin ich da doch irgendwie der Kindergeburtstag im Ruhebereich des Hypetrains…
    Ja, die Lage sieht (etwas) besser als 21/22 aus. ABER so ganz freuen kann ich mich noch nicht. Denn irgendwie spielt unsere 1. Herren ja immer gute/schlechte Kalenderjahre. Eine Herbstmeisterschaft bedeutet nicht auch dass man am Ende die Felge holt…
    Ich hoffe dass unsere Mannschaft mich da diesmal eines Besseren belehrt.

    Der zweite Punkt haben meine Vorgänger hier auch schon geschreben: 21/22 hat die Vertragssituation und der Umgang der Führungsetage mit den Spielern für zusätzliche Unruhe gesorgt. Ich hoffe wirklich dass nicht nur die Mannschaft aus (spielerischen) Fehlern gelernt hat, sonder durch die ganze Abteilung Profifußball ein Aha! gegangen ist und Fehler nicht wiederholt werden.

    Ich werde aber spätestens Ende Februar, bei entsprechender Tabellensituation vom Ruhebereich in den Partywagen wechseln!!!

    Forza
    Pete

  6. Viele gute Argumente, warum es dieses Jahr klappt… ich würde gerne noch zwei weitere dazu fügen: Erstens hatten wir unsere Mini-Krise samt Spielplananpassung schon (die ersten Spieltage mit Wandstürmer und den vielen enttäuschenden Unentschieden). Brauchen wir also nicht noch einmal in dieser Saison 😉 Zweitens: Nimmt man einmal den Zeitraum seit TS‘ Amtsantritt, dann gibt es in der Liga außer unserem Nachbarn (und vielleicht noch Heidenheim, bin mir gerade nicht ganz sicher) niemanden, der so viele Punkte geholt hat wie unsere Mannschaft. Das war an sich durchaus schon aufstiegsreif, auch wenn das eine oder andere Dickschiff vor zwei Jahren dazwischengefunkt hat. Zweitens: Nach wie vor gilt, dass kein Team in den deutschen Profiligen so viele Punkte gesammelt hat wie wir seit Hürzeler übernommen hat: Nicht Bayern, nicht der BVB, nicht Leverkusen. Zusammen spricht vieles dafür, dass a) die Qualität im Kader seit längerem grundsätzlich ligaspitze ist und b) entweder Hürzeler taktisch noch das Sahnehäubchen draufgesetzt hat oder der Kader noch besser geworden ist (oder beides, wohin ich tendiere).
    Klar, den Aufstieg zu stemmen ist immer ein harter Brocken und so lange man nicht durch ist, ist man nicht durch. Aber diese Saison (nicht Jahr!) spricht wirklich seeehhhhrrr viel dafür, dass wir es schaffen!

  7. Und egal, ob man sich sehr sicher ist oder sehr stark zweifelt, ob jetzt schon Druck und Versagensängste oder zu viel Euphorie aufkommen – am besten weiterhin von Spiel zu Spiel denken. Damit sind wir in der Rückrunde unter Hürzeler und auch jetzt sehr gut gefahren ….

  8. There is another difference with two years ago. The sporting director and the president do not actively undermine the coach’s work. Let’s hope it stays that way.

  9. ich habe einen traum: wir holen den oder die letzten fehlenden punkt/e zum aufstieg am 32. spieltag, bei einem auswärtsspiel. aber wir feiern den direkten aufstieg in hamburg… das wär das größte!
    und ich bin sehr guter dinge, daß dieser traum wirklichkeit werden könnte. was mich so optimistisch sein läßt? ganz einfach der gesamteindruck, den die mannschaft auf mich macht. und zwar nich nur die elf auf dem feld, sondern alle. ich weiß nich, ob der vergleich zu 2021 zieht. unser spiel hat sich zu damals weiterentwickelt, is qualitativ hochwertiger geworden, reifer, wie viele medien nicht müde werden zu erklären. 2021 haben wir auf dem niveau gespielt, was damals möglich war. ich weiß nich, ob wir in dieser saison schon unseren höhepunkt erreicht haben. ich bin der festen meinung, nein. wäre ja auch gar nich gut.
    und was die jahre betrifft, ungerade schlecht und gerade jahre gut oder umgekehrt, so sind doch „serien“ dazu da, gebrochen zu werden. und wir sind jetzt dran.
    ich hab mal bissel in der hisotrie geblättert: wir hatten 2021 zwar 75 punkte, aber in 40 spielen. ansonsten waren 67 punkte bis 2013 zurück das meiste. der 1.fc köln, wohlgemerkt nach 34 spielen. da ich davon ausgehe, daß wir bis zum 17. spieltag noch den einen und anderen punkt holen werden, haben wir ein unglaubliches jahr gespielt. es spricht bisher nichts gegen eine erfolgreich fortsetzung bis zum ende diesen jahres und in der rückrunde.

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