Auch gegen Osnabrück kann der FC St. Pauli das Spiel weder frühzeitig entscheiden, noch die Null halten. Luxusprobleme beschäftigen den FCSP.
(Titelbild: Peter Boehmer)
Die positiven Fakten vorweg: Der FC St. Pauli überwintert auf jeden Fall auf einem direkten Aufstiegsplatz und kann am kommenden Sonntag gegen Wiesbaden den Herbstmeistertitel holen. Bereits einen Spieltag vor Ende des Kalenderjahres ist es also Zeit für Glückwünsche. Wer hätte Anfang des Jahres gedacht, dass der FCSP diese Entwicklung nehmen würde, mit bisher überhaupt erst zwei Niederlagen in Pflichtspielen?
Aufstiegsplatz unterm Weihnachtsbaum
Aber noch ist das Kalenderjahr nicht vorbei. Und alle tun gut daran, dass die Sinne geschärft bleiben. Einmal mehr genügt dafür der Blick in die Saison 21/22: Mit einem 2:1-Erfolg im Heimspiel gegen Schalke am 16. Spieltag holte der FCSP die Herbstmeisterschaft. Danach gab es noch zwei Spiele: Zum Hinrundenabschluss gab es ein 1:1 bei Fortuna Düsseldorf und zum Auftakt der Rückrunde verlor man deutlich bei Holstein Kiel, die dabei die defensiven Probleme der FCSP-Mittelfeldraute offenlegen konnten. Mit diesen Dämpfern ging es in die Winterpause. Der Rest der Rückrunde ist leider bekannt.
Zum Feiern ob der guten Ausgangslage über den Jahreswechsel war den Spielern des FC St. Pauli nach dem Unentschieden gegen den VfL Osnabrück aber natürlich nicht zumute. Dabei bleibt das Team weiterhin ungeschlagen, vergrößerte sogar den Abstand zu einigen Konkurrenten um einen Punkt. Trotzdem war das Spiel und besonders der Spielverlauf nicht so erfreulich. Jackson Irvine fand nach Abpfiff deutliche Worte: „Der VfL war im zweiten Durchgang das bessere Team, da haben wir die Bälle nicht gut festgemacht, waren nicht konsequent im letzten Drittel.“
Achtes Unentschieden drückt die Stimmung
Wie es soweit kommen konnte, wie ein in den ersten 30 Minuten sehr gutes Spiel des FCSP so einen Richtungswechsel vornehmen konnte, da war man sich nicht ganz einig innerhalb des Teams. Irvine bemängelte vor allem das eigene Zweikampfverhalten: „Die Osnabrücker sind mit einer anderen Art und Weise aus der Kabine gekommen und haben mehr Zweikämpfe gewinnen können.“ Davon ist aber in den Statistiken nichts zu sehen. Hauke Wahl empfand die schnellen eigenen Ballverluste als problematisch („Wir haben die Bälle erobert und anschließend zu leicht wieder hergegeben, (…)“). Das passt schon eher mit den Zahlen zusammen. 26 Ballverluste hatte der FC St. Pauli im eigenen und im mittleren Drittel im ersten Abschnitt gegen Osnabrück. In der zweiten Halbzeit waren es 44.
Einen Grund dafür nannte Marcel Hartel. Er erklärte, dass Osnabrück im zweiten Abschnitt „mutig gepresst“ habe, wovon man sich wohl beeindrucken ließ, denn man habe „auf dem schwierigen Platz keine guten spielerischen Lösungen gefunden“. Von schwierigen Platzverhältnissen sprach auch Johannes Eggestein („Wir wussten, dass es auf dem Platz auch nicht ganz so einfach wird.“). Einig waren sich alle Spieler aber darin, dass es genügend eigene Chancen gab, um die Partie für sich zu entscheiden. Womit wir beim Thema Effizienz angekommen wären.
(Die Spielerstimmen habe ich von der Vereinshomepage entnommen.)
Spiel erneut nicht zugemacht
Die Aussage „Leider haben wir es verpasst nachzulegen. Wir hatten gute Möglichkeit dafür,“ die Marcel Hartel nach dem Osnabrück-Spiel tätigte, wurde so oder so ähnlich auch in den Spielen zuvor getätigt. Nimmt man noch das 0:0 gegen Hannover hinzu, dann hat der FC St. Pauli nur einen Sieg aus den letzten vier Ligaspielen geholt. Klar, keines der Spiele wurde verloren. Aber die hohe Anzahl an Unentschieden nervt. Vor allem, wenn man eigentlich die meisten dieser Spiele hätte gewinnen können. Chancen für weitere Treffer gab es in allen vier Spielen genug. Sechs Tore aus den letzten vier Ligaspielen reichen natürlich nicht, um dem FCSP fehlende offensive Durchschlagskraft vorzuwerfen. Allerdings traf man auch nur gegen Rostock aus dem Spiel heraus, bei den anderen Treffern mussten Standards oder der Gegner helfen. Arbeit ist in diesem Bereich also genug vorhanden.
Einen Sieg und drei Unentschieden holte der FC St. Pauli auch zum Start in die Saison. Ein Mangel an Effizienz war auch damals das größte Problem. Im Vergleich dazu haben sich die Themen nicht ganz, aber doch ein wenig verschoben. Denn während der FCSP in den ersten vier Spielen der Saison nur zwei Treffer erzielte und noch einen weniger fing, traf man nun sechsmal in vier Spielen, fing sich aber auch fünf Gegentreffer. Nach dem Osnabrück-Spiel ärgerte es zwar auch Fabian Hürzeler, dass man es verpasst habe, mit dem zweiten Treffer für die frühzeitige Entscheidung zu sorgen. Aber er sagte eben auch klar und deutlich: „Wir haben es zum wiederholten Male nicht geschafft, zu Null zu spielen. Daran müssen wir arbeiten.“
Die Null steht seltener
Der Blick in die Zahlen zeigt, dass andere Trainer über die Aussage von Fabian Hürzeler eigentlich nur schmunzeln können. Der FC St. Pauli stellt auch weiterhin die beste Abwehr der Liga, gemessen an der Gegentor-Anzahl. Gemessen an den xG-Werten wurden sie inzwischen von der SpVgg Greuther Fürth überholt. Die haben sich in den letzten sechs Ligaspielen nur ein einziges Gegentor gefangen. Beim FCSP ist die Situation anders: In den letzten 14 Pflichtspielen konnte das Team nur zweimal ohne Gegentreffer bleiben. Die Defensive, das Spiel gegen den Ball, das von Hürzeler oft als „Basis“ des eigenen Spiels bezeichnet wird, ist aktuell nicht so zuverlässig, wie zu Saisonbeginn.
Aber ganz so einfach ist das alles nun auch wieder nicht. Hauke Wahl stellte am späten Samstagabend fest: „Wir haben Osnabrück wenig Chancen gegeben. Sie hatten zwei richtige – eine hält Niko überragend, die andere war drin.“ Das ist eine wichtige Feststellung. Denn zwar hat der FC St. Pauli in den letzten 14 Spielen nur zweimal die Null halten können. Aber oft hielt man die gegnerische Offensive ziemlich gut in Schach. Neun der 14 Gegner aus dieser Zeit haben entweder nie oder nur einmal in der Saison weniger Torschüsse abgegeben als im Spiel gegen den FC St. Pauli. Ein Ausdruck dessen, dass der FCSP auch in diesen Spielen defensiv eine mindestens ordentliche Leistung zeigte.
Defensiv stabil – abgesehen von Blackouts
Alles gut also? Nein, ist es nicht, auch wenn es natürlich alles andere als schlecht ist. Zwar zeigte der FC St. Pauli zuletzt auch weiterhin sehr stabile Defensivleistungen. Allerdings waren diese durchsetzt von Phasen, in denen genau das nicht der Fall war. Gegen Rostock ließ man zu Spielbeginn viel durch Standards zu und am Ende wurde es defensiv vogelwild, fast wie ein Blackout. Gegen den HSV hatte man auch einen kurzen Blackout, als man sich innerhalb kürzester Zeit zwei Gegentreffer fing, die beide alles andere als unverhinderbar waren (Hürzeler: „Wir haben es individuell schlecht verteidigt.“). Auch gegen Osnabrück hatte der FCSP diese Art von Blackout, als man erst eine fette Chance von Cuisance zuließ und sich kurz danach das 1:1 fing. So ist zuletzt der Eindruck entstanden, dass der FC St. Pauli zwar weiterhin die beste Defensive der Liga stellt, aber in kurzen Momenten deutlich nachlässt.
An Baustellen mangelt es dem FC St. Pauli also nicht, obwohl man weiterhin an der Tabellenspitze steht. Die Effizienz in der Offensive und die dauerhafte defensive Präsenz sind genau die Themen, die den FCSP nun begleiten werden. Und das ist eigentlich ganz gut so, weil man sich so seiner Sache nie zu sicher sein kann. Am 16. Spieltag der Saison 21/22 hatte man bereits sieben Punkte Vorsprung auf Tabellenplatz drei. Eine gefährliche Ausgangslage, weil sie eben auch zum Nachlassen einlädt. Das ist jetzt anders. So ärgerlich acht Unentschieden auch sind: Die Unzufriedeneit darüber, der stete Druck weiterzuarbeiten, sich nicht auf Erreichtem auszuruhen zu können, wird als Antriebsfeder mit in die Winterpause genommen werden. Egal, ob nun noch der Herbstmeistertitel oder „nur“ ein Aufstiegsplatz unterm Weihnachtsbaum liegt.
// Tim
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Vorallem die Abhängigkeit unseres Spiels gegenüber den Platzverhältnissen macht mir Sorgen. Unser Spiel ist extrem auf Präzision und Schnelligkeit in engen Passsituationen ausgelegt. Jetzt kommt naturgemäß die Jahreszeit, in der die Plätze nicht immer 100% hergeben. Auch hier muss dann ein Plan her, wie man den Ball bespielen möchte.
Moin Tim,
schön, dass Du das „Klagen auf hohem Niveau“ positiv beginnst und ebenso abschließt. Ich möchte dem noch einen positiven Gedanken hinzufügen.
Bei der Unentschieden-Serie zu Saisonbeginn waren die Knackpunkte bekannt und wurden durch konsequentes Arbeiten daran auch „geknackt“.
Die „Niemals Aufgeben – Niemals Kapitulieren“-Attitüde, die im Kollektiv aus meiner Sicht in allen Partien an den Tag gelegt wurde, imponiert mir ungebrochen.
Deshalb hab ich vollstes Vertrauen und jede Menge Zuversicht, dass Fabi und das ganze Team auch für die aktuell ausschlaggebenden Punkte Lösungen finden werden, um den Trend erneut in die andere Richtung zu wenden.
Forza und YNWA!
P.S.: Ich gestehe, ich habe kürzlich mal wieder „Galaxy Quest“ gesehen. 😁
Ich frage mich, welche Situationen als „Zweikampf“ in die Statistik einfließen. Aus meiner Sicht war ein großes Problem für uns in der zweiten Hälfte, dass die Osnabrücker immer den einen Moment früher an den zweiten Bällen waren als wir. Es gab unzählige Situationen, in denen ich dachte: „In der ersten Hälfte oder in allen anderen Spielen dieser Saison hätten wir diesen Ball bekommen“. Vielleicht ist es mittlerweile tatsächlich die Müdigkeit. Das Team läuft immer noch viel, sind, aber im Kopf irgendwann einen Tick zu langsam geworden.
Das ist sicherlich alles klagen auf hohem Niveau, wenn man sich die letzten zehn Jahre ansieht und eigentlich dürfte man nicht wirklich meckern. Dass das Team noch ungeschlagen ist, ist leider aufgrund der vielen Unentschieden nicht zu überwerten. Kiel hat vier Niederlagen und zwei Unentschieden und genauso viele Punkte. Wenn wir die Hälfte der Unentschieden verloren und die andere Hälfte gewonnen hätten, würden da jetzt vier Punkte mehr stehen. Selbst bei fünf Niederlagen und drei Siegen anstelle der Unentschieden hätten wir einen Punkt mehr. Am Ende stehen bei einer Niederlage und einem Sieg mehr Punkte auf dem Konto als bei zwei Unentschieden.
Ganz nebenbei mal: Das Team kann mit maximal 35 Punkte die Hinrunde beenden. Unter Schulle waren das 2021/22 36 Punkte 😉
Im Prinzip hast du natürlich recht aber es ist auch zu berücksichtigen, dass der Gegner bei einer Niederlage von uns 2 Punkte mehr hat als bei einem Unentschieden. Stell dir bspw vor wir hätten in Osnabrück gewonnen aber das Derby verloren…
Ich weiß, ich weiß. Das hier ist nicht der Adventskalender. Aber die Frage, wann 2021/22 die Raute geknackt wurde, würde ich nicht mit dem 18. Spieltag, sondern mit dem 14. Spieltag beantworten.
Damals schenkte uns Darmstadt ein 4:0 ein und der Millernton malte ein Bild mit braunen und blauen Punkten sowie sehr besorgniserregenden Pfeilen.
Auch der Text unter dieser Zeichnung deutete an, dass es ein systemisches Problem gab:
„ Dieses Defensivverhalten gegen das Aufbauspiel vom FC St. Pauli mit der starken Mannorientierung, wir werden uns daran gewöhnen müssen. Denn dies ist nun das dritte Spiel in Folge, bei dem der Gegner damit die vorher gut geölte Braun-Weiße Offensiv-Maschine arg ins Stottern brachte.“
Danach gab es noch einen 3:2-Auswärtssieg in Nürnberg und den besagten Sieg gegen Schalke.
An das Schalke-Spiel kann ich mich noch sehr gut erinnern. Noch besser kann ich mich an die Gespräche danach erinnern und der Feststellung, dass das alles andere als souverän von uns war.
Was ich damit sagen will? Die Situation von 2021/22 ist nicht vergleichbar mit unserer Situation jetzt.
Das System Hürzeler wurde nicht entschlüsselt, da es im Gegensatz zum System Schulle deutlich flexibler ist. So zumindest meine laienhafte Sicht der Dinge.
Und das spiegelte sich für mich auch in Osnabrück wieder.
Ich saß in meinem Sessel und schaute verhältnismäßig emotionslos dabei zu, wie der FC St. Pauli sein gewohntes Spiel der ultimativen Dominanz aufgezogen hat.
Als das 0:1 gefallen ist hatte ich sogar ein wenig Mitleid mit unserem Gegner.
In der zweiten Halbzeit war es dann dass Spiel, das Hürzeler befürchtet hatte. Er sprach vor dem Spiel von der Gefährlichkeit des angeschlagenen Boxers.
Osnabrück kam aus der Kabine und wusste, dass sie überhaupt nichts mehr zu verlieren hatten und dieser absolute Wille hat unsere Mannschaft komplett überrascht.
Hürzeler ist hervorragend darin Spiele zu analysieren und Spielweisen anzupassen. Ich glaube darum, dass es auch bis zum Ende der Saison nie ein Problem werden wird, dass andere Mannschaften uns „Entschlüsseln“ oder dass es ein Patentrezept gegen das System Hürzeler geben wird.
Ich glaube allerdings, dass es in der Rückrunde sehr auf den Kopf ankommt. Wir haben wieder etwas zu verlieren und jeder Gegner wird noch einen Tick mehr motiviert sein gegen diese überragende Mannschaft zu gewinnen.
Sorry, sollte ein Kommentar zum Beitrag werden, nicht zu Tommy.
Hab das mit dem Klicken heute wohl nicht so raus. 😉
Wenn ich die letzten Spiele sehe, denke ich schon, dass das „System Hürzeler“ geknackt wurde oder spätestens in der Rückrunde geknackt wird. Und ich gehe davon aus, dass andere Vereine noch mit Spielern nachlegen werden und wir eher nicht. Gesichert sehe ich da noch nichts. Am Ende sind wir nur Statisten die kommentieren … mal sehen wie’s ausgeht 🙂
Sind halt alles „Rechenbeispiele“. Nicht zu verlieren bringt leider am Ende auch nicht viel bzw. wenig, wenn man ständig unentschieden spielt. Bei 34 Unentschieden würde mit 34 Punkten eher der Abschied winken … da kann man sich nichts für kaufen, dass man nicht verloren hat.
sowohl in dieses fußballjahr, als auch in die aktuelle saison sind wir mit einem sieg gestartet. ein sieg zum abschluß würde also sowohl dieses fußballjahr, als auch die hinrunde der aktuellen saison rund machen. mal ganz abgesehen davon, daß man bei einem sieg natürlich mit einem sehr guten gefühl in die pause gehen kann. es gibt genug gründe, am sonntag nochmal alles raus zu lassen. aber vorsicht: auch markus kauczinski ist durchaus in der lage, uns weh tun zu können…