Viele Spieler des FC St. Pauli befinden sich diese Saison im Leistungshoch. Das liegt auch daran, dass sie selten verletzt sind.
(Titelbild: Peter Boehmer)
Es ist gar nicht so lange her, da gehörten Meldungen zu verletzungsbedingten Ausfällen von Spielern zum Alltag beim FC St. Pauli. Solche Nachrichten sorgten nicht selten für ein jähes Ende von Hochgefühlen. Jegliche Hochrechnungen, was man mit dem Kader erreichen könnte, endeten beim enttäuschten Lesen zu erwartender Ausfallzeiten.
Natürlich sind diese Zeiten nicht (ganz) vorbei. Aber die teils dramatischen Situationen, in denen sich ein FCSP-Trainer über bis zu 15 zeitgleiche Ausfälle beklagte, sie sind zumindest aktuell ziemlich weit entfernt. Und somit gibt es einen Leistungsträger beim FC St. Pauli, dessen Wert für das Team kaum hoch genug eingeschätzt werden kann: Das physiotherapeutische und medizinische Team rund um James Morgan.
Verfügbarkeit bei fast 90 Prozent
Zum FC St. Pauli kam Morgan im Sommer 2021. Zuvor hatte er beim 1. FC Nürnberg (2016-2021), dem FC Augsburg (2010-2016) und dem Karlsruher SC (2006-2010) ähnliche Positionen bekleidet. Im Rahmen seiner Verpflichtung war aus dem Verein zu hören, dass man namhafte Konkurrenz im Buhlen um die Dienste von Morgan ausgestochen hätte. Selbst ohne die Veränderungen und Entwicklungen unter der Leitung von Morgan zu kennen, so ist die aktuelle Situation ein klarer Anzeiger dafür, wie wichtig ein kompententes Team hinter dem Team ist. Andreas Bornemann erklärte nach Ende der Hinrunde nicht ohne Stolz: „Trotz der Langzeitausfälle bewegen wir uns in der Verfügbarkeit auf 90 Prozent zu. Dass die Spieler verfügbar und belastbar sind, ist ein ganz, ganz wichtiger Baustein in diesem Set-up. Denn Fabian (Hürzeler) trainiert gerne viel und intensiv. Das müssen die Spieler auch abkönnen.“
Der Vorteil einer hohen Verfügbarkeit, zeigt sich unter anderem an der Kadergröße. Denn als Jos Luhukay 15 zeitgleiche Spielerausfälle beklagte, war der Kader mit rund 35 Spielern enorm aufgebläht. Gäbe es beim FCSP in der jetzigen Situation zeitgleich eine solche Anzahl an Ausfällen, wäre ein Fußballspiel ohne Hilfe aus anderen Teams des Vereins kaum durchführbar. Eine hohe Verfügbarkeit – die einen hohen Konkurrenzdruck und ein hohes Trainingslevel bedingt – sorgt also auch dafür, dass sich die Kadergröße in einem anderen Rahmen bewegen kann. Die Vorteile in Bezug auf die Kosten eines Kaders werden auch schnell klar.
Während die Verletzungsmeldungen des FC St. Pauli zuletzt deutlich abgenommen haben, erfreut sich ein anderer Begriff größter Beliebtheit: Belastungssteuerung. So neu ist das natürlich nicht, aber die Wichtigkeit und der Nutzen der individuellen Trainingssteuerung wird immer deutlicher. Eric Smith ist da ein gutes Beispiel. Nachdem er zu Beginn seiner Zeit beim FCSP immer wieder Leistenprobleme hatte und deshalb auch längere Zeit aussetzen musste, wirkt es nun so, als habe das Team rund um James Morgan die richtige Mischung aus Be- und Entlastung für Smith gefunden. Er erklärte: „James kennt mich nun lange genug, um die richtigen Knöpfe zu drücken – gegebenenfalls auch den Stoppknopf, wenngleich ich das nicht mag.“ (Abendblatt, €)
Neuzugänge verletzungsunanfällig
Doch ganz sicher ist das Thema Verletzungsanfälligkeit und -prävention nicht nur eines, welches im Bereich der Physiotherapie im Fokus ist. Auch beim Thema Spielersuche dürfte dieser Punkt bereits von zentralem Interesse sein. Ein Blick auf einige Neuzugänge der letzten Zeit lässt jedenfalls keinen anderen Schluss zu:
Hauke Wahl spielte bei Holstein Kiel durch – jahrelang. In drei Saisons verpasste er insgesamt überhaupt nur 90 Minuten Spielzeit, aufgrund einer Gelbsperre. Die Ausfallakte von Karol Mets besteht nur aus einer Knieverletzung (Saison 17/18) – Sperren sind da definitiv ein größerer Faktor. Andreas Albers verpasste in vier Jahren Regensburg insgesamt nur zwei Spiele verletzungsbedingt. Die Kombination von Afolayan, Treu, Saad, Hartel, Metcalfe und Ritzka mit den Wörtern „Verletzung“ und „FC St. Pauli“ führt mehr oder weniger ins Nichts. Obwohl die Spieler teilweise schon Jahre beim FCSP sind. Sagt das mal Christopher Buchtmann und Philipp Ziereis!
Wir haben uns beim MillernTon schon einmal vor einiger Zeit mit Verletzungen befasst den und Verletzungsmeister der Liga gesucht. Zwar waren die Zahlen des FCSP seinerzeit (im November 2019) nicht alamierend, aber schon bedenklich hoch. Damals zeigte sich, dass es beim 1. FC Heidenheim auffällig wenige Verletzungen gibt. Und nun dürft ihr raten, welcher Club nach der Hinrunde 23/24 die mit Abstand wenigsten Ausfalltage hat. In der Bundesliga, wohlgemerkt. Da hat es das Team, jahrelang das intensivste und laufstärkste der 2. Bundesliga – nämlich hingeschafft. Eine geringe Ausfallzeit dürfte da einen signifikanten Teil zu beigetragen haben.
Wenige, dafür längere Ausfälle
Vergleicht man die Ausfallzeiten beim FC St. Pauli anno 2019 (durchschnittlich 2,2 verpasste Spiele pro Spieler) mit jenen der Hinrunde 23/24 (1,6 verpasste Spiele pro Spieler), dann ist der Unterschied auf den ersten Blick gar nicht mal so groß. Aber es gibt ihn: Zum einen klagte Luhukay eine Woche nach Veröffentlichung des Artikels (und fast ein halbes Dutzend Meldungen zu Verletzungen später) über 15 Ausfälle, die Zahl stieg also kurz nach der Erhebung rapide. Wichtiger ist die Art der Verletzungen. Waren es damals vor allem viele muskuläre Verletzungen, mit jeweils einigen Wochen Ausfallzeit, so sind es jetzt meist längere Ausfallzeiten von wenigen Spielern. Die Ausfälle des FCSP lassen sich bis auf wenige Ausnahmen auf jene von Etienne Amenyido, Maurides, Scott Banks und Simon Zoller reduzieren (blöderweise alles Offensivkräfte). Drei dieser vier Spieler kann man übrigens in die Rubrik „Neuling, dessen Belastungsparameter noch nicht so gut bekannt sind“ packen.
So sind die Nachrichten in Sachen Ausfallzeiten aktuell fast nur positive. Alle Spieler des Kaders sind mit ins Trainingslager gereist. Das ist schon wirklich bemerkenswert. Scott Banks absolviert dort seine Reha. Simon Zoller wird Stück für Stück an den Kader herangeführt, trainiert bereits wieder mit dem Ball. Alle anderen Spielern absolvierten die meisten Trainingseinheiten – es sei denn, sie pausierten aufgrund von Belastungssteuerung. Das sind die wichtigsten und besten Nachrichten, die ein Verein aus einem Trainingslager senden kann. Der FC St. Pauli hat also anscheinend nicht nur im Kader und auf der Trainerbank, sondern auch im Funktionsteam echte Leistungsträger.
// Tim
Mir ist natürlich völlig klar, dass es nun am heutigen Freitag einzig aufgrund dieses Artikels eine fürchterliche Verletzungswelle beim FCSP geben wird. Beschwerden dazu bitte an Doc.Holiday@Syndesmosebandanriss.de.
Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.
MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube
Sehr interessant, vielen Dank! 🙂
Na, dann ist der nächste Podcastgast ja bestimmt auch schon lange angefragt…? 😉
Danke – auf eine solche Analyse hab ich schon länger gehofft, irgendwie hatte ich in der Vergangenheit immer das Gefühl wird sind auf der Med Seite schlecht aufgestellt oder das der Trainer die Spieler „kaputt“ spielt/trainiert. Darüber mal längerfristige Statistiken zu haben ist echt interessant… wie gesagt: DANKE