Der FC St. Pauli verliert das Marathon-Testspiel gegen den VfL Osnabrück mit 1:3 und zeigte dabei Alt- und Unbekanntes.
(Titelbild: Stefan Groenveld)
Na klar, Testspiele nicht überbewerten und so. Aber es fühlte sich schon besser an, als der FC St. Pauli zum Beispiel im letzten Wintertrainingslager den FC Lugano mit 7:2 gnadenlos an die Wand nagelte und im Sommer einfach alle Testspiele gewann. Noch blöder als das Ergebnis gegen Osnabrück dürfte das Spiel an sich gewesen sein. Weil der FCSP die Probleme aus der Hinrunde nicht in den Griff bekam, sogar noch neue hinzukamen.
Nicht ein, sondern zwei Testspiele
Gleich zweimal 75 Minuten dauerte das Testspiel zwischen dem FCSP und Osnabrück. Jeder dieser Abschnitte wurde nach der Hälfte mit einer mehrminütigen Pause unterbrochen. Da beide Teams nach den ersten 75 Minuten deutlich durchwechselten, kann man eigentlich von gleich zwei Testspielen sprechen. Und da sich in den ersten 75 Minuten elf Spieler auf dem Platz befanden, die so auch zum Rückrundenauftakt gegen den 1. FC Kaiserslautern für den FC St. Pauli auf dem Platz stehen könnten, beschränkt sich dieser Bericht hauptsächlich auf diesen ersten Abschnitt des Testspiels.
Sehr angenehm für einen tieferen Blick in die Spielweise des FCSP war, dass man beim Schauen des Livestreams Fabian Hürzeler über das Außenmikrofon meist laut und deutlich hören konnte. Unterbrochen wurde das nur von einer Phase, als man zwei spanisch sprechenden Zuschauern lauschen durfte (was auch ganz angenehm war). Nicht so angenehm war dann aber, was genau man von Hürzeler so zu hören bekam. Denn wirklich zufrieden war er nicht mit dem, was sein Team anbot.
Osnabrück als Role Model
Der VfL Osnabrück dürfte für die Trainingsinhalte des FC St. Pauli der perfekte Testspielgegner gewesen sein. Und er dürfte auch als Blaupause für das gelten, was den FCSP in der Rückrunde oft erwarten wird. Denn das Team von Uwe Koschinat hat bereits im vorletzten Spiel der Hinrunde für Probleme beim FCSP gesorgt, steht oft sehr tief und versucht es über Umschaltmomente und deckt damit genau die Themen ab, auf die der FCSP in der Vorbereitung einen Fokus gelegt hat (Restverteidigung, Lösungen gegen tiefstehende Gegner).
Im Spiel mit dem Ball waren ein paar neuere Elemente beim FC St. Pauli zu erkennen. Natürlich sah man auch den klassischen 2-3-Aufbau, nur selten die Variante mit einem 2-4-Aufbau. Auch aufgrund der Osnabrücker (mannorientierten) Positionierung ist es öfter dazu gekommen, dass Eric Smith zwischen den beiden Innenverteidigern verblieb und von dort aufbaute. Dabei zeigte sich ein neues Element, welches ich in der Deutlichkeit in der Hinrunde selten gesehen habe: Der FCSP versuchte die Osnabrücker Spieler aus dem Zentrum herauszuziehen. Hierzu zogen die beiden auf der Sechs positionierten Spieler (zumeist Kemlein und Treu) von dieser Position weiter nach außen. Dadurch ergab sich eine Art Rip-Strömung, welche Marcel Hartel aus der Zehnerposition in den Sechserraum zog. (Anmerkung Maik: Keine Angst, ich musste Rip-Strömung auch googeln…)
Interessant, aber leider weniger erfolgreich waren gebildete Dreiecke mit klaren Abläufen auf den offensiven Außenbahnen. Hier half das Außenmikrofon enorm, weil man durch Hürzelers „Again! Again!“-Rufe und zeitgleicher Rotationen der Spieler auf der Außenbahn verstand, dass diese Varianten so klar einstudiert wurden. Leider konnte der FCSP daraus nur wenige Torgefahr generieren.
Zwei einfache Fehler führen zu Gegentreffern
Die direkten Pässe zu Hartel und auch Eggestein wurden also häufiger gesucht und waren nach meiner Auffassung in der Häufigkeit ein neues Element. Und auch, wenn diese Eröffnung oft klappte, so ging es einmal mächtig schief, als Nikola Vasilj mit seinem Pass anstelle von Eggestein einen Gegenspieler fand. Dave Gnaase nämlich, der dann zum 0:1 ins verwaiste Tor einschieben konnte. In den 20 Minuten zuvor agierte der FCSP sehr dominant und hatte auch ein paar gute Aktionen im gegnerischen Strafraum. Marcel Hartel traf die Latte (4. Minute), kurz danach wurde ein Abschluss von Eric Smith geblockt (6. Minute) und auch sonst fand das Spiel überwiegend im Osnabrücker Drittel statt. Das Problem, welches nicht neu für den FC St. Pauli ist: Es fehlten die Tore und, gemessen am Aufwand, auch die entsprechende Anzahl an Torchancen. Zu oft endeten die Aktionen bereits vor dem Torabschluss.
Nach dem Gegentreffer passierte erstmal längere Zeit wenig. Der FCSP suchte, fand aber nur selten Lücken in der Osnabrücker Defensive. Erst nach rund einer halben Stunde wurde es erneut gefährlich, aber der Abschluss von Josch Kemlein fand nicht den Weg ins Tor. In dieser Phase war das Spiel ziemlich zäh, auch weil Osnabrück wohl versuchte den Rhythmus des FCSP durch auffallend langsame Ausführung von Abstößen, etc. zu brechen. Mit Erfolg – das Team von Fabian Hürzeler tat sich weiterhin schwer.
Und der FCSP ließ sich auskontern. Nach einem Ballverlust ging man links vorne ins Gegenpressing. Auch Karol Mets schob mit vor, musste dann aber schnell den Rückwärtsgang einlegen, als Christian Conteh 20 Meter vor dem eigenen Tor zum Vollsprint ansetzte. Der Ex-FCSP-Kicker wurde mit einem langen Ball gefunden, Mets konnte das Tempo nicht mitgehen, Smith wurde schlicht überlaufen. Da passte die Restverteidigung nicht. Allein vor Vasilj hatte Conteh keine Probleme zum 2:0 einzuschieben (35.).
So stand es nach der ersten Hälfte der 75 Minuten 0:2 aus Sicht des FC St. Pauli. Weil man selbst zu wenig Gefahr vor dem Osnabrücker Tor erzeugte, vor allem gemessen am Aufwand und dem optischen Übergewicht, den das Team betrieb. Und weil die Gegner ihre wenigen Chancen – einmal nach Ballverlust im Spielaufbau, einmal nach einem Konter – eiskalt ausnutzten. Aber zu selten wurde es wirklich gefährlich. Gerade die Einfachheit der Fehler vor den Gegentreffern, war ungewohnt für den FCSP.
Viel Ballbesitz, wenig Gefahr
Am Spiel änderte sich nach der kurzen Pause wenig. Der FCSP versuchte viel, fand aber nur wenige Lücken und wurde so nur selten gefährlich. Erst in der 45. Minute musste Osnabrücks Torhüter Kühn wieder aktiv werden, als er einen Abschluss von Saliakas entschärfte. Weiterhin spielte der FC St. Pauli dominant, aber Osnabrück überließ ihnen auch viel Grün, konnte sich darauf verlassen, dass man im eigenen Drittel wenig zulässt.
Einen unauffälligen aber guten Eindruck hinterließ Neuzugang Josch Kemlein. Fabian Hürzeler hob kurz nach der Verpflichtung seine Qualitäten im Passspiel hervor und zeigte sich auch dieses Mal zufrieden: „Er war sehr ballsicher, hat immer wieder Akzente nach vorne gesetzt, war präsent“. Wer sich davon mal ein Bild machen möchte, schaut sich am besten mal den Abschnitt von Minute 54:00 bis 54:22 an. Kurze Zeit vorher hatte Kemlein erneut eine gute Torgelegenheit, doch Kühn parierte den Fernschuss. Ein vielversprechendes Debüt.
Conteh, Conteh, Conteh
Nach einer Stunde dribbelte sich Christian Conteh in den Strafraum des FC St. Pauli, wo er von Philipp Treu gelegt wurde – es gab Elfmeter. Diesen, von Conteh selbst getreten, konnte Nikola Vasilj stark parieren. Der Kopfball nach der folgenden Ecke ging knapp am FCSP-Tor vorbei. Osnabrück blieb also gefährlich in Einzelaktionen. Gefährlicher für das gegnerische Tor, als es der FCSP mit seinem hohen Aufwand und vielem Ballbesitz war. Nach 75 Minuten stand es 0:2 – eine nicht wirklich zufriedenstellende Vorstellung des FC St. Pauli.
Diese Ansicht teilte auch Fabian Hürzeler, der die Umsetzung der neuen Ansätze im Spiel als „nicht ausreichend“ bezeichnete und erklärte: „Wir waren spielbestimmend, hatten die Torchancen. Aber wir haben die letzte Konsequenz missen lassen und dann auch die Gegentore viel zu einfach bekommen.“
Die womöglich fehlende Spritzigkeit am Ende eines anstrengenden Trainingslagers sei sicher ein Grund gewesen für die Probleme des FCSP, aber Hürzeler lässt das nicht als Ausrede gelten: „Genau dann, wenn Du müde bist, darfst Du Dir diese einfachen Fehler nicht leisten. Dann musst Du einfach spielen. Das haben wir in vielen Phasen zu kompliziert gemacht.“
Lösungen müssen her
Übrigens ging das letzte Testspiel ebenfalls verloren, gegen Eintracht Braunschweig nämlich. Auch dort waren die Voraussetzungen ähnlich: Ein tiefstehender Gegner stellte den FCSP vor enorme Herausforderungen. Allerdings hatte man damals mehr Torgelegenheiten als nun gegen Osnabrück. Das Team zeigte in diesem Test altbekannte Probleme, weil es nicht gelang aus der eigenen Dominanz Tore zu generieren. Allerdings kamen mit Gegentreffern nach Ballverlusten und mangelhafter Restverteidigung, auch unbekannte Schwächen dazu.
Bis zum Rückrundenauftakt in knapp einer Woche ist also noch einiges an Arbeit notwendig. Denn den 1. FC Kaiserslautern erwartet Fabian Hürzeler mit einer ähnlichen Einstellung, tiefstehend und auf Konter lauernd („Dagegen müssen wir Lösungen finden“). So endet das eigentliche sehr positiv verlaufende Trainingslager mit einem Dämpfer. Der drückt sicherlich ein wenig die Stimmung, führt aber hoffentlich zu einem Lerneffekt zur genau richtigen Zeit.
// Tim
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Welche personellen Konsequenzen siehst Du?
Kann uns nur noch ein fitter Simon Koller retten? Kann Sinani eine größere Rolle spielen? Wozu haben wir Andreas Albers geholt? Brauchen wir Lars Ritzka in der ersten 11? Müssen wir Smith ins Mittelfeld ziehen, so lange Irvine und Metcalfe nicht da sind?
Zoller kann hoffentlich helfen, ja. Wird auch dringend benötigt. Ich sehe Treu aktuell klar vor Ritzka und Kemlein als Startelfspieler.
Hallo Tim,
zumindest im Testspiel war Treu wirklich schwach: Viele einfache Ballverluste, leitete den Konter zum 0:2 ein, verursachte den Elfer. Ich hoffe sehr, dass das kein Zeichen seiner aktuellen Form war (ebenfalls schwächer als zuletzt: Saad, Hartel, Eggestein, teilweise Smith, der ziemlich müde wirkte). Ritzka, mit anderen taktischen Anweisungen spielend, war meiner Meinung nach besser.
Bemerkenswert fand ich, dass Hürzeler offenbar als neue Variante gegen tiefstehende Mannschaften eine Art asymmetrisches 4-4-2-Raute hat einstudieren lassen. Hartel positionierter sich noch offensiver als in der Hinrunde und orientierte sich auf die linke Seite, Saad stand grundsätzlich auf gleicher Höhe wie Eggestein und Treu spielte hinter ihm eine Art inverser LM. Dafür wurde die RA-Position konsequent freigelassen; Afolayan stand durchgängig viel tiefer und Kemmlein zumeist. Somit konnte die restliche Mannschaft „durchrutschen“ und die Positionen besetzen (weshalb dann auch Mets als Missmatch gegen Conteh ins Laufduell musste). Ich dachte erst, dies sei wegen Kemmleins generell defensiverer Ausrichtung gegenüber Irvine der Fall, aber in der zweiten Halbzeit gab es das gleiche seitenverkehrt mit dem Gespann Sinani / da Moreira zu sehen.
Mich hat die Variante allerdings überhaupt nicht überzeugt, weil wir uns dadurch den Raum selbst noch künstlich verknappt haben und es noch schwieriger wurde, selbst im seltenen Falle eines gewonnenen Duells auf der Außenbahn bei der hohen Anzahl an Gegenspielern im Strafraum eine gute Abschlussposition zu kreieren. Nachdem sich Osnabrück darauf eingestellt hatte, fehlte jeder überraschende Zug in unserem Spiel.
Dass wir im Spielaufbau des Öfteren versucht haben, vertikaler zu spielen, ist mir auch aufgefallen. Bis in die Spitze hinein hat das kaum funktioniert. Interessant fand ich daher vor allem, dass im Spiel von hinten heraus das vertikale Tiki-Taka im zentralen MF den Gegner deutlich stärker in die Bewegung zwang als z.B. das hin- und herschieben des Balles zwischen den IVs / AVs, wie wir es in der Hinrunde gesehen haben. Könnte also durchaus eine sinnvolle Variante sein. Vasiljs Fehler steht allerdings symptomatisch dafür, dass diese Form des Lockens risikoreich ist (gab ja noch mehr knappe Szenen von Beinahe-Ballverlusten).
Mein Fazit: Kemmlein ist wirklich eine Alternative, ansonsten war es taktisch spannend, vom Auftritt allerdings sehr schwach. Das lag hoffentlich wirklich nur an den schweren Beinen (Osnabrück wirkte schon deutlich spritziger)!
Etwas schade, dass Eric da Silva Moreira, der einen ordentlichen Eindruck hinterließ, entgegen der Aussage von Hürzeler selbst, dass er ihn eher offensiv sieht, nicht auf RA getestet wurde sondern als Saliakas-Ersatz.
Ja, das finde ich auch
moin Tim,
Ich denke, dass in Hürzelers Aussagen auch ein großer Teil Ärger auf sich selbst ist, dass die Belastungssteuerung auf den Höhepunkt des Trainingslagers eben nicht wie gewünscht funktioniert hat. Für mich ist Elias Auftritt dafür der Indikator. Er war, wie andere auch, mE im Kopf und Lauf nicht ganz so frisch wie erhofft, so dass dieses Spiel eben nicht zum Höhepunkt des Trainingslagers wurde/werden konnte, sondern hinter dem belastungsmäßigen Höhepunkt lag. Meines Erachtens waren sie halt schon drüber. Dann fehlt das Quäntchen Konzentration und Spritzigkeit und das ist bei der Spielweise unserer tollen Mannschaft ein zentraler Punkt des bisherigen Erfolges.
Deswegen sehe ich den Auftritt nicht als wegweisend für die nächsten Spiele, sondern als Hinweis noch genauer die Regeneration insbesondere für den Kopf in den Focus zu nehmen.
Hürzeler muss an seiner Geduld arbeiten, wie viele Fans auch. ;o)
Meine unmaßgebliche Meinung speist sich aus der Erfahrung von gut zwanzig eigenen Trainingslagern in einer anderen Sportart, in denen das eine oder andere mal der Wunsch und die Planung des Höhepunkts an der Realität meiner geistigen und körperlichen Erschöpfung zerbrach.
Hallo, ich befürworte das Flachpass -Spiel, dazu gehört aber auch eine hohe Paßgenauigkeit und direkte Ballpassagen um dem Gegner es zu erschweren, den Spielfluß zu stören . Zudem stelle ich schon länger fest, das die Eins gegen Eins Situationen von Saad und Afolayan häufig fruchtlos bleiben. Letzendlich haben wir keinen richtigen “ Knisper“ , Zoller wird es nicht zur Rückrunde schaffen, geschweige Albers oder Maurides . Eggestein wird eine Wundertüte bleiben, die aber auch in den entscheidenden Momenten in der Rückrunde ziemlich leer sein wird. Es besteht also noch Handlungsbedarf, wobei Bornemann seine Entscheidungsfreudigkeit gerne schneller und mit einer Portion mehr Risokobereitschaft tätigen sollte, weil nun mal Tore ein Spiel entscheiden.