Ausfälle, Scheller-Profil und abstrakte Lösungen

Ausfälle, Scheller-Profil und abstrakte Lösungen

Dem FC St. Pauli könnten beim Spiel in Nürnberg gleich drei Innenverteidiger fehlen. Wie kann das Team diese Ausfälle auffangen?
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Nein, langweilig wird es beim FC St. Pauli sicher nicht. Selbst das beruhigende Zehn-Punkte-Polster auf einen Nicht-Aufstiegsplatz wird dazu nicht beitragen. Das ist auf der einen Seite sicher hilfreich, weil so jene Spannung aufrecht erhalten werden kann, die notwendig ist, um Spiele in der 2. Bundesliga zu gewinnen. Nun aber könnte die Aussage, für erfolgreichen Fußball benötige man alle Spieler im Kader, auf die Spitze getrieben werden.

Eric Smith laboriert an einer Adduktorenverletzung, David Nemeth an einer Erkältung und weiterhin an muskulären Problemen und zu allem Überfluss hat sich Karol Mets am Sonntag das Knie derart überstreckt, dass von einer schweren Verletzung ausgegangen werden musste. Immerhin: Wie durch ein Wunder ist nichts Gravierendes passiert. Der FC St. Pauli vermeldete am Montag, dass der Bänderapparat bei Mets unbeschadet blieb, ein Einsatz gegen Nürnberg ist allerdings fraglich. Leider nicht ganz so positive Nachrichten gibt es von Erik Ahlstrand. Der zog sich am Sonntag beim Spiel der U23 in Meppen eine Bänderverletzung im Sprunggelenk zu und wird vorerst ausfallen.

Drei Innenverteidiger könnten ausfallen

Es ist eine ungewohnte Situation für den FC St. Pauli. Denn die bisherige Saison war davon geprägt, dass der Kader eher üppig als dürftig besetzt war. Ist das nun quasi die Retourkutsche für all das Lob, das der medizinischen Abteilung für die hohe Einsatzfähigkeit der Spieler zuletzt entgegenschwappte? Eher nicht, vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall. Denn dass Eric Smith bereits letzte Woche zu Fabian Hürzeler sagte, dass er gegen Hertha spielen könne und Karol Mets trotz dieser wirklich fiesen Überstreckung des Beines keine Schäden am Bandapparat davon getragen hat, zeigt doch eher, in welch hervorragender physischen Verfassung sich die meisten Spieler befinden.

Für das Spiel in Nürnberg dürfte die Situation in der Innenverteidigung trotzdem kritisch bleiben. Denn mit Karol Mets, Eric Smith und David Nemeth könnten dem FC St. Pauli gleich drei Spieler auf dieser Position fehlen. Und das sorgt dafür, dass Tjark Scheller in den Fokus rückt. Oder Aljoscha Kemlein. Oder vielleicht sogar Lars Ritzka. Oder eine Viererkette.

Wer ist Tjark Scheller? – ein Spielerprofil

Heimlich, still und leise hat sich Tjark Scheller angeschlichen und feierte plötzlich am Sonntag gegen Hertha sein Debüt in der 2. Bundesliga. Dieses Debüt hat er über einen Weg geschafft, der in unserer Redaktion nicht dazu führte, dass wir das bei neuen Spielern sonst übliche Spielerprofil bastelten. Das wollen wir nun, zumindest in kompakter Form, nachholen.

Kropp, Kiel, Schalke

Tjark Lasse Scheller wurde im Januar 2002 in Rendsburg geboren. Seine ersten Schritte im Fußball machte er beim TSV Kropp, ehe er 2016 in die Jugend von Holstein Kiel wechselte. Dort spielte er in der U17 – und das dürfte eine wichtige Info sein – auf vielen verschiedenen Positionen. Außenverteidiger, defensives Mittelfeld, offensives Mittelfeld, sogar Mittelstürmer. Wir erinnern uns: Fabian Hürzeler erklärte bei uns im Podcast, dass er Spielern, die mehrere Positionen spielen können, generell ein besonders gutes taktisches Verständnis unterstellt.

Für Scheller ging es von der U17 der Kieler 2019 weiter zur U19 des FC Schalke 04. Auch dort spielte er viel und vor allem auf vielen Positionen. Geändert hat sich das erst, als er für die zweite Mannschaft der Schalker in der Regionalliga West im Einsatz war, 21/22 war das. In der Saison war er Stammspieler, in der Folgesaison verlief die Hinrunde aber alles andere als erfolgreich für ihn. Mehr als drei Einsätze (nur einer über 90 Minuten) kamen in der Hinrunde 22/23 nicht zusammen. Im Winter 2023 wechselte Tjark Scheller dann wieder näher an seinen Geburtsort, zum FC St. Pauli.

Wichtige Säule in der U23

Auf Anhieb wurde Scheller bei der U23 des FCSP Stammspieler in der Innenverteidigung und spielte teilweise auch im defensiven Mittelfeld. Er hatte damit maßgeblichen Anteil daran, dass sich die U23 nach einer desaströsen Hinrunde noch in obere Tabellenregionen vorspielte. An seinen Spielanteilen änderte sich auch zur jetzigen Saison nichts, Scheller ist der Verteidiger der U23 mit den aktuell meisten Spielminuten.

Was sich aber änderte, ist der häufigere Besuch des Kaders in der 2. Bundesliga. Viermal stand Scheller bereits im Spieltagskader, zudem war er mit in Homburg beim DFB-Pokal-Achtelfinale. Nun folgte der vorläufige Höhepunkt: Beim Spiel gegen Hertha BSC wurde er kurz vor Schluss eingewechselt und feierte so sein Zweitligadebüt. Herzlichen Glückwunsch dazu, Tjark!

Tjark Scheller ist nicht nur in Sachen Spielpositionen sehr variabel, sondern auch beidfüßig. Und wenn man ihm beim Fußballspielen zuschaut, dann wird schnell klar, dass er trotz seiner Körpergröße nicht unbedingt wie ein Innenverteidiger der alten Schule daherkommt. Scheller ist technisch stärker und auch etwas agiler, bleibt in Zweikämpfen trotzdem stabil, auch wenn er körperlich sicher noch zulegen kann.

HAMBURG, GERMANY - MARCH 10: Philipp Treu, Jackson Irvine and Tjark Scheller of FC St. Pauli celebrate victory in the Second Bundesliga match between FC St. Pauli and Hertha BSC at the Millerntor Stadium on March 10, 2024 in Hamburg, Germany. (Photo by Oliver Hardt/Getty Images)
Tjark Scheller feierte am Sonntag beim Spiel gegen Hertha BSC sein Zweitligadebüt und konnte sich direkt über einen erfolgreichen Einstand im Trikot des FC St. Pauli freuen.
(Oliver Hardt/Getty Images/via OneFootball)

GSN: Scheller besitzt Zweitliganiveau

Die Eigenschaften von Tjark Scheller zeigen sich unter anderem in seinem Passspiel. Weit über 90 Prozent seiner Zuspiele kommen beim Mitspieler an. Ein Anzeiger für wenig Risiko? Nicht unbedingt! Fast jeder fünfte seiner Pässe ist einer ins letzte Drittel, von denen starke knapp 75% erfolgreich sind.
Auch das Global Soccer Network hat mit uns bereits eine Einschätzung geteilt. Als wir uns im Herbst mit dem Kader befassten und einen kleinen Blick auf die Nachwuchskräfte warfen, hob GSN Scheller gesondert hervor. Sein aktueller GSN-Index liegt bei über 53. Tjark Scheller besitzt also bereits Zweitliganiveau. Prognostiziert ist „starkes Zweitliganiveau“ mit einem Index von über 59 (ab 60 beginnt Bundesliganiveau).

Die Zahlen, seine Flexibilität und die GSN-Prognose zeigen recht klar an, dass der FC St. Pauli mit Tjark Scheller einen fähigen Innenverteidiger in seinen Reihen hat. Sollte er nun beim Spiel des FCSP in Nürnberg womöglich mehr als ein paar Minuten Einsatzzeit sammeln, ist das basierend auf der GSN-Einschätzung und seinen Statistiken aus der U23 alles andere als bedenklich. Und es ist ein großer Erfolg für die Nachwuchsarbeit beim FC St. Pauli, wenn sich ein Spieler über die U23 für die Zweitliga-Mannschaft empfehlen konnte.

Weitere Alternativen

Kemlein, vielleicht sogar Ritzka?

Während Tjark Scheller in den letzten beiden Jahren zwar auch immer mal wieder im defensiven Mittelfeld, zumeist aber in der Innenverteidigung spielte, ist die Situation bei zwei weiteren Spielern im Kader des FC St. Pauli eher umgekehrt. Aljoscha Kemlein hat früher ab und an in der Innenverteidigung gespielt, aber noch nicht im Herrenbereich. Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass er diese Erfahrung jetzt sammeln wird. Aber da Kemlein im zentralen Mittelfeld an Hartel und Irvine eher nicht vorbeikommen wird, dürfte eine andere Position für einen Spieler seiner Güte nicht unattraktiv sein.

Lars Ritzka ist schon um ein paar Erfahrungen reicher als Kemlein, wenngleich sich diese an einer Hand abzählen lassen. Ritzka kam bei Verl, vor allem aber in der Jugend von Hannover 96 auch als linker Innenverteidiger zum Einsatz. Sein Vorteil: Er ist Linksfuß und würde allein deshalb schon recht gut auf die Mets-Position passen. Problematisch ist aber natürlich, dass Ritzka aufgrund der Sperre von Manos Saliakas dringend auf der linken Schiene benötigt wird. Es sei denn, diese Position gibt es gar nicht im System des FC St. Pauli in Nürnberg…

Rückkehr zur Viererkette?

Als Karol Mets am Sonntag verletzt ausgewechselt wurde, kam nicht etwa direkt Tjark Scheller für ihn in die Partie – sondern Aljoscha Kemlein. Der FC St. Pauli stellte damit seine Formation um auf eine Viererkette mit einer Doppelsechs (Kemlein und Irvine) davor. Hauke Wahl erklärte nach Abpfiff der Partie gegen Hertha BSC: „Wir haben das die Woche ein paar Mal trainiert, weil wir das als Lösung drin haben müssen.“ Diese Umstellung von einer Fünfer- auf eine Viererkette sei zwar gewöhnungsbedürftig, „weil man in der Box einen Mann weniger hat in der letzten Reihe“, aber die Vermutung liegt nahe, dass sie in dieser Trainingswoche noch etwas mehr in den Fokus rücken könnte.

Die Optionen für Fabian Hürzeler und den FC St. Pauli bei der Suche nach Ersatz für die möglichen Ausfälle von Eric Smith, Karol Mets und David Nemeth sind also vielfältig. Ganz vielleicht gibt es ja doch die überraschend schnelle Rückkehr von einem der drei aktuell verletzten Spieler. Sollte das aber nicht der Fall sein, so dürfte es mit Tjark Scheller, der Umstellung auf eine Viererkette, sowie Lars Ritzka oder Aljoscha Kemlein auf Abwegen durchaus vielversprechende Varianten geben, um die Ausfälle zu kompensieren.

// Tim

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3 thoughts on “Ausfälle, Scheller-Profil und abstrakte Lösungen

  1. Lieber Tim,
    es ist immer wieder eine Freude deine Berichte und Analysen zu lesen!
    Ich bin jetzt schon heiss auf die nächste St. Pauli Analyse mit Max im Rasenfunk, sowie die Sasisonanalyse und Vorschau auf die nächste (Bundesliga)Saison:)

    Mission 5 aus 9 für den Aufstieg startet am Samstag in Nürnberg.
    Immer weiter vor!

  2. I cannot help with feeling sorry for David Nemeth. The man has been consistently sidelined despite the fact that he has been an exciting prospective signing back then and when finally comes an opportunity to showcase himself because of a string of teamate injuries, he is unavailable himself. It find it very hard for him to take.

    1. That was exactly what I thought… It must be a very tough time for him. But we said the same about Jojo Eggestein a while ago. Hürzeler has shown that he is giving credit to players who really push in the training sessions. Maybe his time will still come…

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