Dank einer überragenden Leistung beim Auswärtsspiel in Nürnberg gewinnt der FC St. Pauli mit 2:0 und zeigte dabei, dass er zu gut ist für die 2. Bundesliga.
(Titelbild: Sportfoto Zink/Imago Images/via OneFootball)
Es läuft die 86. Spielminute, Minute 85:16 um genau zu sein. Der FC St. Pauli gewinnt den Ball, indem Marcel Hartel einen Pass der Nürnberger abfängt. Er spielt zu Jackson Irvine, bekommt ihn wieder, hat dann etwas Raum und findet Johannes Eggestein, der raus auf die rechte Offensivseite zu Connor Metcalfe weiterleitet. Metcalfe erkennt, dass die Situation nicht so vielversprechend ist und spielt den Ball zurück zu Adam Dźwigała, der FCSP behält die Kontrolle.
Warum der Spielbericht mit dieser Szene anfängt? Weil diese Ballbesitzphase des FC St. Pauli erst vier Minuten (89:07) und 75 Pässe (!) später mit einem missglücktem Abschluss von Metcalfe endete. Klar, zu diesem Zeitpunkt war das Spiel schon entschieden, der 1. FC Nürnberg hatte bereits aufgegeben, akzeptierte, dass er gar nix mehr holen kann, nicht mal Selbstvertrauen für die Länderspielpause. Dass ein Heimteam in der 86. Minute bei 0:2-Rückstand so agierte, ist dann aber schon ein Ausdruck dafür, wie stark der FCSP war.
Die Aufstellung
Angesichts der Bilder, die es am letzten Sonntag vom Knie von Karol Mets zu sehen gab, war bereits verwunderlich, dass der FC St. Pauli am Montag vermeldete, dass es keinerlei strukturelle Schäden gibt. Noch bemerkenswerter, dass Mets dann sechs Tage später sogar wieder in der Startelf stand. Der FCSP musste also im Vergleich zum Hertha-Spiel nur auf den gesperrten Manos Saliakas verzichten, der durch Lars Ritzka ersetzt wurde.
Smith doch nicht dabei
Nicht mit dabei waren entsprechend Dapo Afolayan, David Nemeth und Scott Banks. Eric Smith hatte zwar unter der Woche wieder mittrainieren können und es deutete sich eine schnelle Rückkehr des Abwehrchefs an. Aber er fehlte kurzfristig aufgrund eines Magen-Darm-Infekts. „Ansonsten hätten wir es wohl mit ihm probiert“, sagte Hürzeler vor Anpfiff bei Sky.
Auch der 1. FC Nürnberg musste auf seinen etatmäßigen Rechtsverteidiger verzichten. Jan Gyamerah fehlte ebenfalls gelbgesperrt. Für ihn startete Enrico Valentini beim FCN. Ansonsten gab es keine personellen Wechsel beim Team von Christian Fiél.
Pure Dominanz
Schon wenige Momente nach Anpfiff wurde deutlich, mit welcher Herangehensweise beide Teams das Spiel bestreiten wollen. Der FC St. Pauli bemühte sich darum, das Spiel durch Ballbesitz zu kontrollieren und der FCN stellte sich dem tief in der eigenen Hälfte entgegen. So waren die Nürnberger gegen Magdeburg zum knappen 1:0-Erfolg gekommen und damit hatte Fabian Hürzeler auch vor der Partie gerechnet, wie er in der Pressekonferenz erklärte.
In der Formation war das dann eine Art 4-4-2, in dem die Nürnberger standen. Allerdings war gerade die Mittelfeldkette sehr fluid, sodass es öfter auch mal wie ein 4-3-3 aussah, wenn Benajmin Goller hochschob zu Sebastian Andersson und Can Uzun. Erik Wekesser, wie Goller ebenfalls auf der offensiven Außenbahn aktiv, spielte seine Position aber deutlich tiefer als Goller auf der anderen Seite.
FCN steht tief
Der FC St. Pauli war mindestens genauso fluide. Mal schob Hauke Wahl vor in den Sechserraum, mal blieb er zwischen den Innverteidigern. Mal war er alleiniger Sechser, mal Teil einer Doppelsechs. So weit, so üblich. Ein seltenes Element war die häufige Positionierung von Jubilar Marcel Hartel (100. Pflichtspiel für den FCSP) auf der linken Offensivseite. Wirklich neu war die Bildung einer Mittelfeldraute, entweder mit Irvine oder Ritzka als Sechser, wenn Wahl zwischen den Innenverteidigern verblieb.
Die vielen Rotationen des FC St. Pauli bei Ballbesitz sorgten beim FCN aber zu Spielbeginn nur bedingt für Probleme. Das Team von Fiél zeigte anfangs klar auf, wie man auch mit einer tiefen Positionierung für wenig Torgefahr des Gegners sorgen kann. Das Problem für Nürnberg benannte Nürnbergs Trainer dann nach dem Spiel: „St. Pauli war im Gegenpressing richtig gut.“ Denn wenn es so gar keine Entlastung gibt, dann wird es eben doch irgendwann gefährlich. Weil Angriffswelle um Angriffswelle auf das eigene Tor zuläuft.
Gegenpressing sitzt
Der FC St. Pauli wurde mit dem vielen Ballbesitz von Minute zu Minute stärker. Einzig in der 16. Minute gab es einmal eine vielversprechende Kontersituation für den FCN, Goller traf aber nur das Außennetz. Das war der erste von insgesamt nur zwei(!) Torschüssen der Nürnberger im gesamten Spiel. Mit dem Ball machte es der FCSP bereits richtig gut. Gegen den Ball war es aber überragend, was das Team auf den Rasen brachte.
Das Team von Fabian Hürzeler spielte sich geduldig immer und immer wieder ins letzte Drittel der Nürnberger vor. Chancen waren zwar eher Mangelware, aber davon ließ sich der FCSP nicht aus der Ruhe bringen. Sicher hätte man den FCN noch etwas mehr in Verlegenheit bringen können, wenn man schneller in die Verlagerung gekommen wäre. Und es war bei Weitem nicht so, dass dem FC St. Pauli in der Offensive alles gelang. Aber verlorene Bälle landeten eben ganz schnell wieder in den eigenen Reihen. Die Dominanz des FCSP war für den FCN schlicht erdrückend.
Eggestein belohnt sich
Für diese abgebrühte Vorstellung, dafür, dass man die Nürnberger unter Dauerdruck setzte, sie in ihrer eigenen Hälfte wie in einem Käfig hielt, wurde das Team kurz vor der Pause belohnt. Johannes Eggestein köpfte eine Flanke von Philipp Treu ins Netz zur hochverdienten Führung. Das Wort „belohnt“ dürfte dann auch insbesondere für Johannes Eggestein passen. Der Mittelstürmer des FC St. Pauli, wie immer ein ganz wichtiger Anker im Kombinationsspiel, beendete eine Serie von zwölf Spielen ohne eigenen Torerfolg.
Höheres Pressing, keine Veränderung
Aus der Halbzeit kam der 1. FC Nürnberg verändert. Klar, bei so einem Spielverlauf im ersten Abschnitt und mit dem Rückstand kann man auch einfach nicht so weitermachen. Das Team presste nun wesentlich höher, störte den FCSP im Aufbau nun nicht mehr zehn Meter hinter, sondern zehn Meter vor der Mittellinie. Das führte dazu, dass der FC St. Pauli vermehrt lange Bälle spielte. Weil Nürnberg nun etwas löchriger in der Defensive stehen musste.
Gebracht hat diese offensivere Positionierung wenig. Der FCN hatte zwar durch Castrop den zweiten seiner beiden Torabschlüsse, doch das war die einzige Offensivaktion des Teams im zweiten Abschnitt. Insgesamt kam das Team von Fiél auf zwei Ballkontakte im gegnerischen Strafraum über 90 Minuten, der FCSP kam auf 40, blieb auch in der zweiten Halbzeit klar das spielbestimmende Team. Und in dieser konnte man dann auch sehen, dass die Idee mit der tiefen Positionierung der Nürnberger so falsch nicht war. Denn die Chancen für den FCSP häuften sich nun, oft liefen Irvine, Hartel & Co. nun mit Druck auf die letzte Kette der Nürnberger zu.
Entscheidung nach 62 Minuten
Die Entscheidung fiel dann in der 62. Minute. Nicht, weil der FC St. Pauli mit Tempo auf die Kette zulief, sondern weil man mal wieder einen Pass der Nürnberger noch in deren Hälfte abfangen konnte. Metcalfe stand beim Passversuch von Horn goldrichtig und spielte dann einen ansehnlichen Außenristpass auf Eggestein, der uneigennützig wie eh und je quer zu Hartel legte. Ein Treffer zum Jubiläum (Hartel machte sein 100. Pflichtspiel für den FCSP), der zu diesem Zeitpunkt der Partie auch hochverdient gewesen ist.
Zwar waren noch mehr als 30 Minuten zu spielen, aber dieses 2:0 zog den Nürnbergern komplett den Stecker. Zu stark, zu dominant und ballsicher war der FC St. Pauli. Fabian Hürzeler erklärte nach der Partie, vor allem damit zufrieden zu sein, dass sein Team dieses Mal länger als gegen Hertha das aktivere und dominantere Team gewesen ist. Weiterhin gelang dem FCSP nicht alles, die Anzahl an nicht notwendigen Ballverlusten im gegnerischen Drittel war weiterhin recht hoch. Aber die Ballsicherheit in den anderen Zonen, das überlegte Spiel und vor allem das giftige Gegenpressing, die konsequente Arbeit gegen den Ball – all das dürfte für die Nürnberger total zermürbend gewesen sein. Es war überall spürbar, dass der 1. FC Nürnberg nicht mehr daran glaubte, in dieser Partie noch etwas holen zu können. Wie auch, wenn auf der anderen Seite so ein Team steht.
Bundesligareife Vorstellung
Rund um die 75. Minute änderte sich kurzfristig das Spiel, als der FC St. Pauli eine Phase von knapp drei Minuten mal im tiefen 5-4-1 verbrachte. Gefahr für das eigene Tor entstand dabei aber überhaupt nicht. FCN-Trainer Christian Fiél erklärte nach Abpfiff, dass man sich am Ende eher darauf konzentrierte, nicht noch mehr Gegentore zu bekommen. Die Folge war eine sehr passive Spielweise des FCN in den letzten 15 Minuten. Die führte dann zu der Phase zwischen der 86. und 90. Minute. Zu der Szene, bei der das Heimteam akzeptierte, dass man gegen diesen FC St. Pauli an diesem Tag keinen Stich sieht.
Debüt, Jubiläum, Comeback
Auf Seiten des FC St. Pauli gab es nicht nur drei Punkte und das Jubiläum von Marcel Hartel zu feiern. Auch die Rückkehr von Simon Zoller auf den Platz ist eine positive Nachricht. Zudem feierte Eric da Silva Moreira sein Debüt in der 2. Bundesliga. Mögen noch viele, viele Minuten in braun-weiß folgen! Für Elias Saad wird nun leider erstmal eine Pause folgen. Er sah seine fünfte gelbe Karte und muss ein Spiel aussetzen.
Egal, was am Sonntag noch passiert: Der FC St. Pauli wird mit mindestens zehn Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz in die Länderspielpause gehen. Bei noch acht ausstehenden Spielen ist das zwar noch nicht die Entscheidung. Aber dieser Vorsprung ist schon ein echtes Pfund. Die Art und Weise, wie der FC St. Pauli das Spiel in Nürnberg gewonnen hat, ist es noch viel mehr. Die kann man als „souverän“, „reif“ oder „einfach spitze“ bezeichnen. Oder man beschreibt sie mit einem noch passenderen Wort: Bundesligareif.
Immer weiter vor!
// Tim
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Danke für den Artikel.
Aber Sorry, Nürnberg wollte gar nicht. Null Komma Null.
Pauli war OK bis gut in meinen Augen, dass ging alles, weil Nürnberg das Spiel hergeschenkt hat.
Da kann man so viele Worte machen, dabei ist die „Wahrheit“ doch so einfach: Der Gegner wollte nicht…
Ich bin da dann doch eher bei Tim: Wir haben sie nicht gelassen und sie mit unserem Gegenpressing so lange getrollt, bis sie tatsächlich nicht mehr wollten und vor allem: nicht mehr konnten. So ca. ab Minute 75 war es soweit. Und dahin hat unser Team sie mit einer grandiosen Leistung gebracht.
Der Hypetrain braucht 19,10 Sekunden um den Bahnübergang zu passieren.
Ob Du drauf stehst, oder nicht!
Chooo choooooo
Das Spiel war ja fast langweilig. Im positivsten Sinn dieses Wortes.
Wird Zeit, dass wir in der Bundesliga spielen…
Chooo chooo 🚂
Hallo Tim,
Vielen Dank für deine wie immer ausführlichen Analysen. Ich würde gern hier auf einen Spieler aufmerksam machen, der sich in den letzten beiden Spielen für mich sehr positiv hervorgetan hat. Er hat für mich entscheidende öffnende Pässe vor den letzten finalen Aktionen gespielt. So war es beim Nürnberg-Spiel vor dem 1:0 und schon gegen Hertha vor dem 2:0. Es ist Adam Dzwigala. Er hat aus der letzten Reihe erstaunlich viele scharfe Zuspiele in die freien Zwischenräume gespielt. Und das als „Ergänzungsspieler“. Das zeigt mir besonders, wie gut dieses Team aufgestellt ist. Bei Ausfall vermeidlicher Schlüsselspieler rücken Ersatzspieler nach, die keinen Leistungsabfall verursachen, sondern sogar eine Steigerung verursachen.
Forza St.Pauli!
At that pace, the H$V might welcome an already promoted team for the StadtDerby.
mal schauen, ob das „fußballfachmagazin“ die dinge ähnlich sieht, wie der autor… und zwar in form einer durchweg überdurchschnittlichen benotung der einzelnen spieler bzw berufungen in die elf des tages…
leise zweifel daran sind, glaube ich, nicht ganz unberechtigt…
Respekt! Keiner in der Elf des Tages!
sebastian wolff, der im kicker für beide hamburger zweitligisten die artikel schreibt, is bekennende raute. das kann man deutlich aus seinen schriften herauslesen. deshalb wundert mich das auch nicht…
da fußball ja ein mannschaftssport ist, wie immer wieder betont wird, frage ich mich sowieso, wieso nicht auch die mannschaftliche performance der einzelnen teams jeden spieltag benotet wird…
Heimspiel für Nürnberg,nochmal die Chance am 3.Platz zu schnuppern und dann so voller Angst und Respekt zu spielen,oh man.
Damit möchte ich aber unsere wieder zurück gekehrte Dominanz nicht schwächen,der Ball läuft wieder richtig gut .
Und das mit den dusseligen Gelbkarten kriegen wir bestimmt auch noch in den Griff.
Eigentlich finde ich das mit den gelben Karten ganz cool. War ja klar, dass es in dieser Phase der Saison einige Gelbsperren geben wird.
Saliakas hat seine jetzt abgesessen. Saad ist für nächstes Spiel gesperrt. Wenn Dapo bis dahin wieder fit ist, sehe ich da kein Problem. Und wenn Metcalfe sich dann seine 5. Gelbe holt, komme ich darauf auch klar.
Den Hut muss man allerdings vor unserer medizinischen Abteilung ziehen. Wenn dort nicht so gute Arbeit geleistet würde, würden die Gelbsperren viel mehr schmerzen.
Das war ein bißchen so wie damals in Koblenz, 2009.
Spontane Gesänge: „Wir haben keine Gegner mehr, jetzt schickt uns Barcelona her“…
So ist das Gefühl auch gerade. Gut, dass wir bald neue Gegner haben.
Koblenz 2009 war richtig geil. 5:1 glaube ich, oder?
Vielen Dank für die schöne Erinnerung.
Yes, 2 x Kruse, Hennings, Ebbers, Flo Bruns. Was ein geiler Nachmittag.
Mit dem schlimmsten Bier, was ich je auswärts trinken musste.
Der Glühwein war besser.
🎶Mit Stani in die Champions League…🎶
Gelbe Karten sind nie cool ,sind langfristig ,manchmal auch kurzfristig ein Nachteil…
Sorry, ich hatte mich falsch ausgedrückt. Nicht die gelben Karten sind cool, sondern dass die Gelbsperren jetzt nach und nach abgebaut werden, statt alle auf einmal.