Mit zwei Siegen verabschiedet sich der FC St. Pauli in die Länderspielpause, trotzt dabei personellen Problemen und schüttelt Verfolger ab.
(Titelbild: Peter Boehmer)
Auch wenn es für den 2:0-Erfolg des FC St. Pauli in Nürnberg „nur“ drei weitere Punkte für die Tabelle gibt, dürfte dieser Sieg dann doch etwas mehr eingebracht haben. Es war ein Signal, sowohl nach außen an die Konkurrenz, als auch nach innen als Zeichen, dass man Widerständen trotzen kann und zurück zu seiner Identität gefunden hat.
Gegner verneigen sich
Man hat sich bereits daran gewöhnt, dass die gegnerischen Trainer auf den Pressekonferenzen vor den Spielen betonen, dass der FC St. Pauli das beste Team der Liga ist. Würden sicher viele so machen, wenn sie Trainer*in des FCSP-Gegners wären. Schön die Favoritenrolle wegschieben, Erwartungsmanagement betreiben. Die Sache ist aber die: In den meisten Fällen in dieser Saison ist der FC St. Pauli dieser Favoritenrolle auch gerecht geworden.
Beim Sieg gegen den 1. FC Nürnberg zeigte der FCSP, was es heißt, eine durch und durch reife Leistung zu bringen. Vor der Partie gegen Hertha erklärte Fabian Hürzeler, man könne nicht erwarten, dass man als potenzieller Aufsteiger in dieser Phase der Saison noch schönen Fußball spiele. Seit er diese Worte sprach, scheint aber eher das Gegenteil der Fall zu sein. Der FC St. Pauli spielte gegen Hertha BSC bärenstarke 60 Minuten. Und gegen Nürnberg dominierte das Team über die gesamte Spieldauer.
Die Null steht weiterhin
Nun liegt die Definition von „schönem“ Fußball natürlich im Auge der/des Betrachter*in. Der FC St. Pauli war in Nürnberg hochüberlegen, hat aber kein Chancen-Trommelfeuer produziert. Doch das Team hat gegen Nürnberg auf jeden Fall erneut genau das stark gemacht, was sie überhaupt erst an die Tabellenspitze geführt hat: In Sachen Defensivarbeit ist der FCSP wieder das Maß der Dinge in der 2. Bundesliga. Auf das kleine Tief mit sechs Gegentreffern in zwei Spielen ließ man zwei Zu-Null-Siege folgen, bei denen man insgesamt nur acht Torschüsse zugelassen hat. Die Rückkehr zu den Wurzeln, die Hürzeler von seinen Spielern forderte, sie ist gelungen.
Personeller Engpass
Dabei sprach aus personeller Sicht eigentlich eine ganze Menge gegen einen Auswärtserfolg des FC St. Pauli in Nürnberg. Fünf Spieler fehlten. Weitere waren angeschlagen, spielten aber trotzdem, wie zum Beispiel Karol Mets, Lars Ritzka und Philipp Treu. Fabian Hürzeler berichtete nach Abpfiff, dass im Team ein fieser Keim um sich schlägt, der gleich eine Reihe von Spielern plagte. Umso zufriedener war er im Anschluss damit, wie seine Spieler mit dieser neuen Herausforderung umgingen und trotzdem eine solche körperliche Höchstleistung vollbrachten.
So ist die jetzt anstehende Länderspielpause für den FC St. Pauli auf der einen Seite sicher nicht ideal. Weil man eben gerade wieder richtig ins Laufen gekommen ist, den Gegnern nicht viel mehr übrig bleibt, als anzuerkennen, dass der FCSP besser ist. Auf der anderen Seite lief der Kader auch fast auf letzter Rille und man dürfte sich darüber freuen, nun erstmal zwei Wochen kein Pflichtspiel zu bestreiten (übrigens auch kein Testspiel). Eric Smith, David Nemeth und möglicherweise auch Dapo Afolayan werden dann zurückerwartet. Und bis dahin sollte man alle Keime aus dem Kader losgeworden sein.
Bitter ist für Eric Smith, dass er eigentlich für die schwedische Nationalmannschaft nominiert werden sollte (wie das Abendblatt (€) berichtete). Sein jetziger Ausfall sorgte aber auch dafür, dass er doch nicht nominiert wurde. Aus persönlicher Sicht sehr bitter, aber sollte Smith weiterhin als Leistungsträger beim FC St. Pauli vorangehen, dann ist die Nominierung vermutlich nur eine Frage der Zeit. Mit ihren Nationalteams unterwegs sind Connor Metcalfe, Jackson Irvine, Manos Saliakas, Elias Saad, Nikola Vasilj, Karol Mets, Aljoscha Kemlein und Eric da Silva Moreira – Danel Sinani fehlt aufgrund einer Rotsperre im ersten Spiel. Trotz der ausgebliebenen Nominierung von Smith sind also insgesamt neun Spieler mit ihren Nationalteams unterwegs. Ohne nachgeschaut zu haben: Das dürfte für den FCSP ein Rekord sein.
Da waren es nur noch Vier!
Wenn die Spieler von den Nationalteams zurückgekehrt sind, dann kommt der SC Paderborn ans Millerntor. Das Team von Trainer Lukas Kwasniok hat am Freitag durch eine 1:2-Niederlage beim Heimspiel gegen Braunschweig einen schmerzhaften Rückschlag im Aufstiegskampf erlitten. Mit 39 Punkten liegt man auf dem sechsten Tabellenplatz, hat aber auf jeden Fall noch Kontakt zum Aufstiegsrelegationsrang (HSV, 44 Punkte). Aber den Kontakt zum FCSP, wenn er vor dem Wochenende überhaupt noch vorhanden war, hat Paderborn verloren. 14 Punkte Rückstand bei noch acht verbleibenden Spielen sind sehr, sehr viel.
Auch der 1. FC Nürnberg hätte den FC St. Pauli zumindest im Blickfeld behalten können. Dazu hätten sie das Spiel am Samstag aber gewinnen müssen. Nun haben sie 18 Punkte Rückstand. Bei noch 24 Punkten, die maximal geholt werden können, müsste da schon sehr viel passen. Richtig brutal ist der Niedergang der SpVgg Greuther Fürth, die mit 38 Punkten satte 16 Punkte Rückstand haben. Ans Millerntor kamen sie Anfang Februar auf Platz zwei liegend, vier Punkte hinter dem FCSP. Seitdem haben sie aber sechs von sieben Spielen verloren, liegen auf dem 18. Platz der Rückrundentabelle. Zwei Punkte mehr hat Hannover 96, die am Samstagabend über ein Unentschieden gegen Kaiserslautern nicht hinauskamen. Macht 14 Punkte Rückstand auf den FC St. Pauli. Auch Hannover dürfte den FCSP nicht mehr erreichen.
Klar, all die genannten Vereine können sicher noch im Kampf um den Aufstiegsrelegationsrang eingreifen. Aber wenn nicht ein Meteorit namens „epische Niederlagenserie“ auf den FC St. Pauli kracht, dann werden sie den FCSP nicht mehr einholen können. Acht Spieltage vor Saisonende ist das Verfolgerfeld also deutlich zusammengeschrumpft. Der Blick des FCSP konzentriert sich auf drei verbliebene Teams: Fortuna Düsseldorf, Hamburger SV und Holstein Kiel.
Ausgeglichene Liga
Doch egal wie gut und positiv die Tabellensituation für den FC St. Pauli aktuell ist: Es gibt deshalb keinerlei Garantie darauf, dass man dadurch in den nächsten Spielen erfolgreicher ist. Vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall. Weil man eben auf Gegner trifft, die sich an einer Extraportion Motivation erfreuen, denn es geht schließlich gegen den Tabellenführer. Sowieso ist die 2. Bundesliga enorm ausgeglichen, wie auch der Blick nach oben zeigt: Mit 54 Punkten wäre der FC St. Pauli in der Bundesliga nur auf dem vierten Platz. Das Gefälle ist einfach nicht so groß in der zweiten Liga.
Durchatmen – nicht Ausruhen
So geht der FC St. Pauli mit einem schönen Punktepolster in die Länderspielpause und kann durchatmen. Ausruhen kann er sich aber ganz sicher nicht. Denn gute Leistungen geben keine Garantie für weitere gute Leistungen. Das hat der FCSP höchstselbst gemerkt, als unter anderem gegen Schalke plötzlich gar nichts mehr zusammenlief. Aber er hat sich da auch wieder selbstständig rausgezogen und dann ein Spiel in Nürnberg gezeigt, bei dem nicht weniger als ein ligengroßer Unterschied zu sehen war.
Entsprechend gab es dann auch (schon wieder) Lob vom Gästetrainer, zumindest so halb. Christian Fiél sagte nach der Partie in Richtung Fabian Hürzeler: „Es gehört sich jetzt nicht, darüber zu reden, was nächste Saison für Euch kommt. Aber ich sag einfach mal: Viel Spaß, okay?!“
Die Weichen in der Tabelle sind gestellt. Der FC St. Pauli ist auf die Zielgerade eingebogen. Jetzt gilt es noch einmal tief Luft zu holen – und dann aufzusteigen.
// Tim
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auch, wenn es für ein saisonfazit noch ziemlich früh zu sein scheint, zumal ja noch überhaupt nix entschieden ist, möchte ich doch mit ein paar details aus dem bisherigen saisonverlauf dem ewig zweifelnden und hadernden geneigten fc st pauli anhänger mut zum optimismus für die zielgerade und das lohnend winkende ziel ‚aufstieg‘ machen (es geht mir ausschließlich um die punktspiele):
nach dem start nach maß kam die unentschiedenserie und auch bereits die ersten zweifel, ob das alles so paßt. wehement wurde zudem ein knipser gefordert, weil man den vorhandenen es nicht zutraute.
simon zoller wurde verpflichtet. bis ende der hinrunde folgten 7 siege und 5 unentschieden. zwischendurch gab es dann zweifel an der qualität des kaders hinsichtlich der kompensation von stammspielerausfällen (welche sich bis zum jetzigen zeitpunkt hartnäckig halten) oder auch die frage, wie die mannschaft wohl reagieren wird, gerate sie mal in rückstand (ja, tatsächlich). alle zweifel wurden nach meinem dafürhalten auf dem platz eindrucksvoll beiseite gewischt (bis auf den betreffs der qualität der ‚zweiten reihe‘, keine ahnung, wieso) und die hinrunde auf einem aufstiegsplatz, VOR dem stadtrivalen abgeschlossen.
das erste spiel im neuen jahr wurde tatsächlich verloren. aber es war nur ein vorbereitungsspiel. trotzdem waren sie wieder laut, die zweifler und haderer.
es folgte ein start nach maß mit drei siegen gegen sehr anspruchsvolle gegner.
‚endlich‘ dann die erste punktspielniederlage und sie waren wieder da… dann gab die mannschaft gleich zwei antworten in einem spiel (für eine davon gab es noch nichtmal die frage): ja, sie können nach niederlagen wiederkommen und gewinnen. und ja, sogar in unterzahl, gegen einen aufstrebenden gegner.
und es folgte ein weiterer sieg beim (!!!) tabellenzweiten.
aber das reichte trotzdem nicht, um zweifler und haderer verstummen zu lassen. nach dem schlechtesten saisonspiel mit verdienter niederlage kreiste plötzlich die pure panik im anhängerlager: ‚UNSER SYSTEM IST ENTSCHLÜSSELT!!! nun ist schluß mit lustig und ein möglicher aufstieg in gefahr.‘ noch dazu hatte sich unser schlüsselspieler für den spielaufbau verletzt und die ‚zweite reihe‘ wird niemals in der lage sein, dies zu kompensieren…
ok, nun sind wir wieder zwei spiele und siege weiter und die welt scheint rosarot, wie nie. alle, ja wirklich alle aufkommenden zweifel während der bisherigen saison hat die mannschaft auf dem platz (für mich) sehr eindrucksvoll aus dem weg geräumt.
aber ich fürchte, in vielen köpfen der geneigten anhängerschaft bestehen sie nach wie vor weiter. dabei sollte doch nun endlich ausschließlich optimismus und zuversicht und vor allem vertrauen in alle handelnden personen, spieler wie betreuer, existent sein.
jetzt, in der länderspielpause, ist zeit genug, sich den bisherigen saisonverlauf nochmal in aller ruhe anzuschauen, mit allen zweifeln und den gegebenen antworten auf dem platz. und damit geht’s dann auf die zielgerade.
¡venceremos!
Ich erkenne mich in deinem Kommentar schon wieder. Weiß auch nicht warum ich eher am zweifeln bin. Ich glaube wir müssen immer noch unsere Erfahrungen aus alten Zeiten ablegen.
Geht mir auch so. Und man kann eine jahrzehntelange Prägung nicht in einer Saison ablegen. Was zecke jetzt von uns verlangt, ist klassisches „Mia san mia“. Sorry, aber meine Gene weigern sich… Mir fällt schon dieses „Choo choo“ schwer!
mit der vergeigten abstiegsrelegation im dritten spiel, auch noch in gelsenkirchen, gegen die stuttgarter kickers (ja, wo sind die eigentlich?), hat mich dieser verein eingefangen und seither nicht mehr losgelassen. und: es fing schon tragisch an… ja, leiden gehört wahrlich zu dieser liebe.
aber in dieser saison is alles anders…
Ich habe mir über die Jahrzehnte einen gewissen Zweckpessimismus zugelegt. Tenor: ein 1:1 wäre geil! Und 2023/2024? Da gewinnen die Jungs ständig und trotzdem bin ich bei jedem Spiel am hadern und habe Angst, dass sie es noch vergurken. Dieses seit langem antrainierte Verhalten wird sich nicht so schnell ablegen und, sollten sie tatsächlich aufsteigen, spätestens nächste Saison wieder voll da sein. Bis dahin versuche ich es so gut wie möglich zu genießen. Einfach nur toll, was da entstanden ist.