Phrasen gegen Glückwünsche

Phrasen gegen Glückwünsche

Überall ist zu lesen und zu hören, dass dem FC St. Pauli der Bundesliga-Aufstieg nicht mehr zu nehmen sei. Doch genau das macht es besonders schwierig.
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Klar, Stimmen des Zweifels sind aktuell nicht zu hören, wenn es um die Frage geht, ob dem FC St. Pauli der Aufstieg in die Bundesliga gelingt. Angesichts von elf Punkten Vorsprung bei noch sieben ausstehenden Ligaspielen wäre es auch verwunderlich, wenn zweifelnde Stimmen die Überhand hätten. Auch ich schrieb davon, dass niemand mehr daran zweifelt, dass der FCSP die letzten Schritte zum Aufstieg nun auch noch gehen wird. Diese sind aber bekanntlich die schwersten.

Von Spiel zu Spiel denken

Vor wenigen Wochen unterhielten wir uns mit dem Diplom-Psychologen Stefan Westbrock darüber, wie wichtig es ist, im Moment zu bleiben, um sich nicht von anderen Einflüssen ablenken zu lassen. An der Phrase, dass man „von Spiel zu Spiel denken“ müsse, ist also sehr viel dran. So eine Denkweise mag zu Saisonbeginn recht simpel umsetzbar sein. Wenn man nun aber bereits von allen Seiten Tag für Tag Glückwünsche zum Aufstieg entgegennehmen muss und auch selbst die Tabelle lesen kann, dann wird es nicht einfacher. So gilt es für den FC St. Pauli, jetzt bloß keine Feierlaune oder Zufriedenheit aufkommen zu lassen. Denn was das zur Folge hat, konnte man im Spiel gegen den SC Paderborn sehen.

„Wir haben nicht mehr so gut die Pressingmomente gefunden, haben Paderborn zu sehr das Spiel überlassen. Wir haben auch im Spielaufbau die Bälle schneller abgegeben und dann insgesamt die Spielkontrolle verloren.“ Johannes Eggestein beschreibt die Phase in der zweiten Halbzeit gegen den SCP bis zum Platzverweis sehr passend. Das Wort „passiv“ hörte man von allen weiteren Spielern in der Mixed Zone in Bezug auf diese Phase. Der FCSP dominierte die ersten 45 Minuten nach Belieben, startete auch direkt mit dem 2:0 in den zweiten Abschnitt. Doch dann wendete sich das Blatt. Zwar brachte man die 2:1-Führung über die Zeit, aber es bleibt die Frage, wie es wohl weitergegangen wäre, wenn Paderborn das Spiel nicht in Unterzahl hätte beenden müssen.

Weiter, immer weiter

Das Phänomen, dass Teams ein Fußballspiel völlig im Griff haben und es dann gegen Ende doch noch einmal spannend wird, hat der FC St. Pauli natürlich nicht exklusiv. Fabian Hürzeler erklärte nach der Partie, dass das Nachlassen der eigenen Leistung bei vermeintlich komfortabler Führung „natürlich“ sei. Trotzdem kann es ein Problem sein, wie der bisherige Saisonverlauf für den FCSP bereits gezeigt hat.

In der Hinrunde gegen Eintracht Braunschweig spielte der FC St. Pauli dominant (aber nicht überragend) und führte 1:0, ehe man am Ende sogar noch um den Punktgewinn zittern musste. Beim Auswärtsspiel in Berlin zerlegte man die Hertha 75 Minuten lang in ihre Einzelteile, doch am Ende rettete man ein 2:1 über die Zeit. In Paderborn dominierte das Team von Fabian Hürzeler die zweite Halbzeit, führte verdient mit 2:1, fing sich aber noch den Ausgleich. Auch in Rostock schwamm der FCSP gegen Spielende gewaltig, nachdem man vorher locker vier oder fünf Treffer hätte erzielen können. Es folgten drei Partien (HSV, Osnabrück, Wiesbaden), in denen man eine hochverdiente Führung nicht über die Zeit brachte. In der Rückrunde kam Düsseldorf noch zum Anschlusstreffer, Fürth glich sogar noch aus (verlor dann aber) und wie der FC St. Pauli in Kiel nach 3:0- und 4:1-Führung noch wackelte, dürfte allen in Erinnerung geblieben sein.

Hamburg, Deutschland, 31.03.2024, 2. Bundesliga, Millerntor-Stadion, FC St. Pauli - SC Paderborn Fabian Hürzeler, Cheftrainer des FC St. Pauli, gibt Anweisungen während der Partie gegen den SC Paderborn. Copyright: Stefan Groenveld
Fabian Hürzeler konnte sich zwar über weitere drei Punkte freuen, dürfte aber vor allem mit der zweiten Halbzeit des FC St. Pauli gegen Paderborn nicht zufrieden gewesen sein.
(c) Stefan Groenveld

Die Null muss stehen

Die Liste an Spielen, in denen der FCSP erst (hoch)verdient in Führung ging und dann am Ende doch noch zittern musste, ist lang. In vielen Fällen reichte das zwar noch zum Sieg, verloren wurde keine dieser Partien. Trotzdem stellt sich die Frage, wie man das Heft des Handelns in solchen Spielen noch aus der Hand geben konnte. Und vor allem: Was kann man dagegen tun, dass das nicht wieder passiert, Fabian Hürzeler? „Gute Frage. Wenn Du eine Lösung hast, dann her damit. Sowas passiert einfach im Kopf. Da muss jeder ein anderes Mindset an den Tag legen. Dass du unbedingt zu Null spielen willst, auf das dritte Tor gehen willst. Das sind Denkweisen, die du eher nur persönlich beeinflussen kannst. Ich verstehe die Spieler, weil ich das selbst schon erlebt habe. Das Spiel läuft, du führst 2:0, der Gegner hat bis dahin keine Chance, du spielst selbst richtig gut von hinten heraus – dann kommt einfach so ein bisschen der Schlendrian rein.“

Ganz exemplarisch ist dieser „Schlendrian“ am Beispiel von Eric Smith zu erkennen. Der zentrale Innenverteidiger hatte im Spiel gegen den SC Paderborn den Ball allzu leichtfertig hergeschenkt, versuchte im eigenen Drittel, umringt von einigen SCP-Spielern, einen risikoreichen Pass mit dem Außenrist. Nun verlangt das Trainerteam von den FCSP-Spielern ja durchaus einen mutigen, flachen Aufbau. Allerdings waren die Vorgaben an Smith andere (das zeigt übrigens sehr schön, wie detailliert beim FCSP gearbeitet wird). Hürzeler erklärte nach Abpfiff: „Die Idee war, dass er den Ball mit dem rechten Fuß annimmt und dann die Seite verlagert.“

Das nächste Spiel ist immer das schwerste

Doch statt sich an die Vorgaben zu halten, entschied Smith anders. Der Ball ging verloren und plötzlich war Paderborn zurück im Spiel. Hürzeler: „Du führst 2:0, dann spielt er ihn halt mit dem Außenrist. Ob er den in der ersten Halbzeit beim Stand von 0:0 auch so gespielt hätte, ist die andere Frage.“ Und genau hier kehren wir zurück zum großen Bild im Aufstiegskampf: Der FC St. Pauli hat elf Punkte Vorsprung auf Platz drei, alle sind davon überzeugt, dass der Aufstieg gelingt – die Gefahr genau jetzt nachzulassen, ist ziemlich groß. Entsprechend kommt kurz nach der „von Spiel zu Spiel denken“-Phrase gleich noch die nächste hinterher, dieses Mal von Sepp Herberger: Das nächste Spiel ist immer das schwerste.

Auf die verklausulierten Glückwünsche von Lukas Kwasniok („Euch wird keiner mehr aufhalten“) und auch jene von FCN-Trainer Christian Fiél zwei Wochen zuvor, reagierte Fabian Hürzeler fast schon mit Ignoranz. In Bezug auf die Worte von Kwasniok sagte er: „Ich habe da eine andere Meinung“. Warum sollte man auch Glückwünsche für etwas entgegennehmen, was man noch nicht geschafft hat? Vor allem wenn dadurch ein Leistungseinbruch droht (nochmal der Hinweis auf unser Gespräch mit Stefan Westbrock). Entsprechend richtete Hürzeler den Blick direkt auf das nächste, das schwerste, Spiel. Denn der KSC sei eine der „besten Mannschaften der Liga“ und sowieso müsse man nun genau analysieren, wie es dazu kommen konnte, dass man nach der 2:0-Führung so passiv wurde.

Diese Herangehensweise von Fabian Hürzeler, dieser krasse Fokus auf den Moment, er ist auch tief im Team verankert. Jackson Irvine antwortete in der Mixed Zone auf die Frage nach der komfortablen Tabellensituation: „Ich denke die Spiele werden jetzt noch schwerer.“ Interessant ist seine Erklärung dieser These. Denn er ist der Ansicht, dass Spiele gegen den FC St. Pauli für die Gegner „eine Art Freispiel“ seien: „Sie werden Dinge ausprobieren, anders machen.“ Und genau deshalb „wird das Spiel nächste Woche das schwerste der Saison.“ Sepp Herberger gefällt das. Allen FCSP-Fans sollte das auch gefallen.

Ein Spiel dauert 90 Minuten

Trotzdem verschließt sich das Team natürlich auch nicht vor der Tabellensituation. Sie wird sogar als positiv erachtet. Johannes Eggestein erklärt, dass sie daraus Selbstvertrauen ziehen, sich in ihrem Weg bestärkt sehen: „An der Herangehensweise ändert das nichts. Warum auch? Wir freuen uns natürlich, dass wir das Punktepolster immer weiter ausbauen können. Das gibt uns noch mehr Sicherheit.“
Marcel Hartel ging vielleicht sogar noch einen Schritt weiter, als er in Bezug auf die Tabellensituation und die damit verbundene Aufstiegshoffnung erklärte: „Wir haben nie verboten, euphorisch zu sein. Jeder darf Träume haben. Jetzt sind wir relativ nahe dran. Wir gehen Woche für Woche den richtigen Weg in die richtige Richtung.“

Doch bevor diese Worte als zu euphorisch wahrgenommen werden, schob der 15-fache Torschütze noch hinterher: „Es sind noch schwierige Wochen zu gehen, aber wenn wir den Weg weitergehen, dann wird der Traum wahr.“ Die Worte der Spieler dürften ganz im Sinne ihres Cheftrainers sein. Und sie sind enorm wichtig. Denn es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist – oder um bei Sepp Herberger zu bleiben: Ein Spiel dauert 90 Minuten. Eine Saison entsprechend 34 Spieltage. Aufgestiegen ist der FC St. Pauli noch nicht. Und er wird es auch nicht, wenn er jetzt nachlässt.
Immer weiter vor!

// Tim

Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.

MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube

Print Friendly, PDF & Email

4 thoughts on “Phrasen gegen Glückwünsche

  1. Cool bleiben, St. Pauli hat erstmals ohne ihre Außenstürmer gespielt, daher war das in der zweiten Halbzeit für Paderborn einfacher ins Spiel zu kommen. Beide Tore waren einstudiert und solche Aktionen hat die Mannschaft auch in den nächsten Wochen drauf.

  2. Die Aussagen von Fabian Hürzeler und dem Team sorgen nicht nur dafür, dass die Spieler fokussiert bleiben. Es wird damit auch sehr schön „Erwartungs-Management“ betrieben, ein mMn bei vielen anderen Vereinen arg unterschätzter Punkt …

    Von einem Team mit 11 Punkten Vorsprung erwartet man überragende Spiele und mühelose Siege. Wenn aber „das nächste Spiel das schwerste ist“, ist auch die Freude über einen 1:0-Sieg groß und etwaige Punkteverluste werden nicht gleich als Tragödie wahrgenommen…

  3. scheisse,jetzt schreib ich was und man sagt fehler und weg ist die mail. dann nicht. alles gute jungs ,marschiert weiter. forza.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert