Versagen im Präzedenzfall

Versagen im Präzedenzfall

Das Spiel Karlsruher SC – FC St. Pauli zeigte erneut, dass auch mit VAR Schiedsrichter-Fehler weiterhin passieren – und wie dringend die Kommunikation verbessert werden muss.
(Titelbild: Stefan Groenveld)

Ein Kommentar von Tim

„Das Ziel eines guten Schiedsrichters ist es, nicht aufzufallen und die Schiedsrichterei aus der Geschichte des Spiels herauszuhalten.“ Die Worte von Paul Hawkins hatten unter der Woche für Aufsehen gesorgt. Schließlich ist der Mathematiker einer der Köpfe hinter der Idee des VAR. Wer am Samstagabend das Spiel zwischen dem Karlsruher SC und dem FC St. Pauli gesehen hat, der/dem dürfte nicht entgangen sein, dass das Schiedsrichtergespann dort nicht aus der Geschichte des Spiels herausgehalten werden konnte – sondern eine Hauptrolle einnahm. Mal wieder.

Was war passiert? Schiedsrichter Michael Bacher und seine Assistenten hatten tief in der zweiten Halbzeit das klare Vergehen an Manos Saliakas im KSC-Strafraum mutmaßlich übersehen. Ein verhängnisvoller Fehler, nicht nur aufgrund des Spielstands, sondern auch aufgrund der folgenden Aktion: Denn Sekunden später entschied Schiedsrichter Bacher auf ein gelbwürdiges Foul von Hauke Wahl – wofür dieser mit Gelb-Rot vom Platz gestellt wurde. Ohne die Fehlentscheidung bei der Situation im KSC-Strafraum, fliegt der Innenverteidiger des FC St. Pauli also auch nicht vom Platz. Die Gäste wurden damit gleich mehrfach bestraft.

Übersah auch VAR ein strafbares Vergehen im KSC-Strafraum?

Dem Schiedsrichtergespann auf dem Platz ist also wohl ein unstrittiges Vergehen entgangen (was passieren kann). So kam es zu einer fatalen Fehlentscheidung, die sogar noch folgenschwerer wurde durch den Platzverweis. Ohne zu dick aufzutragen, aber: Für solche Situationen wurde der VAR erfunden. Um klare Fehlentscheidungen wie diese korrigieren zu können. Es wäre DIE Gelegenheit gewesen, um die Stärke des VAR in seiner vollen Blüte aufzuzeigen, um das zu tun, wozu der VAR angetreten ist: Um den Fußball gerechter zu machen.

Strittige Situationen im Fußball sind so alt wie der Fußball selbst. Völlige Klarheit wird es in diesem Sport niemals geben. Und es ist völlig normal, menschlich, dass bei der Bewertung von Spielsituationen Fehler passieren. Das ist einfach so. Umso wichtiger ist es, zu akzeptieren, dass die Spielleitung nicht ohne Fehler auskommt. Und nur, wenn ein VAR eingreift, bedeutet es noch lange nicht, dass es zu einer richtigen Entscheidung kommt. Beim FC St. Pauli werden schmerzliche Erinnerungen an den 29. Spieltag 21/22 wach. Damals, als Felix Agu kurz zu vergessen schien, dass er beim Fuß- und nicht beim Volleyball ist. Werder erzielte in der Folge das 1:1. Der VAR intervenierte. Doch Schiedsrichter Florian Badstübner schaute sich die Szene vielleicht eine Viertelsekunde am Bildschirm an und beließ es bei seiner Fehlentscheidung.

Es ist also egal, wo der Fehler passiert, ob auf dem Platz oder im VAR-Raum. Dadurch, dass mehr Augen auf die Situation schauen, ist sicher etwas mehr Gerechtigkeit geschaffen worden. Allerdings kommt es auch mit VAR noch zu solch eklatanten Fehlentscheidungen. Ob das Mehr an Gerechtigkeit den Klau von Emotionen beim vermeintlichen Torerfolg überwiegt, muss jede/r für sich selbst entscheiden. Ich finde schon.

Transparentere Kommunikation notwendig

Was sich aber zwingend verändern muss, ist die Kommunikation in solchen Fällen und im Schiedsrichterwesen allgemein. Dass Michael Bacher (wie Badstübner damals auch) kurzfristig doch nicht zum Interview nach Spielende erschien, untergräbt den Respekt vor den Schiedsrichter*innen mehr, als jede Fehlentscheidung auf dem Platz. Viele Tage nach solchen Entscheidungen eine solche als falsch zu kommunizieren (so macht es der DFB oft), ist nicht ausreichend. Da ist der Fokus längst woanders, die Meinungen sind längst zementiert.

Der ehemalige Bundesliga-Schiedsrichter Lutz Wagner hatte 2021 in einem Sportschau-Interview mal sehr anschaulich dargestellt, warum die Kommunikation besonders in solchen Situationen wichtig ist – und zwar kurz nach dem Spiel. Wie angenehm so etwas sein kann, zeigte (ja klar, Dr.!) Matthias Jöllenbeck vor fast genau zwei Jahren. Es gibt sicher kaum jemanden, die/der ihm nach diesem Interview die Fehlentscheidung noch übelnimmt. Fehler sind menschlich. Eine proaktive Kommunikation kann enorm entwaffnend sein. Das Schiedsrichterwesen würde sich damit einen großen Gefallen tun.

Übrigens schlägt auch VAR-Miterfinder Paul Hawkins vor, dass die Kommunikation verbessert werden soll: Im Stadion sollen im optimalen Fall Livebilder der Szenen gezeigt werden und auch die Kommunikation zwischen den Unparteiischen solle hörbar für alle sein (wie es in anderen Sportarten der Fall ist). Das würde die wirklich hochklassigen Leistungen der Schiedsrichter*innen in den Profiligen auch nochmal viel deutlicher machen, zeigen, wie schwierig die Entscheidungen, wie komplex die Situationen sind. Natürlich würde das die Schiedsrichter*innen in der Hauptrolle belassen. Allerdings höchstwahrscheinlich in einem viel besseren Licht.

// Tim

Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.

MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube

Print Friendly, PDF & Email

23 thoughts on “Versagen im Präzedenzfall

  1. Es waren ja gestern einige Szenen – nicht nur gegen uns. Und letztlich muss man festhalten, dass der Keller gestern komplett versagt hat. Bei der Szene mit Hartel und Saad muss der Schiri zum Videoterminal gerufen werden und er müsste begründen, warum er die Entscheidung getroffen hat und belässt. Und beim Abseitstor hätte er auch begründen können, warum er keine neue Spielsituation vorgefunden hatte. Vielleicht wäre ihm dann die Regel auch wieder eingefallen.

    1. Wo soll denn da eine neue Spielsituation gewesen sein? Es war einfach glasklares Abseits in der Entstehung des Tors. Da gibt’s doch nichts zu diskutieren?!

      1. Viele falsche Entscheidungen, dazu ein Doppelfehler im Verbund mit dem VAR: Vom kicker erhielt Schiedsrichter Michael Bacher für seine Leitung des Spiels zwischen Karlsruhe und dem FC St. Pauli die Note 6. Der DFB verteidigt Bacher in einer Szene öffentlich. https://www.kicker.de/dfb-verteidigt-entscheidungen-bei-ksc-gegen-st-pauli-und-laesst-dabei-szenen-unerwaehnt/1011524/artikel

        Weil Beifuß die Möglichkeit hatte den Ball kontrolliert zu klären. Deshalb.

  2. Der Schiri mit Feam muss dringend wegen seiner fatalen & Spieendscheidender Feler ab sofort für die 2 Liga gesperrt werden
    Doppelt ROT dafür !!! 🤷‍♂️

  3. Die Schiedsrichter sollten nach Leistung bewertet werden und nach schlechter Leistung dann halt auch mal gesperrt werden.Es kann auch nicht angehen, daß Trainer ewig mit gelben Karten beschmissen werden und die Treter kommen so davon.

  4. letztendlich sollte das St.Pauli nicht aufhalten , sondern abhaken, Stärke zeigen und ans nächste Spiel denken. ändern lässt es sich nicht, so ärgerlich es auch ist. Abgesehen davon war die gelbrote eh ein Witz. Aktionen gegen den Ball sollten nie mit gelb bestraft werden. Man spielt schließlich kein hallenhalma.

  5. Toller Artikel!

    Toll und beeindruckend, dass unsere Profis sich auch nach dem Spiel sehr professionell verhalten haben und nicht alles gesagt haben, was sie denken.

    Ich fühle mich verschaukelt und denke, dass vielleicht doch ein (heimlicher) KSC – Fan im Kölner Keller saß 😠

  6. Gestern war es schon eine extreme schlechte Leistung.

    Es scheint aber ein grundsätzliches Problem zu sein:
    Wenn eins die „wahre Tabelle“ der 2. Liga ansieht, hätten wir 58 Punkte (+1), Kiel 49 (-6!!), Mordor 46 (-2) und Dü’dorf 45 (-4!).

    https://www.wahretabelle.de/index/index/liga/2

    Glauben wir diese Zahlen, dann haben die Schiedsrichter-Leistungen massiven Einfluss auf den Aufstieg, verbunden mit allen wirtschaftlichen und persönlichen Folgen. Das darf eigentlich nicht sein.

  7. Das Abendblatt schreibt dies dazu:
    „Herold habe zuvor in einem Kopfballduell um den Ball gekämpft. „Bei der Landung ist er dann auf dem Fuß von Saliakas gelandet“, erklärte Feuerherdt. Herold habe da keine Orientierung zum Gegner gehabt: „Der Kontakt mit Saliakas war ein klassischer Unfall, das ist nicht strafbar. Die Entscheidung war richtig.“

    Diese Interpretation ist im Vergleich mit anderen Strafstößen, bei denen auch Spieler ohne Absicht durch einen „Unfall“ gefoult wurden, interessant. Es wird auch spannend zu sehen, ob es in Zukunft bei dieser Unfalltheorie bleibt.“
    Wahl hat auch nur um den Ball gekämpft, und war sogar einen Tick vorher am Ball…

    1. Ich teile diese Bewertung der Situation vollkommen. Er tritt ihm beim Umdrehen auf den Fuß. Ich kann daran absolut nichts sehen, was einen Elfmeter rechtfertigen würde.
      Allerdings habe ich Wahl bei seiner zweiten Gelben auch früher am Ball gesehen und wundere mich, warum das nicht viel mehr thematisiert wird. Insgesamt lag der Schiedsrichter in seinen Bewertungen oft daneben. Beim nicht gegebenen Elfmeter bin ich aber auf seiner Seite.

        1. Jaja, blabla, wenn der Schiri Elfer gepfiffen hätte, hätten die Karlsruher sich beschwert und dann wäre die offizielle Beurteilung halt genau anders herum ausgefallen. Ich finde ja auch, dass es dafür keinen Elfer geben sollte, nur werde ich das Gefühl nicht los, dass sowas sonst ständig gepfiffen wird. Das „unabsichtlich“ oder „Unfall“ valide Kriterien sein sollen, ist zumindest mir neu. Im Zusammenhang mit dem direkt folgenden Platzverweis bleibt da ein extrem bitterer Nachgeschmack.

  8. Eine zusätzliche Möglichkeit, um Situationen prüfen zu lassen, wäre noch eine Challenge durch den Trainer oder die Trainerin. So könnte man den/die Schiri dazu „zwingen“, sich noch einmal mit einer Situation zu befassen, wenn er/sie denn selbst nie an sich zweifelt und sich eine Situation noch mal am Monitor anschaut (wie gestern).

    1. Wenn das alles so klar ist, hätte Bacher es ja schon am Spieltag erklären können. Eigentlich sollte er bei Tusche und dem Sky-Heini zum Interview kommen. Und dann plötzlich doch nicht mehr.

      Der Herold ist dem Saliakas in der Tat nicht mit Absicht auf den Fuß gestiegen. Wenn solche Sachen künftig immer so entschieden werden, bin ich damit fein. (Fürs Protokoll: Ich glaube da nicht dran. Und ich fände es sogar gut, wenn diese – für mich ursprüngliche und jetzt wieder neue – Auslegung auch auf Handspiel ausgedehnt wird.)
      Das erklärt aber nicht, warum leicht Ball gespielt mit anschließendem Gegnerkontakt im Fall Hauke Wahl Freistoß und gelb ist, im Fall Elias Saad es aber keinen Elfer und noch nicht mal eine (wahrnehmbare) Überprüfung durch den VAR gibt, von gelb gar nicht zu reden. Aber ja, das sind alles vertretbare 50/50-Einzelfallentscheidungen. Eine gewisse Einheitlichkeit oder meinetwegen Vergleichbarkeit sollte dennoch gegeben sein. Wenn ich mir dann noch die unterschiedliche Bewertung des Trainerverhaltens anschaue, finde ich den Gesamteindruck nur schwer verdaulich.

      1. es spielt keine rolle, ob er manos absichtlich auf den fuß tritt, oder nicht. foul is foul. dieselbe szene im mittelfeld wäre unter garantie als foul geahndet worden… na gut, vielleicht nicht von herrn bacher am vergangenen samstag….

        1. Völlig richtig, genau deswegen wundere ich mich ja so über die Entscheidung und die an den Haaren herbei gezogene Begründung, die der DFB vorhin nochmal bekräftigt hat. Ich fände es aber gut, wenn‘s künftig so gemacht würde. Glaub ich jedoch nicht dran. Der Unterschied zwischen im Strafraum („zu wenig für einen Elfer“) und außerhalb („das war aber dunkelgelb“) ist mir schon lange zuwider.

  9. Das krasse Versagen des Schiedsrichterteams konnte man bei der Attacke von Jung gegen Saad beobachten. Fernab des ruhenden Balls. Läuft Jung zu Saad, umklammert ihn sekundenlang, schubst und reißt ihn um. Es gab keinerlei Reaktion. Nicht einmal vom SRA vor der KSC Bank, der die Szene gut im Blick gehabt haben muss.

  10. Da es um gelbe Karten gibt, mal eine Frage, die mir bestimmt jemand beantworten kann.
    Nun hat Fabi seine sechste (?) gelbe bekommen. Gibt es dann auch irgendwann die naechste Sperre (nach der 4.), sowie bei Spielern oder hat da keiner beim DFB mit gerechnet, dass ein Trainer die Menge an Karten bekommt ?

  11. Die Fouls ? an Saad und Saliakas, der Schubser an Hartel im 16er wären ausserhalb des 16er gepfiffen worden.
    Sind das dann eigentlich nicht auch alles 11er ? Kurz vor Schluss das Foul von Stindl war auch eher rot als gelb.
    Und wie arrogant der Schiedsrichter Wahl vom Platz gewiesen hat (für mich sah das aus wie, hau ab jetzt)
    einfach unglaublich.
    Der KSC Trainer hätte auch gelb sehen MÜSSEN.
    So aufgeregt habe ich mich bei einem Fussballspiel schon lange nicht mehr.

  12. Moin miteinander,lese gerade das Buch vom
    Weltschiedsrichter Felix Brych ,Titel:
    AUS KURZER DISTANZ.
    Darin schreibt er sehr ausführlich wie er sich
    auf ein Spiel vorbereitet ,mit der jeweiligen
    Spielweise einer Mannschaft und auch wie die Spieler „ticken “ Er hätte gewußt das Hauke Wahl kein Rauhbein ist der in seinen
    vielen Spielen noch nie ne rote Karte kassiert hat.Kann man daraus schließen daß der Schiri im KSC Spiel nicht gut vorbereitet war ?
    Wer das Buch gelesen hat auch als Schiri hätte die rot/gelbe glaube ich nicht gezeigt.
    Im übrigen war die Reaktion n.d.Spiel sehr
    Profihaft von Hauke Wahl und natürlich erst Recht von Fabi der sich gleich wieder im Griff hatte.Ja wir müssen und werden gegen solche Schiri Entscheidungen trotzdem unser Ding durchziehen,so seine positive Reaktion.
    Bravo,hallo erste Liga wir haben den Türdrücker in der Hand.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert