Hat hier jemand „Panik“ gesagt?

Hat hier jemand „Panik“ gesagt?

Das Punktepolster des FC St. Pauli ist geschrumpft, die Stimmung gedämpft. Aber warum eigentlich? Die Tabelle sieht weiter gut aus und der FCSP kann viel gewinnen.
(Titelbild: Peter Boehmer)

Ein Kommentar von Tim

Ja, ich geb’s zu: Auch ich gehörte zu jenen Leuten, die vor einigen Wochen bereits Berechnungen anstellten, um der Frage auf den Grund zu gehen, wann der FC St. Pauli aufsteigen kann. Nach zwei Niederlagen in Folge und angesichts der starken Form der Konkurrenz, muss das „wann“ in ein „ob“ verwandelt werden. Fühlt sich dramatisch an, aber das ist es nicht.

Verdiente Niederlage ein seltener Ausreißer?

Der Unterschied zwischen der Niederlage des FCSP beim KSC und jener gegen Elversberg, ist enorm groß. Zwar hatte das Team auch gegen Karlsruhe in der ersten Halbzeit Probleme vor das gegnerische Tor zu kommen, aber so erging es dem KSC eben auch. Die defensive Stabilität, die Basis der Spielidee von Fabian Hürzeler, war gegen Karlsruhe weiterhin vorhanden. Gegen Elversberg aber, zuvor in fünf der letzten sechs Partien ohne eigenen Treffer, war die Anfälligkeit bei gegnerischen Kontersituationen so deutlich, wie noch nie unter der Leitung Hürzelers.

Zeit also nun in ein großangelegtes Gezittere überzugehen? Auf keinen Fall! Zumindest jetzt noch nicht. Denn die Tabellensituation spricht eine ganz andere Sprache. Es mag sich anders anfühlen, aber der FC St. Pauli hat immer noch fünf Punkte Vorsprung auf Fortuna Düsseldorf, acht sogar auf den HSV. Es müsste schon zu einer brutalen Negativserie des FCSP kommen, bei zeitgleichem Formhoch der Konkurrenz. Und dieses Formhoch müsste ebenfalls brutal sein, womöglich so hostorisch, wie die 10-Siege-Serie des FCSP vergangene Saison: Fortuna hat zuletzt fünf Spiele in Serie gewonnen, am 33. Spieltag ist man in Kiel zu Gast. Auch die Kieler haben fünf Siege in Serie vorzuweisen, mit den Spielen gegen den HSV, Düsseldorf und Hannover ist ihr Restprogramm alles andere als einfach.

Hilfreich bei der proaktiven Arbeit gegen die Sorge, dass der FCSP nicht aufsteigen könnte, ist es auch, wenn man den Blickwinkel hin zur Vogelperspektive verändert: Denn da verfestigt sich der Eindruck, dass der FC St. Pauli zu stabil ist, um einzubrechen. Die Niederlage gegen Elversberg war neben jener gegen Schalke das einzige Spiel, in dem der FCSP das schlechtere Team gewesen ist, in dem die Niederlage verdient war. Trotzdem lag man zweimal in Führung gegen die SVE, hätte bei glücklichem Verlauf (wenn man das 2:1 ein wenig länger gehalten hätte zum Beispiel) gewinnen können. Nur zwei Spiele, in denen man sich auch nicht für Punktgewinne empfahl, bedeuten im Umkehrschluss: Sämtliche Punktgewinne des FC St. Pauli waren verdient. In der Hinrunde spielte man, gemessen an den Leistungen, sogar zu oft Unentschieden. Das Leistungsniveau ist extrem hoch.

Aufstiegskampf ist auch Kopfsache

Nun ist die Situation aber natürlich eine andere, als noch in der Hinrunde. Das Wort „Aufstieg“ ist viel präsenter, besonders in den Köpfen. Johannes Eggestein machte daraus nach dem Elversberg-Spiel kein Geheimnis: „Natürlich spürt man schon, dass es jetzt in die Endphase geht.“ Auch wenn er kurz nach diesen Worten betonte, dass sich das Team weiter voll auf sich konzentrieren könne, spielt der Kopf ganz sicher eine Rolle. Könnte das zum Problem werden?

Zumindest wird dieses „von Spiel zu Spiel denken“ nun immer schwieriger. Gerade die Situation, dass andere Teams an den letzten beiden Spieltagen vorlegen konnten, hat zumindest bei einigen Fans für ein erhöhtes Druckgefühl gesorgt. Nun wird es auch am kommenden Spieltag wieder so sein, dass Fortuna Düsseldorf, Holstein Kiel und der HSV vorlegen können. Alle spielen am Samstag, der FCSP am Sonntag in Hannover. Für Druckentlastung dürfte das bei entsprechenden Ergebnissen zumindest nicht sorgen.

So muss man einfach akzeptieren, dass das Thema in den Köpfen ist. Auch wenn man sich wünschen mag, dass die Spieler des FC St. Pauli voll bei sich sind, sich nur auf den Moment konzentrieren. Allerdings wird nicht nur der FCSP diesen zusätzlichen Druck spüren. Fragt mal bei Fortuna Düsseldorf nach, wie es da um den Druck steht. Fragt mal beim HSV nach, die haben diese Situation in den letzten Jahren immer erlebt. Fragt mal bei Holstein Kiel nach, die sich plötzlich in einer anderen Situation wiederfinden. Der Druck steigt bei allen Teams, nicht nur beim FCSP. Und besonders der letzte Punkt, könnte sich nun als Vorteil erweisen.

Hamburg, Deutschland, 31.03.2024, 2. Bundesliga, Millerntor-Stadion, FC St. Pauli - SC Paderborn Fabian Hürzeler, Cheftrainer des FC St. Pauli, gibt Anweisungen während der Partie gegen den SC Paderborn. Copyright: Stefan Groenveld
Fabian Hürzeler dürfte versuchen sein Team weiter im „von Spiel zu Spiel“-Modus zu halten. Das wird zunehmend schwieriger, dafür dürfte die neue Verfolgerrolle für den FC St. Pauli hilfreich sein. // (c) Stefan Groenveld

Rollenwechsel als Vorteil

Zwar waren die vielen Unentschieden des FCSP zum Ende der Hinrunde eher enttäuschend. Aber die nicht gewonnene Herbstmeisterschaft hatte sicher auch etwas Gutes. Denn vor Start der Rückrunde erklärte Hürzeler, dass die Rolle als Verfolger Vorteile bringt, besonders im Kopf: „Wir sind nicht die Gejagten, wir müssen jagen. Das hört sich banal an. Das ist aber eine andere Denkweise, mit der wir an die Sache herangehen.“ Diese Verfolger-Situation hatte der FC St. Pauli laut Hürzeler als große Herausforderung begriffen. Das Team startete mit drei Siegen in die Rückrunde und eroberte die Tabellenführung zurück.

Drei Siege in Folge würden dem FC St. Pauli auch in der jetzigen Situation helfen, womöglich würden diese neun Punkte bereits reichen, um direkt aufzusteigen. Bei den Kalkulationen, die in Düsseldorf und am Hamburger Stadtrand aufgestellt werden, dürfte nicht davon ausgegangen werden, dass drei Siege zum direkten Aufstieg reichen würden.

Das ist sowieso ein ganz wichtiger Punkt: Fünf Punkte Vorsprung bei noch fünf Spieltagen sind richtig viel. Nach der Hinrunde, besonders vor der Saison, hätten wir alle diese Situation genauso mit Kusshand genommen. Hätten wir damals geglaubt, dass es jetzt an der Zeit für Panik ist? Sicher nicht. Bei mir löst der Gedanke an die kommenden Spiele auch eher freudige Aufregung aus. Es werden Spiele sein, in denen es richtig um etwas geht – und zwar nicht um einen Abstieg, der womöglich einschneidende Folgen für den gesamten Verein hat. Nein, der FC St. Pauli kann aufsteigen, er kann etwas gewinnen. Diese Herausforderung nimmt man doch gerne an – und das ohne Panik, sondern voller Motivation, oder?
// Tim

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29 thoughts on “Hat hier jemand „Panik“ gesagt?

  1. Das ist einer der besten Artikel, die ich hier lesen durfte – und das mag etwas heißen! Vielen Dank für diese motivierenden Worte, die uns alle auf den Boden zurückholen dürften, Tim!

  2. Oh (Fußball-)Gott Danke! So einen Artikel habe ich (notorischer Schwarzmaler) jetzt gebraucht. Jetzt geht es mir wieder besser… 🙂 Und Du hast mit diesen Worten so verdammt Recht.

    Auf geht’s St. Pauli!

  3. Kein oder! Du hast völlig recht!
    Völlig unabhängig vom Aufstieg sind drei Punkte gegen Rostock zu Hause so oder so Pflicht, ebenso dem Vorstadtverein ´ne klare Ansage bzgl. der Stadtmeisterschaft zu machen.
    Allein das bedeutet fünf Punkte Vorsprung bei drei Spielen.
    Und f*****g Hangover ist von den Sympathiewerten nicht so weit weg von den Erstgenannten, dies und die mögliche Nordmeisterschaft sind Motivation genug – macht fünf Punkte Vorsprung bei zwei Spielen.
    Der Rest ist völlig klar:
    Osna schenken wir einen Punkt, weil wir bei den Rauten aufgestiegen sind und bei den Wiesbadenern geht´s bis dahin auch um nix mehr und alle gönnen sich zusammen ein Bierchen!
    Oder?

      1. Wenn wir die beiden nächsten Spiele gewinnen und Düsseldorf nicht ist das schon noch möglich, oder?
        Ich fände es zuhause am Millerntor aber auch schöner 😉

        1. Jo, man müsste ja „einfach“ in den kommenden drei Spielen zwei Punkte mehr als Düsseldorf holen. Hat man nicht allein in der eigenen Hand, aber möglich wäre es durchaus

      2. Passiert mir bei aller Rechnerei auch immer, dass ich so kalkuliere, dass Düsseldorf und Kiel jetzt alle Spiele gewinnen. Aber 10 Siege am Stück ist ja jetzt auch nicht so wahrscheinlich.

  4. I always regarded this hunter/hunted rhetorics as complete nonsense. Like the marathon metaphor, it’s a rhetorical trick for press conferences, but it is completely contradictory with „focusing on the process“ and „approching games, one after the other, piecemeal“.

  5. Wenn wir den 11-Punkte Vorsprung wirklich verspielen sollten werde ich glaube ich nie wieder Fußball gucken können…
    Und ich will euch keine Angst machen, aber mit mir im Stadion haben wir bisher einen Punkteschnitt von 0,83 (5x Remis, 1x Niederlage) und ich bin in Hannover wieder mit dabei… Sorry Leute 😀
    Spaß beiseite: Bisher hat das Team aber auf schlechte Leistungen immer eine starke Reaktion gezeigt und deshalb denke ich dass wir Sonntag wieder in die Spur finden!

    1. Auch ein unentschieden in Hannover wäre noch grade so ok. Eine erneute Niederlage wäre vermutlich aber vor allem für den Kopf, verdammt beschissen.

      1. Denke ich auch. Das Düsseldorf-Ergebnis hat einen größeren Einfluss aufs Polster als die Frage ob Unentschieden oder Niederlage, aber mit drei Niederlagen im Rücken ein Rostock empfangen, dass um den Klassenerhalt kämpft und St. Pauli den Aufstieg vermiesen will… kann man nicht gebrauchen

  6. „Es müsste schon zu einer brutalen Negativserie des FCSP kommen, bei zeitgleichem Formhoch der Konkurrenz. Und dieses Formhoch müsste ebenfalls brutal sein“ –

    Äh, was? Zwei Siege von Düsseldorf, eine Niederlage und ein Unentschieden von uns, und schon sind wir nur noch Dritter. Weder das eine, noch das andere wäre eine „brutale“ Serie.

    1. Und was ist mit den anderen Spielen? Wenn wir die gewinnen, dann muss Fortuna alle fünf Spiele gewinnen. Das wären dann zehn Siege in Serie. Für mich wäre das ein brutales Formhoch.
      Und wenn der FCSP eben nicht drei der letzten fünf Partien gewinnen kann, dann muss man sich darüber unterhalten, ob man den Aufstieg verdient hat.

      1. Kiel und Düsseldorf haben bereits bewiesen, dass sie „brutal“ in Form sind – beide haben die letzten fünf Spiele gewonnen. Was ist daran jetzt so unwahrscheinlich, dass das so weiter geht? Es ist jedenfalls wahrscheinlicher, als dass sie plötzlich anfangen zu verlieren.

        Du fragst, was mit den anderen Spielen wäre? Wenn der von mir beschriebene Fall eintritt, könnten wir den Aufstieg nicht mehr aus eigener Kraft schaffen. Ein Szenario wie z.B. beide holen dann noch vier Punkte wäre auch nicht so unwahrscheinlich. Zu unserem Nachteil.

        Die Geschwindigkeit, mit der wir unsere Tabellenführung verloren haben und der Abstand zu Düsseldorf geschmolzen ist, bereitet mir Sorgen und Kopfzerbrechen. Ich hoffe, alle haben den Ernst der Lage erkannt.

        1. Es ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Mit jedem Sieg wird es unwahrscheinlicher, dass sie auch das nächste Spiel gewinnen.
          Ich gehe da ganz mathematisch und objektiv ran 😉

          1. Rein objektiv und mathematisch es so aus: Wenn du fünf mal keine 6 gewürfelt hat, ist es dann wahrscheinlich, dass du beim nächsten Mal endlich eine 6 würfelst? Nein! Die Chance ist immer wieder gleich groß bzw. klein.

            In unserem Fall ist es sogar noch schlimmer: Denn Serien gibt es nicht ohne Grund. Sie bedeuten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese Serie weiter geht, höher ist, als dass sie gestoppt wird.

            Das sind letztlich nur Wahrscheinlichkeiten. Im Fußball passieren ja auch oft verrückte Sachen. Serien werden immer beendet. Die Frage ist nur wann. Ich hoffe und bete zum Spaghettimonster, dass es sehr schnell geht.

          2. Auch wenn ich da selbst immer Probleme habe, die Logik dahinter zu verstehen, aber:
            Ich glaube das „Ziegenproblem“ trifft auch mit Abstrichen auf diese Situation zu.

    2. Dann wären es sieben Siege in Folge für Fallsucht Flingern. Das wäre schon ziemlich derbe. Unsere eigen Negativserie wäre allerdings tatsächlich noch überschaubar.

  7. solange wir unsere punkte holen, is es vollkommen wumpe, was die konkurrenz macht. ich bin mir sicher, daß bei trainern wie spielern genauso der fokus gelegt wird. was man beeinflussen kann, daran wird gearbeitet. alles andere kommt von ganz allein.
    aber ich als anhänger darf natürlich auch schauen, wie es bei der konkurrenz aussieht. und ich sehe ein szenario, was, wie so oft in der vergangenheit, in ein schneckenrennen um den aufstieg münden könnte. wir sind in einer guten ausgangsposition und hannover ist (sollte/könnte) ein richtungsweisendes spiel (werden). und jetzt is auch die zeit, wo man, bei einem spielverlauf wie gegen elversberg, bei knapper führung ruhig mal den bus auf der torlinie parken darf. abwehr können wir sehr gut. das is noch immer einer unserer größten trümpfe

  8. Komplett richtige Analyse. Wir haben jetzt einen Haufen Rückschläge kassiert. Der Tod von Kiste, die Verletzungen, die roten Karten.. Wird Zeit wieder in die Spur zu kommen und das Ding endlich nach Hause zu bringen. Weil wir es einfach verdient haben.

  9. Bock auf einen Nebenjob als Kabinenflüsterer, Tim? Du solltest mal drüber nachdenken.
    Der Kopf ist natürlich die Hauptkomponente in dieser Phase der Saison. Fabi ist nicht Xabi und reitet ein anderes Pferd.
    Ein wenig taktische Missgriffe der mangelnden Defensiv-Ordnung bei lange Bällen gg die Elv und dazu ein Gegner, der die Energie des Millerntors für sich nutzen konnte plus erneut die frühe Verletzung eines Leistungsträgers und schwupp ist man den Sekundenbruchteil schläfriger, langsamer, unkonzentrierter.
    Unser FC hat lange genug bewiesen, dass sie die besten Fussballer der Liga sind. Den Kopf nach vorn richten hilft. Da ist jetzt Kiel, Monate zuvor war das einfach Nichts. Möge dieser Rollenwechsel verhindern, dass unser magischer FC zum tragischen FC wird und die Angst vor dem Verlieren wieder dem Spass am Kicken weicht.

  10. Kiel spiel noch gegen drei Teams aus der Top 5 (HSV, Düsseldorf, Hannover)
    St. Pauli spielt noch gegen zwei Teams aus der Top 5 (Hannover, HSV)
    Düsseldorf spielt noch gegen ein Team aus der Top 5 (Kiel)
    HSV spielt noch gegen zwei Teams aus der Top 5 (Kiel, St. Pauli)
    Hannover spielt noch gegen zwei Teams aus der Top 5 (St. Pauli, Kiel)

    Drei Anmerkungen dazu: 1. Da hat irgendwer beim Auswürfeln der Spieltage irgendwas sehr, sehr richtig gemacht. 2. Es ist total geil, dass vier der fünf Topteams aus dem Norden stammen. 3. Es ist absolut sicher, dass nicht alle Teams alle Punkt holen können. Es werden Teams Federn lassen.

  11. ach Menno, jetzt kommt auch noch das Verletzungspech hinzu, von dem wir bislang doch so grandios verschont waren: Smith fällt wohl definitiv am Sonntag aus, Ritzka konnte heute auch nicht trainieren 😥 brauche jetzt einen Sieg in Hannover zum Trost ☠💪🏼☠

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