Dachverband der Fanhilfen: „Saison der Polizeigewalt“

Dachverband der Fanhilfen: „Saison der Polizeigewalt“

Im Vorfeld der anstehenden Europameisterschaft in Deutschland hat der Dachverband der Fanhilfen die Einsätze der Polizei gegen Fußballfans in der Saison 2023/24 näher beobachtet.
Titelfoto: Stefan Groenveld

Wer in den letzten Monaten als Fußballfan bei Heimspielen im Stadion war oder auswärts den eigenen Verein unterstützte, hat in einigen Fällen mitbekommen müssen, dass die Polizeitaktik gegen Fußballfans deutlich repressiver war, als in den Jahren zuvor.

Der Dachverband der Fanhilfen e. V. berichtet davon, dass die abgelaufene Saison „geprägt von zahlreichen Übergriffen und überzogenen Einsätzen der Polizei gegen Fußballfans“ war. Insgesamt 24 Fälle sind zentral dokumentiert und in einem Saisonbericht zusammengefasst worden.

Linda Röttig, Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen berichtet: „Selten zuvor gab es in einer Saison eine derart große Zahl von überzogenen Einsätzen der Polizei gegen Fußballfans. Aber nicht nur die Anzahl, sondern auch die vielfach erschreckende Brutalität, mit der die Einheiten wahllos gegen Fans vorgegangen sind, stellt ein trauriges Novum dar.“ Sie sieht dabei einen Zusammenhang mit der anstehenden EM, die Polizei hätte „den Ligaalltag genutzt, um nicht nur Fans ganz bewusst einzuschüchtern, sondern auch um Einsatztaktiken und gezielte Aktionen für das Turnier zu erproben. Fußballfans wurden somit ganz gezielt zu Versuchskaninchen gemacht.“

Der Dachverband der Fanhilfen fordert:

  • Eine Klarstellung seitens des DFB und der der Turnierleitung der EM zur andauernden Vermischung von Fußballfans und Terroristen.
  • Ein flächendeckendes Pfefferspray-Verbot für die Polizei in allen deutschen Fußballstadien.
  • Ein Runder Tisch “Polizeigewalt”, initiiert von der Bundesinnenministerin, unter Beteiligung von Nicht-Regierungsorganisationen sowie polizeikritischen Wissenschaftlern.

Im Saisonbericht (pdf, 25 Seiten) sind die 24 Fälle dokumentiert. Vier Spiele mit Beteiligung des FC St. Pauli sind darin enthalten, auf die wir hier exemplarisch genauer eingehen:

27. August 2023: FC St. Pauli – 1. FC Magdeburg

Die Fanhilfe Magdeburg berichtete vom aggressiven und übergriffigen Polizeiverhalten gegenüber Gästefans, unter anderem sei es zu Gewaltandrohungen und Beleidigungen von Einsatzkräften gekommen. Die Probleme hätten dabei bereits bei der Anreise am Bahnhof Uelzen begonnen, angekündigt durch die hohe Anzahl eingesetzter Beamter inklusive eines über dem Bahnhof kreisenden Hubschraubers.
Die Repressionen hätten sich sowohl am Hamburger Hauptbahnhof als auch später durch den Ordnungsdienst am Millerntor fortgesetzt, die Polizei filmte dabei auch in die Toiletten hinein.
Auch die Braun-Weiße Hilfe hatte darüber berichtet.

10. November 2023: FC St. Pauli – Hannover 96

Der Polizeieinsatz am Millerntor gegen die Gästefans dürfte den meisten noch sehr präsent in Erinnerung sein, auch wir hatten mehrfach berichtet. Ein Streit im Gästeblock war Anlass genug, um mit einigen Polizisten in den Gästeblock zu kommen – und sich im Nachgang darüber zu wundern, dass dies eskaliert. Die Eskalation wurde dann vom Pfefferspray-Einsatz aus dem Innenraum heraus weiter vorangetrieben.
Die Fanhilfe Hannover berichtete im Anschluss von einer großen Anzahl verletzter Gästefans, von traumatisierten Personen und schweren Verletzungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

10. Februar 2024: 1. FC Magdeburg – FC St. Pauli

Erneut waren die Fans des 1.FCM betroffen. Nach der Partie kam es zu einem Polizeigroßeinsatz gegen 80
bis 120 Fans des 1. FC Magdeburg auf der Heimreise, bei welchem diese über Stunden ohne erkennbaren Grund am Bahnhof Wolmirstedt eingekesselt und festgehalten wurden. Auffallend viele der Betroffenen waren minderjährig oder Familien. Laut Angaben der Fanhilfe Magdeburg, die die Vielzahl und Intensität der Maßnahmen als unverhältnismäßig kritisierte, soll den Fans der Kontakt zu Anwälten und der Gang
zur Toilette verwehrt worden sein.

16. März 2024: 1. FC Nürnberg – FC St. Pauli

Auf der Rückreise aus Franken kam es am Bahnhof in Göttingen zu einem Pfefferspray-Einsatz. Grund hierfür sei ein Aufeinandertreffen von Fans des FC St. Pauli und des FC Augsburg an den Gleisen gewesen. Sowohl die Braun-Weiße Hilfe als auch die Rot-Grün-Weiße-Hilfe des FCA stellten dies anschließend anders dar.

Ausblick

Polizeirepression gegen Fußballfans ist kein neues Thema, die Vorfälle in dieser Saison vor der Europameisterschaft im eigenen Land überraschen grundsätzlich wahrscheinlich die wenigsten aktiven Fans. Die Häufung in den letzten Monaten und die teilweise Verlagerung weg von den Stadien auf Bahnhöfe und massenhafte Kontrollen, inklusive stundenlanger Repression gegenüber völlig Unbeteiligter, stellen aber schon eine Neuerung dar. Auch die Brutalität in einzelnen Einsätzen, wie im Saisonbericht nachzulesen, verdient eine größere Beachtung in der Öffentlichkeit.

Neu ist sicher, dass dank der verschiedenen Fanhilfen solche Vorfälle inzwischen besser dokumentiert werden und auch dank leichter verfügbaren Videomaterials aufgrund von Smartphones die Polizei nicht mehr so leicht mit ihren Aktionen davon kommt, wie es vielleicht vor einigen Jahren noch der Fall gewesen wäre.
Die Pressemitteilungen der Polizei werden auch heute noch von einigen ungeprüft übernommen, allerdings lässt sich hier auch in den etablierten Medien langsam ein Wandel feststellen.

Es bleibt zu hoffen, dass die zuletzt wieder zunehmenden Repressionen gegen Fußballfans nicht zu einem Dauerzustand werden. Hier eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und sich den Entwicklungen entgegenzustellen, ist Aufgabe aller Fußballfans und insbesondere auch der Medien.
// Maik

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One thought on “Dachverband der Fanhilfen: „Saison der Polizeigewalt“

  1. Hallo Maik,
    vielen Dank für den Artikel und den Link.
    Ich habe mir den Bericht der Fanhilfen komplett durchgelesen und bin frustriert und verärgert.
    Neben dem unverhältnismäßigen Vorgehen der Polizei beunruhigt mich die anscheinend häufig geplante und damit gewollte Eskalation.
    Ich bin sicher: Wer diese Gewalt einmal selbst unmittelbar erfahren hat, wird davon nachhaltig beeindruckt sein, besonders als junger Mensch.
    Aber nicht im Guten. Für die Akzeptanz des Rechtsstaates ist das tödlich. Für eine Radikalisierung dagegen perfekt.
    Das eigentlich erschreckende dabei ist, dass die Entscheider bei der Polizei und den beteiligten Behörden das alles wissentlich in Kauf nehmen. Oder genau so wollen. Das macht mich wirklich fassungslos.

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