Wieder gegen ein Top-Team mitgehalten, aber wieder keine Punkte – beim FC St. Pauli ärgert man sich trotz guter Leistung. Zumal es personell nun richtig eng wird.
(Titelfoto: Lars Baron/Getty Images/via OneFootball)
„So spielt kein Absteiger!“ – diesen Satz dürften Spieler und Verantwortliche beim FC St. Pauli seit Samstagnachmittag in ermüdender Häufigkeit gehört haben. Mehr schlecht als recht gelang es dem Deutschen Meister Bayer Leverkusen am Spielende den Aufsteiger aus Hamburg daran zu hindern, nochmal gefährlich vor das Tor zu kommen. Vielmehr mussten sich Johannes Eggestein und Andreas Albers ärgern, bei ihren Gelegenheiten kurz vor Schluss das Tornetz nur von außen getroffen zu haben. Der FC St. Pauli war dem Ausgleich in Leverkusen in den letzten Minuten verdammt nahe gekommen.
St. Pauli spielt starke zweite Hälfte in Leverkusen
Mit etwas Abstand muss man aber auch feststellen: Das Spiel gegen Bayer Leverkusen hätte durchaus ein sehr viel früheres Ende finden können. Denn was in der zweiten Halbzeit gelang, passte im ersten Abschnitt nicht: Der FC St. Pauli bekam den Raum vor der eigenen Innenverteidigung nicht unter Kontrolle. Leverkusen versuchte diesen immer wieder zu erreichen, weniger durch direkte Pässe aus der Innenverteidigung (was sie sonst gerne spielen), sondern mehr über die Flügel. Das war nötig, weil der FCSP mit seiner vorderen Dreierreihe und den beiden Sechsern die Leverkusener Innenverteidiger kontrollieren konnte. Und es war möglich, weil der FC St. Pauli den Abstand zwischen den Ketten nicht so gering halten konnte, dass Bayer Leverkusen keine Lücken fand.
Bevor das falsch verstanden wird: Klar, die Lücken waren da. Aber ein Spieler wie Florian Wirtz ist auch einer der besten Spieler der Welt, wenn es darum geht, genau diese Lücken zu finden. Der FC St. Pauli hat dieses Problem nicht exklusiv. Eine Lösung wurde dann auch gefunden, denn die Innenverteidiger des FCSP schoben mit Anpfiff der zweiten Halbzeit viel mutiger vor, um die Räume möglichst klein zu halten. Das gelang, wenngleich Leverkusen den ein oder anderen Konter wohl auch einfach besser hätte ausspielen können. Die Tatsache, dass das Team von Xabi Alonso am Ende der 90 Minuten dann nur noch den Abpfiff entgegenfieberte und sich über einen späten Ausgleichstreffer nicht hätte beschweren dürfen, ist dann aber doch auch als Bestätigung der guten Arbeit des FC St. Pauli zu verstehen.
Leverkusen lange nicht mehr so zahnlos
In den Statistiken standen am Ende Zahlen, die es so seit langer Zeit nicht mehr gegeben hat: Nur sechs Schüsse hatte sich Bayer Leverkusen erarbeitet. In dieser Saison waren es nur beim FC Bayern München weniger Schüsse. In einem Heimspiel hatten sie zuletzt im Oktober 2021 nur sechs Torschussversuche (beim 1:5 gegen Bayern München). Und das war bereits ein negativer Ausreißer, der zuvor nur durch das 1:2 im Dezember 2016 gegen den FC Ingolstadt unterboten wurde. Der durchschnittliche xG-Wert von Leverkusen in Heimspielen in dieser Saison liegt bei 2,9(!!!). Gegen den FC St. Pauli lag dieser bei 0,8 – der niedrigste Wert von Leverkusen in einem Heimspiel seit vier Jahren.
Der Blick auf die Zahlen sollte also dazu führen, dass man sich beim FC St. Pauli auf die Schultern klopft, weil man eine starke Offensive einen Großteil der Spielzeit in Schach halten konnte. Klar, Leverkusen hat sicher auch nicht mehr die volle Pallette rausgeholt nach dem 2:0. Aber der FCSP hat mit seiner Spielweise auch dafür gesorgt, dass sie den Schalter nicht wieder umlegen konnten, als sie merkten, dass der FCSP Chancen auf den Anschlusstreffer hat. Ursächlich dafür war auch die Ballsicherheit des FC St. Pauli. So wenige Ballgewinne wie gegen den FCSP hat Leverkusen nämlich unter der Leitung von Alonso noch nie generieren können. Nur 60-mal wechselte der Ballbesitz auf dem Feld zugunsten der Leverkusener (Fouls, Einwürfe, Abstöße nicht mitgezählt). Durchschnittlich liegt dieser Wert zuverlässig über 80. Das eigentlich griffige Gegenpressing der Leverkusener? Ein zahnloser Tiger.
Von Zufriedenheit keine Spur
Und trotzdem muss man sich beim FC St. Pauli ärgern. Klar, wegen des Ergebnisses. Aus so einem Spiel und so einem Spielverlauf darf gerne mehr geholt werden. Sowieso gab es von diesen „Man konnte mithalten, aber Punkte gab es nicht“-Spielen diese Saison schon genug. Es bedarf keines Nachweises mehr, dass man mithalten kann. Das Mithalten darf sich viel eher in Form von Punkten nachweisen. Der Ärger darf also auch vorhanden sein, wenn es gegen ein solches Top-Team wie Bayer Leverkusen ging. Allein schon, weil es das Team so verdient hätte. Und auch deshalb, weil dieser Ärger das Team antreibt.
Philipp Treu erklärte nach dem Leverkusen-Spiel, dass es „der nächste Step“ sei, gegen solch große Teams auch zu punkten. Geht es nach Jackson Irvine, dann fehlt dazu bisher auch der Glaube („Ich denke, wir brauchen einen kleinen mentalen Umschwung“). Zufriedenheit im Falle einer Niederlage, weil man mit einem Top-Team mithalten konnte, war bei Spielern und Trainer Alexander Blessin also nur bedingt vorhanden – und das ist richtig so. Immer weiter vor!
Auswärtsprobleme des FC St. Pauli wiederholen sich
Ärgern muss man sich aber auch darüber, dass der FC St. Pauli erneut erst dann richtig ins Spiel fand, als er bereits zurücklag. Das kennt man bereits aus anderen Auswärtsspielen: In Mönchengladbach, Berlin, Leipzig und Augsburg drehte der FCSP ebenfalls erst beim Stand von 0:2 auf. Und gegen Gladbach, Leipzig und Leverkusen waren es jeweils Abstimmungsprobleme im Pressingverhalten, die Probleme machten. Mal rückten die Sechser nicht vor, obwohl sie konnten. Mal taten sie es, aber die Innenverteidiger schoben nicht nach. Auch das merkte Irvine nach Abpfiff in Leverkusen an, zählte neben dem mentalen Umschwung auch die perfekte Umsetzung taktischer Dinge an, ansonsten nutzen das die Gegenspieler aus („Players of this quality can kill you then.“). Das ist sicher ein Umstand, der vom Trainerteam genau beobachtet wird.
Wer ersetzt Morgan Guilavogui?
Das Trainerteam hat diese Woche aber auch noch eine ganz andere Denkaufgabe zu lösen: Die fünfte Verwarnung für Morgan Guilavogui und die damit verbundene Sperre kommt zur Unzeit. Zum einen, weil Guilavogui in den letzten Partien immer besser wurde und zuletzt ja auch zweimal traf. Zum anderen, weil dadurch die Personalsorgen im Mittelfeld und der Offensive wohl ein überkritisches Level erreichen.
Um den Startelfplatz von Guilavogui werden Danel Sinani und Erik Ahlstrand konkurrieren. Zwar betonte Alexander Blessin, dass beide einen guten Eindruck in Leverkusen hinterlassen haben, aber so richtig nachhaltig hat sich bisher keiner der beiden beim FC St. Pauli um Spielzeit beworben. Sinani startete diese Saison im Heimspiel gegen Wolfsburg, was damals aber wohl auch als Erziehungsmaßnahme für Dapo Afolayan mitverstanden werden konnte. Ahlstrand wurde zwar bereits dreimal in der Bundesliga eingewechselt, auf einen erfolgreichen Zweikampf oder eine gelungene Ballaktion im gegnerischen Drittel wartet er aber noch. Da ist Sinani etwas weiter. Der 27-jährige kommt bereits auf acht Einsätze in der Bundesliga und verzeichnete die Vorlage zum Guilavogui-Treffer in Leverkusen. Er ist der klare Favorit für die Startelf am Samstag.
Umstellung mit Danel Sinani auf dem Platz?
Ein Startelfeinsatz von Danel Sinani könnte auch bedeuten, dass sich das Gefüge beim FC St. Pauli etwas verschiebt. Denn gegen Leverkusen verließ Carlo Boukhalfa für Sinani den Platz, er agierte also nicht auf der offensiven Außenbahn, sondern im Mittefeldzentrum. Nicht wenige sehen ihn da auch viel besser aufgehoben, wodurch sich zumindest theoretisch ein Szenario einstellt, bei dem der FCSP gegen Werder Bremen in einer Formation mit zwei Spitzen und ohne offensive Außen spielt. Allerdings hat es das Team im 5-2-3 zuletzt auch gut gemacht, eine Umstellung ist also alles andere als gern gesehen.
Einen klaren Vorteil einer Formation mit zwei Spitzen gäbe es auf jeden Fall: Dadurch würden sich mehr Optionen von der Bank ergeben. Denn wenn der FC St. Pauli mit Sinani startet, dann gibt es auf der offensiven Außenbahn einzig Ahlstrand als Ersatz und im Mittelfeldzentrum wäre wohl nur Marwin Schmitz die Alternative. Agiert der FCSP hingegen mit zwei Spitzen, dann gibt es dank Andreas Albers und Maurides mehr Optionen. Im zentralen Mittelfeld aber bliebe die Situation extrem angespannt. Sowieso zeigt ein Wechsel die Situation beim FC St. Pauli sehr gut auf: In Leverkusen wurde kurz vor Spielende Adam Dźwigała als zweite Spitze eingewechselt.
Einige Spieler werden auch nach der Winterpause noch fehlen
Die Bemühungen der jeweiligen Spieler in allen Ehren, aber der FC St. Pauli hat aktuell riesengroße Personalprobleme. Denkt mal über die Startelf und Wechseloptionen nach, sollten Spieler wie Saad, Wagner, Banks und Metcalfe einsatzbereit sein (und Zoller!). Das Problem: Es ist leider durchaus realistisch, dass einige Spieler auch zum Start nach der Winterpause noch ein gutes Stück davon weg sein werden, am Spielbetrieb teilzunehmen.
So ist Robert Wagner bereits seit vier Wochen raus. Das ist zu lange, um mit zum Beispiel nur einer Woche Team-Training wieder eine Option für das Wochenende zu sein. Zumal Wagner noch gar nicht so weit ist, um ans Team-Training zu denken. Scott Banks ist bereits seit Ende Oktober nicht mehr Teil des Team-Trainings. Eine Blitz-Rückkehr ist nicht zu erwarten, im Gegenteil. Letzte Woche machte die Wade Probleme und sorgte dafür, dass Banks etwas kürzer treten musste beim Vorhaben, möglichst bald wieder zum Team-Training dazuzustoßen. Die letzten Einsätze von Elias Saad (Mitte Oktober) und Connor Metcalfe (Ende September) liegen sogar noch weiter zurück. Bei diesen Spielern wird es auch nach ihrer Rückkehr ins Team-Training noch eine Weile dauern, bis sie wieder bereit sind, um am Wochenende auf dem Platz zu stehen. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt unrealistisch, dass das zum Auftakt nach der Winterpause (in etwas mehr als einem Monat) passieren wird.
Bedarf im Mittelfeldzentrum – und auf der Außenbahn?
Die aktuelle Personalsituation samt unklarer Prognose bei einigen Spielern ergibt einen klaren Bedarf. Der FC St. Pauli hatte bereits im Sommer versucht, sich im zentralen Mittelfeld zu verstärken. Daran dürfte sich im Winter nichts geändert haben, vielleicht dürfte dieser Bedarf aufgrund der Leistungen und Verletzungen auf dieser Position noch etwas größer sein, als im Sommer angenommen. Der Bedarf auf der offensiven Außenbahn dürfte zwar kurzfristiger sein, könnte aber auch zum Handeln zwingen. Zur Erinnerung: In der Vorsaison reagierte der FC St. Pauli im Winter auf das kurzzeitige Fehlen von Metcalfe und Irvine zu Beginn der Rückserie mit der Leihe von Aljoscha Kemlein. Eine Leihe könnte vielleicht auch dieses Mal sinnvoll sein.
Aber jetzt mal alles zusammen: Der FC St. Pauli stellt nach Gegentoren aktuell die viertbeste Defensive der Bundesliga. Inzwischen stellt das Team auch nicht mehr die schlechteste Offensive der Liga (Bochum hat einen Treffer weniger). Nach 13 Spielen ist völlig klar, dass der FCSP alles andere als ein angenehmer Gegner ist, auch für die Top-Teams. Es ist bisher gelungen, so zu punkten, dass man knapp über dem Strich steht. Obwohl man sich in einzelnen Partien sogar etwas mehr verdient hätte. Und das alles trotz einer inzwischen doch ziemlich ausgewachsenen Verletzungsmisere. Das Fazit nach mehr als einem Drittel der Saison ist eindeutig: So spielt kein Absteiger!
// Tim
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Danke für die gute Einordnung! Finde ja, das der Teamgeist noch eine wichtige Rolle spielt und man das Gefühl hat, dass es nicht viel Neid gibt.
Das wolltest du vermutlich nicht schreiben: Nach 13 Spielen ist völlig klar, dass der FCSP alles andere als ein unangenehmer Gegner ist,
Du meinst im letzten Absatz, das wir ein unangenehmer Gegner SIND, oder?
Na ja da müsste stehen, dass wir alles andere als ein angenehmer Gegner sind (doppelte Verneinung und so)
„Nach 13 Spielen ist völlig klar, dass der FCSP alles andere als ein unangenehmer Gegner ist, auch für die Top-Teams.“
frei nach michael ballack: „niemand verliert ungern!“ 😉
Moin Tim,
vielen Dank für deine Einordnung.
Zum einen möchte ich darauf hinweisen, dass wir gegen Berlin nicht 2:0 zurück lagen (Endtsand 1:0), zum anderen ist mir
auch der Satz mit dem „unangenehmer Gegner“ aufgefallen.
Braun-Weisse-Grüße
Im Forum schrieb jemand, ob man es nicht mal mit Ritzka hinter Treu versuchen sollte. Ich fühlte mich an die Variante mit Buballa und Halstenberg erinnert. Die fand ich damals gut, war allerdings ne Viererkette, glaube ich. Ich meine mich gar zu erinnern, das Halstenberg (für mich der „Treu“ in dieser Formation) nominell sogar hinter Buballa (dem „Ritzka“) gespielt und ihn häufig hinterlaufen hat. Dann müsste Dapo auf die ungeliebtere rechte Seite wechseln. Oder Treu spielt rechts offensiv? Könnte irgendwas davon passen, Tim?
ALLE ZUSAMMEN! IM CHOR! Ich hätte gerne am Samstagabend einen Heimsieg und am Sonntag keine Stimme mehr. Es ist 19:10.
Spiegel Online schreibt, dass Christoph Kramer weint, weil er keinen neuen Verein findet. Zitat: „Er sei sogar selbst proaktiv auf Vereine zugegangen und habe ohne Gehalt spielen wollen – bislang aber ohne Erfolg.“ Könnten wir ihm da nicht helfen? Würde er passen? Stark leistungsbezogener Vertrag und so?
Und wenn wir schon dabei sind: Darf ich um einen Glaskugelartikel bitten, wie das Anforderungsprofil für eventuelle Winterverstärkungen auszusehen hat? Harry Kane scheint ja länger verletzt zu sein, wer steht denn ansonsten auf der Beobachtungsliste?
If a promoted team plays consitently like this, amisdt a serious injury crisis, and only after a few months under the guidance of a new coach, then the future looks bright.