Es ist eine äußerst schwierige Frage, wie hoch der Anteil einzelner Spieler am Erfolg des FCSP ist. Denn so richtig messbar ist dieser Beitrag eigentlich nicht. Besonders dann nicht, wenn der Ball nicht in der Nähe ist, die Spieler also nicht an ihren Ballaktionen gemessen werden können. Ein Ansatz, den Beitrag der einzelnen Spieler zu messen bietet die „xG-Differenz“, die wir euch in diesem Artikel präsentieren.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Der FC St. Pauli hat in dieser Saison bereits 27 Spieler eingesetzt. Das ist für einen Kader mit insgesamt 32 Spielern ziemlich viel. Einzig Christopher Avevor, Sören Ahlers und Franz Roggow standen in dieser Saison noch kein einziges Mal im Kader. Niklas Jessen und Marvin Knoll waren zwischendurch im Kader (Knoll zu Beginn der Saison, Jessen erst kürzlich gegen den KSC und in Dresden), blieben aber ohne Einsatz. Aber wer von diesen 27 Spielern leistet eigentlich welchen Beitrag zum Erfolg des FC St. Pauli? Diese Frage treibt mich schon lange um und ein Versuch der Antwort näher zu kommen lautet „xG-Differenz“.
Vor knapp einem Jahr habe ich mich mal zwei Tage hingesetzt und in Kleinarbeit herausgesucht, welche Werte der FC St. Pauli bei den expected Goals erzielte, wenn die einzelnen Spieler auf dem Platz standen. Das Ergebnis damals war für mich recht verblüffend: Borys Tashchy lag bei diesen Werten weit vorne.
Und allein anhand dieses Ergebnisses sollte auch an dieser Stelle wieder klargestellt werden, dass Daten alleine keinerlei Aussagekraft besitzen. Daten lügen zwar nicht, weil sie keinen subjektiven Eindruck beinhalten. Aber sie reden halt auch nicht von alleine. Es braucht also Personen, die den Daten Kontext geben, damit diese eine Aussagekraft bekommen.
Wie bewertet man ballferne Aktionen?
Im dazugehörigen Artikel zu meiner Frickelarbeit habe ich etwas detaillierter herausgearbeitet, warum ich diese xG-Differenz als wertvoll erachte. Die Kurzform: Es gibt nur sehr wenige Metriken, die den Beitrag von Spielern auf dem Feld abseits des Balles berücksichtigen. Dabei sind sich sicher alle einig, dass auch der gute Laufweg eines Außenverteidigers, der dadurch einen Gegenspieler bindet, zum Torerfolg beitragen kann. Ebenso einig dürften sich alle sein, dass gutes Stellungsspiel einen großen Beitrag leistet, da es zum Beispiel einen Schnittstellenpass des Gegners und damit Chancen verhindern kann. Das Problem ist aber, dass Laufwege und Stellungsspiel nicht qualitativ in Daten erfasst werden können. Zur Bewertung muss eine Annäherung her. Ein Wert dafür ist die „xG-Differenz“, denn hierbei werden einfach alle xG-Werte (defensiv und offensiv) der Spieler erfasst, während diese auf dem Feld im Einsatz waren. Das ist ein Unterschied zur sonstigen Nutzung von xG-Werten, da eigentlich entweder immer das gesamte Team betrachtet wird oder die xG-Werte der Torschüsse einzelner Spieler.
Sicher ist der Beitrag einzelner Spieler zu eigenen und gegnerischen Torchancen nicht immer gleich. Das eigene Spiel kann durch einen Spieler auch stark verbessert werden, ohne, dass es in Torschüssen (und deren Qualität) messbar ist. Entsprechend ist dieser Beitrag auch nicht in der „xG-Differenz“ sichtbar. Aber es handelt sich halt um eine Annäherung. Die xG-Differenz ist letztlich so etwas, wie die Vertiefung der „Punkte pro Spiel“-Statistiken, die in vielen Medien gerne genutzt wird. Und sie geht auch noch tiefer als eine simple „Plus/Minus-Statistik„, die ich auch mal über den FC St. Pauli gemacht habe.
Ich freue mich sehr, dass meine Dokumentationsarbeit an der „xG-Differenz“ des FC St. Pauli Ende der letzten Saison obsolet wurde. Denn das Global Soccer Network führt auch eine solche Statistik und ich durfte ihre Daten vor knapp einem Jahr präsentieren.
Noch mehr freue ich mich, dass mir das Global Soccer Network auch die aktuelle „xG-Differenz“ der Spieler des FC St. Pauli zur Verfügung gestellt hat. Schauen wir also mal rein.
xG-Differenz der Spieler des FC St. Pauli
Erst einmal möchte ich einen Blick auf die expected Goals-Werte der Spieler werfen. Also nicht direkt auf die Differenz, sondern auf die Werte, die es für und gegen das Team gab, wenn einzelne Spieler auf dem Platz standen. Vier eingesetzte Spieler des FC St. Pauli fehlen dabei allerdings. Lukas Daschner, Marcel Beifus, Lars Ritzka und Jannes Wieckhoff haben alle jeweils weniger als 300 Minuten Spielzeit in der Liga gesammelt. Das ist zu wenig, um zumindest halbwegs aussagekräftige Daten zu produzieren. Daher sind sie nicht in dieser Auflistung vertreten.
Dabei sind gerade die Werte von Marcel Beifus interessant: Denn in seinen 217 Minuten Spielzeit gab es einen eigenen xG-Wert von 5.25, welches auf 90 Minuten gerechnet dann den höchsten Wert im ganzen Kader ergibt. Aber der gegnerische xG liegt bei 4.48, welches den viertschwächsten Wert im Kader bedeutet. Es geht also hinten und vorne richtig ab, wenn Beifus auf dem Platz steht.
Deutlich wird in der Grafik mit den xG-Werten, dass Simon Makienok, Afeez Aremu und Maximilian Dittgen herausstechen. Bei den offensiven xG-Werten belegen sie die ersten drei Plätze im Team. Defensiv fällt nur Dittgen knapp vom Podest.
Interessant finde ich, dass es zwischen einer ganzen Reihe von Spielern gar keine großen Unterschiede gibt, aber am oberen und unteren Ende sich die Werte doch deutlich unterscheiden. Gleiches gilt für die teils eklatanten Unterschiede zwischen defensiven und offensiven xG-Werten der Spieler. Bevor wir uns die Gründe für die Werte bei einigen Spielern mal genauer anschauen, werfen wir aber erstmal ein Blick auf die „xG-Differenz“ (*trommelwirbel):
„…Makienok! – Siiimon Makienoohok!“
Die kumulativen xG-Werte des FC St. Pauli pro 90 Minuten liegen bei 1.66 – 1.59. An diesen Werten müssen die Spieler letzlich gemessen werden, wenn man das Zutun einzelner Spieler zum Gesamterfolg des Teams basierend rein auf den xG-Werten abschätzen möchte. Spieler allein aufgrund dieser Statistik zu bewerten ist aber natürlich völliger Humbug. Hinweise auf die individuellen Leistungen gibt die Statistik aber schon.
Allen voran erfüllt sie genau das, was sie soll: Sie stellt klar heraus, dass Simon Makienok ein enorm wichtiger Spieler für den FC St. Pauli ist. So mag ich das! Mit ihm auf dem Platz produziert der FCSP den höchsten eigenen und den drittniedrigsten gegnerischen xG-Wert. Das ist schon wirklich richtig gut. Damit setzt er sich von fast allen Mitspielern deutlich ab. Einzig Afeez Aremu weist ähnliche Werte auf, allerdings andersrum: Wenn er auf dem Platz ist, ist der gegnerische xG-Wert am niedrigsten und der eigene am dritthöchsten.
Zu diesen beiden Spielern möchte ich noch Maximilian Dittgen zählen, dessen Werte sich ebenfalls positiv vom restlichen Kader abheben. Der FC St. Pauli hat also ein magisches Dreieck. Aber es ist ganz anders, als ich persönlich es zusammensetzen würde. Wie kommen diese Werte zustande?
Ja, die Aussagekraft dieser „xG-Differenz“ ist begrenzt, keine Frage (ein Beispiel dafür wird später im Text beschrieben). Aber in den Daten stecken dann doch ein paar interessante Dinge drin. Würdet ihr mit folgenden Thesen mitgehen?
1. Simon Makienok tut dem Offensivspiel des FC St. Pauli gut?
2. Afeez Aremu ist enorm wichtig für die Defensive des FC St. Pauli?
Ich schon. Und das ist dann auch genau das, was wir in den Daten sehen können. Mit Simon Makienok auf dem Platz, egal, ob er an den Offensivaktionen direkt beteiligt ist oder nicht, produziert der FCSP einen höheren xG-Wert. Das dürfte auch direkt damit zusammenhängen, dass Makienok eine ganz bestimmte Rolle auf dem Platz ausfüllt (er ist mit langen Bällen anspielbar), die den jeweiligen Gegner vor Probleme stellt, weil sie nicht nur das Kombinationsspiel, sondern auch die langen Bälle verteidigen müssen.
Dass Afeez Aremu einen wichtigen Beitrag zur Defensivarbeit leistet, dürfte ebenfalls unstrittig sein. Er ist halt ein Spieler, der sich primär über seine defensive Spielweise definiert, viele Bälle abfängt und direkte Duelle gewinnt. Auch hier ist es nicht verwunderlich, dass der FCSP mit Aremu auf dem Platz defensiv am wenigsten zulässt.
Die „xG-Differenz“ liefert also Daten zu etwas, was ansonsten eher ein subjektiver Eindruck ist. Denn die eigentlichen Offensivstatistiken von Makienok sind alles andere als überzeugend. Ja klar, er hat in den letzten drei Spielen jeweils getroffen, aber die Anzahl an Torabschlüssen, Pässen im Offensivdrittel und die Zweikampfwerte sind alles andere als überzeugend. Die hier gezeigten Daten liefern aber einen Hinweis darauf, dass sein Wert für das Team nicht direkt an seinen Ballaktionen bemessen werden kann und sollte.
Zumal es einen Spieler im Kader gibt, der bei seinen Einsätzen auch regelmäßig getroffen hat, dessen xG-Werte aber eine ganz andere Sprache sprechen.
Schauen wir aber noch einmal ans untere Ende der Statistik. Sebastian Ohlsson, Adam Dźwigała und Igor Matanović belegen mit einigem Abstand die letzten drei Plätze bei den gegnerischen xG-Werten. Besonders die Werte von Matanović weichen ziemlich deutlich nach unten ab. Das dürfte auch daran liegen, dass er den Großteil der wirklich rauschhaften Phase des FC St. Pauli aufgrund seiner Verletzung verpasst hat. Aber Matanović ist es bei seinen Startelfeinsätzen bisher auch nicht gelungen, sich für einen Stammplatz zu empfehlen. Seine vier Torschüsse in mehr als 400 Minuten Spielzeit sind halt einfach kein nachhaltiges Bewerbungsschreiben. Igor Matanović ist ohne jeden Zweifel ein riesengroßes Talent (wird Ende März 19 Jahre alt), aber auf den Durchbruch müssen wir wohl noch ein wenig warten, das zeigen auch die xG-Werte.
Das Amenyido-Paradoxon
Sechs Torbeteiligungen in den vier Spielen vor seiner Verletzung hat Etienne Amenyido vorzuweisen und lieferte damit ganz andere individuelle Werte als z.B. Matanović. Das sind wirklich gute Daten. Daher schien kurz nach der Winterpause der perfekte Sturmpartner von Guido Burgstaller gefunden. Von Simon Makienok war da aber (noch) nicht die Rede. Dann aber verletzte sich Amenyido.
Es ist natürlich schwer einzuschätzen, wie die Dinge mit einem fitten Amenyido weitergegangen wären. Aber all den guten individuellen Werte zum Trotz, muss man feststellen, dass Amenyido in einer Zeit Stammspieler war, in der der FCSP insgesamt eher schwache Leistungen zeigte. Entsprechend sind seine Werte in der „xG-Differenz“ bescheiden. Er belegt im Kader vor Igor Matanović den vorletzten Platz. Nun stellt sich mir natürlich die Frage, ob es da einen Zusammenhang zwischen den individuellen und den Teamleistungen gibt.
Diese Frage vermag ich sicher nicht zu beantworten. Einen direkten Zusammenhang zwischen den schwachen Auftritten des FCSP und den Leistungen von Amenyido sehe ich erst recht nicht, zumal er selbst ja „abgeliefert“ hat. Die Werte von Etienne Amenyido sind aus meiner Sicht ein gutes Beispiel, dass Statistiken immer im Kontext betrachtet werden müssen.
Als weiteres Beispiel dient Leart Paqarada. Dessen Werte sind leicht unterm Durchschnitt des FC St. Pauli. Sollte man deshalb daraus ableiten, dass Paqarada dem Team nicht weiterhelfen kann? Auf gar keinen Fall. Viel eher sind sich wohl alle einig, dass das gesamte Team von seinen Leistungen profitiert.
Die „xG-Differenz“ ist also eine Statistik, die erst in den richtigen Händen und mit dem richtigen Kontext eine wirklich aussagekräftige Metrik werden kann, um den Beitrag einzelner Spieler zur Teamleistung beschreiben zu können. Grundsätzlich ist auch viel davon abhängig, gegen welche Gegner und mit welchen Mitspielern die einzelnen Spieler auf dem Platz standen. All das muss bei der Interpretation der Daten beachtet werden.
Trotz all dieser Dinge, die es zu beachten gilt, zeigen die Daten deutlich, dass Maximilian Dittgen, Afeez Aremu und Simon Makienok einen signifikanten Beitrag zum erfolgreichen Spiel des FC St. Pauli leisten. Bei Aremu ergeben die besonders guten Werte in der Defensive Sinn, da er die Rolle auf der Sechs sehr stark defensiv interpretiert. Die guten xG-Werte, die der FC St. Pauli vorweist, wenn Simon Makienok auf dem Platz steht sind auch durch die veränderte Spielweise mit ihm auf dem Platz erklärbar. Wie bereits erwähnt: Ich mag die Statistiken, in denen Simon Makienok weit oben steht. Den Artikel zu der „xG-Differenz“ letztes Jahr habe ich mit einem Wunsch beendet. Den Artikel dieses Jahr beende ich mit der Feststellung, dass der Vertrag von Simon Makienok ausläuft. Vielleicht lassen sich die letzten beiden Sätze irgendwie verbinden.
//Tim
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Moin Tim, vielen Dank für Deine akribische Arbeit. Das ist sehr interessant zu lesen.
Alles verstehe ich zwar nicht (meine Konzentrationsfähigkeit nimmt im Alter scheinbar ab 🙂 ), aber eine Frage habe ich dann doch:
die Spieler werden ja (besonders der Sturm) vom Trainerteam explizit gegen Gegner aufgestellt, wo ihre Fähigkeiten besonders zum Tragen kommen oder gerade nicht aufgestellt, weil sie nicht so gut ins Spielkonzept passen. Ist es da nicht logisch, dass ihre Werte bei ihren eingesetzten Minuten so aussehen?
Walk on!
Greetz, Käpt´n Queerpass
Das ist eine interessante Theorie und ich stimme da zu, dass man diesen Effekt sehen würde. Allerdings möchte ich einschränken, dass es zumeist eine Frage der Fitness war wer neben Burgstaller stürmt
In Ergänzung: Punkte im Schnitt (Spieler über 1000 min. Einsatzzeit / Mannschaft 1,9 inkl. Pokal):
Positiv: Aremu 2,16 / Ziereis 2,14 / Zander 2,04 / Kyereh 2,0
Negativ: Becker 1,63 / Smith 1,61.
Herauszuheben ist Kyereh, der als „Dauerbrenner“ dennoch über dem Schnitt liegt.
Moin Tim,
super Analyse, vielen Dank! Mann sieht in den Daten vieles, was man vorher nur „gefühlt“ hat: Die gute xG-Differenz bei Makienok wundert mich nicht, denn er ist auch defensiv mit seiner Kopfballstärke enorm wichtig und kann so zu einer viel größeren Stabilität der Mannschaft gerade bei Standardsituationen beitragen. Bei Amenyido muss man aus meiner Sicht berücksichtigen, dass er für Kyereh in der Startelf stand und der ist nun wirklich auch defensiv ein echt fleißiger Arbeiter, der nach seinen Ballverlusten auch immer mal wieder bis zur eigenen Grundlinie den Gegnern hinterherläuft bzw. sehr diszipliniert seine Gegenspieler in Manndeckung nimmt, wenn es notwendig ist. Das hilft auch defensiv enorm -da kann Amenyido noch zulegen. Nicht zuletzt ist Afeez Aremu DER Passabfänger der Mannschaft mit den meisten Interceptions, was nicht nur defensive Stabilität bringt, sondern einem umschaltaffinen FC St. Pauli einfach mehr Offensivaktionen durch Konter ermöglicht und so auch einen positiven Effekt auf die erzielten xG-Werte bringt.
Wir werden in den Spielen gegen die Topmannschaften in den nächsten Spieltagen sehen, was es am Ende Wert ist! Die Analyse hat jedenfalls schon wieder viel Vorfreude entfacht!
Forza
Jan
Danke für die Übersicht. Bestätigt (leider) meine, meinen Stehnachbarn gegenüber getätigte Äußerung, dass ich Becker und Matanovic derzeit eigentlich noch nicht mal im Kader sehe(n) möchte.
Insbesondere letzterer, bei dem ich das Gefühl habe, überhaupt keine defensive Orientierung zu haben und dazu nicht mal den Willen, die Gegner anzulaufen.
Eine Frage noch:
Ist die xG eigentlich auf 90 min Einsatzzeit hochgerechnet oder absolut gerechnet?
Auf 90min. Ansonsten wäre das ziemlich dürftig von allen 😉