Der FC St. Pauli verliert hochverdient gegen Hansa Rostock mit 0:1. Das Team zeigte eine der schwächsten Saisonleistungen und konnte zu keinem Zeitpunkt offensiv wirklich gefährlich werden. Hansa Rostock hingegen schaffte es, die Schwachpunkte des FCSP offen zu legen. Eine Analyse voller Frust, geschrieben mit Tango tanzenden Fingern.
(Titelbild: Fotostand/Voelker/via ImagoImages/via OneFootball)
Einen Reisebericht des Trips nach Rostock von Debbie gibt es auch zu lesen. Schön ist der nicht.
Die Aufstellung
Ein Trio war neu in der Startaufstellung des FC St. Pauli: Luca Zander, Finn Ole Becker und Afeez Aremu kamen für Adam Dźwigała (Bank), Jackson Irvine (nicht im Kader) und Eric Smith (verletzt) rein.
Bei Hansa Rostock gab es sogar vier Veränderungen. Hanno Behrens, Nico Neidhart, Lukas Fröde und Calogero Rizzuto rückten für Julian Riedel, Björn Rother, Pascal Breier und Haris Duljevic in die Startelf.
Hansa-Trainer Jens Härtel ist bekannt dafür, dass er seine Teams immer enorm gut auf die jeweiligen Gegner einstellt. Entsprechend verwunderlich war, wie schlecht das Team im Hinspiel mit der Spielweise des FC St. Pauli klargekommen ist. Für das Rückspiel hatte man sich dann aber eine passende Formation zurechtgelegt. Das Team lief in einem 3-5-2 auf, also mit jenem System mit dem der FCSP die meisten Probleme im Saisonverlauf hatte. So kam es dann auch…
Mannorientierung, hohes Anlaufen = Probleme für den FCSP
Die große Stärke des FC St. Pauli ist üblicherweise der Spielaufbau. Hier sind Leart Paqarada und die beiden Achter von zentraler Bedeutung, da sie Verbindungen nach vorne schaffen können. Hansa Rostock wählte deshalb einen sehr einfachen, aber auch enorm erfolgreichen Ansatz: Die beiden Achter wurden eng in Manndeckung genommen (von Behrens und Rhein) und die beiden Flügelverteidiger (Rizzuto und Neidhart) liefen die Außenverteidiger des FC St. Pauli aggressiv an. Hier machte sich dann auch, mal wieder, die gegnerische Dreierkette bezahlt. Denn die Flügelverteidiger können nur dann hoch anlaufen, wenn sie dahinter keine Räume preisgeben. Durch drei Innenverteidiger ist diese Sicherheit vorhanden, weil sie gegen die zwei FCSP-Angreifer problemlos auf die Außenbahn schieben können, wenn der eigene Flügelverteidiger hoch anläuft.
Aber natürlich ist die Geschichte des Spiels damit nicht auserzählt. Denn wenn irgendwo der Raum verknappt wird, öffnet er sich woanders auf dem Feld. Eine sehr pragmatische Lösung sind lange Bälle. Die flogen in der ersten Halbzeit auch in Hülle und Fülle gen Simon Makienok. Aber die Positionierung für die zweiten Bälle war alles andere als optimal. Die Achter des FCSP, Hartel und Becker, waren zu tief positioniert, um auf zweite Bälle zu spielen. Eine weitere Option hätte sein können, dass der FCSP in der Offensive enorm in die Breite zieht. Dabei hätte Kyereh vorne aufrücken müssen, um dort eine Dreierlinie zu bilden, die dann die drei Innenverteidiger in die Breite zieht. Das wurde erst in der zweiten Halbzeit versucht.
Der Raum im Spielaufbau war aber grundsätzlich auch im zentralen Mittelfeld vorhanden. Afeez Aremu hatte keinen direkten Gegenspieler und konnte sich frei im Sechserraum bewegen. Hätte es der FC St. Pauli mehr über ihn versucht, dann hätten automatisch die beiden direkten Gegenspieler von Hartel und Becker reagieren oder Hansa hätte sich schnell tiefer stellen müssen, weil die Stürmer hinter den Ball hätten kommen müssen.
Ihr merkt, da ist sehr viel Konjunktiv in diesem Absatz. Afeez Aremu ist und bleibt ein sehr starker Sechser in der Defensive. Das Aufbauspiel, das Erkennen, dass er Räume hat und diese für sich zu nutzen, fehlt ihm bisher noch.
Kein Konzept
Aber selbst wenn es dem FC St. Pauli gelungen wäre zentral die Räume zu nutzen, es hätte nicht das Problem in der Defensivarbeit gelöst (weshalb ich hier betonen möchte, dass Aremu nicht exklusiv für das schlaffe Offensivspiel haftbar gemacht werden kann). Hansa Rostock hat sicherlich das Spiel des FCSP gegen Hannover 96 genau angeschaut und analysiert, wo es Räume in Umschaltmomenten gibt – hinter den Außenverteidigern nämlich. Immer wieder bewegte sich der richtig starke Svante Ingelsson in eben jenen Raum nach Ballgewinn und Hansa konnte darüber mehrfach in der ersten Halbzeit gefährlich werden. Nur dank eines überragenden Nikola Vasilj im Tor ging es mit einem 0:0 in die Pause.
Defensiv anfällig und offensiv zwar mit einigen Szenen, aber meist dann doch eher mit Frage- als Ausrufezeichen war der FC St. Pauli unterwegs. Das wirkte ziemlich planlos in der Offensive. Es war kein klares Konzept erkennbar, was auch Marcel Hartel im Anschluss an die Partie ziemlich deutlich so ins Sky-Mikrofon sagte.
Der FCSP probierte vieles, aber hat nichts so richtig durchgezogen. Dabei wird eine Spielweise meist erst dann richtig stark, wenn sie auch radikal durchgezogen wird. Besonders das Breitziehen der Angreifer wäre womöglich eine gute Option gewesen, wurde aber nicht konsequent umgesetzt. Es klingt sehr abgedroschen und ebenfalls ideenlos in Sachen Analyse, aber: Das Team war ideenlos in der Offensive. Und nicht radikal genug bei der Umsetzung der eigentlich vorhandenen Konzepte.
Der FC St. Pauli nimmt sich selbst aus dem Spiel
Eine Option, die ich mir bereits in der ersten Halbzeit gewünscht hatte, wäre das Zurückfallen von Aremu zwischen die beiden Innenverteidiger gewesen. Dadurch hätten Beifus und Medić Raum gehabt, weil sie weder von den beiden Angreifern (waren nur zu zweit), noch von den Flügelverteidigern (wären von Außenverteidigern gebunden worden) hätten angelaufen werden können. Dieses taktische Verhalten im Aufbau war einer der Schlüssel für den Erfolg des FC St. Pauli beim Spiel in Ingolstadt. Es wäre interessant gewesen zu sehen, wie Hansa darauf reagiert hätte.
Stattdessen wurde zur zweiten Halbzeit komplett umgestellt: Mit James Lawrence kam ein dritter Innenverteidiger ins Spiel. Der FC St. Pauli spiegelte die Formation von Hansa Rostock und agierte ebenfalls mit einer Dreierkette. Dabei ging es aber nicht primär um das eigene Offensivspiel, sondern darum die vielen erfolgreichen tiefen Läufe von Hansa auf der Außenbahn zu unterbinden. Das gelang mit Beginn der zweiten Halbzeit. Aber das war auch das einzig Gute an der Umstellung.
Denn es war sicher alles andere als ein spielerischer Hochgenuss, den der FC St. Pauli in der ersten Halbzeit bot. Aber mit der Umstellung auf eine Dreierkette nahm sich der FCSP jegliche Optionen in der Offensive. Das eigene Spiel kam komplett zum Erliegen, weil es keinerlei Entlastung mehr gab, wie Timo Schultz nach dem Spiel sagte. Und in gewisser Weise war das auch ein Geschmack dessen, was passiert, wenn der Sechser zwischen die Innenverteidiger fällt, weil die Formation dann ähnlich ist.
Die folgenden Zeilen tun besonders weh: Die Führung für Hansa Rostock in der 59. Minute war hochverdient. Aufgrund der vielen hochkarätigen Chancen, die es bereits in der ersten Halbzeit für Hansa gab, aber auch aufgrund dessen, dass sich der FCSP zu Beginn der zweiten Halbzeit offensiv gar nicht mehr zeigen konnte.
Eher ungewöhnlich, aber auch wenig verwunderlich dann, dass der FC St. Pauli fünf Minuten nach dem Rückstand eine Rolle rückwärts machte und mit der Einwechslung von Rico Benatelli wieder auf sein 4-4-2 mit Raute umstellte. Mit ihm auf dem Platz konnte der FCSP wieder deutlich mehr Spielkontrolle erlangen. Das lag zum Teil sicher auch daran, dass sich der Gegner nun sehr weit zurückzog, aber Benatelli will halt auch immer den Ball haben und die Räume gab es ja auf der Sechserposition.
Viel, sehr viel Frust
Eine Aufholjagd, ein entschlossenes Stemmen gegen die Niederlage gab es allerdings nicht. Zumindest war es nicht ersichtlich. Und das ist dann sicher der größte Kritikpunkt, den ich hier wenige Stunden nach Abpfiff in meinem Frust nun runterschreibe. Ich muss hier gerade ganz ungewohnt mit meinen Fingern auf dem Touchpad Tango tanzen, weil ich in der 85. Minute meine Computer-Maus zerstört habe. Ich habe sie auf den Tisch geknallt, weil sich Luca Zander (es hätte auch bei vielen folgenden Szenen passieren können) mit der Geschwindigkeit eines nassen Boxsacks zu einem eigenen Einwurf bewegte. Bei Rückstand. Kurz vor Schluss. Gegen Rostock. Das war zu viel für mich.
Denn von einem Aufbäumen, vom Versuch dieses Spiel noch zu drehen, war rein gar nichts zu spüren. Niederlagen kann ich sowieso immer nur ganz schwer ertragen. Bei einem Spiel gegen Hansa Rostock, einem Spiel, bei dem man bereits mit einem Punkt zumindest über Nacht wieder die Tabellenführung hätte übernehmen können, war das aber nicht auszhalten und schlicht schwer enttäuschend. Die Niederlage war nichts anderes als hochverdient. Ihr schuldet mir eine Computer-Maus, FC St. Pauli!
So. Genug gemosert. Genug gemotzt. Das Spiel ist verloren, die Leistung war scheiße. Zu ändern ist das jetzt nicht mehr. Daher bringt es auch herzlich wenig, sich darüber allzu lange zu ärgern. St. Pauli ist die einzige Möglichkeit und daher richtet sich der Blick einzig und allein nach vorne. Nächstes Wochenende kommt Werder Bremen ans Millerntor. Einfache Mathematik reicht aus, um zu erkennen, dass mit einem Sieg das Träumen weitergeht. Und der jetzige Frust vergessen werden kann.
Immer weiter vor!
// Tim
Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.
MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube
Moin Tim, danke für Deine schonungslose Analyse. Trifft sich sehr mit meinen Eindrücken. Hätte Vasilj nicht einen so guten Abend erwischt…..und ganz ehrlich, wir hätten uns auch nicht beschweren können, wäre das erste Tor gegeben worden. Taktisch war unser Team falsch eingestellt (vercoacht!) und es war wenig bis keine Leidenschaft von unseren Jungs zu spüren. Die 1. Halbzeit war durch den vielen Ballbesitz noch ok, aber die 2. war so grottig, dass ich bezweifle, dass wir diese Saison überhaupt noch ein Spiel gewinnen. Mich erinnerte das Spiel etwas an unser DFB- Pokalspiel gegen Dortmund, nur dieses Mal waren wir Favorit. Ich bin sowas von gefrustet. Und das, obwohl ich zu denen gehöre, die gerne in der 2. Liga spielen.
Danke für die gute Zusammenfassung dieser Offenbarung.
Auch einen Tag später ist das alles nicht besser. Rostock wollte und konnte gar nicht anders als sich um den Strafraum zu stellen und zu kontern. Und während wir noch in der ersten Halbzeit planlos den Ball hin und her geschoben haben (und trotzdem weniger Abschlüsse hatten), war das in der zweiten Halbzeit einfach nur übel. Dazu kommt, dass wir erneut absolut nicht damit klarkommen, wenn der Gegner Aggressivität ausstrahlt, und bereit ist permanent an die Grenzen des Erlaubten und manchmal auch darüber hinaus zu gehen.
Dazu kommen noch die äußeren Umstände, Und das ärgert mich wirklich mittlerweile: Es ist nicht Hurra und Sonnenschein eine St. Pauli Mannschaft nach Rostock zu begleiten, das wurde gestern erneut vor Augen (und Ohren) geführt. Dafür riskieren die Anwesenden ihre Gesundheit. Und denen da auf dem Platz war das offenbar überhaupt nicht klar. Ansonsten ist dieser fürchterliche Kick in dieser Form nicht zu erklären.
Und zusammen genommen mit dem leidenschaftslosen Auftritt beim Derby finde ich das alles echt ungeil. Ich finde jedenfalls, dass sich die Protagonisten ernsthaft hinterfragen sollten. Mit dem Trainer an allererster Stelle.
Und damit das ganz klar ist: Man kann Derbys verlieren, oder in Rostock. Kein Problem, das ist Sport. Da habe ich gar keinen Stress damit. Hier geht es aber um das „Wie“. Niemand kann mir nach gestern erzählen, dass hier alles in die Waagschale geworfen wurde. Und das war beide Male ernüchternd.
Eigentlich bräuchte ich genau jetzt ne Länderspielpause. Fertig geärgert.
Da es ja nicht einzelne Mamschaftsteile waren, die abfielen sondern irgendwie bei allen Hamdlungsschnelligkeit und die letzten Prozentpunkte Engagement fehlten, stellt sich die Frage, was in den Laenderspielpausen gemacht wird. Ist ja nicht das erste Mal. Sind ja nicht alle weg. Wobei Kofi gestern schon merklich abfiel gegenüber seinen sonstigen Leistungen
Moin Tim,
Danke für deine Analyse, die leider aus meiner Sicht genauso zutrifft.
Das war schon schwer zu ertragen.
Und sei froh dass du das Spiel am PC geschaut hast und nicht auf dem Handy (ich spreche aus Erfahrung)
Moin Tim,
hätte hätte hätte…
Wirklich ne gute Zusammenfassung hier von Dir, und schade um Deine Maus!
Ganz ehrlich von mir hier, Dein Traum vom Aufstieg ist für mich seit gestern eher ein Alptraum! Erspar Dir bitte schon für Deine CompiHardware solche träumerische Gedanken. Ich habe gerade für nächsten Sonnabend ein richtig schlechtes Gefühl! Hoffe jetzt wenigstens zu Hause auf bedingungslosen Einsatz Unserer Boys gegen die Wiesenhofer.
Gestern habe ich mich übrigens auch über Unser AFM Radio geärgert, welches aus Unserem Vereinsheim via Sky Unseren „Gruselkick“ kommentiert hat, denn damit war die Übertragung um fast ne Minute hinter der Live Übertragung im FreeTV! Muss das sein, ich hätte da gerne sofort ne (Rück)Meldung an Unser Sonst So starkes AfM (Sehbehinderten)Radio geben wollen, habe aber kein Fratzenbuch und sie bei Twitter nicht gefunden. Vielleicht kannst Du mein Anliegen wegen gestern denen mal mitteilen.
Mir reicht am Ende der Saison übrigens immernoch Platz IV, bloß keine Geld oder KonzernVereine in der nächsten Saison mit heftigen Niederlagen am Millerntor…
Gleich geht es für mich nach Atlas DEL Unsere 1. Frauen Supporten, der nasse „Boxsack“ von gestern sei hiermit vergessen.
Sankt Pauli ist die einzige Möglichkeit, Forza
Moin Micky,
danke für die Rückmeldung. Ich leite das ans AFM-Radio weiter. Viel Erfolg in Delmenhorst!
Moin Tim,
Unsere 1. Frauen wurde heute in DEL mit reichlich FanGesängen zum Souveränen ZwoNull begleitet und danach richtig fein verabschiedet. Außerdem gab es sogar dort mit großem Erfolg Unsere Spendenaktion durch die „Zuschauerverpflegung“ für die Ukraine.
Finde übrigens, dass Unsere Girls in Brown hier aecht viel zu kurz kommen im Vergleich zur viel zu teuer bezahlten Herrenmannschaft(en). FrauenPower und Forza Sankt Pauli
(St. Pauliatrie Oldenburg)
Hallo!
Unabhängig von den taktischen Geschehnissen geht bei uns alles den Bach runter, sobald ein Gegner uns mit Härte und Aggressivität entgegentritt. Unsere Truppe ist meiner Einsicht nach viel zu brav, selbst ein Medic lässt sich dadurch beeindrucken. Wenn man sich kaum wehrt und eine Niederlage wie gestern im Prinzip hinnimmt, geht bei mir der Puls in den ungesunden Zustand. Trotzdem: Wir sind noch gut dabei, haben es selbst in der Hand, deswegen immer weiter vor, die Heimspiele gewinnen und auswärts weniger ängstlich auftreten.
Danke für eure Arbeit und beste Grüße
Frank
Danke für den guten Bericht! Grundsätzlich muss man aber auch mehr die einzelnen Spieler unter die Lupe nehmen.
Medic: seit Monaten haarsträubende Fehler in jedem Spiel
Daschner: hoffnungslos überfordert
Dzwigala, Matanovic, Benatelli: warum nicht mehr Einsatzzeit?
Becker: Tragische Saison. Ich finde seine Auftritte eigentlich ganz gut
Kyereh: warum hat der durchgespielt?