Der FC St. Pauli enttäuscht beim 1:1 gegen den SV Sandhausen und zeigt Dinge, die eigentlich der Vergangeheit angehören sollten. Tun sie aber leider nicht und daher gab es einen gehörigen Dämpfer im Aufstiegskampf, den wir jetzt alle erstmal verdauen müssen.
(Titelbild: imago images/via OneFootball)
Gestern kurz nach Abpfiff hat Maik den Bericht „Das reicht leider nicht“ veröffentlicht, den ich euch empfehlen möchte.
Eigentlich hätte ich hier gerne sowas wie „Nicht schön, aber dafür verdammt wichtig“ im Titel geschrieben. Und eigentlich müsste da „Nicht schön, weil beschissen gemacht“ stehen. Ich habe mich für die Mitte entschieden. Selbst nachdem ich mir das Spiel nun noch ein zweites Mal angeschaut (a.k.a. mir reingezwängt) habe, ist es nicht besser geworden. Der FC St. Pauli hat sich mal wieder auf das gegnerische Niveau herunterziehen lassen und in Sandhausen eine große Chance liegen lassen.
Die Aufstellung
Drei personelle Veränderungen gab es auf Seiten des FC St. Pauli: Für Marcel Beifus kam Adam Dźwigała auf der rechten Abwehrseite zum Einsatz. Rico Benatelli ersetzte Afeez Aremu auf der Sechser-Position und Simon Makienok kam für Daniel-Kofi Kyereh in die Startelf. Auf die Kyereh-Position rückte Amenyido, Makienok startete neben Burgstaller. Wie üblich, lief das Team in einem 4-4-2 mit Mittelfeldraute auf.
Der SV Sandhausen wechselte zweimal im Vergleich zum erfolgreichen Spiel gegen Dynamo Dresden zuletzt: Tom Trybull kehrte nach Gelbsperre zurück auf den Platz und ersetzte Christian Kinsombi und wie bereits auf der PK vor dem Spiel von SVS-Trainer Alois Schwartz befürchtet, war Dennis Diekmeier nicht einsatzbereit. Für ihn kam Bashkim Ajdini in die Startelf. An der Grundordnung änderte sich dadurch nichts. Alois Schwartz schickte das Team in einem 4-1-4-1 auf das Feld.
Spiegel statt Kette
Unter der Woche hatte der FC St. Pauli den Spielaufbau gegen tiefstehende Ketten trainiert. Nach dem Spiel ist klar, dass diese Übung zumindest für das Spiel gegen den SV Sandhausen nicht unbedingt notwendig war. Denn anders als (auch von mir) gedacht, stellte sich das Team von Alois Schwartz verändert gegen die Raute des FCSP auf und lieferte damit einen der Gründe, warum wir gestern gesehen haben, was wir gesehen haben.
Wenn der FCSP im Ballbesitz war, bildeten sich im Mittelfeld vier Pärchen: Tom Trybull orientierte sich zu Etienne Amenyido, Erik Zenga nahm Marcel Hartel in Manndeckung, Cedric Seufert bewachte Jackson Irvine und Janik Bachmann suchte die Nähe von Rico Benatelli.
Gerade die letzten beiden Pärchen waren schon besonders, weil der SVS dafür Extra-Wege in Kauf nahm. Seufert, eigentlich auf der offensiven Außenbahn im Einsatz, rückte ins Zentrum. Seine Position auf dem Feld nahm Pascal Testroet ein und Bachmann schob von seiner Achter-Position enorm weit nach vorne, um bei Benatelli zu sein. Dadurch konnte auch Cebio Soukou seine Außenposition halten. Gerade die Rolle von Testroet und Soukou war sehr wichtig, weil sie die direkten Passwege aus der Innenverteidigung auf die Außenverteidiger mindestens störten bzw. die Außenverteidiger im Anschluss sofort unter Druck setzten.
Diese enge Manndeckung war ein Grund, warum der FC St. Pauli über das gesamte Spiel große Probleme hatte die Spielkontrolle zu erlangen und auch über einen längeren Zeitraum zu halten. Auf dieses Verhalten in der Defensive versuchte der FCSP mit drei verschiedenen Ansätzen zu reagieren (richtig gut funktioniert hat keiner):
- Rotationen im Zentrum
- fallende Sechs
- „Exit“-Strategie
Bei den Rotationen im Zentrum versuchten sich die FCSP-Spieler ihrer Gegenspieler zu entledigen, indem sie weite Wege gingen. Nicht selten bewegte sich Jackson Irvine aus hoher Position mit ordentlich Tempo gen eigene Hälfte oder Marcel Hartel war plötzlich weit links draußen oder im rechten Halbraum zu finden. Die beiden Achter versuchten durch diese Bewegungen ihrer Gegenspieler loszuwerden. Das klappte mehr schlecht als recht (und in der zweiten Halbzeit noch schlechter), weil der SVS in den entscheidenden Momenten gut kommunizierte und Spieler übergab.
Auch Rico Benatelli versuchte der engen Bewachung von Bachmann zu entkommen. Er agierte zumeist als fallende Sechs, ließ sich also im Spielaufbau zwischen die beiden Innenverteidiger fallen. So wirklich entkommen ist er damit nicht und der Effekt dieser Aktion blieb aus, da die weiteren Abläufe dieser Bewegung in den restlichen Mannschaftsteilen nicht konsequent durchgesetzt wurden.
Grundsätzlich bietet eine fallende Sechs den Außenverteidigern die Möglichkeit weit mit hoch zu schieben (was fast gar nicht geschah) und die Achter als eine Art Zwischenstation zu nutzen. Wenn die Außenverteidiger weit hoch geschoben hätten, dann wäre eine Reaktion der SVS-Außenverteidiger unvermeidlich gewesen, was widerrum den Druck in der Defensiv-Zentrale erhöht hätte.
Und wenn nichts mehr hilft, dann hätten noch lange und hohe Bälle auf Simon Makienok helfen können, die sogenannte „Exit“-Strategie. Aber die funktioniert nicht einfach so, sondern verlangt auch ein wenig Vorbereitung, besonders in der Positionierung (viele Mitspieler in seiner Nähe, um den zweiten Ball zu bekommen). Auf dieses Stilmittel griff der FC St. Pauli vermehrt in der zweiten Halbzeit zurück. Wirklich effektiv war es aber nicht, wie wir alle in der zweiten Halbzeit sehen konnten.
Ein typisches SVS-Spiel
In der ersten Halbzeit versuchte der FC St. Pauli viel und war eher selten erfolgreich. Trotzdem ging das Team mit 1:0 in Führung und hatte damit alles in der eigenen Hand. Denn mit zunehmender Spieldauer hätte der SVS von dieser defensiven Spielweise abweichen müssen, dachte ich. Das tat er nur bedingt: Selbst kurz vor Schluss regierte weiter die Vorsicht beim Team von Alois Schwartz. Ein zusätzliches Risiko aufgrund des Rückstandes war nicht auszumachen und ich fragte mich während des Spiels mit jeder zusätzlichen Minute, wie es der SVS noch zum Ausgleich bringen möchte.
Auch der FC St. Pauli agierte enorm vorsichtig. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum es in der Offensive so sehr haperte. Der Fokus lag primär auf einer guten Absicherung. Wie krass dieser Fokus war zeigten die eigenen Standard-Situationen, bei denen Philipp Ziereis, eigentlich ein kopfballstärkerer Spieler, gar nicht vorne mit reinging, sondern als Absicherung hinten blieb. Ähnliches gilt für die beiden Außenverteidiger, die nicht allzu weit mit hochschoben, obwohl mit der fallenden Sechs grundsätzlich die Möglichkeit dazu vorhanden gewesen ist.
Das risikoarme Spiel wäre vermutlich mit der Zeit aufgelöst worden, wenn es länger beim 0:0 geblieben wäre. Musste es aber nicht, weil es kurz vor der Halbzeit den Elfmeterpfiff (ein Glück haben wir nicht noch eine weitere Diskussion nach letzter Woche) und die anschließende Führung gab. Aber es gibt einen Unterschied zwischen risikoarmen Spiel und unsicherem Spiel. Den gab es aber gestern nicht unbedingt zu sehen. Denn wirkliche defensive Stabilität strahlte der FCSP zu keiner Zeit aus, selbst gegen den offensiv mehr als mauen SV Sandhausen.
Bevor jetzt hier das gesamte FCSP-Spiel kurz und klein geschrieben wird: So ist das nicht gemeint. Ja, der FCSP hat über das gesamte Spiel kein wirklich gutes Mittel gegen die massive SVS-Defensive gefunden. Ja, wir alle hatten gehofft, dass das Team da einen Schritt weiter gewesen wäre, vor allem nach der Hinrunde. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass der SV Sandhausen mit seiner Spielweise allen Teams in der zweiten Liga große Probleme bereitet. Der 1. FC Heidenheim, Darmstadt 98, der HSV, Werder Bremen und nun der FC St. Pauli. All diese Teams eint, dass sie gegen den SV Sandhausen in der Rückrunde 1:1 gespielt haben.
Es ist also kein exklusives Gefühl mit dem der FCSP aus der Partie gegen Sandhausen rausgeht. Es ist einfach eines der unangenehmsten Teams, gegen die in der Rückrunde offensiv nicht vieles möglich ist.
Zeitspiel in schlecht
Trotzdem möchte ich das auch nicht als Ausrede für das gestrige Spiel stehen lassen. Denn der FCSP musste mit der Führung im Rücken sicher nicht das Risiko erhöhen in der zweiten Halbzeit und extrem offensiv werden. Aber er muss sich die Frage gefallen lassen, was denn nun das größere Risiko für das eigene Tor birgt: Offensiv mutiger zu agieren und auf das zweite Tor spielen (bzw. zumindest nicht nachlassen) oder zu versuchen den Vorsprung zu verwalten. Bei nur einem „Zu Null“-Spiel in den letzten 21(!) Versuchen habe ich da einen Favoriten. Denn sich einzig auf die Tor-Verteidigung zu konzentrieren hat in vielen Spielen diese Saison nicht wirklich gut geklappt.
Der FC St. Pauli hat sich aber mit zunehmender Spieldauer immer schlechter und mutloser in der Offensive bewegt und dadurch dem SVS immer mehr Raum und vor allem Zeit gegeben. Wenn sich das Team schon in den Verwaltungs-Modus begeben will, dann muss das auch richtig durchgezogen werden. Wenn dieser Modus aber daraus besteht, dass ohne jeglichen Gegnerdruck lange Bälle nach vorne gespielt oder Risikopässe vorne in völlig falschen Momenten gespielt werden (nämlich dann, wenn ein Rück- oder Querpass möglich gewesen wäre), dann muss der Modus dringend neu justiert werden.
Der FCSP hat sich in den letzten zehn Minuten an Zeitspiel versucht und klar gezeigt, dass er dazu überhaupt nicht fähig ist. Im Nachhinein ist man immer schlauer, aber der SVS hat selbst in der Schlussphase noch so wenig Druck auf die Innenverteidiger des FCSP ausgeübt, wenn diese im Ballbesitz waren, dass konzentrierte Quer- und Rückpässe sehr viel Zeit gebracht hätten.
The Körpersprache wants Ausgleich
Es war also nicht der SV Sandhausen, der sich zur großen Schlussoffensive aufschwang. Das Einzige, was sich auf dem Platz in den letzten Minuten änderte, war die Körpersprache des FC St. Pauli. Nein, damit meine ich nicht das von einigen Seiten gern bemängelte fehlende „Dazwischenhauen“, „Zeichen setzen“, etc. – Das wäre dann nötig, wenn das gegnerische Team enorm gut zurechtkommt und viel Druck aufbaut. Das wäre dann nötig, wenn man den Flow des Gegners unterbinden will.
Ein Zeichen hätte das Team viel eher damit setzen können (besonders beim Gegner), wenn sie denn mal einen Konter richtig ausgespielt hätten. Und damit meine ich noch nicht einmal, dass sie das 2:0 hätten erzielen müssen. Ein Torschuss oder zumindest eine Aktion, bei der ein Gegner denkt „Boah, wir müssen hier aufpassen, dass die nicht den Deckel draufmachen„, wäre das einzig richtige Zeichen gewesen. Stattdessen gab es kein zweites Tor in der Schlussphase. Es gab noch nicht einmal einen Torabschluss. Nicht einmal eine Aktion, die zumindest ein Gefühl von Gefahr erzeugte. Keine FCSP-Spieler, die mit Gestik, Mimik oder anderen Körperteilen den Gegner zu verstehen gaben, dass es hier und heute keine Möglichkeit mehr auf ein Unentschieden gab. Sechs Torschüsse gab der FC St. Pauli in diesem Spiel ab. So wenige waren es noch nie in dieser Saison. Gegen den SV Sandhaausen, der die meisten Torschüsse der Liga zulässt. Das war wirklich schwach und enttäuschend vom FCSP.
Es kam dann also, was kommen musste: Adam Dźwigała schaute einem Ball nur nach, vermutlich, weil er ihn bereits im Aus sah. Kinsombi flitzte aber hinterher und stoppte ihn auf der Seitenlinie. Dźwigała erkannte, dass er da doch hinterher musste, ließ sich dann aber ziemlich plump von Kinsombi abkochen, wodurch die letzte Ecke für den SVS entstand.
Übrigens erzielte der SV Sandhausen auch im Hinspiel ein Tor im Anschluss an eine Ecke. Damals bereits ausgewechselt: Simon Makienok. Ja, der hat sicher nicht alles wegköpfen können und womöglich hätte er auch das Gegentor nicht verhindert, aber es ist schon bezeichnend, dass Sandhausen in beiden Spielen erst dann ein Standard-Tor erzielte, nachdem Makienok den Platz verlassen hatte.
So weit, so ernüchternd
Aber natürlich hat es nicht an diesem erneuten Standard-Gegentor gelegen. Wenn der FCSP das Ding mit 1:0 gewinnt, dann sage alle, dass das nicht wirklich gut war, aber, dass das halt auch nicht anders zu erwarten ist, wenn es gegen den SVS geht. Vermutlich hätte ich das genauso aufgeschrieben und mich diebisch über einen dreckigen Sieg gefreut.
Der FC St. Pauli hat es aber verpasst einen Fußball zu spielen, egal ob offensiv zaubernd oder defensiv kontrolliert, der es verdient hätte mit drei Punkten belohnt zu werden. Wir müssen wohl oder übel akzeptieren, dass der aktuelle FCSP wenig gemein hat mit dem rauschhaften Fußball der Hinrunde. Das fällt mir sehr schwer, vor allem dann, wenn ich den Eindruck habe, dass sich das Team trotz der jetzigen Tabellensituation lethargisch auf dem Platz verhält.
Nun ist es, wie es ist und Timo Schultz sagte es auf der Pressekonferenz nach dem Spiel völlig richtig: „Wir haben einen Punkt gewonnen, aber es fühlt sich so an, als wenn wir fünf verloren hätten.„. Und trotzdem hat das Team weiterhin alle Chancen aufzusteigen. Denn egal, wie die Spiele am heutigen Sonntag ausgehen, der FCSP wird mindestens in Schlagdistanz zu den Aufstiegsrängen bleiben und kann in den nächsten Spielen gegen direkte Konkurrenten das Blatt wieder voll und ganz zu seinen Gunsten wenden. Und solange das möglich ist, werde ich nicht aufhören daran zu glauben, dass wir diese Saison Großes schaffen werden.
Immer weiter vor!
// Tim
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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.
Wie du schon richtigerweise bemerktest, es hat derzeit nichts mehr mit den Auftritten der Hinrunde zu tun. Ergo Platz 11 in den Rückrundentabelle auch als durchaus realistisches Abbild des momentanen Leistungsstandes. Großes wird da leider nicht mehr herauskommen, dazu bedürfte es dann schon einer gewaltigen Leistungssteigerung. Unerwartet kommte dieser ‚Einbruch‘ allerdings nicht xg und xga ließen dies schon lange befürchten. Ich hätte mich da gerne getäuscht, aber wer weiß vielleicht täusche ich mich jetzt ja auch wieder und es geht doch noch etwas. We’ll see and keep the fingers crossed.
Ja, stimmt, die xG-Werte haben das schon lange gezeigt. Ich nehme trotzdem die Variante mit dem Aufstieg 😉
Fingers crossed
Also zum Spiel kann ich wenig sagen, weil die meiste Zeit des Spiels die große USP Fahne zwischen dem Spielfeld und meinen Augen war, aber einfach nur für das Gefühl bis zur 90. Minute war es einfach geil mal wieder in einem vollen Gästeblock mit guter Stimmung gewesen zu sein. Gerade in der 2. HZ hat es richtig Bock gemacht…. naja, bis es dann den harten Nackenschlag nach Ecke in der Nachspielzeit gab.
Irgendwie ist beides ist irgendwie St Pauli.