Vorbericht: FC St. Pauli – Holstein Kiel (16.Spieltag, 22/23)

Vorbericht: FC St. Pauli – Holstein Kiel (16.Spieltag, 22/23)

Zum Abschluss des Jahres 2022 am Millerntor empfängt der FC St. Pauli einen spielerisch sehr attraktiven Gegner: Holstein Kiel steht in dieser Saison für Spektakel. Der Vorbericht.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Das Millerntor wird ausverkauft sein. Das Flutlicht wird leuchten. Der DOM auch. Für viele ist das ja bereits Motivation genug und zuletzt schien es auch die Spieler des FC St. Pauli zu beflügeln. Das kann ich gut verstehen, denn ich habe auch mega Bock auf das Spiel.

FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?

Wenig Neues berichtete Timo Schultz auf der Pressekonferenz vor dem Spiel in Bezug auf Verletzungen. Klar ist, dass mit Christopher Avevor, David Nemeth, Jakov Medić und dem nun gesperrten Betim Fazliji gleich vier Innenverteidiger für das Spiel nicht zur Verfügung stehen werden. So ist es umso besser zu hören, dass Schultz damit rechnet, den am Wochenende noch angeschlagen fehlenden Marcel Beifus heute einsatzbereit zu haben. Ob er direkt eine Option für die Startelf ist, dürfte davon abhängen mit welcher Formation der FCSP spielen wird.

Vier Innenverteidiger fallen aus

Für Franz Roggow und Niklas Jessen dürfte das Spiel noch zu früh kommen, da beide erst jüngst nach ihren Muskelverletzungen wieder ins Training eingestiegen sind. So ganz wollte sich Schultz dann aber auch nicht festlegen, ob wirklich alle Spieler das Düsseldorf-Spiel so gut überstanden haben, sodass sie auch gegen Kiel spielen können. Denn „ein paar Tritte und Schläge“ habe es gegeben und er wollte erst einmal das Training am Montag abwarten.

Holstein Kiel: Wer kann spielen, wer fehlt?

Einen Schritt weiter als Schultz ist Marcel Rapp, der Trainer von Holstein Kiel. Er verkündete auf der Pressekonferenz, dass alle Spieler „gesund aus Karlsruhe zurückgekommen“ seien und ihm entsprechend der identische Kader wie beim deutlichen 4:1-Sieg in Karlsruhe zur Verfügung stehen wird.

Vier Spieler werden sicher ausfallen: Marco Komenda (Reha nach Sehnen-OP), der sich beim Hinspiel der Vorsaison schwer verletzte und seitdem nicht so richtig auf die Beine kommt. Zudem fehlen Innenverteidiger Timo Becker (Oberschenkelverletzung) und Defensiv-Allrounder Aleksandar Ignjovski (Innenbandverletzung), sowie der letztjährige Top-Torjäger Benedikt Pichler (Fußreizung – was auch immer das ist).

Was haben die Störche zu bieten?

„Allergröschtn Räschbäkkt“ vor dem FC St. Pauli bringt Trainer Rapp auf jeden Fall im feinsten Dialekt auf. Er betont, wie ja auch andere, dass sich das Team in vielen Spielen unter Wert verkauft habe und das die Statistiken ein ganz anderes Bild des FCSP zeichnen würden.
Grundsätzlich zeigt sich Rapp auf der PK sehr selbstbewusst, was die Leistungsfähigkeit seines Teams angeht (bester Moment als er einen Journalisten korrigierte und betonte, dass das Spiel ein „Nord-Duell und kein Nord-Derby“ sei).

Holstein Kiel ist gut in die Saison gestartet mit acht Punkten aus den ersten vier Spielen, hat dann aber eine heftige 2:7-Klatsche in Paderborn hinnehmen müssen. Zwischendurch gab es eine Serie von vier Spielen ohne Sieg, aber zuletzt verlor das Team nur eines von sechs Spielen und holte in dieser Zeit starke elf Punkte. Mit 23 Punkten steht man auf Platz acht und es besteht Kontakt nach oben.

Kiel, Deutschland, 17.12.2021 - Fin Bartels (Holstein Kiel) im Duell mit Eric Smith (FC St. Pauli) - Copyright: Peter Boehmer
Fin Bartels, inzwischen schon in größter Würde ergraut, spielt bei Holstein Kiel weiterhin eine tragende Rolle
(c) Peter Boehmer

Tore, Tore, Tore

Beim Blick auf die Ergebnisse ist auffällig, dass bei Spielen mit Kieler Beteiligung immer was los ist. Nur beim 0:0 gegen Jahn Regensburg am siebten Spieltag gelang dem Team in dieser Saison kein eigener Treffer. Das war zugleich auch das letzte Spiel in dem sich die Störche kein Gegentor fingen. Mit einem Torverhältnis von 29:27 stellt das Team die zweitbeste Offensive und die zweitschlechteste Defensive. Das spiegelt sich auch in den xG-Werten: In Spielen mit Kieler Beteiligung ist dieser am höchsten von allen Teams in der Liga – pro Spiel liegt der xG-Wert bei sagenhaften 3,5 und so fallen pro Spiel tatsächlich auch durchschnittlich 3,7 Tore.

Pizza-Grafik mit Kern-Statistiken von Holstein Kiel nach 15 Spieltagen in der 2. Bundesliga 22/23.

Die Pizza-Grafik zeigt, dass Holstein Kiel in der Offensive durchaus einiges zu bieten hat. Das Team hat verhältnismäßig viel Ballbesitz und versucht meist über die Außenbahnen in Abschlussposition zu kommen. Entscheidend für das Offensivspiel ist die deutliche Rollenverteilung, die es bei den Kielern gibt: Es gibt mit Kwasi Wriedt einen klaren Wandspieler, der meist mit dem Rücken zum Tor agiert und mit Fabian Reese einen offensiven Außen, der diese Rolle so gut ausfüllt, wie wohl sonst kein Spieler in der Liga. Neben Wriedt spielt Steven Skrzybski, der mit zehn Treffern die Torjägerliste der Liga anführt. Und irgendwo in den offensiven Zwischenräumen ist dann auch immer Fin Bartels zu finden.

Offensiv-Quartett passt perfekt

Diese vier Offensivspieler erfüllen ihre Rollen und passen dabei so gut zusammen, wie wohl keine offensive Reihe bei anderen Teams. Während Wriedt den Ballverteiler und typischen Strafraumstürmer gibt, agiert Skrzybski etwas nach hinten abgesetzt und besetzt damit den Zwischenraum zwischen Sechser und Innenverteidigung. Reese ist ein klarer Außenbahnspieler, der mit hohem Tempo viele und weite Wege (auch in die Defensive) geht und mit großem Abstand die meisten Flanken aller Zweitligaspieler aus dem Spiel schlägt (82 bisher – Beste auf Platz zwei hat 54…). Auch Fin Bartels ist zwar oft außen, kippt aber gerne in die Zwischenräume ab und überlädt diese Räume (wir alle wissen, dass der ergraute Fin ein unheimlich kluger und feiner Fußballer ist).

Das ist alles sehr stimmig und aufgrund der unterschiedlichen Rollen, die diese Spieler erfüllen, muss die FCSP-Defensive eigentlich auch das gesamte Repertoire der Verteidigungsarbeit aufweisen, um da nicht von einem dieser Skills geschlagen zu werden. Eine intensive individuelle Vorbereitung auf die Fähigkeiten dieser Spieler hat hoffentlich trotz der kurzen Zeit in der Englischen Woche stattgefunden.

Zu allem Überfluss ist nicht nur die individuelle Komponente bei den Kielern eine echte Waffe, auch die Standards sind es. Nimmt man die Einwürfe mit dazu (ja, da gehen teilweise sogar die Innenverteidiger mit nach vorne bei Einwurf-Situationen), dann haben die Störche in dieser Saison bereits zehn Treffer nach Standards erzielt.

Hamburg, Deutschland, 25.07.2021 - Steven Skrzybski (Holstein Kiel) im Duell mit Eric Smith (FC St. Pauli) - Copyright: Peter Boehmer
Steven Skrzybski ist mit zehn Treffern aktuell der beste Torschütze der 2. Bundesliga
(c) Peter Boehmer

Aber eine solche Offensive, die auch von vielen nachrückenden Spielern geprägt ist (sieben Treffer erzielte Kiel in dieser Saison nach Gewinn eines zweiten Balls), bietet auch Lücken in defensiven Umschaltmomenten. Entsprechend anfällig ist das Team nach Ballverlusten, fing sich bereits zehn Gegentreffer in Umschaltsituationen.
Diese Anfälligkeit ist auch vorhanden, sobald die eigene Defensive in Bewegung gebracht wird. Ist das nicht der Fall, dann steht sie sicher, dank physischer Stärke in direkten Duellen. Innenverteidiger Simon Lorenz liegt mit knapp 75% gewonnener Zweikämpfe auf Platz neun in der Liga, Sechser Patrick Erras ist mit sagenhaften 82% Erfolgsquote der beste Zweikämpfer der Liga.

Ja, ich weiß, das klingt jetzt alles nicht so, als wenn ich davon ausgehe, dass der FCSP diese Offensive so wirklich wird stoppen können. Aber ich möchte hier ehrlich sein und bin der Ansicht, dass die Kieler, gemessen an den Skills, die beste Offensive der Liga stellen (die des SC Paderborn ist die kreativste, die des HSV vermutlich die teuerste). Aber alles hat seinen Preis und dieser lautet bei Holstein Kiel eben, dass die Defensive anfällig ist. Wenn der FC St. Pauli sagt „Scheiß drauf, wir wollen Tore schießen!“, dann kann sich so ein Spiel auch zu einem Scheibenschießen entwickeln.

Mögliche Aufstellung

Wenn Holstein Kiel so agiert, wie zuletzt gegen den KSC, dann darf sich der FC St. Pauli wieder auf eine gegnerische Dreierkette „freuen“. Das Team zeigte aber im Verlauf der Saison auch, dass es mit einer Viererkette agieren kann. Und gerade die offensive Rolle von Reese führt oft dazu, dass auf der Gegenseite defensiver agiert wird, zum Beispiel in Person von Mikkel Kirkeskov, der dann eher so etwas wie einen Außenverteidiger gibt.

Grundsätzlich ist es sehr schwer die Kieler in eine Formation zu pressen, da das Team defensiv seltener tief steht, meist die Gegner in Zweikämpfe verwickelt und oft ein sehr mutiges und aggressives Pressing spielt (erneut ist hier die Qualität von Fabian Reese hervorzuheben). Ob es sich dann um ein flaches 4-4-2 oder ein 3-1-4-2 oder 4-2-3-1 handelt, ist eigentlich ziemlich wumpe. Wichtiger sind Themen wie das Anlaufverhalten und da zeigten sie sich eben sehr flexibel im Saisonverlauf.

Wechsel im Tor

Personell gibt es nur wenig Gründe für Marcel Rapp etwas zu verändern. Das Team dürfte identisch aussehen, Rapp betonte aber, dass sein Kader über eine gewisse Breite verfüge, die es ihm erlaube auch an der ein oder anderen Stelle personell etwas zu verändern.
Eine recht große Veränderung fand vor zwei Wochen im Tor der Kieler statt: Der 20-jährige Tim Schreiber hütet seit dem Spiel gegen Fortuna Düsseldorf das Tor, verdrängte Thomas Dähne aus dem Kasten. Rapp sagte auf der Pressekonferenz, dass Schreiber bis zur Winterpause im Tor stehen werde, da er „gut trainert und sich die Chance verdient“ habe. Nach der Winterpause sollen die Karten dann wieder neu gemischt werden auf dieser Position.

Erwartete Aufstellung beim Spiel FC St. Pauli gegen Holstein Kiel
Erwartete Aufstellung beim Spiel FC St. Pauli gegen Holstein Kiel
(nein, so wird es sicher nicht kommen. Aber wenn ich ein 15-Tore-Spektakel sehen möchte, dann müsste es vermutlich genau diese Aufstellung sein)

Beim FC St. Pauli wird personell ganz sicher etwas passieren. Denn Betim Fazliji muss in irgendeiner Art und Weise ersetzt werden. Das könnte entweder direkt passieren, indem Marcel Beifus in die Startelf kommt oder es findet eine Abkehr vom zuletzt praktiziertem 5-3-2 statt. Ich muss zugeben, dass ich beide Szenarien eher kritisch betrachte (aber für eines muss man sich ja entscheiden).

Eine Abkehr von 5-3-2 und damit eine Rückkehr zur Mittelfeldraute oder zum flachen 4-4-2 könnte gerade gegen die Dreierkette der Kieler problematisch sein, da besonders Fabian Reese dann nicht so gut aufgenommen werden kann. Das letzte Spiel des Jahres 2021 (Kiel gewann hochverdient mit 3:0 gegen den FCSP) ging auch deshalb so in die Bütt, weil die Mittelfeldraute große Probleme gegen die Breite des Kieler Spiels offenbarte.

Beifus oder Abkehr vom 5-3-2?

Das Beibehalten des 5-3-2, indem Beifus ins Team kommt, geht aber auch damit einher, dass es dann halt gar keinen Innenverteidiger mehr auf der Bank gibt (und Beifus ist als Rechtsfuß vielleicht nicht die beste Wahl um als LIV zu spielen). Unter Umständen könnte Lars Ritzka das spielen (er hat das beim SC Verl teilweise gemacht) und auch Leart Paqarada und Luca Zander wären Optionen, aber so richtig überzeugend ist das nicht.

Deutschland, Kiel, 28.01.2022, Fussball Testspiel, Holstein Kiel - FC St. Pauli im CITTI Fussball Park Marco Komenda (Kiel) - Marcel Beifus (FC St. Pauli)
Marcel Beifus könnte gegen Holstein Kiel in die Startelf rutschen. (c) Peter Boehmer

Die personelle und taktische Aufstellung der Defensive ist also alles andere als einfach. Nach dem letzten Auftritt in Düsseldorf sind nicht wenige geneigt, auch in der Offensive eine Veränderung zu erwarten. Wobei sich die Frage stellt, wie genau eine Veränderung aussehen könnte.

Grundsätzlich sollte das Team einen mutigen, spielerischen Ansatz wählen und irgendwie den Spagat hinbekommen zeitgleich auch noch ganz gut auf die Kieler Breite zu reagieren. Ich hatte da vor Wochen mal die Tannenbaum-Formation ins Spiel gebracht und, hell yeah, das wäre mal ein hochgeklapptes Visier (ich gehe aber davon aus das in einem 5-3-2 gestartet wird). Aber ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, ob das auch wirklich ein probates Mittel gegen Holstein Kiel wäre und ob das die Offensive generell wirklich so ankurbelt, wie es aktuell nötig erscheint.

Das letzte Heimspiel des Jahres geht also gegen Holstein Kiel. Das hatte ich mir ehrlich gesagt noch im April ganz anders vorgestellt. Und dann im Sommer hatte ich zumindest gehofft, nicht den Winter über auf ein hässliches Ding namens Zweitligatabelle schauen müssen. Es kam alles anders und es ist nicht mehr zu ändern. Drei Punkte müssen her, egal wie!

Forza!
// Tim

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