Hinrunden-Analyse: Innenverteidiger

Hinrunden-Analyse: Innenverteidiger

In der großen Hinrunden-Analyse des FC St.Pauli schauen wir uns die einzelnen Mannschaftsteile an. Die Innenverteidigung ist dabei ein großes Fragezeichen.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Um zu verstehen, warum der FC St. Pauli nur 17 Punkte nach 17 Spielen geholt hat, ist eine tiefergehende Analyse notwendig. Die findet aktuell im Verein statt, aber auch wir machen das Stück für Stück. Zwei zusammenfassende Artikel haben wir bereits veröffentlicht: Hinrunden-Analyse Teil 1 und Hinrunden-Analyse Teil 2.

Aber wir gehen noch etwas tiefer in der Analyse und schauen uns die Mannschaftsteile einzeln an. Den Anfang machten die Torhüter und die Außenverteidiger beim FC St. Pauli. Nun also ein Blick auf die Innenverteidiger, welcher aufgrund von Ausfällen, Sperren und Umstellungen den massivsten Artikel dieser Analyse darstellt.

Viele Spieler, eher wenig Einsatzzeit

Nur ein einziger Innenverteidiger brachte es in der Hinrunde auf mehr als 1.000 Minuten Spielzeit: Jakov Medić stand insgesamt 1.058 Minuten auf dem Platz, machte zwölf Spiele von Beginn an und wurde einmal ausgewechselt. Mit 828 Einsatzminuten folgt Adam Dźwigała auf dem zweiten Platz. Dahinter ist, bereits mit einigem Abstand, David Nemeth (598 Minuten) zu finden, der zu Saisonbeginn und zum Ende der Hinrunde verletzt ausgefallen ist und dies womöglich auch zum Start der Rückrunde wird.

Insgesamt 443 Minuten kam Betim Fazliji zum Einsatz. Davon war er aber auch einige Zeit im defensiven Mittelfeld aktiv. Das gilt auch für Eric Smith, der von seinen 1.282 Einsatzminuten den Großteil auf der Sechs verbrachte. Doch zum Ende der Hinrunde rückte er tiefer, agierte die letzten sechs Spiele als zentraler Innenverteidiger und verpasste keine einzige Minute. In den letzten beiden Partien vor der Winterpause kam dann auch Marcel Beifus zweimal über die volle Distanz zum Einsatz.

Somit setzte der FC St. Pauli insgesamt sechs Innenverteidiger ein. Auf Christopher Avevor musste das Team die gesamte Hinrunde verzichten. So wirkliche Konstanz konnte sich im Verlauf der ersten 17 Spiele auf dieser so wichtigen Position also nicht aufbauen. Verletzungen, Sperren und Umstellungen verhinderten dies. Schauen wir uns die Leistungen der Spieler mal im Detail an:

Adam Dźwigała – solide, ohne Ausreißer

Sind wir mal ganz ehrlich: Wenn es um die bestmögliche Aufstellung des FC St. Pauli geht, dann dürfte selten der Name Adam Dźwigała fallen. Und doch spielt er regelmäßig und liefert etwas, was seine Kollegen gut gebrauchen könnten: Er spielt ein konstantes Niveau. Das allerdings ist nicht das höchstmögliche.

In der Vorsaison kam Dźwigała auch immer wieder auf der Rechtsverteidiger-Position zum Einsatz. In der Hinrunde 22/23 war das nur ganz selten der Fall. Zumeist war Dźwigała als Innenverteidiger gefragt, welches auch mehr seinen Fähigkeiten entspricht. Und sogar noch etwas besser sind seine Fähigkeiten auf der rechten Innenverteidiger-Position in einer Dreierkette einzuschätzen. So gesehen komisch, dass er gerade auf dieser Position einige Probleme offenbarte.

Radar-Grafik von Adam Dźwigała (Gelb) im Vergleich zum Median (Rot) aller Innenvertidiger der 2. Bundesliga nach 17 Spieltagen der Saison 22/23. (Daten: wyscout)

Statistik

Etwas überraschend zeigen die Daten, dass Adam Dźwigała im Bereich der Defensive etwas unterdurchschnittlich unterwegs gewesen ist. Besonders in direkten Duellen ist er in der Vorsaison stärker gewesen. Dass die Anzahl der Duelle in der Luft nachgelassen hat, ist womöglich auch mit der veränderten Positionierung in der Dreierkette zu erklären.

Wie geschrieben, eigentlich zählen direkte Duelle und abgefangene Pässe zu den Stärken von Dźwigała. Nun sind aber gerade die unterdurchschnittlich und hier muss schon mal noch etwas tiefer geschaut werden, warum das so ist. Kann es sein, dass er schlechter in die Duelle kommt? Vielleicht eine Frage der Position? Vielleicht ist er nicht mehr so gut in Form wie noch in der Vorsaison?

Umso wichtiger, dass Dźwigała einen wichtigen Schritt in anderen Bereichen gemacht hat. Sein Passspiel nach vorne ist stark verbessert. Er spielt relativ viele Bälle nach vorne (und im Vergleich zur Vorsaison weniger quer) und die Quoten bei den langen Pässen und solchen ins letzte Drittel sind klar überdurchschnittlich. Wenn er nun beides verbinden könnte, Passspiel nach vorne und Stärke in den direkten Duellen, dann kann Adam Dźwigała sich auch mal für mehr als „nur“ einen Back-up empfehlen.

Hamburg, Deutschland, 08.11.2022 - Adam Dzwigala (FC St. Pauli) spielt einen langen Pass im Spiel gegen Holstein Kiel - Copyright: Stefan Groenveld
Adam Dźwigała sammelte unter allen Innenverteidigern die zweitmeiste Spielzeit.
(c) Stefan Groenveld

Subjektiver Eindruck

Adam Dźwigała schien ein wenig zu fremdeln mit der Dreierkette. Gegen Bielefeld waren es massive Abstimmungsprobleme mit Manolis Saliakas, die Gegenspieler Robin Hack konsequent ausnutzte und auch damit das Spiel zum Kippen brachte. Gegen Düsseldorf offenbarte er Abstimmungsprobleme mit Eric Smith und ging in ein Luftduell, welches er lieber nicht bestritten hätte (Unklarheit in der Zuordnung sollte eigentlich dazu führen, dass sich beide Spieler fallen lassen). Gegen den KSC war er an gleich mehreren Gegentoren direkt beteiligt – das alles ist kein Bewerbungsschreiben.

Und trotzdem ist Adam Dźwigała enorm wichtig für das Team. Denn sein Niveau ist nicht so niedrig, wie der Eindruck, den ihr aus dem letzten Absatz gewinnen konntet. Dźwigała hat im FCSP-Trikot bereits gezeigt, dass er sich jedem Level anpassen kann und ich persönlich finde die Position, die er zuletzt spielte, sehr passend für sein Skill-Set. Es ist vorstellbar, dass er sich da reinarbeitet und weiterhin eine gute Alternative im Team darstellt. Und Alternativen scheint das Team angesichts der Verletzungssituation auch zu benötigen.

Jakov Medić – stark, mit Ausreißern

Eine große Rolle war Jakov Medić anscheinend zugedacht worden vor der Saison. Nachdem er bereits in der Vorsaison derjenige Innenverteidiger mit der meisten Spielzeit war, sollte er nun nach den Abgängen von Philipp Ziereis und James Lawrence vermutlich die Führungsrolle in der Abwehr übernehmen. Ein nächster und großer Schritt für jemanden, der auch schon in der Vorsaison viel mit sich selbst zu tun hatte und den im Sommer immer wieder Wechselgerüchte umgaben.

Radar-Grafik von Jakov Medić (Türkis) im Vergleich zum Median (Rot) aller Innenvertidiger der 2. Bundesliga nach 17 Spieltagen der Saison 22/23. (Daten: wyscout)

Statistik

Die Zahlen zeigen, dass Medić dieser ihm zugedachten Rolle nicht gerecht werden konnte. Seine Leistungen haben im Vergleich zur Vorsaison nachgelassen. Allerdings befinden sie sich weiterhin auf einem hohen Niveau. Medić ist trotz aller Probleme einer der besseren Innenverteidiger der Liga.

Auffällig ist seine Stärke in direkten Duellen. Mit über 74% gewonnener Duelle am Boden zählt er zu den Top10 der Liga. Dabei ist besonders, dass er pro 90 Minuten die wenigsten Direkten Duelle aller FCSP-Innenverteidiger führt. Eine Erklärung könnte sein, dass gegnerische Spieler sogar ein wenig ausweichen, um Duellen mit ihm zu entgehen. Eine andere wäre, dass er immer wieder Probleme hat in die Duelle zu kommen.

Auffällig ist auch, dass Jakov Medić im Passspiel vorsichtig ist. Im Vergleich zu seinen Kollegen spielt er relativ viele Pässe, aber diese eher selten nach vorne. Das ist sehr schade, da seine überdurchschnittliche Erfolgsquote ein Hinweis sein könnten, dass er auch dort seine Stärken hat. Oder aber die Quote ist nur so gut, weil er seine Vorwärtspässe mit Bedacht wählt, wenig ins Risiko geht. Das ist an sich nicht schlecht, bedeutet es doch, dass der FC St. Pauli den Ball selten verliert, wenn Medić ihn zuletzt berührte. Mut an sich scheint ihm aber ohnehin nicht zu fehlen – mit mehr als einem progressivem Lauf, nennen wir es mal Vorstöße in die Offensive, ist er unter den FCSP-Innenverteidigern Spitzenreiter.

Subjektiver Eindruck

Jakov Medić ist schlecht in die Saison gekommen. Da hilft es auch nicht, wenn wir da um den heißen Brei herumreden. In den ersten Spielen war er ein Unsicherheitsfaktor für den FC St. Pauli und so konnte er nicht ansatzweise die Rolle des Abwehrchefs übernehmen. Medić Leistungen sind ganz anders einzuordnen als zum Beispiel jene von Adam Dźwigała. Denn er zeigt während der Spiele richtig viel Gutes. Und wenn es ihm gelingen würde diese Leistungen dauerhaft abzurufen, dann ist er zweifelsohne zu den Besten, wenn nicht sogar zum besten Innenverteidger der Liga zu zählen.

Ist er aber nicht und das hat mehrere Gründe. Seine Entscheidungsfindung ist und bleibt sein größtes Problem. Zu oft stimmte die Abstimmung mit seinen Nebenleuten nicht. Zu oft ging er Wege, die er nicht gehen sollte. Gerade die Abstimmung schien aber im Verlauf der Hinrunde besser zu werden. Mit David Nemeth hatte er spürbar Probleme, aber je öfter sie zusammen auf dem Platz standen, umso besser wurden die Leistungen beider Spieler. Auch das zeigte: In Jakov Medić steckt noch viel, viel mehr. Dann folgten aber kurz nacheinander ihre Verletzungen und nun weiß man gar nicht so wirklich, wie man mit ihnen planen kann. Immerhin: Eine Rückkehr von Medić wird früher als von Nemeth erwartet. Aber ob er zum Rückrundenstart auf dem Platz steht, darf bezweifelt werden.

Hamburg, Deutschland, 01.10.2022 - Jakov Medic (FC St. Pauli) im Spiel gegen den 1. FC Heidenheim - Copyright: Peter Boehmer
Weiter auf hohem Level unterwegs, aber eben auch mit einigen Aussetzern: Jakov Medic.
(c) Peter Boehmer

Betim Fazliji – noch nicht angekommen

Die verletzungsbedingten Ausfälle von David Nemeth und Jakov Medić brachten zum Ende der Hinrunde einige Einsatzzeit für Betim Fazliji. In der Startformation stand der Neuzugang am dritten Spieltag gegen Kaiserslautern als Innenverteidiger und gegen Regensburg auf der Sechs (nur eine Halbzeit lang). Ansonsten wurde er in der Liga siebenmal eingewechselt. Und besonders das Pokalspiel beim SV Straelen zeigte, dass er noch einen Schritt gehen muss. Doch gerade als er sich als Stammspieler bezeichnen durfte, holte er sich in Düsseldorf völlig zurecht einen Platzverweis ab und wird auch noch zum Rückrundenauftakt gesperrt fehlen.

Statistik

Der Blick in die Daten zeigt, dass Fazliji noch etwas zu fremdeln scheint mit der 2. Bundesliga. Sein aktuell größtes Problem ist das direkte Duell. Hier ist er sowohl am Boden und besonders in der Luft (jaja, die Körpergröße hatten wir ja bereits als Thema) schwächer als der Liga-Durchschnitt an Innenverteidigern. Dabei ist die Anzahl an Duellen im Vergleich zu seinen Mitspielern relativ hoch. Ebenfalls ziemlich hoch und daher auch enorm wichtig für das Team ist die Anzahl an abgefangenen Pässen. Mit 9.4 Interceptions pro 90 Minuten zählt er zu den Top10 der Liga. Ein Zeichen für seine gute Antizipation.

Radar-Grafik von Betim Fazliji (Gelb) im Vergleich zum Median (Rot) aller Innenvertidiger der 2. Bundesliga nach 17 Spieltagen der Saison 22/23. (Daten: wyscout)

Subjektiver Eindruck

Betim Fazliji scheint noch nicht so richtig angekommen beim FC St. Pauli. Angesichts der Worte, die es im Zuge seiner Verpflichtung von vielen Seiten zu hören gab und auch gemessen an Ablösesumme, etc. haben sich da vermutlich einige mehr erwartet. Das bedeutet aber nicht, dass Fazliji das Level nicht erreichen kann. Manchmal nehmen die Dinge ja auch einfach einen unglücklichen Verlauf. Was er aber auf jeden Fall verbessern muss ist sein Zweikampfverhalten. Schafft er das, dann dürfte er ein ernsthafter Konkurrent für die restlichen Innenverteidiger werden. Vorerst aber muss er ja leider erstmal zuschauen.

Bielefeld, Deutschland, 22.10.2022 - Manolis Saliakas und Betim Fazliji (FC St. Pauli) sind enttäuscht nach der Niederlage gegen Arminia Bielefeld - copyright: Peter Boehmer
Betim Fazliji schien in der Hinrunde 22/23 noch etwas mit dem FC St. Pauli und der 2. Bundesliga zu fremdeln.
(c) Peter Boehmer

Marcel Beifus – nächster Schritt?

Die Verletzungen von David Nemeth und Jakov Medić, sowie der Platzverweis von Betim Fazliji spülten Marcel Beifus plötzlich in die Startelf. Das hatte sich vorher nicht unbedingt angedeutet, nachdem er die meiste Zeit in der U23 zum Einsatz kam. In der Vorsaison schien er etwas näher dran am Ligakader. In der Hinrunde stand er nach den Verletzungen seiner Mitspieler bereits gegen Bielefeld, Darmstadt und Düsseldorf im Kader. Gegen Kiel und Karlsruhe stand er dann jeweils 90 Minuten auf dem Platz.

Statistik

Bevor der Blick auf die Radar-Grafik von Marcel Beifus geht, muss erwähnt werden, dass 2x 90 Minuten eigentlich zu wenig sind, um aussagekräftige Statistiken zu produzieren. Und trotzdem schauen wir mal rein, denn die Daten zeigen interessante Dinge:

Radar-Grafik von Marcel Beifus (Blau) im Vergleich zum Median (Rot) aller Innenvertidiger der 2. Bundesliga nach 17 Spieltagen der Saison 22/23. (Daten: wyscout)

Wenden wir den Blick mal etwas ab von den Pässen. Denn Beifus spielte insgesamt 17 lange Pässe. Da ist es erfreulich, dass fast drei Viertel davon ankamen, aber die Quote ist aufgrund der geringen Anzahl sehr wackelig. Gleiches gilt für alle weiteren Pass-Statistiken, die zwar sehr überzeugend aussehen, aber erst mit mehr Spielzeit auch verlässliche Aussagen zulassen.

Der Blick lohnt sich auf die Defensive: Marcel Beifus ist sowohl in der Luft als auch am Boden überdurchschnittlich erfolgreich. Das ist auch genau das, was Timo Schultz zu seinen Stärken zählt. Doch auch hier ist die Anzahl sehr gering, aber anhand der Quoten müsste sich Beifus eigentlich mit Nachdruck beworben haben. Das fordert Schultz auch von ihm, dass er da nun den nächsten Schritt gehen will. Der Blick alleine auf die Zahlen reicht aber natürlich nicht.

Subjektiver Eindruck

Denn in den Daten tauchen die Probleme von Marcel Beifus nicht auf. Wie auch Jakov Medić hat Beifus immer wieder Probleme mit der Entscheidungsfindung. Beim Spiel gegen Holstein Kiel ist er seinem direktem Gegenspieler zu selten in den Halbraum gefolgt, Timo Schultz sagte auf der Pressekonferenz nach dem Spiel, dass dies aber durchaus so vorgesehen war. Blöderweise wurde ihm beim folgenden Spiel gegen den KSC genau so eine Bewegung zum Verhängnis, als er (zu spät) seine Position verließ, den Ball nicht erreichte und der Gegner in der Folge das vierte Tor erzielen konnte.

Doch auch hier gilt: Die Spielzeit von Marcel Beifus ist noch zu gering, um sich ein abschließendes Urteil zu erlauben. Bei seinen Spielen in der Vorsaison hat er einen stabileren Eindruck hinterlassen (wenn auch nicht fehlerfrei). Mit 20 Jahren gibt es auf jeden Fall noch massiv Raum für Entwicklung. Es ist aber nicht abzusehen, wann und vor allem ob diese kommt. Durch die Verletzungen und Sperren beim FC St. Pauli wäre jetzt eine gute Gelegenheit den nächsten Schritt zu machen.

Hamburg, Deutschland, 08.11.2022 - Marcel Beifus (FC St. Pauli) spielt einen langen Pass gegen Holstein Kiel - Copyright: Stefan Groenveld
Marcel Beifus konnte bei seinen zwei Einsätzen nicht vollumfänglich überzeugen, deutete aber an, dass er notwendige Qualitäten mitbringt.
(c) Stefan Groenveld

Eric Smith – Bestleistungen in neuer Rolle

Eine ganz andere Art von nächstem Schritt ist Eric Smith vor rund zwei Monaten gegangen: Beim Spiel gegen den HSV überraschte der FC St. Pauli mit einem 3-5-2 und Smith als zentralem Innenverteidiger. Das war dann auch gleich so etwas wie die Feuertaufe für diese Formation und Smith auf dieser Position, da er mit Robert Glatzel einen der wohl besten Stürmer der 2. Bundesliga als Gegenspieler hatte. Er machte seine Sache sehr gut – und nun stellt sich eigentlich nur noch die Frage, warum er nicht schon länger als Innenverteidiger im Einsatz ist.

Radar-Grafik von Eric Smith (Blau) im Vergleich zum Median (Rot) aller Innenvertidiger der 2. Bundesliga nach 17 Spieltagen der Saison 22/23. (Daten: wyscout)

Statistik

Obwohl Eric Smith erfreulicherweise sehr viel Spielzeit in dieser Hinrunde sammelte, sind seine Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Denn er kam in den ersten elf Saisonspielen (mit Pausen) im defensiven Mittelfeld zum Einsatz. Die letzten sechs Spiele verpasste er dann aber keine Minute in der Innenverteidigung. Grundsätzlich sind die Ansprüche an ihn bzw. die Position gar nicht so unterschiedlich. Aber trotzdem gibt es kleine und größere Unterschiede, die sich dann auch in den Statistiken erkennen lassen. Vor allen in den Pass-Statistiken dürfte sich das zeigen. Smith agierte auf der Sechs viel mit dem Rücken zum gegnerischen Tor, progressives Passspiel ist damit zum Beispiel schwerer möglich.

Körperlich brächte er zwar die notwendigen Bedingungen mit, aber Eric Smith ist kein Kopfballungeheuer, das zeigen auch die Zahlen: Er führt wenige und auch sehr wenig erfolgreiche Duelle. Das sollte ihn vermeintlich disqualifizieren für die Position des zentralen Innenverteidigers. Tut es aber nicht, da Smith ein wirklich äußerst kluger Fußballer ist wie zum Beispiel das Global Soccer Network passend beschrieb: „Smith ist überdurchschnittlich im Antizipieren, überdurchschnittlich im Spiel ohne Ball, überdurchschnittlich in der defensiven Positionsfindung, dazu taktisch sehr gut geschult.“

Diese Fähigkeiten sorgen dann dafür, dass er eben seltener das direkte Duell führen muss. Trotzdem würde es natürlich nicht schaden, wenn er öfter mal das ein oder andere Duell in der Luft gewinnt. Auch am Boden ist seine Statistik leicht unterdurchschnittlich und Smith fängt auch eher wenige Pässe ab. Und trotzdem bin ich der Ansicht, dass er dem Team in neuer Rolle sehr gut tut. Warum?

Subjektiver Eindruck

Es wäre sicher etwas zu hoch gegriffen, wenn ich hier etwas von „Neuerfindung“ schreiben würde. Aber es ist schon so, dass Eric Smith als Sechser irgendwie nicht mehr richtig vorangekommen ist. Sein zweifelsohne gutes Auge und kluges Stellungsspiel sind richtig gut, aber sie kamen auf der Sechs irgendwie nicht so richtig zur Geltung. Das hat sich auf neuer Position stark verändert. Smith hilft dem Team dabei nicht nur mit direkten Ballaktionen, sondern vor allem auch in der Organisation und der Ausstrahlung. Es ist sicher nicht zu hoch gegriffen, wenn ich daher etwas von „Führungsspieler“ schreibe. Eric Smith hat sich in der Hinrunde nämlich bereits auf der Sechs, aber noch mehr in der Innenverteidigung zu einem der Fixpunkte des FCSP-Spiels entwickelt.

Hamburg, Deutschland, 01.10.2022 - Eric Smith (FC St. Pauli) im Spiel gegen den 1. FC Heidenheim - Copyright: Peter Boehmer
Seit Anfang 2021 im Verein, seit Ende 2022 Führungsspieler – Eric Smith hat in der Hinrunde einen großen Schritt gemacht
(c) Peter Boehmer

David Nemeth – wackelig, stabil, verletzt

Nein, die Tragweite der Meldung im Sommer, dass sich David Nemeth eine Muskelverletzung zugezogen hatte, war vielen, auch mir, nicht so richtig bewusst. Dabei hätte man allein schon aufgrund der hohen Ablöse darauf kommen können, dass sich der FC St. Pauli nicht erst in ferner Zukunft, sondern vom Start weg eine Verstärkung mit Nemeth erhoffte. Stattdessen fiel er aber die ersten drei Ligaspiele aus, war dann nach seiner Rückkehr direkt Stammspieler und daran änderte erst eine weitere Verletzung wieder etwas.

Radar-Grafik von David Nemeth (Pink) im Vergleich zum Median (Rot) aller Innenvertidiger der 2. Bundesliga nach 17 Spieltagen der Saison 22/23. (Daten: wyscout)

Statistik

David Nemeth führt eher wenige Duelle, aber diese dafür sehr zuverlässig. Sowohl in der Luft, als auch am Boden weist er überdurchschnittliche Quoten auf. Zudem fängt er mehr Pässe ab als es der durchschnittliche Innenverteidiger tut. Und je öfter er auf dem Platz stand, umso mutiger und aggressiver wurde er auch im Spiel nach vorne. Damit ist nicht sein später Ausgleichstreffer gegen Paderborn gemeint, sondern seine Pässe nach vorne. Auch davon spielte er eher wenig, in den ersten Spielen verzichtete er fast komplett darauf.

Aber die Leistungen von David Nemeth stabilisierten sich und besonders in den letzten Spielen vor seiner Verletzung zeigte er viele gute Pässe in die Spitze und zeigte ebenfalls, dass die Abstimmung mit Jakov Medić immer besser wird. Hatten sie anfangs noch große Probleme (siehe Spiel in Rostock und gegen Paderborn), griffen die Mechanismen nun immer besser und das führte auch dazu, dass das Spiel des FC St. Pauli stabiler wurde.

Subjektiver Eindruck

Es deutete sich also mit Medić und Nemeth ein ziemlich gutes Duo in der Innenverteidigung an. Doch erst musste Nemeth gegen Braunschweig verletzt ausgewechselt werden, dann verletzte sich Medić gegen den HSV und schwupps, war die ganze Stamm-Innenverteidigung nicht einsatzfähig. Schade, denn Nemeth schien gerade erst angefangen zu haben, hatte sich stabilisiert. Er überzeugte mit guter Zweikampfführung sowie mutigerem Passspiel und deutete an, warum der FCSP viel Geld investiert hat.

Fazit

Andreas Bornemann erklärte zuletzt, dass es nicht absehbar sei, wann David Nemeth wieder auf dem Platz steht. Das ist ein ziemlich großes Problem für den FC St. Pauli. Denn all jene, die ihn ersetzt haben, konnten nicht voll überzeugen. Da womöglich auch Jakov Medić den Start in die Rückrunde verpassen könnte und Betim Fazliji das erste Spiel gesperrt fehlen wird, könnte es auf dieser Position sogar Bedarf für Transfers geben.

Aber wen willst du holen? Eigentlich ergibt es keinen Sinn jemanden zu holen, der bei voller Einsatzfähigkeit von Nemeth und Medić wieder auf die Bank rücken würde. Denn beide sollen, so verstehe ich es zumindest, auch zukünftig das Stamm-IV-Duo des FC St. Pauli bilden (es ist beiden zuzutrauen, dass sie ein seeehr gutes Duo werden können). Und ohnehin gibt es im Kader gleich drei Spieler, mit Avevor wären es sogar vier, die die Rolle hinter diesen beiden Spielern einnehmen. Damit ist die Position sowieso eher üppig besetzt, zahlenmäßig bestünde also nicht unbedingt Bedarf.

Deutschland, Hamburg, 12.06.2022, Training FC St. Pauli auf den Trainingsplaetzen an der Kollaustrasse Co-Trainer Loic Fave (FC St. Pauli) - Trainer Timo Schultz (FC St. Pauli) - Co-Trainer Fabian Huerzeler (FC St. Pauli)
Das Trainer-Team des FC St. Pauli dürfte in der Winterpause einen besonderen Fokus auf die Entwicklung der eigenen Innenverteidiger legen
(c) Peter Boehmer

Leihe und/oder Zeitspiel?

So kommt man eigentlich recht schnell auf die Idee, dass einzig ein Transfer der Marke „Tore Reginiussen“ Sinn ergibt, also einen Spieler eventuell leihweise zu verpflichten, der eine Soforthilfe aus dem oberen Regal ist. Dazu wäre das Wintertransferfenster vielleicht sogar etwas geeigneter, als jenes im Sommer. Denn es dürfte eine ganze Reihe von Spielern geben, die bei höherklassigen Vereinen einen (natürlich hochdotierten) Vertrag haben, aber in dieser Saison nicht auf die gewünschte Spielzeit gekommen sind.

Andererseits betont Timo Schultz immer wieder, wie wichtig jeder einzelne Spieler im Kader des FC St. Pauli ist. Mit den deutlichen Worten gen Marcel Beifus, von dem er fordert, dass er nun „nach oben“ drängt, zeigt er auch einen anderen Weg auf: Die eigenen Spieler im Kader könnten einen Entwicklungsschritt gehen. Diese sind vor allem von Betim Fazliji und Beifus zu erwarten und solche Entwicklungen würden sicher die aktuellen Probleme lösen.

Die Situation in der Innenverteidigung ist eine, bei der der FCSP vermutlich gut daran täte ein wenig auf Zeit zu spielen. Denn mit etwas mehr Zeit kann hoffentlich besser abgeschätzt werden, wann Medić und Nemeth zurückkehren können. Und in der sehr langen Wintervorbereitung kann auch geschaut werden, ob die anderen Innenverteidiger vorankommen und die offenen Planstellen vielleicht doch intern zufriedenstellend besetzt werden können.
// Tim

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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.

One thought on “Hinrunden-Analyse: Innenverteidiger

  1. Was nützt das tollste Aufbauspiel, wenn hinten regelmäßig Tore aufgrund individueller Fehler fallen. Und das nicht erst seit dieser Saison. Bei der Gesamtbeurteilung der Spieler erhält mir die offensive Bewertung der IV zu viel Gewicht gegenüber der Defensivleistung und vor allem gegenüber der Beständigkeit.

    Dazu ist es gerade in der ABW die Abstimmung und Eingespieltheit von größter Wichtigkeit. Ich sehe das also bei Weitem nicht so entspannt und würde mir einen Verstärkung (gerne eine Leihe mit viel Erfahrung wie bei Tore Reginiussen) direkt zum Trainingsstart wünschen. Das ist für mich eine wichtigere Personalia als die Offensive.

    P.S. Habe den Text stark gekürzt und die Einzelkritik zu einigen Spielern wieder entfernt. Generell kommen mir die IV aber zu gut weg in der Analyse (mit Ausnahme von Nemeth + Smith).

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