Der FC St. Pauli hat zu wenig Punkte in der Hinrunde geholt. Warum? Das schauen wir uns in der großen Analyse der einzelnen Mannschaftsteile des FCSP an. Ein Blick auf die Außenverteidiger.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Um zu verstehen, warum der FC St. Pauli nur 17 Punkte nach 17 Spielen geholt hat, ist eine tiefergehende Analyse notwendig. Die findet aktuell im Verein statt, aber auch wir machen das Stück für Stück. Zwei zusammenfassende Artikel haben wir bereits veröffentlicht: Hinrunden-Analyse Teil 1 und Hinrunden-Analyse Teil 2.
Nun gehen wir aber noch etwas tiefer in der Analyse und schauen uns die Mannschaftsteile einzeln an. Den Anfang machten die Torhüter beim FC St. Pauli, die alles andere als eine leichte Hinrunde verbracht haben. In der Außenverteidigung sah das alles etwas besser aus. Und zwar auf beiden Seiten, was ein Fortschritt ist.
Joker-König Luca Zander
Auf der linken Seite Leart Paqarada und rechts Manolis Saliakas – das ist das gewohnte Bild der Hinrunde. Sie sind mit 1.318 bzw. 1350 Spielminuten die am meisten eingesetzten Abwehrspieler des FCSP und standen immer, wenn sie einsatzbereit waren, auch in der Startelf.
Auf insgesamt fünf Einsätze (zweimal aus-, dreimal eingewechselt) bringt es Lars Ritzka, der in seinen 196 Spielminuten auch eine Torvorlage lieferte. Jannes Wieckhoff stand zweimal in der Liga im Kader, wurde aber nur im Pokal gegen Freiburg eingesetzt. Der „König der Joker“ ist Luca Zander. Einmal fehlte er im Liga-Kader, einmal wurde er nicht eingesetzt. In den anderen 15(!) Hinrundenspielen wurde Zander jeweils eingewechselt, spielte durchschnittlich aber nur knapp 13 Minuten. Mit seinen 15 Einwechslungen ist er zusammen mit Simone Rapp (KSC) und Lex-Tyger Lobinger (FCK) der am häufigsten eingewechselte Spieler der 2. Bundesliga.
Leart Paqarada – produktives Uhrwerk
Es ist und bleibt dabei: Leart Paqarada ist einer der wichtigsten und konstantesten Spieler des FC St. Pauli. Nur ganz selten fällt er verletzt aus und nur ganz selten hat er Schwankungen in seinen Leistungen. Diese sind weiterhin im höchsten Regal der 2. Bundesliga anzufinden, wie die Radar-Grafik zeigt:
Kein Außenverteidiger in der 2. Liga hat mehr Flanken geschlagen. Keiner hat mehr Pässe ins letzte Drittel gespielt. Keiner hat mehr Pässe in den gegnerischen Strafraum gespielt. In all diesen Kategorien hat er auch die höchste Anzahl an erfolgreichen Zuspielen. Keiner hat mehr erfolgreiche Pässe nah an das gegnerische Tor vorzuweisen. Keiner spielt mehr progressive Pässe. Keiner hat einen höheren xA-Wert (expected Assists). Keiner hat mehr erfolgreiche Offensivsaktion als Leart Paqarada.
Einzig in den direkten Duellen in der Luft ist Paqarada leicht unterdurchschnittlich einzuordnen. In allen anderen relevanten Statistiken ist er besser als der Großteil der Außenverteidiger der 2. Bundesliga, oft sogar der beste. Ich könnte hier jetzt eine Reihe an Superlativen runterschreiben, aber ich denke, die Daten sprechen für sich.
Subjektiver Eindruck
Auch in der Saison 22/23 ist Leart Paqarada der vermutlich beste Linksverteidiger der 2. Bundesliga. Es stellt sich daher die Frage, warum sich das für viele gar nicht so anfühlt. An einigen Ecken war zuletzt zu vernehmen, dass die Leistungen von Paqarada nachgelassen hätten. Auch ich hatte etwas den Eindruck, dass er nicht mehr ganz so produktiv ist, wie noch in der vergangenen Saison. Nach Ende der letzten Saison haben wir schon einmal eine Radar-Grafik von Leart Paqarada veröffentlicht. Ein Zahlenvergleich:
Paqarada 21/22 | Statstik | Paqarada 22/23 |
10.7 | erfolgreiche Defensivaktionen | 9.5 |
68.1 | Defensivduelle % | 72.5 |
50.9 | Kopfballduelle % | 37.0 |
8.0 | abgefangene Pässe | 6.5 |
4.6 | erfolgreiche Offensivaktionen | 5.4 |
5.3 | Flanken | 6.2 |
38.0 | Flankengenauigkeit % | 44.8 |
49.2 | Offensivduelle % | 55.9 |
2.3 | progressive Läufe | 2.8 |
0.27 | expected Assists | 0.24 |
2.5 | Torschussvorlagen | 1.9 |
9.8 | Pässe ins letzte Drittel | 11.6 |
6.1 | Pässe in den Strafraum | 7.7 |
15.8 | progressive Pässe | 19.3 |
Wenn man es denn einzig auf die Produktion von Torchancen runterbrechen möchte, dann stimmt es: Leart Paqarada hat im Vergleich zur Vorsaison nachgelassen. Sein xA-Wert und die Anzahl an Torschussvorlagen haben leicht nachgelassen. Das dürfte aber hauptsächlich damit zusammenhängen, dass er nicht mehr alleinig für die Ecken zuständig ist (was umgekehrt einen Teil der Erklärung liefert, warum Marcel Hartel sich in diesem Bereich massiv gesteigert hat).
Ansonsten hat Paqarada ganz leicht bei den Interceptions nachgelassen, was auch mit seiner in der Fünferkette veränderten Positionierung zu erklären sein könnte. Und ja, seine Quote bei Kopfbällen hat nachgelassen. In allen anderen Statistiken ist Paqarada aber sogar noch produktiver geworden. Vor allem im Passspiel in die Offensive legte er nochmal mächtig zu, obwohl er schon letzte Saison die besten Werte aller Außenverteidiger vorzuweisen hatte. Leart Paqarada ist damit auch diese Saison ein wichtiger und elementarer Bestandteil des FC St. Pauli.
Lars Ritzka – erstklassige zweite Reihe
Nun habe ich hier zig Absätze zu Leart Paqarada geschrieben, ihn hochgelobt. Und nun kommt eher wenig zu Lars Ritzka. Das liegt natürlich daran, dass er in der Liga nur knapp mehr als drei Stunden Spielzeit hatte. Aber es wird ihm nicht gerecht. Ritzka hätte mehr Aufmerksamkeit und Spielzeit verdient.
Statistik
Wir müssen berücksichtigen, dass die Statistiken aufgrund der geringen Spielzeit noch auf sehr wackeligen Beinen stehen. Nur knapp 200 Spielminuten sorgen dafür, dass bereits einzelne erfolgreiche Aktionen einen großen Einfluss auf die Zahlen haben können. Trotzdem zeigen sie klar die Stärken und auch Schwächen von Lars Ritzka auf.
Im Gegensatz zu Leart Paqarada hat Ritzka seine Vorteile in defensiven Komponenten. Kein anderer Außenverteidiger hat mehr Pässe abgefangen als er. Zudem überzeugt er sowohl defensiv als auch offensiv in direkten Duellen. Das Passspiel und allgemein die Anzahl an Offensivaktionen sind dann aber klar vermindert, nicht nur Gegenüber Primus Paqarada: Kein Außenverteidiger hat weniger erfolgreiche Offensivaktionen als Lars Ritzka.
Subjektiver Eindruck
Ich wage mal die These, dass sich sein Offensivspiel recht schnell verbessern würde, wenn Lars Ritzka regelmäßig auf dem Platz stünde, Selbstvertrauen und so. Denn eigentlich bringt er relativ viel Wucht mit, verfügt über ein solides Passspiel (was er bisher auch immer genauso ausgespielt hat – sehr hilfreich für ein Team, welches auf anderen Positionen im Passspiel ins Risiko geht).
Etwas weniger als 200 Spielminuten sind sehr wenig – besonders für einen Spieler wie Lars Ritzka. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass er bei rund der Hälfte aller Zweitligisten als Stammspieler agieren würde. Beim FCSP kommt er aber einfach nicht vorbei an Leart Paqarada. Für den Club ist das eine luxuriöse Situation, für Ritzka selbst aber sicher nicht.
Manolis Saliakas – guter Start mit Luft nach oben
Wir haben uns bereits vor wenigen Wochen intensiv mit den Leistungen Manolis Saliakas befasst. Dann nämlich, als er die Marke von 1.000 Spielminuten im FCSP-Trikot erreichte. Alleine, dass er diese Marke recht spielend in der ersten Saisonhälfte knackte ist Ausdruck seiner Leistungen.
Statistik
Was im 1.000 Spielminunten-Artikel bereits herausgearbeitet wurde: Mit Manos Saliakas auf dem Platz ist das Spiel des FC St. Pauli zwar nicht gleich verteilt, aber deutlich ausgewogener als ohne ihn. Und das ist auch gut so, denn Saliakas hat in den meisten Bereichen überdurchschnittliche Statistiken vorzuweisen und sorgt damit auch dafür, dass das Spiel des FC St. Pauli etwas unberechenbarer wird.
Was die Daten auch zeigen ist die Schwäche von Saliakas: Sowohl in der Offensive als auch in der Defensive hat er leicht unterdurchschnittliche Zweikampfquoten. In der Offensive ist sehr auffällig, dass er den direkten Duellen aus dem Weg geht, schnell den Pass sucht, anstatt sich ins Dribbling zu begeben. Möglich, dass das mit (noch) fehlendem Zutrauen zusammenhängt. Da dürfte man dann einen Entwicklungsschritt erwarten. Vielleicht ist das aber auch der Grund, warum Saliakas noch nicht in der 1. Liga spielt.
Subjektiver Eindruck
Ich mag Manolis Saliakas auf dem Platz. Er arbeitet Fußball, reibt sich auf, zeigt Emotionen. Zudem scheint er im Team angekommen zu sein, kommt sehr sympathisch rüber. Positiv ist auch, dass er sich relativ schnell an das veränderte Spiel in der 2. Bundesliga gewöhnt zu haben scheint. Sicher ist, dass er dem FC St. Pauli damit eine große Hilfe ist.
Luca Zander – wohin geht die Reise?
Das nächste Mal, wenn ich so eine Analyse schreibe, werde ich zuerst mit den Spielern beginnen, die nicht zum Stammpersonal zählten. Nun, nachdem ich Saliakas als „große Hilfe“ bezeichnet habe, kommen wir also zu dem Spieler, der vom Neuzugang aus der Startelf gedrängt wurde.
Statistik
Was Luca Zander nach seinen zahlreichen Einwechslungen noch bewegen konnte, wird auch in der Radar-Grafik deutlich: Zander setzt Impulse in der Offensive und hat viele Aktionen im letzten Drittel. Das ist leider auch genauso zu erwarten, denn zumeist war das Ergebnis in der Hinrunde ja eher nicht auf Seiten des FCSP. Zander musste sich mit seinem Teamkollegen in den letzten Minuten sehr oft gegen ein Unentschieden oder eine Niederlage stemmen und drängte entsprechend nach vorne.
Allerdings hat er mit ebenfalls knapp 180 Minuten Spielzeit auch ziemlich wenig gesammelt. Die Statistiken sind daher mit Vorsicht zu genießen. Interessant ist trotzdem die Kombination, dass er die meisten Ballkontakte im gegnerischen Strafraum hat und zudem viele Pässe abfängt. Und wenig verwunderlich ist es, ob seines Joker-Daseins, dass er defensiv ziemlich wenige Aktionen hatte (weil es ja meist darum ging Tore zu erzielen).
Subjektiver Eindruck
Für ihn selbst ist das sicher total doof, aber ich finde, dass Luca Zander als Joker viel mehr bewegen kann, als wenn er von Anfang an aufläuft. So ist zumindest der Eindruck, den man aus seinen Auftritten der Hinrunde gewinnen konnte. Mit seiner Geschwindigkeit und seinen irgendwie auch etwas unorthodoxen Bewegungen, kann er spät im Spiel nochmal neue Impulse bringen. Sicher ist, dass der Konkurrenzkampf auf der rechten Seite beim FCSP viel größer ist als auf links. Sicher ist aber auch, dass Manolis Saliakas trotzdem die Nase ein gehöriges Stück vorne hat.
Jannes Wieckhoff – benötigter Skill
Etwas in Vergessenheit ist Jannes Wieckhoff geraten, der einzig im Pokal gegen Freiburg zum Einsatz kam. Nach langer Verletzungspause war er zu Vorbereitungsbeginn wieder nahezu voll dabei, hatte aber sichtlich Nachholbedarf im körperlichen Bereich.
Doch ebenso ersichtlich ist, dass er sich im Laufe der Hinrunde körperlich wieder auf ein Niveau gebracht hat, um eine ernsthafte Option für den Kader eines Zweitligisten zu sein. Das ist er vielleicht noch etwas mehr dadurch, dass der FCSP auf eine Dreierkette umgestellt hat. Denn sein Tempo und sein Offensivdrang würden grundsätzlich ziemlich gut zu den Ansprüchen an einen Flügelverteidiger passen. Entsprechend gespannt darf man auf die weitere Entwicklung von Wieckhoff sein.
Rollen verteilt?
Mit Leart Paqarada und Manolis Saliakas hat der FC St. Pauli zwei Stammkräfte auf den Außenbahnen. Ob sich daran etwas im Laufe der Rückrunde ändern wird, wenn beide verletzungsfrei bleiben? Eher unwahrscheinlich. Allerdings sind die Skills der anderen Spieler sehr interessant. Die defensive Qualität von Ritzka und das hohe Tempo von Wieckhoff könnten im Saisonverlauf noch eine Rolle spielen. Das ist gut, denn damit bleibt der Konkurrenzdruck hoch. Im Vergleich zu vielen anderen Positionen im Kader des FCSP, ist die der Außenverteidiger eine, die klar zu den besten der 2. Bundesliga gehört.
// Tim
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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.
Es ist immer hilfreich wenn die eigenen subjektiven Eindrücke durch fundierte Analyse etwas objektiver werden – und so kann ich die Einschätzungen zu Saliakas und Zander komplett nachvollziehen und habe nun auch begriffen, was mir bei unserem StammRV bislang fehlt, nämlich das Annehmen der 1:1 Situationen im letzten Drittel und auch das Durchlaufen zur Grundlinie – für Zander ist es natürlich schade dass er so wenig Spielanteile erhält, ich würde mir wünschen ihn einfach mal in einer anderen Rolle zu sehen – rechts offensiv, was seine Schwächen nach hinten berücksichtigen und seine Stärken nach vorne (unorthodoxe Bewegungen) unterstreichen könnte.
Und es ist gut zu lesen, dass auf dem Wege dieser Analyse auch Ritzka in das ihm gebührende Licht gestellt wird!
Auch mit Blick auf die schwächelnde IV – warum nicht mal Paqarada und Ritzka zusammen auf dem Platz?
Ritzka dann als linker IV in einer 5erKette.
Finde ich sehr nachvollziehbar, den Gedanken. Er hat noch eine annehmbare Größe für einen IV, ist bekanntermaßen zweikampfstark und brächte gegenüber der Standardbesetzung in der IV noch einen wichtigen Skill mit, der oftmals (und gerade hinter Paqarada) fehlt: Geschwindigkeit.
Interessante Analyse, danke dafür!
Was mich bei der Bewertung von Außenverteidigern aber immer ein wenig stört ist, dass die offensiven Leistungen oftmals mehr im Vordergrund stehen, als die defensiven. 😉
Da sind zwar ein paar Defensiv-Werte in der Statistik dabei, aber weniger als offensive – bei einem Defensivspieler. Und was nicht eingeht, ist das Defensivverhalten abseits der direkten Duelle. Also Stellungsspiel, Rückwärtsbewegung, Einrückverhalten, verhindern von Flanken etc.. Und vielleicht sind da dann auch die subjektiven Eindrücke bzgl. Paqaradas Entwicklung zu finden.
Dazu stört mich subjektiv bei Paqarada oftmals seine Körpersprache und sein „Hack-Spitze“-Spiel. Das führt zwar selten zu direkten Ballverlusten, aber bringt Mitspieler nicht selten in Bedrängnis oder nimmt Tempo aus dem Spiel.
Aber da sind wir wieder bei den subjektiven Eindrücken, die die Zahlen nicht ausdrücken können. 😉