Was hat dich bloß stabilisiert?

Was hat dich bloß stabilisiert?

Der FC St. Pauli ist mit drei Siegen in die Rückrunde gestartet. Basis für diese Erfolgsserie ist die Defensive. Was sind die Gründe für drei Spiele ohne Gegentor?
(Titelbild: Peter Böhmer)

Es ist lange her, dass der FC St. Pauli drei Spiele in Folge ohne Gegentor blieb. Maik hat sich in der Lage die Mühe gemacht und herausgearbeitet, dass mehr als 13 Jahre vergangen sind, seitdem das Team zuletzt drei Spiele in Folge ohne Gegentor gewinnen konnte.
(Die Überschrift dieses Artikels habe ich übrigens von einem anderen, sehr alten MillernTon-Artikel gemopst)

Für Siege zwingend notwendig

Nein, so wirklich Wasser soll hier nicht in den Wein gegossen werden. Doch allein der Blick auf die Ergebnisse reicht, um festzustellen, dass es auch dringend ein Gegentor-freies Spiel braucht, damit der FC St. Pauli gewinnt. Denn offensiv ist das Team im Vergleich zur Hinrunde sogar etwas schwächer geworden, zumindest gemessen an den xG-Werten: In der Hinrunde lag der eigene xG-Wert pro Spiel bei knapp 1.6 pro Spiel. In den drei Spielen der Rückrunde bei 1.1, hat also deutlich nachgelassen (Achtung, small sample size).

Defensiver xG-Wert unverändert

Die xG-Werte zeigen aber auch, dass der FC St. Pauli offensiv effizienter geworden ist und trotz nachlassender Chancenqualität das Tor trifft, was in der Hinrunde ja ein großes Problem war. Defensiv hat sich übrigens nichts verändert (gegnerischer xG-Wert der Hinrunde: 1.1; Rückrunde: 1.1).

Und trotzdem möchte ich behaupten, dass der FC St. Pauli defensiv stabiler geworden ist. Denn das ist der subjektive Eindruck, der vor allem in den letzten beiden Spielen entstanden ist. Aber was sind die Gründe für die Stabilität? Wie hat es der FC St. Pauli zu drei Spielen ohne Gegentor gebracht?

Faktor Gegner

Der 1. FC Kaiserslautern, Hannover 96 und der 1. FC Nürnberg haben es allesamt nicht geschafft, gegen den FC St. Pauli ein Tor zu erzielen. Liegt das vielleicht daran, dass dies eher offensivschwache Teams sind? Nun, im Fall von Nürnberg auf jeden Fall. Das Team ist sowohl nach xG-Werten, aber auch nach real erzielten Toren das Schlusslicht der Liga. 17 Tore nach 20 Spielen sind ziemlich schwach.

Hannover und Kaiserslautern sind zwar auch keine Offensivmonster, aber alles andere als schwach einzuschätzen, wenn es ums Toreschießen geht. Hannover hat die achtmeisten, Kaiserslautern sogar die sechstmeisten Tore in der Liga erzielt. Der Faktor „Gegner“ kann also nicht allein als Grund für die Null herhalten. Aber vielleicht trafen die Gegner nicht, weil sie am Millerntor antreten mussten?

Hamburg, Deutschland, 05.02.2023 - Phil Neumann (Hannover 96) wird im Spiel gegen den FC St. Pauli vom Schiedsrichter verwarnt und später vom Platz gestellt - Copyright: Stefan Groenveld
Mehr als einen Platzverweis gab es für Hannover 96 am Millerntor nicht zu holen.
(c) Stefan Groenveld

Faktor Heimspiele

Der Eindruck, dass der FC St. Pauli in der Hinrunde ein defensivschwaches Team gewesen ist, stimmt nur so halb. Denn es gab einen massiven Unterschied zwischen den Heim- und Auswärtsspielen. Auf Reisen holte das Team in neun Spielen ganz magere drei Punkte bei einem Torverhältnis von 10:19, fing sich in jeder Partie mindestens einen Gegentreffer.

Zuhause stabil

Am Millerntor sah das aber anders aus in der Hinrunde: Acht Spiele, keine Niederlage, 14 Punkte und 13:6 Tore. In den letzten vier Heimspielen vor der Winterpause gab es sogar nur ein einziges Gegentor (Spitzenreiter Darmstadt traf, das Spiel endete 1:1). Die Heimstärke beruht also vor allem auf den wenigen Gegentoren, die sich das Team am Millerntor fängt.

Der FC St. Pauli hat zum Rückrundenauftakt drei Mal kein Gegentor gefangen. Im ersten Spiel traf man auf das offensivschwächste Team der 2. Bundesliga. Die beiden anderen Spiele fanden am Millerntor statt. Vor diesem Hintergrund war also vielleicht auch ein wenig damit zu rechnen, dass es zumindest keine Gegentorflut für den FCSP geben würde.
Aber natürlich reicht allein das nicht aus, um drei Spiele ohne Gegentor zu erklären. Die personelle Besetzung spielt auch eine große Rolle.

Faktor Personal

Eric Smith, Karol Mets und Jakov Medić waren zuletzt die drei Innenverteidiger des FC St. Pauli. Zum Auftakt, als das Team gegen den 1. FC Nürnberg mit 23 Torschüssen die meisten in einem Spiel in dieser Saison zugelassen hatte, startete Adam Dźwigała anstelle von Smith. Ganz sicher war die Idee Smith von der Sechserposition in die Innenverteidigung zu ziehen, eine richtig gute und aktuell zeigt er Spiele mit Bundesliga-Format in Braun-Weiß. Neuzugang Mets hat sich ziemlich schnell einen Stammplatz hinten links erspielt und Jakov Medić tut es merklich gut, dass er die Rolle des Abwehrchefs nun nicht mehr alleine schultern muss.

Die personelle Zusammensetzung der Innenverteidigung gab es so in der Hinrunde einfach nicht. Nicht nur, weil Mets noch gar nicht beim FC St. Pauli war, sondern auch, weil Medić nach seinem erfolgreichen Debüt mit Smith zusammen in der Fünferkette (3:0 gegen den HSV) für die restliche Hinrunde ausfiel. David Nemeth fehlte da bereits ein paar Spiele länger. Will sagen: Die personelle Zusammensetzung der Innenverteidigung war alles andere als optimal im Verlauf der Hinrunde. Mit der Rückkehr von Medić, der Verpflichtung von Mets und der Neuerfindung von Smith konnte diese Problematik aufgefangen werden.

Deutschland, Nuernberg, 29.01.2023, Fussball 2. Bundesliga 18. Spieltag, 1.FC Nuernberg - FC St. Pauli im 
Max-Morlock Stadion  Schlussjubel bei Jakov Medic (FC St. Pauli)
Copyright: Peter Boehmer
Die Rückkehr von Jakov Medic ist nicht nur aufgrund seines Treffers gegen den 1. FC Nürnberg enorm wichtig für den FC St. Pauli gewesen.
(c) Peter Boehmer

Faktor Formation

Klar, die personelle Situation hat sich (stark) verbessert und der Spielplan bzw. das Heimrecht hat sicher ebenfalls eine entscheidende Rolle gespielt. Aber der FC St. Pauli hat auch in seiner unter Hürzeler implementierten Formation einen mächtigen Schritt hin zu einer defensiv stabilen Mannschaft gemacht.

Eintracht, Atalanta, St. Pauli

Nachdem im Verlauf der Hinrunde erst aus einem 4-4-2 mit Mittelfeldraute ein flaches 4-4-2 und dann ein 5-3-2 wurde, hat Hürzeler das System mit einer Fünferkette noch einmal (entscheidend?) verändert: Anstelle von einem Sechser und einer Doppelacht, agiert der FCSP nun mit einer Doppelsechs und drei Offensivspielern, einem 5-2-3 oder 3-4-2-1, je nachdem, ob es sich gerade um die defensive oder offensive Positionierung handelt. Übrigens: Diese Formation ist gerade ziemlich en-vogue – Eintracht Frankfurt und Atalanta Bergamo agieren damit sehr erfolgreich.

Die Stärke der neuen Formation liegt nicht nur darin, dass defensiv mit einer Fünferkette agiert wird, sondern auch darin, dass es nach Ballgewinn mit drei Offensivspielern eine gute Besetzung der vorderen Reihen gibt. Zudem zeigt sich das Zentrum des FCSP sehr flexibel im Positionsspiel. Aber jede Formation ist nur so gut, wie sie letztlich von den Spielern auf dem Platz umgesetzt wird.

Faktor Mentalität

Ich weiß gar nicht wie oft Fabian Hürzeler in seinen ersten beiden Monaten als Cheftrainer des FC St. Pauli betont hat, wie wichtig ihm die Defensive ist. „Wenn wir kein Gegentor fangen, ist es schwer das Spiel zu verlieren“, haben wir so oder so ähnlich bereits einige Male von ihm hören dürfen. Sein Lieblingswort schien zuletzt „Konterabsicherung“ zu sein und zumeist hatte er nach den Spielen immer zuerst seine Zufriedenheit mit der Defensivleistung ausgedrückt, bevor er (kritische) Worte für die Offensive fand.

Hamburg, Deutschland, 05.02.2023 - Cheftrainer Fabian Hürzeler gibt Anweisungen beim Spiel des FC St. Pauli gegen Hannover 96 - Copyright: Peter Boehmer
Fabian Hürzeler hat schon als Kind in Konterabsicherung-Bettwäsche geschlafen.
(c) Peter Boehmer

Fabian Hürzeler scheint mit dem Fokus auf die Defensive einen neuen Standard gesetzt zu haben. Leart Paqarada erklärte nach dem Heimsieg gegen den FCK, dass es sich sogar bereits um fünf Spiele ohne Gegentreffer handele („Ich zähl gerne noch die beiden Vorbereitungsspiele mit rein“) und dabei war einiges an Stolz herauszuhören. Connor Metcalfe sprach gar von einer „mentality of not conceeding goals“ und Marcel Hartel betonte nach dem FCK-Spiel: „Wir wollten unbedingt die Null halten, dafür kämpfen, dafür fighten wir.“ Diese kurze Auswahl an Aussagen zeigt: Die Spieler folgen dem Ansatz von Hürzeler.

Fokus unverändert

So gibt es also gleich eine ganze Reihe von Gründen, die zu diesem perfekten Start in die Rückrunde führten. Die Gegner und die beiden Heimspiele passen ganz gut. Die Formation und das Personal auf und neben dem Platz ist verändert. Es ist unmöglich genau auseinanderzufrickeln, welcher dieser Faktoren nun welchen Einfluss hat. Und so sollte die jetzige Situation einfach genossen werden. Es sollte genossen werden, dass man sich nach einer Führung auch mal auf die Defensivarbeit verlassen kann. Fabian Hürzeler jedenfalls hat die Roadmap des FC St. Pauli für den Rest der Rückrunde schon einmal vorgezeichnet: „Die Null wird auch in den kommenden Spielen die Basis sein, egal gegen welchen Gegner“.
// Tim

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10 thoughts on “Was hat dich bloß stabilisiert?

  1. Moin, es passiert genau das, was ich „befürchtet“ habe. Es kommen neue Spieler, von denen aus meiner persönlichen Sicht zumindest 2 gleich richtig gut eingeschlagen haben, Karol Mets offensichtlich, aber auch Dapo, der genau so ein Spielertyp ist, der uns gefehlt hat. Und nun das große Rätselraten, wäre es mit Schulle mit diesen beiden genauso gut gelaufen? Oder gibt es unter Fabian Hürzeler Umstellungen, die wir von außen so gar nicht mitbekommen?! In der Ansprache, in der taktischen Unterweisung usw..
    Ich habe jedoch den Eindruck, dass das Team sehr selbstbewusst aus der Winterpause gekommen ist und ggf. auch die lange Pause in diesem Fall ein Faktor sein kann. Manchmal ist ja ein schnell weitermachen von Vorteil, um Erfolgserlebnisse zu generieren. Hier war evtl. der Vorteil tatsächlich einen „Neustart“ zu haben. Es bleibt spannend und ich freue mich auf die Aufstiegsrelegation 😉

    1. Exakt das, trotz oder wegen… Aber wie auch vorher schon mal erwähnt, konnte das Tore schießen Problem ja noch nicht so recht beseitigt werden, Connor hat entdeckt, dass sein Fuß ganz gut ist, dafür wird Jacksons Kopf nicht mehr gefunden und ohne einen Stürmer/Spieler, der zweistellig trifft, wird es trotzdem schwer.
      Was macht Schulle eigentlich?

  2. Mal wieder große Klasse analysiert Tim, danke!
    Ich möchte hier wirklich nicht unken, nur so schlecht wie die Mannschaft in der Hinserie gesagt und geschrieben wurde (nicht vom Millernton!) und sie selten war, so gut wird die Defensive jetzt hingestellt und gefeiert, ganz so toll ist sie aber nun auch wieder nicht.
    Die Defensive war unter Druck am Ende ganz schön am schwimmen und machte alles andere als einen souveränen Eindruck. Ich hatte jedenfalls im Stadion Angst vor der typischen Gegentor in der Nachspielzeit Nummer.
    Wenn Boyd Mutterseelenallein sieben Meter vorm Tor den Ball nicht trifft ist das doch sehr glücklich für uns und echt nicht wirklich gut verteidigt. Siehe ab 5:38: https://youtu.be/19UCeMJwF5k
    Mein Gesamteindruck ist eher: Die Mannschaft ist genauso gut wie in der Hinrunde, mit dem Unterschied, dass das Spielglück öfter auf unserer Seite ist.
    Möge es so bleiben!!!

  3. Sehs spannende Analyse, Tim; vielen Dank dafür und dank auch für die 3 Kommentare vor mir. Bin ich dabei.
    Quizfrage zum Schluss: Warum fehlt Schulle auf der Liste von Schneckes Abschiedsspiel?

  4. Sehr gute Analyse. Ich bin immer noch vorsichtig mit dem Aufschwung. Meiner Meinung nach hätten wir von der Qualität und Quantität weder einen Trainerwechsel noch neue Spieler benötigt. Andererseits sieht man, dass solche Veränderungen einen Ruck durch die Mannschaft bringen und sich (mental?) was verändert. Ich hoffe auf jeden Fall, dass es nicht wieder einen Abschwung gibt.

    Ich bin zwar kein Hürzeler-Fan (was nichts mit dem Trainerwechsel zu tun hat), aber seine Aussage „Wenn wir kein Gegentor fangen, ist es schwer das Spiel zu verlieren“ ist schon Kultstatusreif.

  5. Eigentlich überrascht es doch nur wenig, dass mit einigen Veränderungen viel mehr
    aus unserer guten Truppe herauszuholen ist/war !!
    (Dafür waren die Spiele in der Hinrunde zu knapp gegen uns und im Grunde waren wir
    oft überlegen) . Das ist dem neuen Trainer Hürzeler nunmehr sehr gut gelungen….klare Spielphilosophie
    und gute Ansprache…..hinzu kommen seine herausragenden Analysefähigkeiten….insofern wird der
    Gegner schon vor dem Spiel „seziert“
    Somit haben die Jungs einen klaren Plan und setzen das gerade richtig gut um
    Ich habe wenig Angst davor, dass sich daran in den nächsten Spielen etwas ändern wird
    und freue mich über die Entwicklung von z.B. Eric Smith und Connor Metcalfe.
    Wenn jetzt noch ganz vorne etwas richtig zündet (Oladapo Joshua Afolayan), dann könnte die Rückrunde
    zum Fest werden
    Forza FCSP

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