Der FC St. Pauli gewinnt auch beim SC Paderborn und damit zum sechsten Mal in Serie. Doch das war eine ziemliche Zitterpartie. Die Analyse.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Nein, dafür bin ich nicht gemacht. Seit mehr als zwei Wochen darf ich mich Nichtraucher nennen. Eigentlich komme ich damit gut klar, aber in einigen wenigen Momenten spüre ich dann doch ein wenig das Verlangen. Danke, FCSP! Euer neu eingeführter Verwaltungs-Modus bei eigener Führung hat mich letzte Woche gegen Rostock, aber auch Freitag gegen Paderborn einige Nerven gekostet. Doch ich blieb standhaft – und habe daher etwas mit dem FC St. Pauli gemeinsam.
Die Aufstellung
Wie erwartet gab es keine Veränderungen in der Startelf des FC St. Pauli. Never change a running system und so. Im Hinblick auf den SC Paderborn gab es sowieso nicht viele Argumente das Personal zu tauschen (um z.B. mehr Kopfballstärke auf dem Platz zu haben, oder so). Das Team startete wie inzwischen üblich in einem 3-4-2-1.
Beim SC Paderborn musste auf die Ausfälle von gleich vier Stammspielern reagiert werden. Für die fehlenden Schallenberg, Leipertz, Pieringer und Obermair kamen Marco Schuster, Kai Klefisch, Richmond Tachie und Sirlord Conteh in die Partie. Etwas überraschend fehlte Florent Muslija in der Startelf. Der SC Paderborn wollte aber anscheinend lieber mit zwei Spitzen, anstelle einer Doppel-Zehn agieren. So war es dann eine dem FCSP ähnliche Formation, ein 3-4-1-2, doch wie so oft entschied die Umsetzung über Erfolg und Misserfolg.
Spiegelung einfach gemacht
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich vom SC Paderborn schon etwas mehr erwartet hatte, als das, was sie in der ersten Halbzeit zeigten. Anscheinend wogen die Ausfälle dann doch weit schwerer bzw. hatten großen Einfluss auf das Zutrauen des Teams bei Ballbesitz. Davon war trotz viel Spielzeit wenig zu sehen.
Denn Ballbesitz hatte Paderborn in der ersten Halbzeit eine ganze Menge. Allerdings machten sie da sehr wenig draus. Bei SCP-Ballbesitz zeigte der FC St. Pauli eine Art „abwartende Spiegelung“. Die Gegenspieler wurden nicht direkt mannorientiert verteidigt, sondern erst dann angelaufen, wenn sie im Ballbesitz waren. Dafür war es nötig, den Abstand zum Gegenspieler im richtigen Rahmen zu halten: Groß genug, damit sie angespielt werden, klein genug, damit dann sofort Druck aufgebaut werden kann.
Diese Spiegelung des Paderborner Aufbauspiels war vor allem in der ersten Halbzeit sehr erfolgreich. Das lag aber nicht nur daran, dass der FCSP es konsequent durchzog, sondern auch an der auffallenden Mutlosigkeit des Paderborner Aufbauspiels. Selten bis nie schien sich jemand für den initialen Pass bereit zu fühlen. Dadurch waren die drei Offensivspieler mehr oder weniger abgeschnitten vom Spiel und die sieben weiteren SCP-Feldspieler, die sich allesamt in oder vor der ersten Linie des FCSP befanden, schoben sich in ungefährlichen Zonen des Platzes den Ball hin und her.
Passiv vs. Aktiv
Was dem Paderborner Spiel fehlte, wurde besonders dann deutlich, wenn der FC St. Pauli sein Aufbauspiel aufzog. Während die Spieler des SCP fast millimetergenau ihre Positionen hielten, rotierten beim FCSP die Spieler, sobald der Ball in den eigenen Reihen war: Leart Paqarada löste öfter in den Sechserraum auf (Eric Smith macht das ja sowieso gerne), sodass Marcel Hartel und Jackson Irvine Freiheiten in den Bewegungen bekamen. Eine mannorientierte Spielweise, wie die Spiegelung der Formation, ist gegen diese Aufbauspiel des FCSP schwer möglich.
So war es dann auch fast ausnahmslos der FC St. Pauli, der mit eigenen Positionsangriffen gefährlich vor das gegnerische Tor kam. Wenn der SC Paderborn Gefahr entwickelte, dann meist nur über Umschaltmomente, die aber im Verlauf der ersten Halbzeit zunahmen. Doch auch hier zeigte der FCSP wie es geht: Das Tor zum 2:0 gehört in die Kategorie „mustergültig“. Smith gewann den Ball, rettete ihn knapp vor der Torauslinie und über Afolayan und Paqarada gelang der Ball zu Daschner, der erstmal die Ballannahme fakte und damit seinen Gegenspieler aussteigen ließ. Dann verlagerte er den Ball zu Manos Saliakas, welcher dann mit seinem Pass genau den wunden Punkt der Paderborner traf, den Rückraum (so erzählte es SCP-Trainer Lukas Kwasniok jüngst im Podcast), wo Daschner eingelaufen war – ein tolles Tor!
Sowieso Daschner: In den letzten Spielen gab es dann doch schon etwas mehr Futter für jene, die ihm die Torjäger-Fähigkeiten absprachen. Unter der Woche betonte er dann, wie selbstkritisch er mit vergebenden Chancen umgeht und dass er sich in diesem Bereich unbedingt verbessern möchte – und zum Start ins Wochenende lässt Horst (sein zweiter Vorname) einen Doppelpack folgen. Kann man mal so machen!
Ein Loch im Zentrum!
Zwei weitere Dinge wurden im Verlauf der ersten Halbzeit offensichtlich: Der SC Paderborn schien einen gesonderten Fokus auf Dapo Afolayan und Leart Paqarada gehabt zu haben. Der Raum auf dieser Seite wurde enorm verknappt. Sehr viel mehr als auf der anderen Seite, welches dann entsprechend zu viel Platz für Manos Saliakas und Connor Metcalfe führte, wenn es dem FCSP gelang die Seite zu verlagern.
Die zweite Sache sorgte im weiteren Spielverlauf dafür, dass der FC St. Pauli in der zweiten Halbzeit zwischenzeitlich ziemlich ins Schwimmen kam. Denn zwar spiegelte der FCSP die Formation des SC Paderborn auf neun Positionen, doch die zehnte wollte bzw. konnte das Team nicht mitgehen. Dazu hätte Eric Smith nämlich in der ersten Halbzeit Julian Justvan in den Zehner-, manchmal sogar in den Achterraum folgen müssen. Darauf verzichtete er aber, vermutlich um die Tiefe zu sichern, da lange Bälle auf Conteh jederzeit eine Gefahr darstellen konnten (es dann aber nie taten).
Je länger die erste Halbzeit dauerte, umso häufiger fand der Ball den Weg zu Julian Justvan, der die Zehnerposition beim SCP bekleidete. Zwar entstand aus diesen Situationen in den ersten 45 Minuten nahezu keine Torgefahr, aber zur zweiten Halbzeit schien das Team von Kwasniok diesen Raum noch viel aggressiver zu suchen.
Muslija dreht auf
Der FC St. Pauli spielte eine enorm starke und abgezockte erste Halbzeit. Nicht viel deutete darauf hin, dass es in diesem Spiel noch einmal spannend werden könnte. Es ist dann übrigens genau so ein Pass in den Raum zwischen Doppelsechs und Dreierkette auf Muslija (der in der Halbzeit reinkam und die Justvan-Position übernahm), der den Angriff des SC Paderborn eröffnete, an dessen Ende Nikola Vasilj den Ball nicht zur Seite, sondern in das Bein von Karol Mets abwehrte.
Sicher, das war ein unnötiges Gegentor, noch dazu denkbar ungünstig kurz nach der Halbzeitpause. Doch die Entstehung des Treffers zeigte die Schwachstelle im Defensivverbund des FC St. Pauli gnadenlos auf. Denn es ist nie gut, wenn ein Gegenspieler im Zehnerraum frei an den Ball kommt und aufdrehen kann. Und genau dieser offene Zwischenraum blieb dann auch erstmal die Schwachstelle.
Schwimmkurs für FCSP-Defensive
Die Minuten nach dem Anschlusstreffer waren sehr schwierig für den FC St. Pauli. Man bekam eine Idee davon, wie der SC Paderborn in den elf Heimspielen zuvor auf insgesamt 31 eigene Treffer gekommen war. Dem FCSP gelang es erst nach rund einer Stunde Spielzeit wieder etwas mehr eigene Aktionen in der Offensive zu zeigen und damit auch den Druck vom eigenen Tor fernzuhalten. Doch ein personeller Wechsel samt Umstellung führte wenige Minuten später erneut dazu, dass der FCSP zu schwimmen begann.
Vorweg: Es freut mich sehr, dass Niclas Nadj sein Zweitliga-Debüt gefeiert hat. Es hätte mich noch viel mehr gefreut, wenn ihm dies beim FC St. Pauli gelungen wäre. Warum das nicht passierte, ist eine ganz eigene Geschichte, die an dieser Stelle völlig fehl am Platz ist. Viel wichtiger ist, wie der SC Paderborn seine Formation veränderte als Nadj ins Spiel kam.
Doppelzehn mit Nadj
Fortan agierte das Team von Lukas Kwasniok nämlich mit einer Doppelzehn hinter einer einzigen Spitze (Dennis Srbeny). Also genau so, wie das Team auch sonst relativ häufig in dieser Saison spielte. Durch die Positionierung von Muslija und Nadj wurde der offene Raum zwischen dem Duo Irvine/Hartel und der Dreierkette noch besser ausgenutzt und der SCP entwickelte in den folgenden Minuten eine enorme Druckphase, die der FCSP mit einigem Glück gegentorlos überstand.
Unterbrochen wurde diese stärkste Phase des SC Paderborn von ihnen selbst, welches dann auch Folgen für das nächste Spiel haben wird. Nach einem doch recht deutlichen Foul von Klefisch an Paqarada beschwerte sich erst Muslija so lautstark, dass er seine fünfte gelbe Karte sah. Damit aber nicht genug, denn Conteh sah auf der Bank sitzend für ebenfalls lautstarkes Beschweren und in der Folge höhnisches Klatschen gar die gelb-rote Karte. Beide Spieler werden also beim Auswärtsspiel in Magdeburg fehlen (welches für Conteh ja ebenfalls ein Wiedersehen gewesen wäre). Nachdem mit Felix Platte, Sebastian Klaas, Robert Leipertz und Marvin Pieringer bereits vier Offensivspieler fehlen, sind Sperren aufgrund von Meckerns sicher das Letzte, was der SC Paderborn gebrauchen kann (auch Jannis Heuer musste ausgewechselt werden).
Fazliji besetzt den Raum
Der FC St. Pauli reagierte auf die Probleme in den Zwischenräumen, nach meinem Empfinden etwas spät, aber genau richtig, mit einer Einwechslung und Umstellung: Betim Fazliji ersetzte Dapo Afolayan und bildete fortan mit Irvine und Hartel eine Dreierkette vor der Abwehr – der FCSP stellte also auf ein 5-3-2 um. Durch diese Umstellung konnte das Team wieder Zugriff auf den Zwischenraum erlangen und so gelang es dem Team das Spiel wieder etwas mehr kontrollieren zu können.
Es war dann doch ein ziemliches Nervenspiel, bei dem es dem FC St. Pauli zwar gelang den knappen Vorsprung über die Zeit zu retten, aber ich würde in diesem Fall nicht unbedingt davon sprechen, dass das Team über die volle Spielzeit defensiv stabil gewesen ist. Dass man gegen die beste Offensive der Liga nicht alles souverän verteidigen kann, ist aber sicher auch allen klar. So hatte der SC Paderborn dann auch noch in der Nachspielzeit eine große Chance zum Ausgleich, als Srbeny freistehend neben das Tor köpfte. Das nennt man dann wohl das Glück des Tüchtigen.
Der FC St. Pauli gewinnt also beim SC Paderborn. Weil das Team von Fabian Hürzeler in der ersten Halbzeit eine mutigere Spielweise bei Ballbesitz zeigte, mehr rotierte, sich dadurch immer wieder nach vorne spielen konnte und enorm abgezockt unterwegs war. Der SCP brauchte etwas um ins Spiel zu finden, hatte dann aber die Kontrolle über den Zwischenraum gewonnen und drückte gewaltig, während der FC St. Pauli nicht nur meine Nerven strapazierte.
Six in a row!
Es ist jetzt fast schon ein bisschen beängstigend. Sechs Siege in Folge bedeuten 35 Punkte nach 23 Spieltagen. Mit 18 Punkten holte das Team in sechs Rückrundenspielen mehr als in der gesamten Hinrunde. Diese 35 Punkte sind, wenn man denn den Blick noch nach unten richten möchte, ein beruhigendes Polster. Nein, nachlassen darf man da jetzt nicht. Aber es fehlen nun noch fünf Punkte zur magischen 40 Punkte-Marke bei noch zwölf ausstehenden Spielen. Sowas ist dann doch sehr selten schiefgegangen.
So richtet sich der Blick fast automatisch nach oben. Stand Freitagabend sind es 15 Punkte Vorsprung auf Platz 16 und nur acht Punkte bis Platz drei. Geht da vielleicht noch was? Ich habe große Lust das herauszufinden. Selbst wenn es bedeutet, dass es auch weiterhin Spiele geben wird, die nervlich schwer zu ertragen sind.
Immer weiter vor!
// Tim
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Moin, da es in den letzten Wochen ja immer wieder Thema war, dass N. Vasilj hinten sehr lange mit den Pässen warten. Ich hab mir das gestern beim Aufwärmen mal angeschaut. Genau diese Drucksituationen waren ein großer Teil des Programms. Passdreieck mit anlaufen. Wie du geschrieben hattest, einen Spieler aus dem Spiel nehmen und Überzahl schaffen. Es sah so aus, dass der Druck, den wir alle auf den Tribünen empfinden bei N. Vasilj nicht da ist.
Die Simulation exakt dieser Spielsituationen ist mir beim Aufwärmen der Torhüter schon vor dem Rostockspiel aufgefallen.
Im Spiel zeigte sich dann sowohl gegen Rostock als auch gegen Paderborn, dass sich dieses „hohe“ Risiko im Aufbauspiel in vielen Fällen auszahlte. Allerdings hätte es gestern in einer Situation auch komplett in die Hose gehen können. Lag aber weniger am späten Pass von Vasilj, sondern vielmehr an der Präzision und der schlechten Ballverarbeitung von – ich glaube, es war Smith. Ist ja nochmal gut gegangen…
Danke Tim, für die immer wieder großartigen Analysen. Das 2:0 kann meines Erachtens fast nicht hoch genug eingeschätzt werden – ein überragendes Tor – vor allem in der Entstehung.
Ich rechne mal so: Von den drei Heimtoren, die Paderborn bisher im Schnitt geschossen hat, haben wir ihnen zwei weggenommen und das dritte selber gemacht. 😉
Und ja, deren Ausfälle haben uns geholfen, aber wer es sich dennoch leistet, einen Muslija erstmal auf der Bank zu lassen, ist auch ein bisschen selber schuld. (Kümmer‘ dich halt lieber doch um deinen eigenen Kram, Kwasniok.)
Der Hereingabeflankschuss, der mir auch noch halbwegs verdeckt aussah, war übrigens ein hundsgemeines Ding von Muslija. Damit hätten auch andere Zweitliga-Keeper ihre Probleme gehabt.
Danke für die wie immer treffende Zusammenfassung!
Die zwei Tore sind Daschi sehr zu gönnen. Für meinen Geschmack schlagen wir immer noch zu viele Flanken, für unsere Startelf Offensive, da wäre auch gestern sehr oft ein Steckpass zu dem frei einlaufenden Mitspieler um den 16er.
Laß uns bescheiden bleiben,freuen über 6
schöne Siege.Aber in keinem der 6 Siege
haben wir unseren Gegner an die Wand
gespielt(muß ja auch nicht sein).
Das Spielglück haben wir zur Zeit eben auch auf unserer Seite.Hoffen wir das wir gegen jetzt ums Überleben kämpfende Gegner auch die nötige Körperlichkeit einbringen und nicht
zuviel technisches im Spiel haben durch
überhöhtes Selbstvertrauen.Aber denke doch das unser Trainer durch seine Sachlichkeit den richtigen Weg zeigt.
das zweite tor war in seiner gänze für mich ein gesamtkunstwerk. wie aus dem lehrbuch für erfolgreiche konter. überhaupt war die erste hälfte für mich mit das beste, was ich in dieser saison von uns gesehen habe. und das in paderborn… ja, sie waren ziemlich ersatzgeschwächt. aber wie man sehen konnte, haben sie trotzdem noch genügend qualität, die sie auf den rasen bringen können. das schmälert in meinen augen den sieg in keiner weise… so kann’s weiter gehen. sport frei!