Hamburger SV – FC St. Pauli: Stimmen und Statistiken

Hamburger SV – FC St. Pauli: Stimmen und Statistiken

In einem aufreibenden Spiel verliert der FC St. Pauli mit 3:4 beim Hamburger SV und ärgert sich über eigene Fehler. Die Stimmen und Statistiken zum Derby.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Es ist am Ende natürlich ziemlich wumpe, wie genau das Ergebnis zustande gekommen ist. Klar, ein verdienter Erfolg schmeckt sicher etwas süßer. Aber gerade im Derby ist mir eigentlich (fast) jeder Spielverlauf recht, solange am Ende der FCSP gewinnt. Und so hilft es nichts, wird aber trotzdem festgestellt: Der FC St. Pauli hat ein gutes Spiel gegen den HSV abgeliefert, muss sich aber angesichts von vier Gegentreffern fragen, wohin die defensive Stärke der letzten Monate gegangen ist.
Die Analyse: Stolz und Ernüchterung

Klar, so eine Stadtmeistschaft schreibt nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz seine Geschichten. Ich weiß natürlich nicht, wie sich das von innen anfühlt und wie ich auf die Fanszene des FC St. Pauli von außen blicken würde.
Der HSV jedenfalls, so hat Maik es passend zusammengefasst, gibt nach außen zumindest auf allen Ebenen ein stimmiges Bild ab: Tell me why – I don’t like Volkspark

Trainerstimme

Hürzeler: „Nicht die Niederlage schönreden“

Fabian Hürzeler fand auf der Pressekonferenz nach Abpfiff sehr deutliche Worte: Er möchte „nicht die Niederlage schönreden“, denn sein Team habe „zu viele individuelle Fehler gemacht“, welche dann zu den insgesamt vier Gegentoren geführt haben. Diese Anzahl sei „zu viel, um gegen den HSV etwas zu holen.“ Dem möchte ich ein wenig widersprechen. Denn der FC St. Pauli hätte in diesem Spiel basierend auf seinen eigenen Chancen wohl locker fünf Tore erzielen können.

Kurzzeitig sah es während der Partie so aus, als wenn bereits die Entscheidung gefallen sei. Hürzeler: „Wir haben es nicht geschafft die Dynamik nach dem 1:2 zu stoppen. Das 1:3 war dann wirklich erstmal ein Genickbruch.“ Doch der FCSP kam wieder zurück und machte das Spiel nochmal spannend.
Aber „alle Torchancen bringen nichts, wenn wir sie nicht reinmachen.“ Micdrop.
Ich denke wir haben zum ersten Mal einen wirklich angefressenen FCSP-Trainer Fabian Hürzeler auf einer Pressekonferenz gesehen.
(Nein, ich habe hier keine Trainerstimme vergessen. Wenn überhaupt, dann habe ich sie „vergessen“. Ich habe einfach keine Lust den Quatsch abzutippen.)

Hamburg, Deutschland, 21.04.2023, Fußball 2. Bundesliga - Fabian Hürzeler, Trainer des FC St. Pauli ist enttäuscht nach der Niederlage gegen den Hamburger SV - Copyright: Peter Böhmer DFL regulations prohibit any use of photographs as image sequences and/or quasi-video.
Fabian Hürzeler war sichtlich angefressen nach der Derby-Niederlage
(c) Peter Böhmer

Kern-Statistiken

Es war klar, dass beide Teams ein gesteigertes Interesse am eigenen Ballbesitz haben würden. Und so ist diese recht knappe, aber für den FCSP leicht positive Quote (50.1%) schon bedeutsam, weil es erst das dritte Mal in dieser Saison war, dass der HSV unter 50% blieb (zuvor gegen Paderborn und Darmstadt).

Dieser verhältnismäßig geringe Ballbesitzanteil hing mit der letzten halben Stunde des Spiels zusammen. Denn mit jeder Minute, die es weiter gen Abpfiff ging, agierte der HSV passiver. Das war aber auch bitter nötig, weil der HSV es vorher nicht schaffte eine Zwei-Tore-Führung angemessen zu verteidigen (es wurde noch nicht einmal richtig versucht). Spätestens nach dem dritten Treffer des FCSP schaltete der HSV aber in diesen Verteidigungsmodus bzw. versuchte es zumindest und war damit erfolgreich, was aber eher damit zusammenhing, dass der FC St. Pauli die letzten zehn Minuten nicht mehr wirklich gut organisiert und eventuell bereits etwas müde war.

FC St. PauliHamburger SV
14 (6)Torschüsse (auf’s Tor)11 (5)
10Fouls12
50.1%Ballbesitz49.9%
406 (81.8%)Pässe (erfolgreich)404 (80.5%)
31 (67.7%)…davon ins letzte Drittel (erfolgreich)61 (68.9%)
50 (52%)…davon lange Pässe (erfolgreich)34 (58.8%)
18Ballkontakte gegn. Strafraum21
3deep completions2
52 (55.8%)Defensivduelle (erfolgreich)60 (63.3%)
32 (59.4%)Kopfballduelle (erfolgreich)32 (40.6%)
11.5PPDA9.8
108.9kmLaufdistanz*115km
202Sprints*189
*Laufdistanz von Bundesliga.de

Ein guter Anzeiger für den Spielverlauf ist die Anzahl der Pässe ins letzte Drittel und dazu die der Positionsangriffe (FCSP: 20, HSV: 32). Beide Teams spielten eine ähnlich hohe Anzahl an Pässen, aber der FC St. Pauli nur 31 davon ins letzte Drittel – das ist ein neuer Tiefstwert. Gleiches gilt für die geringe Anzahl an Positionsangriffen (20). Bemerkenswert ist aber, was der FCSP daraus machte. Acht von 20 Positionsangriffen endete auch mit einem Torabschluss. Eine bemerkenswerte Quote, da sie sonst (für Gegner wie den FCSP) im Schnitt bei unter 25% liegt – der FC St. Pauli machte also sehr viel aus seinen Möglichkeiten, zumindest bis kurz vor das Tor.

Expected Goals

Wie viel der FC St. Pauli dann im letzten Abschnitt eines Angriffs, den Torabschlüssen, herausholte, zeigen die xG-Werte. Und dabei hilft einmal mehr nicht nur der Blick auf die xG-, sondern auch jener auf die xGOT-Werte. Denn die zeigen die brutale Effizienz des HSV, der aufgrund guter Abschlüsse doppelt so gefährlich war, wie anhand der Schusspositionen (2.6 statt durchschnittlich 1.4).

FC St. PauliHamburger SV
1.5 / 1.4 / 1.8 / 1.9
(1.7)
expected goals (xG)
(wyscout / DFL / 538 / fotmob)
1.3 / 1.1 / 1.8 / 1.3
(1.4)
0.9xG – 1. Halbzeit0.5
1.0xG – 2. Halbzeit0.8
1.6xG – herausgespielt1.1
0.3xG – Standards0.2
2.0xGOT*2.6
Sämtliche xG-Werte (sofern nicht anders markiert) stammen von fotmob
*xGOT: Expected Goals on Target (xGOT) misst die Wahrscheinlichkeit, dass ein gezielter Schuss zu einem Tor führt, basierend auf der Kombination aus der zugrunde liegenden Chancenqualität Expected Goals (xG) und der Endposition des Schusses im Tor. Dabei werden Schüsse, die platzierter sind und in den Ecken landen, besser gewertet als Schüsse, die direkt in die Mitte des Tores gehen.

Übrigens habe ich die xG-Tabelle etwas modifiziert. Neu dabei sind die xG-Werte von fivethirthyeight und aufgrund der Vielzahl an Werten (und der vorhandenen Unterschiede), findet ihr hier jetzt immer einen Mittelwert, der dann aussagekräftiger ist, als es die Einzelwerte sind. Achtung: Alle weiteren xG-Werte, wie auch die xGOT-Werte kommen von fotmob.

Einzelbewertung

Vier Gegentore bedeuten für die Defensive des FC St. Pauli durch die Bank schwache Ratings. Eric Smith, Karol Mets und Jakov Medic haben allesamt Werte um die 6.0, was unterdurchschnittlich ist. Smith war mit 5.6 sogar schwach wie nie bewertet worden und fehlt nun auch noch gegen Bielefeld aufgrund seiner fünften Gelben Karte.

Die Ratings bei diesem Spiel zeigen dann aber doch auch ziemlich klar, wie nachteilig Bewertungssysteme sind, die nur mit Statistiken arbeiten. Denn die vier Gegentore scheinen sich nur auf die Ratings der Innenverteidiger auszuwirken. Leart Paqarada, der bei allen vier Gegentoren nicht die beste Figur machte, hat hingegen das höchste Rating aller FCSP-Spieler.

Teamwhoscored / sofascore / fotmob
FC St. Pauli(6.6 / 6.6 / 6.7) -> 6.6
Hamburger SV(6.7 / 6.7 / 7.0) -> 6.8
Spieler
Nikola Vasilj(6.2 / 5.8 / 5.7) -> 5.9
Manolis Saliakas(7.9 / 7.7 / 8.1) -> 7.9
Jakov Medić(6.3 / 6.3 / 5.3) -> 6.0
Eric Smith(5.6 / 5.9 / 5.4) -> 5.6
Karol Mets(6.2 / 6.2 / 5.9) -> 6.1
Leart Paqarada(7.9 / 7.7 / 8.2) -> 7.9
Jackson Irvine(7.6 / 7.5 / 7.9) -> 7.7
Afeez Aremu (bis 59.)(5.8 / 6.2 / 6.0) -> 6.0
Connor Metcalfe (ab 59.)(6.4 / 6.6 / 6.3) -> 6.5
Marcel Hartel(7.2 / 6.9 / 7.4) -> 7.2
Lukas Daschner(7.0 / 6.6 / 7.4) -> 7.0
Dapo Afolayan (bis 59.)(5.9 / 6.3 / 6.2) -> 6.1
Elias Saad (ab 59.)(6.9 / 6.7 / 7.0) -> 6.9
Berücksichtigt sind nur Spieler, die mindestens 25 Spielminuten auf dem Feld waren

Doppelte Gelb-Rot-Gefahr

Eine überzeugende Vorstellung legte, nicht nur aufgrund seines Treffers, Manos Saliakas hin. Gegenspieler Jena-Luc Dompe? Blass und zur Halbzeit ausgewechselt. Gegenspieler Ransford-Yeboah Königsdörffer? Fiel nach seiner Einwechslung erst wieder durch seine Auswechlung kurz vor Schluss auf. Saliakas gewann acht seiner neun direkten Duelle, fing zudem die meisten Pässe des HSV ab (sieben) und an Emotionalität mangelte es ihm für das Derby ganz sicher nicht (das war nach Abpfiff vor der Kurve zu erkennen), was dann aber auch zu seiner Auswechslung führte.

Ebenfalls ausgewechselt wurde Dapo Afolayan und die Gründe waren ganz ähnlich, wenngleich er sich eher am Schiedsrichter, als am Gegner oder den Balljungen abarbeitete. Nach einer richtig, richtig starken ersten Hälfte blieb er im zweiten Abschnitt eher blass und musste dann, stark Gelb-Rot gefährdet, frühzeitig runter. Trotzdem hat die Variante mit Afolayan auf der rechten Seite erneut gut funktioniert, wie auch im zweiten Abschnitt gegen Braunschweig. Das nächste logische Kapitel wäre nun die Kombination mit Elias Saad auf der anderen Seite (I WANT THIS SO BAD!). Womit wir direkt zu den Stimmen kommen.

Hamburg, Deutschland, 21.04.2023, Fußball 2. Bundesliga - Elias Saad (FC St. Pauli, hier im Duell mit Moritz Heyer), erzielte gegen den Hamburger SV sein erstes Tor im Profifußball - Copyright: Peter Boehmer DFL regulations prohibit any use of photographs as image sequences and/or quasi-video.
Elias Saad machte mit seinem Treffer das erste Mal richtig auf sich aufmerksam. Vieles deutet darauf hin, dass es nicht das letzte Mal gewesen ist.
// (c) Peter Böhmer

Stimmen

Es ist ziemlich unfair, dass diese Geschichte etwas untergeht aufgrund des Zoffs zwischen beiden Cheftrainern, einem ansonsten auch enorm aufreizendem Spiel und den ärgerlichen individuellen Fehlern des FCSP. Denn Elias Saad hat als geborener Hamburger (wie übrigens auch Jonas David auf der Gegenseite) in seinem gerade einmal zweiten Einsatz für den FC St. Pauli in der 2. Liga, direkt einen Treffer im wichtigsten Spiel der Stadt erzielt. Das allein ist schon bemerkenswert. Dass er knapp vier Monate vorher noch ohne Profikontakt für Eintracht Norderstedt in der Regionalliga kickte, setzt dem ganzen die Krone auf.

Saad am Ziel, aber erst am Anfang

Nee, Moment, die Krone setzte er sich selber auf, nämlich mit dem Interview nach dem Spiel. Denn Saad beantwortete ziemlich cool und gelassen die Fragen in der mixed-zone, erklärte wie besonders es für ihn gewesen sei „bei so einem Spiel ein Tor zu schießen, überhaupt dabei zu sein“. Denn das, so versichert er sehr glaubhaft „war mein Ziel seit ich klein bin“. Sollte die Entwicklung so weitergehen, dann dürfte sich Saad schneller an Zweitligafußball gewöhnt haben, als viele vermuteten. Er selbst jedenfalls ist selbstbewusst, erklärt, dass er sich auf jeden Fall niveau-mäßig als Hilfe für das Team in der 2. Liga sieht. Das Derby dürfte ihn darin bestätigt haben. Auch wenn Elias Saad sicher körperlich noch etwas zulegen muss (ohne aber an Spritzigkeit zu verlieren): Dieser Entwicklung zuschauen zu können, macht richtig gute Laune.

Zurück zu dem, was nicht so gute Laune macht: Der Derbyniederlage. Jackson Irvine tat sich schwer die Gründe dafür kurz nach Spielende zu nennen, fand aber trotzdem passende Worte: „Ich denke wir hatten die Möglichkeiten in den wichtigen Momenten des Spiels, die wir aber nicht für uns nutzen konnten.“ (letzter Halbsatz klingt schön im Original: „We failed to capitalize on it“). Und diese Momente nutzte halt der Gegner eiskalt: „The centre-half probably never took a better shot in his life – he hits it from 30 yards in the top-corner“ („Der Innenverteidiger hat wahrscheinlich nie einen besseren Torschuss abgefeuert – er trifft aus 30 yards in den Winkel“). Jackson Irvine sowieso bester Typ. Selbst nach so einer Niederlage stellt der sich hin und haut die zitierfähigen Sätze im Sekundentakt raus:

„We need to be better, we need to be more composed in the key moments and ride the storm when it’s coming and keep ourself in the game.“

Jackson Irvine

Mit nicht genutzten „key moments“ meinte Irvine übrigens unter anderem, dass es das Team verpasste früher in Führung zu gehen oder das 3:3 zu erzielen. Allerdings sagte Leart Paqarada zurecht: „Wenn du drei Tore beim HSV machst, dann dürfte das eigentlich in den meisten Fällen reichen, um zu gewinnen.“ Das passierte aber nicht, weil der FCSP aus Sicht von Hürzeler zu viele individuelle Fehler machte, was Paqarada ebenfalls so sah („Vier Tore, die wir so nicht kriegen dürfen“). Zusätzlich hob er aber noch hervor, dass der HSV „extrem effizient war“.

Beide, Paqarada und Irvine, waren neben Hartel und Saad die einzigen Spieler, von denen man Stimmen ergattern konnte. Der Frust saß tief, auch bei den Spielern. Eric Smith und Lukas Daschner habe ich nicht vor das Mikro bekommen können, sie wollten nicht sprechen. Das kannte ich so auch noch nicht. Daher fällt die obligatorische Kampfansage dieses Mal aus. Nach so einer Niederlage und aufgrund der Tabellensituation wäre alles andere aber auch eher schwer zu verkaufen gewesen. Und trotzdem:

Immer weiter vor!
// Tim

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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.

5 thoughts on “Hamburger SV – FC St. Pauli: Stimmen und Statistiken

  1. Warum sind wir denn so wenig gelaufen, unser Schnitt liegt doch irgendwo bei 114km/Spiel…
    Saad muss definitiv öfter spielen, hätte ich ihm auch schon eher zugetraut, aber natürlich muss auch unsere U23 gerettet werden und da hat er ja gut geholfen.
    Und wieder wurde offengelegt, dass uns ein guter Stürmer fehlt, der weiß was man im Strafraum tun muss und auch den Ball sowie Tor trifft, schade dass Maurides verletzt ist… Und auch hat die Rückrunde gezeigt, dass die Spieler, die mit Transfers in Verbindung gebracht werden bzw schon weg sind, auch ersetzbar sind in ihren Positionen, da haben wir andere Spieler bereits im Kader, die vielleicht nicht 1:1 ersetzen können, dafür aber die Qualität nur verschoben ist.

  2. Bin Ruhrpottler und schon ewig Hsver …Bei aller Rivalität möchte ich die sportliche Fairness bzw. Leistung beider Mannschaften hervorheben!.. Unentschieden wäre gerecht gewesen.
    Die Souveränität (die unser Trainer nicht hat) des St.Pauli Coach finde ich in jungen Jahren sehr gut!

  3. Derby verloren….pffffft….da könnt Ihr mir doch alle mal den Schuh aufblasen.
    Nach Hin- und Rückspiel steht es 6:4 für uns. Bäääam!

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