Trübe Aussichten oder gute Karten?

Trübe Aussichten oder gute Karten?

Vorbereitungen sollen auch immer Chance sein für jene Spieler, die in der Vorsaison wenig Spielzeit hatten. Wer könnte beim FC St. Pauli so einen Schritt machen?
(Titelbild: Peter Böhmer)

Die Wunschliste an Neuzugängen ist immer lang und nur wenige Zweitliga-Klubs dürften zum jetzigen Zeitpunkt ihre Kaderplanungen für die kommende Saison als abgeschlossen ansehen. Auch beim FC St. Pauli könnte es noch einige Vakanzen geben: Ein neuer Linksverteidiger (oder einer für die rechte Seite, je nachdem wie man mit Treu plant), noch jemand für die offensive Außenbahn und die kreative Offensivzentrale. Doch gibt es vielleicht auch in-house-Lösungen für diese Positionen? Spieler, die in der letzten Saison hinten dran waren und nun den berühmten nächsten Schritt gehen könnten? Und wie ist überhaupt die Situation der Spieler im Kader des FCSP, die letzte Saison nicht zum Stammpersonal zählten?

Überzahl im Zentrum – Teil 1

In mindestens zwei Bereichen dürften die Personalplanungen, zumindest bezogen auf Neuzugänge, bereits abgeschlossen sein: Im Tor hat Nikola Vasilj seine Position zurecht sicher, Sascha Burchert und Sören Ahlers sind klar auf der Ersatzbank zu finden. Ebenfalls keinen weiteren Bedarf an Spielern gibt es in der Innenverteidigung. Hier dürfte es sogar aktuell ein Überangebot geben. Neben den Stammspielern der Rückrunde sind mit Hauke Wahl, dem wiedergenesenen David Nemeth und Adam Dźwigała hochkarätige Alternativen vorhanden (Lennart Appe gehört nun auch zum Profikader). So hochkarätig, dass, Fitness vorausgesetzt, die Innenverteidigung übermäßig gut besetzt ist. Das macht einen Abgang im Kader auf dieser Position nicht unwahrscheinlich.

Während es in der Mitte recht eng ist, findet sich auf den Flügelpositionen noch etwas Raum. Wenn Manolis Saliakas an die gute Vorsaison anknüpfen kann, dann ist die Position auf der rechten Seite wohl dicht für andere Spieler. Mit Luca Zander und Jannes Wieckhoff haben zwei Konkurrenten den FCSP verlassen. U23-Spieler Luca Günther (bisher nur für die Vorbereitung) und Neuzugang Philipp Treu kamen hinzu, Treu kann aber auch auf der anderen Seite spielen wie zuletzt im Test gegen Dunfermline, hat dort aber Konkurrenz in Lars Ritzka. Und das ist wohl die interessanteste Personalie, wenn es darum geht, welche Spieler aus dem Kader der Vorsaison einen Schritt nach vorne machen können.

Ritzka im Fokus

Für Ritzka dürften die ersten Wochen der Vorbereitung komplett im Zeichen der Eigenwerbung stehen. Und die Verantwortlichen dürften auf Basis dieser Eindrücke entscheiden, was für eine Ergänzung der Kader auf den Außenpositionen noch bekommt. Denn wenn man Günther mal ausklammert, dann dürfte es angesichts von nur drei Spielern für diese zwei Positionen zu risikoreich sein, ohne einen weiteren Neuzugang in die kommende Saison zu gehen (nein, Karol Mets oder ein offensiver Außenspieler kommen für diese Position überhaupt nicht infrage).
Aber welche Qualität wird ein weiterer Neuzugang mitbringen?

Entweder wird es jemand, der Ritzka den Platz direkt streitig machen kann oder aber jemand, der die bisherige Position von ihm, im Schatten des Stammspielers einnehmen wird. Zuzutrauen ist Ritzka auf jeden Fall, dass er in dieser Saison mehr Spielzeit sammeln wird, auch wenn er über ganz andere Fähigkeiten als Leart Paqarada verfügt, was dann Auswirkungen auf eine andere Position im Kader haben dürfte. Und da Treu bereits auf der linken Seite im Testspiel eingesetzt wurde und dort auch immer wieder im Training eingesetzt wird, verschiebt sich der Fokus vielleicht auch auf die rechte Außenbahn, wo dann jemand gesucht wird, der hinter Saliakas aufgebaut werden wird.

Hamburg, Deutschland, 01.10.2022, 2. Bundesliga, Fussball - Lars Ritzka (FC St. Pauli) im Spiel gegen den 1. FC Heidenheim - Copyright: Peter Boehmer
Für Lars Ritzka geht es in der Vorbereitung darum sich einen Stammplatz zu erspielen.
(c) Peter Boehmer

Überzahl im Zentrum – Teil 2

Für Afeez Aremu, Connor Metcalfe und Carlo Boukhalfa verlief die Rückrunde unterschiedlich. Aremu verlängerte kurz vor Jahreswechsel seinen Vertrag beim FC St. Pauli, war in der Hinrunde gesetzt und zeigte oft gute Leistungen. In der Rückrunde musste er aber aufgrund einer doch recht deutlichen Systemumstellung zumeist auf der Bank Platz nehmen. Denn statt dem Mittelfeld-Trio aus Jackson Irvine, Marcel Hartel und ihm, standen nur noch die beiden laufstärksten FCSP-Spieler auf dem Platz und machten ihre Sache enorm gut.

Trübe Aussichten für Boukhalfa

Die Umstellung von drei auf zwei zentrale Mittelfeldspieler, bedeutete auch für Carlo Boukhalfa, dass er wenig Spielzeit bekam, genauer gesagt stand er seit November 2022 nicht mehr auf dem Platz, verpasste sogar regelmäßig den Platz im Kader. Das ist ganz sicher eine äußerst unbefriedigende Situation für ihn wie auch für Aremu. Boukhalfa ist schon äußerlich anzusehen, dass er einiges versucht, er hat in der Sommerpause ordentlich Muskelmasse im Oberkörper zugelegt. Aber könnt ihr Euch vorstellen, dass Irvine oder Hartel ihren Platz auf der Sechs an Boukhalfa verlieren? Die Aussichten für den ehemaligen Regensburger sind ziemlich trübe. Gleiches gilt für Aremu, der aber als klarer Defensivspezialist auf dieser Position für einige Spielsituation infrage kommen könnte.

Ziemlich anders stellte sich die Situation für Connor Metcalfe dar. Für ihn gab es zwar auch kein Vorbeikommen auf der Sechs, dafür zeigte er aber ungeahnte Fähigkeiten auf der offensiven Außenposition und war dort zu Beginn der Rückrunde Stammspieler. Das dürfte zukünftig eher seltener der Fall sein (siehe unten), Metcalfe passt aber sowieso viel eher in den Achterraum. Und wenn er sich auch weiterhin so gut entwickelt wie er es in der Vorsaison tat, dann dürfte die Frage „Könnt ihr Euch vorstellen, dass Hartel oder Irvine ihren Platz auf der Sechs an ihn verlieren?“ eine andere Antwort erhalten, als sie es bei Boukhalfa tat.

Überzahl im Zentrum – Teil 3

In jedem Fall zeigt sich, dass der FC St. Pauli – egal ob in der Abwehr, im Mittelfeld oder im Angriff – im Zentrum jeweils üppig besetzt ist. Mit David Otto, Johannes Eggestein, Maurides, Neuzugang Andreas Albers und Neu-Profi Bennet Winter gibt es gleich fünf Spieler im Kader, die auf der zentralen Angriffsposition spielen können. Zwar muss Maurides erst noch seine Knieverletzung auskurieren (je länger er nicht in die Vorbereitung einsteigen kann, umso klarer wird, warum der Verein Andreas Albers verpflichtet hat) und Winter wird sicher auch noch Spielzeit in der U23 sammeln. Aber trotzdem gibt es im Kader fünf Spieler für diese Position. Das bedingt für den ein oder anderen ebenfalls recht trübe Aussichten. Johannes Eggestein sammelte in der Rückrunde gerade einmal 100 Einsatzminuten und verkörpert leider einen Stürmertypen, den es in einem System mit nur einer Spitze nicht gibt. Er wird sich ganz sicher seine Gedanken dazu machen.

Auch in der Offensive ist auf der Außenbahn wesentlich mehr Luft vorhanden als im Zentrum. Mit Oladapo Afolayan, Elias Saad und, wenn er denn fit bleibt, Etienne Amenyido gibt es drei Spieler im Kader, die für diese Position infrage kommen, Connor Metcalfe und Philipp Treu wären Notnägel. Das ist etwas dünn und erhöht natürlich die Chance auf Einsatzzeiten für die genannten Spieler. Sollte der FC St. Pauli aber noch jemanden für die offensive Außenbahn verpflichten, dann dürfte besonders Amenyido den Taschenrechner rausholen, um mal zu schauen, wie es um die eigene Einsatzzeit in der kommenden Saison stehen wird. Und vielleicht ist eine Verpflichtung auch gar nicht notwendig: Eric da Silva Moreira, frischgebackener U17-Europameister, ist auf der offensiven Außenbahn zuhause und beeindruckte mich persönlich schon mehrfach.

Magdeburg, Deutschland, 18.02.2023, 2. Bundesliga, Fussball - Maurides (FC St. Pauli) im Spiel gegen den 1. FC Magdeburg - Copyright: Peter Boehmer
Maurides hinterließ in der Rückrunde wenig Eindruck, weil er wenig Spielzeit sammelte. Sein Auftritt in Magdeburg, als er der klare Fixpunkt der Offensive des FCSP war, lässt aber hoffen. Doch zuerst muss er seine Verletzung vollständig auskurieren.
(c) Peter Boehmer

Fehlt ein Zehner?

In der Vorsaison brillierte der FC St. Pauli im Aufbauspiel mit vielen Positionswechseln. Zwei dieser Wechsel waren regelmäßig die Bewegungen von Paqarada oder Daschner in den Zehnerraum, der eine von links hinten, der andere von ganz vorne. Zusammen mit Marcel Hartel waren diese beiden das kreative Zentrum des FCSP-Spiels. Nun ist aber nur noch Hartel beim FC St. Pauli. Neuzugang Andreas Albers verkörpert einen ganz anderen Stürmertypen, Lars Ritzka einen anderen Linksverteidiger – wer kann die fehlende Kreativität im Kader also ausgleichen?

Das Testspiel in Dunfermline deutete zumindest schon einmal an, welche Lösungsansätze gesucht werden, um den Zehnerraum zu besetzen: Eric Smith und später Hauke Wahl agierten, auch aufgrund der Dominanz des FCSP, konsequent im Sechserraum, sodass Hartel ebenso konsequent vorschieben konnte. Ebenfalls auffällig war Philipp Treu im zweiten Abschnitt, der oft in den Halbraum abbog und zumindest technisch ein gutes Paket für kreative Aufgaben mitbringt. Die Verpflichtung eines klassischen Zehners dürfte ohnehin schwierig werden, denn der FC St. Pauli hat diese Position ja gar nicht direkt zu besetzen, sondern Spieler von anderen Positionen nehmen die Rolle ein. Womit wir wieder bei der Frage ankommen, ob noch Spieler für die Außenbahnen geholt werden und was die für ein Skillset mitbringen.

Ich bin etwas abgeschweift beim Schreiben dieses Artikels. Eigentlich sollte sich dieser einzig um die Spieler drehen, die vielleicht in Zukunft etwas mehr Spielzeit sammeln könnten. Die Liste ist aber ziemlich kurz, denn abgesehen von, Stand jetzt, Lars Ritzka sind die Aussichten ziemlich trübe. Das ist für die Spieler selbst nicht unbedingt positiv. Für den FC St. Pauli aber bedeutet es, dass wesentliche Bausteine des Kaders zusammengehalten werden konnten. Die Überzahl im Zentrum zeigt, dass es bereits ein äußerst stabiles Gerüst gibt. Um welches jetzt aber auf den Außenpositionen noch ein wenig herumgewerkelt werden dürfte.
// Tim

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4 thoughts on “Trübe Aussichten oder gute Karten?

  1. wir sind ja in der glücklichen lage, adam dźwigała im kader zu haben. der is flexibel, auf vielen positionen einsetzbar. unter anderem auch auf den außenpositionen, die er beide bei uns schon bespielt hat, mit durchaus guten leistungen. damit wären beide außenpositionen doppelt besetzt und in der innenverteidigung is das überangebot dann nich mehr so groß. winwin

  2. Zu Adam wollte ich ähnliches schreiben. Insbesondere bei langen Bällen hat er deutlich zugelegt. Und einen guten Schuss hat er auch. Dann wäre bei den IVs Smith noch in der Lage dauerhaft vor der Verteidigung zu spielen. Dann wären es gar nicht mehr allzu viele IVs. Und man kann mit dem Kader auch durchaus mal auf 4-4-2 umstellen…

  3. Unaufgeregt.
    Das Transferfenster schließt am 31. August? Und bis dahin, büdde selbst ausrechnen, eine Suchmaschine bietet mir 711 m³/s am Elbabfluss an.
    Forza.
    (Bitte korrigieren, ich komme auf 3,8 Milliarden Kubikmeter Elbe im Juli/August in die Nordsee)

  4. Hi, noch ist auf jeden Fall genug Zeit für die 2-3 wichtigen Transfers. Allerdings müssen die auch passieren, wenn man ernsthaft oben mitspielen möchte. Gerade offensiv sind Daschner und Paqa schon große Verluste. Die Siegesserie in der Rückrunde verklärt da etwas. Da waren schon einige knappe Spiele dabei, die auch anders hätten laufen können ( wie das Team in der Hinrunde oft kein Spielglück hatte). Und wenn weiter 3er-Kette gespielt wird, ist Dzwigala eben kein geeigneter Spieler für die Aussenbahn. Und auch für offensiv außen haben wir gerade 3 Spieler(da ist Metcalfe schon mitgerechnet). Das reicht nicht, um von der Bank mal nachzulegen. Abgesehen davon hatten wir auch Glück, dass Schlüsselspieler wie Irvine,Hartel, Paqa, Daschner,Medic,Saliakas und später auch Mets und Dapo so gut wie nie ausgefallen sind

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