Vorbericht: FC St. Pauli – Holstein Kiel (6. Spieltag, 23/24)

Vorbericht: FC St. Pauli – Holstein Kiel (6. Spieltag, 23/24)

Der FC St. Pauli empfängt am Sonntag Holstein Kiel am Millerntor. Die Störche haben im Sommer einen großen Umbruch vollzogen. Dieser war erfolgreich, wie der Saisonstart zeigt.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Beim Aufeinandertreffen zwischen dem FC St. Pauli und Holstein Kiel handelt es sich um eine Partie, die insgesamt und besonders in den letzten Jahren sehr häufig gespielt wurde. Entsprechend haben wir die Historie des Aufeinandertreffens ausgelagert: Ganz schön viel passiert
Eine Info noch zur Anreise: Die U3 bietet den sehr beliebten Schienenersatzverkehr an.

FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?

Natürlich war bereits klar, dass es sich bei der Ausfallzeit von Jackson Irvine nicht um ein paar Tage, sondern eher um ein paar Wochen handeln würde. Doch wenn man das so liest, wie es trocken, trist und hässlich geschrieben ist („Ruptur des Außenbandes und Gelenkverstauchung“), tut es dann doch nochmal deutlich mehr weh. Der Verein gab als einzige Prognose, dass Irvine „bis auf Weiteres“ ausfallen werde.
Immerhin: Abgesehen von Irvine sind alle Spieler, die auf Länderspielreisen waren, heil zurückgekommen.

Für das Spiel am Sonntag werden neben Irvine auch Etienne Amenyido und Maurides noch fehlen. Hürzeler erklärte, dass ein Einsatz für sie noch zu früh kommt und er hoffe, dass sie zeitnah einsatzbereit sind. Beide haben in der Länderspielpause einige Schritte nach vorne gemacht, trainierten zumeist mit dem Team.
Ein Spieler, der zumindest laut eigener Aussage („Coach, ich bin bereit“) am Wochenende einsatzfähig ist, ist Simon Zoller. Er hat aber bisher nur Teile des Mannschaftstrainings mitgemacht. Ein Einsatz am Wochenende wäre daher so etwas wie ein Bruch mit den Gepflogenheiten beim FCSP und entsprechend nahm Hürzeler auf der Pressekonferenz etwas Wind aus den Segeln („Sollten nicht voreilig sein“).

Holstein Kiel: Wer kann spielen, wer fehlt?

Da die Spieltags-Pressekonferenz von Holstein Kiel noch nicht stattgefunden hat, vermelde ich mal Personalinfos der letzten Woche: Da sah die personelle Situation bei Kiel ziemlich gut aus. Abgesehen von Innenverteidiger Carl Johansson (leichter Meniskusschaden) sind alle Spieler einsatzbereit. Und im Laufe der ersten Spiele zeigte sich, dass dieser Ausfall, der bereits seit rund einem Monat zu verkraften ist, relativ gut aufgefangen wurde.

(Edit: Jetzt sind die Infos da. Es droht ein Ausfall von Innenverteidiger Patrick Erras, der über Schmerzen im Fuß klagt. Ansonsten ist der Kader aber fit. Das bedeutet auch, dass Carl Johansson den verletzten Erras ersetzen könnte. Na super! Der vorherige Absatz ist also mehr oder weniger für die Tonne formuliert worden…)

Was haben die Störche zu bieten?

Einen richtig guten Saisonstart mit vier Siegen aus fünf Spielen. Einzig gegen den 1. FC Magdeburg gab es einen Niederlage. Die Spiele gegen Braunschweig, Fürth, Schalke und Paderborn wurden allesamt gewonnen. Damit steht das Team aktuell auf dem zweiten Tabellenplatz. Wie ist es so weit gekommen? Fabian Hürzeler erklärt:

„Holstein Kiel ist eine komplette Mannschaft. Sie können sehr gut verteidigen, sind gefährlich bei Standards. Sie spielen aus einer gewissen Struktur sehr einfachen, aber sehr effektiven Fußball. Sie haben eine gute Mischung zwischen flachen und hohen Bällen.“

Fabian Hürzeler über den kommenden Gegner Holstein Kiel

Besonders diese Mischung aus flachen und hohen Bällen ist ein Merkmal der Kieler Spielweise. Und dafür hätten sie auch die passenden Spielertypen auf dem Platz, betont Hürzeler und hebt dabei jeweils Duos mit ihren Eigenschaften hervor: im Mittelfeld die Bewegungen im Zwischenraum von Sander und Skrybski, auf den Außenbahnen die Laufstärke von Porath und Rothe und im Angriff die Umschaltstärke von Machino und Pichler. Dazu hebt der FCSP-Coach auch hervor, dass die Kieler „im Moment das Spielglück haben“, welches sie zu einer „sehr guten Mannschaft“ mache.

Erfolgreicher Umbruch oder Spielglück? Beides!

Im Sommer vollzog Holstein Kiel nicht viel weniger als einen massiven Umbruch im Kader. Viele langjährige Spieler verließen den Club, insgesamt gab es 15 Abgänge (Durchschnittalter: ~28 Jahre). Darunter einige Leistungsträger, wie zum Beispiel Fabian Reese oder ein gewisser Hauke Wahl. Dieser Umbruch war, zumindest öffentlich, so gewollt von der sportlichen Führung, wie Matthias im VdS berichtete.
So kamen insgesamt mehr als ein Dutzend neue Spieler nach Kiel (Durchschnittalter: ~23 Jahre). Fünf dieser Spieler standen in den letzten beiden Partien in der Startelf – und zeigten, dass dieser Umbruch äußerst erfolgreich gewesen ist.

Eine Sache, auf die bei Verpflichtung neuer Defensivspieler vermutlich geachtet wurde, ist die Körpergröße. Von den fünf neu verpflichteten Defensivspielern ist keiner kleiner als 1,90m. Und das lässt sich auch direkt in den Statistiken erkennen: Holstein Kiel führt die meisten Kopfballduelle in der Liga und hat auch die beste Erfolgsquote aller Teams. Das ist ein wichtiger Punkt, den ich bei der möglichen Aufstellung noch einmal aufgreifen werde.

Hamburg, Deutschland, 08.11.2022 - David Otto und Johannes Eggestein (FC St. Pauli) konnten beim Spiel gegen Holstein Kiel nicht überzeugen - Copyright: Peter Boehmer
Ja, hold on to your seat: Johannes Eggestein könnte gegen Holstein Kiel in der Startelf stehen, aufgrund der gegnerischen Kopfballstärke.
(c) Peter Boehmer

Kieler Lufthoheit

Die Defensive der Kieler ist auf jeden Fall eine der Stärken des Teams. Zwar fingen sich die Störche bereits sechs Gegentreffer, aber laut den xG-Werten lassen sie hinter dem FCSP am wenigsten Gefahr für das eigene Tor zu. Die Basis für die defensive Stabilität ist, wie aktuell bei so vielen Zweitligisten, eine Fünferkette. Doch diese hat mit den beiden Schienenspielern Rothe und Porath (oder Sterner) auch einen enormen Impact auf die Offensive. Besonders der erst 18-jährige Rothe (BVB-Leihgabe mit FCSP-Vergangenheit) tat sich in den ersten Spielen hervor. Hürzeler: „Tom Rothe ist immer ballfern in der Box zu finden, hat einen super linken Fuß, findet Lösungen in engen Räumen. Er ist groß, er ist schnell und hat den Herrenfußball schnell angenommen. Es macht Spaß ihm beim Fußballspielen zuzusehen.“

Vieles fokussiert sich bei Holstein Kiel auf den Umbruch und die Rolle der Neuzugänge. Doch gerade in der Offensive sind es auch Spieler, die bereits zuvor Leistungsträger waren. Steven Skrzybski zum Beispiel, der auf der Zehner-Position agiert. Der inzwischen 30-jährige hat letzte Saison ordentlich geliefert (15 Treffer, sieben Vorlagen) und nun auch schon wieder doppelt getroffen. Vor Skrzybski spielt Holstein Kiel mit zwei Spitzen: Der gefeierte Neuzugang Shuto Machino und der „Quasi-Neuzugang“ Benedikt Pichler, der letzte Saison lange verletzt ausfiel. Hürzeler betont, dass beide Spieler unterschiedliche Rollen auf dem Platz einnehmen: „Machino ist der Spielertyp, der sich auch mal in den Zwischenraum fallen lässt. Pichler ist für mich eher der Spieler ganz vorne, den sie als Zielspieler haben.“

Mögliche Aufstellung

Veränderungen in der Startformation scheinen bei Holstein Kiel nicht wahrscheinlich zu sein. Zum einen, weil Trainer Marcel Rapp grundsätzlich eher wenig personell wechselt und wohl auch nicht von seinem 3-4-1-2 abweichen wird. Daher gehe ich mal von der gleichen Aufstellung wie vor der Länderspielpause im Spiel gegen Paderborn aus und gehe schnell zu der großen Frage der Woche über.

Die Suche nach dem Irvine-Ersatz

Unzählige Artikel wurden darüber geschrieben, auch wir haben uns schon mit dieser Frage beschäftigt: Wie reagiert der FC St. Pauli auf die Verletzung von Jackson Irvine? Fabian Hürzeler erzählte, dass man nicht am System rütteln werde, benannte aber auf Nachfrage die Formation mit nur einer Sechs und zwei Spitzen zu agieren – wie es in der Vorbereitung teilweise praktiziert wurde – als Option.
Zudem gibt es viele weitere Optionen: Eric Smith oder Hauke Wahl könnten auf die Irvine-Position rücken. Das dürfte dann die Einsatzchancen von David Nemeth in der Innenverteidigung erhöhen. Und ein Vorrücken von Smith samt zentraler Position von Wahl halte ich persönlich für die wahrscheinlichste Variante.

Erwartete Aufstellung beim Spiel FC St. Pauli gegen Holstein Kiel
Erwartete Aufstellung beim Spiel FC St. Pauli gegen Holstein Kiel

Es gibt aber auch noch Optionen, die deutlich offensiver sind und eventuell die turmhohen Kieler Gegenspieler vor (noch mehr) Probleme stellen würden. Connor Metcalfe könnte die Irvine-Position einnehmen und dabei vor allem recht geradlinig den Weg zum Tor in richtigen Momenten wählen. Tatsächlich ist auch Danel Sinani eine Option. Er hatte für das luxemburgische Nationalteam auf der Acht gespielt. Hürzeler betonte, dass Sinani in der Nationalmannschaft eine „sehr freie Gestaltung seiner Positionierung“ habe und um seine Stärken auszuspielen sei es wichtig „ihn in gewisse Räume zu bringen“. Es sei daher auch ein Abwägen der Frage wo Holstein Kiel dem FCSP Räume anbietet, wer die Position von Irvine einnehmen wird.

Wer startet in der Sturmspitze?

Doch nicht nur auf der Sechs/Acht könnte es personelle Veränderungen geben. Bei der enormen Lufthoheit der Kieler stellt sich die Frage, ob es offensiv Sinn macht etwas mehr auf Agilität zu setzen. Das würde bedeuten, dass Andreas Albers eher schlechte Karten hat, während Spieler wie Dapo Afolayan, Johannes Eggestein und vielleicht auch Sinani eher größere Chancen auf einen Startelfeinsatz hätten. Fabian Hürzeler wollte sich bei dieser Frage definitiv nicht in die Karten schauen lassen, sagte nur „es ist eine Option, ja“ – ich persönlich halte das für sehr wahrscheinlich.

Und bei dieser Frage könnte auch die zweite schwere Verletzung im FCSP-Kader eine Rolle spielen. Denn wenn der FC St. Pauli an seiner Grundformation festhält, dann gibt es vier offensive Außenbahnspieler im Kader. Metcalfe könnte aber auch zentral im Mittelfeld gebraucht werden, macht drei Spieler. Wenn Afolayan oder Sinani nun im Zentrum beginnen, dann fehlt es dem Kader an Wechseloptionen für diese Position, selbst wenn Metcalfe nicht zentral zum Einsatz kommt. Dieser Umstand erhöht die Einsatzchancen von – Johannes Eggestein. Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich das nochmal schreibe. Eggestein bringt jedenfalls die notwendige Agilität mit, das betonte Hürzeler in der Vorsaison, als er gegen Braunschweig auf dem Platz stand (in diesem Video ab Minute 7:05).

Taking a risk?

Es handelt sich bei der Frage der Besetzung der Sturmspitze aber auch um die Frage, ob man das Visier hochklappt oder nicht. Mit Irvine fehlt bereits ein sehr kopfballstarker Spieler. Ohne Albers würde der FCSP den Luftraum dann nahezu wegschenken und es droht enorme Gefahr bei gegnerischen Standards. Auf der anderen Seite würde so eine Aufstellung dann wohl Probleme bei der Defensive der Kieler erzeugen. Richtig radikal wäre es, wenn nicht nur Eggestein vorne drin stünde, sondern auch Metcalfe oder Sinani auf der Irvine-Position. Das wäre eine offensive Kampfansage. Ich glaube aber eher an den Mittelweg, mit Eggestein, aber Smith auf der Sechs.

Wie auch immer Fabian Hürzeler und sein Team entscheiden werden: Die Hürde Holstein Kiel ist höher geworden durch den Ausfall von Irvine. Doch man sollte sich nicht zu sehr von den Tabellenplätzen blenden lassen, es ist ein Duell auf Augenhöhe. Und es wäre dringend notwendig, dass der FC St. Pauli mal wieder ein solches Duell mit drei Punkten für sich beendet.

Forza!
// Tim

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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.

One thought on “Vorbericht: FC St. Pauli – Holstein Kiel (6. Spieltag, 23/24)

  1. Allmählich beschleicht mich der Verdacht, dass Tim über Informationen verfügt, mit denen er (zumindest teilwiese, aber zu Recht) ein wenig hinter dem Berg hält. Nach Lesen des Blogs hatte auch ich das Gefühl, dass der Tag von Johannes Eggestein gekommen sein könnte. Metcalfe auf der 6 war dann natürlich noch durch den Ausfall von Nemeth „begünstigt“. Beeindruckend war jedoch, wie die Mannschaft die notwendigen Änderungen aufnahm. Reifer Fußball von allen Eingesetzten.

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