Der FC St. Pauli schießt Traumtore, Rapp sieht den „Wahnsinn“, Treu überzeugt und Eggestein spielt (wieder) mit. Die Statistiken zu FCSP vs. KSV.
(Titelbild: Stefan Groenveld)
Es war zweifelsohne ein Tag, an dem für den FC St. Pauli nahezu alles perfekt lief, besonders dann, wenn man aus der Ferne auf das Tor von Holstein Kiel schoss. Vier von fünf Treffern landen auf jeden Fall im Saisonrückblick in der Kategorie „schönste Tore“. Doch der FCSP konnte auch spielerisch gegen Kiel überzeugen, wenngleich die Statistiken zeigen, dass das Übergewicht vielleicht nicht ganz so deutlich war, wie es das Ergebnis vermuten lässt.
Die Analyse zum Spiel findet Ihr hier: Theater der Traumtore
Kern-Statistiken
„Warum sollte man den schweren Weg in den Strafraum gehen, wenn man die Tore einfach aus der Distanz erzielen kann“, dachten sich dann vermutlich auch die Spieler des FC St. Pauli. Die Anzahl an Ballkontakten im gegnerischen Strafraum war mit insgesamt 17 relativ niedrig (nur gegen Fürth hatte der FCSP weniger). Wenn man allerdings nach acht Minuten bereits 2:0 und zur Halbzeit 3:0 in Führung liegt, dann ist der Drang sich bis ganz nach vorne durchzuspielen, aber auch einfach nicht mehr ganz so intensiv vorhanden. Das sollte beim Blick auf die Statistiken ohnehin beachtet werden: Diese dürften durch das frühe 2:0 massiv beeinflusst worden sein, etwa indem der FCSP weniger Risiko bei eigenen Angriffen gehen musste.
FC St. Pauli | Holstein Kiel | |
18 (7) | Torschüsse (auf’s Tor) | 14 (4) |
13 | Fouls | 16 |
55.2% | Ballbesitz | 44.8% |
466 (88.0%) | Pässe (erfolgreich) | 409 (81.9%) |
39 (79.5%) | …davon ins letzte Drittel (erfolgreich) | 46 (54.4%) |
28 (64.3%) | …davon lange Pässe (erfolgreich) | 46 (56.5%) |
162 | erfolgreiche Pässe in gegn. Hälfte* | 95 |
17 | Ballkontakte gegn. Strafraum | 15 |
7 | deep completions | 5 |
62 (46.8%) | Defensivduelle (erfolgreich) | 85 (49.4%) |
16 (12.5%) | Kopfballduelle (erfolgreich) | 16 (68.8%) |
11.2 | PPDA | 12.2 |
117.9km | Laufdistanz** | 114.9km |
197 | Sprints** | 216 |
**Laufdistanz von Bundesliga.de
Kiel mit vielen Offensivaktionen
Wie kommt man nun dazu, abgesehen vom Ergebnis von einem Übergewicht des FC St. Pauli zu sprechen? Die Pass-Statistiken zeigen deutlich, warum. Denn erneut hatte der FCSP nicht nur insgesamt mehr Pässe als der Gegner gespielt und auch mehr Ballbesitz, sondern überzeugte vor allem mit Passsicherheit. 162 erfolgreiche Pässe zum Mitspieler gab es in der gegnerischen Hälfte (Kiel: 95), fast 80% der Pässe ins letzte Drittel waren erfolgreich (Kiel: 54%). Diese Werte sind überragend. Im Mittel kommen diese Saison bisher knapp mehr als 75% der FCSP-Pässe im letzten Drittel an – das ist Liga-Spitzenwert.
Auffällig ist aber auch, dass der FC St. Pauli den Kielern relativ viele Möglichkeiten zugestanden hat. Die kamen nämlich ihrerseits zu 15 Ballkontakten im gegnerischen Strafraum – nur der FCK hatte diese Saison gegen den FCSP mehr. Diese 15 Ballkontakte nutzten sie zu acht Torabschlüssen innerhalb des Sechzehners, während der FCSP zwar insgesamt häufiger auf das Tor schoss, allerdings nur fünfmal innerhalb des Strafraums. Diese Zahlen leiten nahezu automatisch zu den xG-Werten über.
Expected Goals
Die 18-14 Torschüsse in der Partie klingen nach einem ausgeglichenen Verhältnis, mit leichten Vorteilen für den FCSP. Wenn davon dann aber 5 vs. 8 im Strafraum abgegeben wurden, dann liest sich die Sache bereits anders. Das spiegelt sich auch in den xG-Werten wider: Holstein Kiel hat hier einen Mittelwert von 1.4, der FC St. Pauli von 1.1 – die Kieler haben sich also bessere Torchancen erspielt.
FC St. Pauli | Holstein Kiel | |
(1.4 / 1.0 / 0.9) –> 1.1 | expected goals (xG) (wyscout / DFL / fotmob) | (1.3 / 1.3 / 1.5) –> 1.4 |
0.8 | xG – herausgespielt | 1.1 |
0.1 | xG – Standards | 0.5 |
1.7 | xGOT* | 1.9 |
*xGOT: Expected Goals on Target (xGOT) misst die Wahrscheinlichkeit, dass ein gezielter Schuss zu einem Tor führt, basierend auf der Kombination aus der zugrunde liegenden Chancenqualität Expected Goals (xG) und der Endposition des Schusses im Tor. Dabei werden Schüsse, die platzierter sind und in den Ecken landen, besser gewertet als Schüsse, die direkt in die Mitte des Tores gehen.
Metcalfe against all odds!
Es ist schon wirklich sehr selten, dass es einem Team gelingt aus Torgelegenheiten mit einem xG-Wert von 1.1 gleich fünf Treffer zu erzielen. Entsprechend äußerte sich auch Kiels Trainer Marcel Rapp nach der Partie bezogen auf die Effizienz des FCSP beim Blick auf die xG-Werte: „Die Statistik ist Wahnsinn.“
Wahnsinn hin, Wahnsinn her – an den vier Treffern lässt sich ganz gut erkennen, warum es nicht die beste Idee ist, aus diesen Positionen abzuschließen. Die Abschlüsse von Hartel und Smith hatten eine Torwahrscheinlichkeit von je drei Prozent. Jener von Ritzka lag bei zwei Prozent, der von Metcalfe lag sogar unter einem Prozent. Dass sie zu Toren wurden, lag an der Abschlussqualität, welches sich unter anderen an den xGOT-Werten messen lässt (Ritzka: 0.24; Hartel: 0.15; Smith: 0.34; Metcalfe: 0.32).
Einzelbewertung
Tja, dann ist es wohl die hohe individuelle Qualität der Spieler, die für den deutlichen 5:1-Erfolg sorgte. Dass Eric Smith, Connor Metcalfe und Marcel Hartel aus der Distanz Tore erzielen können, ist aber auch keine Neuheit. Dass Lars Ritzka das kann, schon. Und dass alle Vier das im gleichen Spiel tun, ist natürlich der Grund, warum Marcel Rapp was von „Wahnsinn“ erzählte.
Team | whoscored / sofascore / fotmob |
FC St. Pauli | (7.2 / 7.2 / 7.5) -> 7.3 |
Holstein Kiel | (6.1 / 6.5 / 6.2) -> 6.3 |
Spieler | |
Nikola Vasilj | (6.7 / 7.1 / 6.8) -> 6.9 |
Philipp Treu | (7.3 / 7.1 / 7.8) -> 7.4 |
Hauke Wahl | (7.2 / 6.9 / 7.6) -> 7.2 |
Eric Smith | (7.5 / 7.7 / 7.9) -> 7.7 |
Karol Mets | (6.7 / 6.7 / 7.2) -> 6.9 |
Lars Ritzka | (8.0 / 7.5 / 8.1) -> 7.9 |
Connor Metcalfe | (8.3 / 8.1 / 8.6) -> 8.3 |
Marcel Hartel | (9.1 / 8.4 / 8.8) -> 8.8 |
Dapo Afolayan | (7.8 / 7.3 / 8.0) -> 7.7 |
Johannes Eggestein | (7.0 / 6.8 / 6.9) -> 6.9 |
Elias Saad | (7.1 / 6.6 / 6.5) -> 6.7 |
Das höchste Rating aller FCSP-Spieler hat Marcel Hartel, der mit einem Wert von 8.8 wirklich ziemlich weit oben zu finden ist. Mit Metcalfe, Ritzka, Smith und Afolayan folgen die weiteren Torschützen in der Liste. Hartel hebt sich von seinen Mitspielern nochmal ab, weil er defensiv mit sieben abgefangenen Pässen den Spitzenwert setzte und an insgesamt vier Torabschlüssen direkt beteiligt war. Noch viel wertvoller war er für sein Team im Passspiel: 41 von 46 Pässen kamen beim Mitspieler an (alle langen Pässe und mehr als zwei Drittel seiner Pässe ins letzte Drittel waren erfolgreich).
Ein fettes Ausrufezeichen setzte auch ein Spieler, der keinen eigenen Treffer erzielte: Philipp Treu zeigte, dass es auf der rechten Seite nicht nur Manos Saliakas gibt. Defensiv stabil und offensiv mit einigen Impulsen (vier progressive Läufe, zwei Ballkontakte im gegnerischen Strafraum, dazu vier Balleroberungen in der gegnerischen Hälfte). Es hat richtig Spaß gemacht ihm zuzuschauen, wie er auch den bisher so stark aufspielenden Tom Rothe im Griff hatte und nach der Umstellung den torgefährlichen Steven Skrzybski kaltstellte. Sechs abgefangene Pässe zeugen davon.
Eggestein spielt (wieder) mit
Natürlich hatten Dapo Afolayan und Elias Saad die meisten Offensivaktionen. Saad führte 20 Duelle in der Offensive (45% erfolgreich), Afolayan 16 (56% erfolgreich). Und doch hatte Johannes Eggestein einen großen Anteil am Offensivspiel des FCSP. Er füllte die Rolle im Sturmzentrum ganz anders aus, als es zum Beispiel Andreas Albers und Dapo Afolayan vor ihm taten: Er bewegte sich oft in die Zwischenräume und suchte das Zusammenspiel mit seinen Mitspielern. Dabei vergaß er aber nicht, rechtzeitig wieder dort zu sein, wo man als Stürmer sein sollte. Mit vier Ballkontakten im gegnerischen Strafraum hatte er die meisten aller FCSP-Spieler (drei Torschüsse). 18 Mal wurde er in knapp 70 Minuten Spielzeit mit einem Pass von seinen Mitspielern gefunden. Andreas Albers kam in den letzten beiden Partien mit teils deutlich mehr Spielzeit nur auf zwölf als Höchstwert, Afolayan hatte noch viel niedrigere Werte.
Diese Zahlen zeigen klar: Der FC St. Pauli kann sich darüber freuen, einen so anderen Stürmertypen im Kader zu haben. Ob Eggestein, der das erste Mal seit dem 4:4 in Karlsruhe (17. Spieltag der Vorsaison) wieder in der Startelf stand, nun nach dieser Leistung wieder zu mehr Einsatzzeiten kommt? In jedem Fall hat er einen guten Eindruck hinterlassen, auch wenn der Torerfolg fehlte. Wie er selbst das alles einschätzt und wie die lange Wartezeit auf der Bank für ihn war, darüber habe ich mit ihm etwas ausführlicher nach dem Spiel in der Mixed-Zone gesprochen. Und ja, das ist ein Cliffhanger für den Stimmen-Artikel, an den ich mich jetzt setzen werde.
// Tim
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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.
Eggestein war Mittelstürmer und hatte während des ganzen Spiels 2 Torchancen, die er überhastet, zumindest erfolglos abschloss. Doll war das nicht. Albers traf immerhin, zählte zwar nicht, aber es war ein anderer, der im Abseits war.
Treu war wirklich stark, der Rest auch.
Mittelstürmer haben mehr Aufgaben als nur Tore zu erzielen – und ihre Möglichkeiten erarbeiten sie sich nicht vollkommen alleine, sondern sind auch immer von Assistgebern abhängig. Jojo hat sich sehr gut bewegt, vorne für Bewegung und Variabilität gesorgt, mit einem seiner Abschlüsse übrigens auch für ein weiteres Abseitstor gesorgt (ich frage mich, ob der Ball eventuell auch reingegangen wäre, wäre Hartel nicht hingegangen?)
Die Dinge, die mit fehlender Spielpraxis in Verbindung zu bringen sind (überhastete Abschlüsse?), darf man auch Hürzeler ankreiden. Da hat ein Spieler gespielt, der das letzte Jahr kaum Einsatzminuten gesammelt hat – das war eine starke Leistung
Die Diskussion, ob Hartel mit seiner Ballberührung evtl. ein Tor verhindert hat, hatte ich gestern auch schon mit meinem Sohn. Er meinte, von der Süd hätte es so ausgesehen, als hätte der Ball sich noch reingedreht. Von der GG hatte ich den Eindruck nicht, aber nach den Fernsehbildern glaube ich auch eher, dass der hätte passen können.
Noch was anderes: Weiß jemand, was Eric Smith meinte, als er nach dem Spiel sagte: „Es war eine sehr emotionale Woche für mich“ ? Er wirkte nach dem Tor ja schon sehr ergriffen …
Smith hatte einen Todesfall in seiner Familie.
auch ich glaube, der ball wäre auch ohne cello’s berührung reingegangen. ich glaube, der leicht abgefälschte schuß von jojo bekam einen starken drall richtung tor… schade für johannes. aber der macht noch seine tore, genauso wie andreas.
Moin,
Ich Frage mich bei den Kernstatistiken immer, weshalb bei den Kopfballduellen die beiden Prozentangaben addiert nicht 100% ergeben.Liegt es daran, das eigentlich defensive Kopfballduelle gemeint sind?
Ja, das bist Du nicht die einzige Person, der es so geht. Zwei Gründe gibt es dafür: 1. Nicht jedes Kopfballduell hat einen Gewinner. Manchmal wird es als Unentschieden gewertet. 2. Wenn drei Spieler zum Kopfball gehen (z.B. 2x FCSP, 1x Kiel), dann zählt es für den FCSP so, als wenn zwei Duelle geführt wurden. Das ist bei Standards ab und an der Fall.
Grundsätzlich gilt: Je mehr Kopfballduelle geführt werden, umso besser wird die Statistik. Bei insgesamt nur 16 Duellen würde ich das ignorieren.
Ich glaube das liegt daran, dass Kopfballduelle auch mal „unentschieden“ ausgehen können.
Wenn beispielsweise beide hochgehen, der Ball aber unkontrolliert im Seitenaus landen, kann man keinem ein gewonnenes Kopfballduell zuordnen. Ob es Offensiv- oder Defeinsivkopfbälle sind ist dabei glaube ich egal…