„Keine Kirmestruppe“ – Stimmen zu FCSP vs. HSV

„Keine Kirmestruppe“ – Stimmen zu FCSP vs. HSV

Enttäuschung gab es beim FC St. Pauli nach einer guten Leistung im Derby gegen den HSV, die aber nur zu einem 2:2 reichte – die Stimmen zur Stadtmeisterschaft
(Titelbild: Peter Boehmer)

Nicht nur ein Schnee-, sondern auch ein Gefühlschaos machte sich am Freitagabend breit rund um den FC St. Pauli. Der Schneefall sorgte wohl auch dafür, dass das Spiel nicht ganz so verlief, wie es hätte laufen können und führte letztlich dazu, dass die Spieler des FCSP und auch Fabian Hürzeler nach Abpfiff Probleme hatten, das 2:2 einzuordnen. Waren das jetzt zwei verlorene Punkte? Ja, sicher. Trotzdem hat man gegen den Hamburger SV das Spiel lange dominiert (hier geht es zu den Spiel-Statistiken, hier zur Spiel-Analyse). Am Ende freute sich der Gast über einen Punktgewinn. Doch allein die Tatsache, dass sich der „Weltverein“ über einen Punktgewinn beim „Stadtteilverein“ freut, ist nämlich bereits ein Grund zur Freude.

Die Stimmen zur Partie fielen entsprechend gemischt aus, sofern man sie denn überhaupt bekam. Die Kälte und sicher auch die Enttäuschung führten nämlich dazu, dass gleich eine ganze Reihe von FCSP-Spielern die Mixed Zone wortlos durchquerten. Einige Stimmen zu schwierigen Platzverhältnissen und der Einordnung des Ergebnisses gab es dann aber doch zu holen.

Trainerstimmen

Walter: „Sehr glücklich über den Punkt“

„Ich glaube nicht, dass uns der Gegner so erwartet hat,“ sagte HSV-Coach Tim Walter im Anschluss an die Partie, in Bezug auf die, in der Tat überraschende taktische Anpassung des Teams, welches mit einer Art Doppelsechs gegen den FCSP agierte. Diese Spielweise habe „bis zum Gegentor auch gut funktioniert.“ Doch der FC St. Pauli zeigte sich erneut taktisch flexibel, passte seinerseits an und auch deshalb war nach dem Gegentor „der Wurm drin. Wir sind nicht mehr so gut und konsequent reingekommen. Gleich im Anschluss haben wir dann das zweite kassiert.“

Doch auch der HSV zeigte sich taktisch flexibel, stellte erneut um, wie Walter erklärte: „Wir haben dann in der zweiten Halbzeit etwas angepasst, haben die Flügelspieler auf die breiten Innenverteidiger geschickt. Dadurch hatten wir auch Balleroberungen.“
Zwar konnte der HSV das Spiel dann ausgeglichener gestalten und durch zwei Treffer binnen kurzer Zeit zurückkommen. Doch mehr war für das Team nicht drin, am Ende spielte man klar auf Zeit, wie Walter offen zugab und sagte: „Ich bin sehr, sehr glücklich über unseren Punkt…“ hatte dann aber eine etwas andere Einschätzung der Partie, als viele andere: „…der am Ende auch hochverdient war.“

Walter in anderer Rolle?

Eine persönliche Anmerkung: Bereits auf der Pressekonferenz vor dem Spiel hat Tim Walter sehr ausgeglichene Antworten gegeben und sich nicht zu den bereits von ihm gehörten „Parolen“ hinreißen lassen. Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel agierte er ähnlich, ließ sich unter anderem auch nicht von Fragen zur möglichen Irregularität der Gegentore aus der Fassung bringen. Stattdessen lobte er den FC St. Pauli für sein Spiel, merkte an, dass man eben nicht nur auf sich schauen müsse, sondern auch der Gegner eine gewichtige Rolle beim Ausgang der Partie spiele: „Es liegt nicht immer nur in der Hand des eigenen Tuns und Handelns, sondern der Gegner hat es heute auch gut gemacht. Das ist ja auch keine Kirmestruppe, sondern der Tabellenführer.“

Damit hat Tim Walter seine ihm bisher zugeordnete Rolle komplett falsch gespielt. Das ist fast schon schade, da bin ich ganz ehrlich. Weil er mit seinem bisherigen Auftreten sehr gut in ein, auch von mir, gern gepflegtes Bild passte. Bei diesem Derby tat er das aber nicht, was ihn, sorry to say, fast schon sympathischer werden ließ. Ich bin aber sicher, dass wir in dieser Saison auch wieder ganz andere Töne vom Cheftrainer des HSV hören werden.

Deutschland, Hamburg, 01.12.2023, Fussball 2. Bundesliga 15. Spieltag, FC St. Pauli - Hamburger SV im Millerntor-Stadion Tim Walter, Cheftrainer des Hamburger SV im Spiel gegen den FC St. Pauli. Copyright: Stefan Groenveld DFL regulations prohibit any use of photographs as image sequences and/or quasi-video.
Von Tim Walter gab es rund um das Derby ungewohnt ausgeglichene Töne zu hören.
(c) Stefan Groenveld

Hürzeler: „Hätten Spiel killen müssen“

FCSP-Trainer Fabian Hürzeler war zufrieden mit dem Auftritt seines Teams: „Wir haben ein gutes Spiel gemacht, speziell in den ersten 45 Minuten. Wir haben mutig hinten rausgespielt, den Gegner gelockt und dahinter immer wieder Dynamik erzeugt.“
Doch einen großen Makel hatte diese überlegene Vorstellung: „Nach dem 2:0 hätten wir sie killen müssen. Wir hatten unsere Aktionen, in denen wir immer wieder auf die Kette zulaufen, haben drei, vier gute Torchancen. Machen wir das 3:0, dann wäre das Spiel anders gelaufen.“

So ging es „nur“ mit einer Zwei-Tore-Führung in die Pause. Danach startete der FCSP aus Sicht von Hürzeler auch gut: „Auch in der zweiten Halbzeit hatte ich am Anfang das Gefühl, dass wir das Spiel im Griff haben.“ Doch der HSV zeigte sich enorm effizient und erzielte mit den ersten beiden ernsthaften Offensivaktionen zwei Treffer. Hürzeler: „Uns war bewusst, dass der HSV dann irgendwann auch mal vor das Tor kommen wird. Dass sie es so gnadenlos machen, spricht für sie. Trotzdem fallen aus unserer Sicht die Tore zu einfach.“ Im Anschluss fing sich der FC St. Pauli zwar wieder, übernahm wieder klar die Spielkontrolle, „aber es fehlte die letzten Konsequenz.“

Der Platz war schuld?

Natürlich wurden ausnahmslos alle Personen, die nach dem Spiel Interviews gaben, genau das gefragt: „Welche Rolle spielte der viele Schneefall, die Platzverhältnisse?“ Und ausnahmslos alle antworteten mit einem „Ja, aber“ – eine Auswahl:
Jackson Irvine: „Es waren harte Bedingungen, aber das ist keine Entschuldigung.“
Hauke Wahl: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles auf den Platz schieben. Aber es ist klar, dass das für unser Spiel nicht förderlich war.“
Marcel Hartel: „Ich will nicht den Schnee als Ausrede nutzen, aber der Ball ist rutschiger geworden.“
So muss man wohl festhalten, dass der Schneefall zwar nicht spielentscheidend war, aber eben doch Einfluss auf das Spiel nahm.

Enttäuschte Spielerstimmen

„Du konntest es nach Spielende fühlen, dass auch auf den Rängen die Enttäuschung überwog,“ erklärte Jackson Irvine in der Mixed Zone. Damit unterschieden sich die Fans des FC St. Pauli nicht groß von den Spielern. Denn nur insgesamt vier Spieler konnten überhaupt dazu bewegt werden, sich zum Spiel zu äußern. Der Rest verschwand, teilweise sichtbar frustriert, direkt in die Kabine.

„Natürlich sind wir enttäuscht, extrem unglücklich,“ waren dann auch die ersten Worte, die Hauke Wahl fand. Marcel Hartel zeigte sich besonders deshalb enttäuscht, weil er „den Fans gerne den Derbysieg geschenkt“ hätte. Johannes Eggestein erklärte: „Gerade nach der ersten Halbzeit haben wir uns mehr versprochen,“ der sein Team über das gesamte Spiel als „die klar bessere Mannschaft“ bezeichnete. Daher sei das Ergebnis „schon sehr ernüchternd.“

Über einen Grund für die Enttäuschung waren sich die Spieler einig: „Sie haben einfach echte Qualitätsspieler da vorne, die aus Nichts etwas Zählbares machen können,“ erklärte Irvine, während Marcel Hartel sagte: „Der HSV hat einfach die Qualität, um mit zwei guten Aktionen zwei Tore zu machen.“
Doch einzig die gegnerische Qualität war es natürlich auch nicht. Brutal ehrlich war Hauke Wahl mit sich selbst bei der Situation, die zum Anschlusstreffer des HSV führte: „Ich schaue über die rechte Schulter und verliere dadurch den Stürmer aus meinem Blickwinkel. Das muss ich besser machen.“

Deutschland, Hamburg, 01.12.2023, Fussball 2. Bundesliga 15. Spieltag, FC St. Pauli - Hamburger SV im Millerntor-Stadion Die Spieler des FC St. Pauli feiern das Tor zum 1:0 gegen den Hamburger SV. Copyright: Peter Boehmer DFL regulations prohibit any use of photographs as image sequences and/or quasi-video.
Zweimal jubelten die Spieler des FC St. Pauli in der ersten Halbzeit. Das hätte noch häufiger der Fall sein können, vielleicht sogar müssen.
(c) Peter Boehmer

Individuelle Qualität ja, trotzdem nicht gut verteidigt

Auch Fabian Hürzeler betonte nach der Pressekonferenz nochmal deutlich: „Natürlich hat der HSV eine hohe individuelle Qualität. Trotzdem: Wir verteidigen es nicht gut in der Box. Das stört mich schon, weil die Verteidigung in der Box etwas ist, was Du beeinflussen kannst. Es sind keine Tore, die wir nicht verteidigen können, weil es der Gegner überragend spielt. Wir haben es auch individuell schlecht verteidigt. Bei den Dingen, die wir beeinflussen können, erwarte ich maximale Bereitschaft von den Spielern. Das haben wir in beiden Situationen missen lassen.“

Dabei hätte es das Team eventuell gar nicht nötig gehabt, sich über zwei gute Aktionen des HSV bei zeitgleicher eigener Nachlässigkeit zu ärgern. Doch der FCSP zog nicht genug Zählbares aus der dominanten ersten Halbzeit. Wahl: „Wir haben gerade in der ersten Halbzeit ein sehr gutes Spiel gemacht. Wir haben verdient mit 2:0 geführt, hätten auch höher führen müssen. Da müssen wir uns ankreiden, dass wir das Spiel nicht zugemacht haben.“ Irvine ergänzt: „An anderen Tagen, gewinnst Du solche Spiele. (…) Wir haben es verpasst aus der Unsicherheit des HSV das Maximum herauszuholen.“

Ziel: Ungeschlagen zum Jahresende und im Viertelfinale

Trotz der ganzen Enttäuschung ist es aber auch wichtig alles vernünftig einzuordnen. Das Fazit von Fabian Hürzeler ist da hilfreich: „Wir haben gegen den Zweitplatzierten gespielt, haben 60 Prozent Ballbesitz, geben 18 Torschüsse ab und lassen, bis auf die beiden Gegentore, gar nix zu. Ich fand, dass wir speziell mit dem Ball unser Spiel durchgebracht haben. Das sind Schritte, die in die richtige Richtung gehen. Denn heute war maximaler Stress und maximaler Druck. Und da musst Du das auch abrufen können. Dementsprechend finde ich, dass das ein Schritt in die richtige Richtung war.“

Die weitere Richtung, in die es in den letzten Spielen der Saison gehen soll, gibt FCSP-Kapitän Jackson Irvine vor: „Viertelfinale, ungeschlagen und Spitzenreiter – das ist unser Ziel für die restlichen drei Spiele.“

// Tim

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