Personell angeschlagen reist der FC St. Pauli zum Auswärtsspiel beim 1. FC Nürnberg. Es wartet eine große Herausforderung. Der Vorbericht.
(Titelbild: Peter Boehmer)
Im „Vor dem Spiel“-Gespräch hat sich Luca mit Uli vom Podcast „Ka Depp“ unterhalten. Dabei ging es nicht nur um die aktuelle sportliche Situation des 1. FC Nürnberg, sondern auch um Themen wie den möglichen Stadionausbau und wie Ex-Torhüter Raphael Schäfer mit den Ultras klarkommt.
Ein Blick zurück
Der FC St. Pauli mag gerne gegen den 1. FC Nürnberg spielen, zumindest seit ein paar Jahren. Die letzte Niederlage gab es 2016, als ein gewisser Niclas Füllkrug (neben Sturmpartner Guido Burgstaller in der Startelf) zum siegbringenden 1:0 für den FCN traf. Die Bilanz seit dieser Niederlage: 13 Spiele, acht Siege, fünf Unentschieden. Besonders in Nürnberg war der FCSP in dieser Zeit sehr erfolgreich (sechs Spiele, fünf Siege).
FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?
Die Liste mit Ausfällen wird gefühlt immer länger. Aber immerhin gab es bezüglich des Personals nicht nur negative Nachrichten auf der Pressekonferenz vor der Partie. Zumindest bezeichnete Fabian Hürzeler die personelle Situation als „Wundertüte – weil wir nicht wissen, wer heute auf dem Platz stehen wird.“ Fangen wir mit den negativen Nachrichten an: Manolis Saliakas wird aufgrund seiner Gelbsperre fehlen. Scott Banks fehlt aufgrund seines Kreuzbandrisses. Ebenfalls nicht mit dabei sein werden Dapo Afolayan, Erik Ahlstrand und David Nemeth. Fünf sichere Ausfälle – alles andere als gute Nachrichten.
Smith vor Rückkehr?
Aber Moment! Wo ist denn dieser Erich Schmidt in der Auflistung? Der hat(te) doch was mit den Adduktoren? Richtig, der fehlt in der Liste sicherer Ausfälle. Fabian Hürzeler erklärte auf der PK, dass es „bei Eric Smith tatsächlich sehr gut“ ausgesehen habe. Smith konnte am Mittwoch die Trainingseinheit zu großen Teilen mitmachen und habe „keine Beschwerden nach dem Training“ gehabt. Das klingt so, als wenn ein Einsatz wahrscheinlich ist. Bei Karol Mets (Knie überstreckt) und Philipp Treu (krank) ist zumindest ein Fragezeichen zu setzen, ob ein Einsatz möglich ist. Das klingt also insgesamt etwas positiver, als man noch zu Wochenbeginn vermuten konnte. Aber machen wir uns nichts vor: Die personelle Situation, besonders auf der offensiven Außenbahn und in der Innenverteidigung, ist ziemlich angespannt.
1. FC Nürnberg: Wer kann spielen, wer fehlt?
In Nürnberg dürfte man die angespannte Personalsituation in der Defensive des FC St. Pauli achselzuckend mit einem „Kennen wir schon länger“ hinnehmen. Dem FCN fehlen seit geraumer Zeit drei Innenverteidiger mit Startelfpotenzial (Christopher Schindler, Florian Hübner und James Lawrence). Zudem hat sich Außenverteidiger Tim Handwerker das Kreuzband gerissen und Jan Gyamerah, Rechtsverteidiger, wird gelbgesperrt fehlen. Aufgrund der vielen Ausfälle spielte sich Nachwuchskraft Jannik Hofmann in den Fokus und sammelte ein paar Einsatzminuten, musste zuletzt aber aufgrund von Knieproblemen aussetzen.
In der Offensive fehlen mit Daichi Hayashi und Felix Lohkemper (beide Achillessehnenprobleme) zwei Spieler, die in dieser Saison bereits getroffen haben. In der Winterpause verpflichtete der Club dann aber mit Sebastian Andersson einen richtig starken Angreifer (der allerdings zuvor sehr lange verletzt war). Nicht mehr beim FCN ist Mats Møller Dæhli, der im Winter zu Molde FK zurück in seine Heimat wechselte.
Was hat der FCN zu bieten?
Das weiß man nicht so richtig. In dieser Saison hat das Team von Trainer Christian Fiél schon mehr oder weniger die gesamte Klaviatur an Leistung durchgespielt. Da sich die Leistungen weder in die eine, noch in die andere Richtung verfestigten, steht das Team nun im Tabellenmittelfeld. Durch die beiden Siege an den letzten beiden Spieltagen konnte eine Serie von fünf Spielen ohne Sieg beendet werden. Und dadurch ist mit nun 36 Punkten wieder etwas Kontakt nach oben hergestellt worden, auch weil viele der Teams weiter oben wenig Punkte holten.
Um die Leistungen des 1. FC Nürnberg etwas besser einschätzen zu können, habe ich (neben Fragen an Fabian Hürzeler), auch Fragen an Julian Berce gestellt. Julian betreibt zusammen mit Christian Pöhlmann den Blog und Podcast „ballorientiert“ und seit einiger Zeit auch den Blog „Clubfokus„, der sich speziell mit dem 1. FC Nürnberg beschäftigt. Zum Beispiel kann man sich darüber informieren, wie gut Nathaniel Brown eigentlich ist (Spoiler: aktuell in Topform) oder welche spieltaktischen Überlegungen es um Jens Castrop gibt. Es lohnt sich.
Neu: Defensiv kompakt
Zurück zum FCN: Fabian Hürzeler betonte vor dem Spiel die starke Defensivarbeit der Nürnberger: „Mit Nürnberg erwartet uns eine Mannschaft, die sehr kompakt verteidigt. Speziell im letzten Spiel gegen Magdeburg haben sie sehr wenig zugelassen.“ Das steht schon im starken Kontrast zu der Erinnerung, die viele an den FCN aufgrund des Hinspiels haben dürften. Dort agierte das Team von Christian Fiél mit einem sehr offensivem Pressingansatz. Nun also deutlich tiefer, oder?
Fabian Hürzeler sagte, dass der FCN „kleine Anpassungen“ im Vergleich zur Hinrunde vorgenommen hat. Julian Berce erklärt, welche das sind: „Das Spiel des 1. FC Nürnberg gegen den Ball hat sich sehr verändert. Über weite Phasen der Hinrunde versuchte man, den Gegner hoch zu pressen. Häufig im 4-3-3 oder 4-2-3-1 gegen den Ball. Seit der Rückrunde ist man hier extrem flexibel geworden. (…) Der zweite große Unterschied zur Hinrunde ist, dass der FCN deutlich tiefer verteidigt. Ganz ganz selten sah man in den letzten Partien den Club im Angriffspressing, sondern meist kompakt im Raum. In den Partien gegen Fürth, Braunschweig und Magdeburg lag die durchschnittliche Höhe einer eigenen Defensivaktion bei 20.7 Metern vor dem eigenen Tor – in der bisherigen Saison waren es zuvor im Schnitt 28.2 Meter.“
Dieses tiefere Pressing dürfte laut Berce auch daran liegen, dass die beiden Offensivkräfte Andersson und Uzun ihre Stärken nicht unbedingt im intensiven Anlaufen der Gegenspieler haben. Er vermutet aber, dass so eine Spielweise nicht unbedingt den Wünschen von Trainer Christian Fiél entspricht, diese aber aktuell nötig sei (der FCN hat die zweitmeisten gegnerischen Torschüsse der Liga zugelassen). Nicht nur die 1:5-Niederlage beim FCSP, sondern auch die Klatschen gegen den KSC (1:4) und Düsseldorf (0:5) kurz vor Ende der Hinrunde, dürften ihren Teil zu dieser Veränderung beigetragen haben.
Offensiv (zu) harmlos?
Defensiv agiert man also eher tiefstehend. Offensiv versucht der 1. FC Nürnberg eine ganze Menge, hat aber Probleme, ins letzte Drittel zu kommen. Fabian Hürzeler erklärte, dass man beim FCN schon oft eine flache Spieleröffnung sehe, mit einer ähnlichen Positionierung, wie sie der FCSP auch wählt. Die Statistiken aber zeigen, dass es damit weit seltener gelingt, gefährlich vor das gegnerische Tor zu kommen. Der 1. FC Nürnberg schlägt die wenigsten Flanken, hat die zweitwenigsten Ballkontakte im gegnerischen Strafraum und insgesamt eher wenig Ballbesitz.
Die Kombination aus wenig Ballbesitz (und wenig hohen Ballgewinnen) und dem flachen Spielaufbau führt auch dazu, dass die Statistiken ein schlechteres Bild von der Offensive zeichnen, als es tatsächlich ist, sagt Julian Berce. Das Team sei insgesamt recht ballsicher, verzeichnet hinter dem FCSP die zweitwenigsten Ballverluste der gesamten Liga. Doch eventuell fehlen ein wenig die Mittelfeldspieler, um sich zuverlässig flach nach vorne zu kombinieren. Berce: „Der Club verfügt im Zentrum über keinen Akteur, der seine Stärken im Übergangsspiel hat. Sechser Flick zeigte sich hier zuletzt stark verbessert, fiel zuvor aber nur selten mit vielen progressiven Pässen auf. Castrop, der zumeist als 8er aufläuft, hat seine Stärken primär im Zweikampf und gegen den Ball. Häufig geht es über die Außenverteidiger – allen voran der gesperrte Gyamerah fordert extrem viele Bälle und rückt im Spielaufbau häufig in das Zentrum ein. Sowohl er als auch Linksverteidiger Brown können mit vielen vertikalen Ballführungen aber dennoch das Spiel nach vorne tragen.“
Uzun macht den Unterschied
Was dem 1. FC Nürnberg aber auf keinen Fall fehlt, ist Qualität in der Offensive. Mit Sebastian Andersson hat das Team seit dem Winter einen „klaren Zielspieler“ (Hürzeler), der auch mit langen Bällen gesucht werden kann. Das erhöht die Optionen für den FCN. Ohne die Leistungen von Andersson zu schmälern, müssen wir uns aber mit einem anderen Offensivspieler des 1. FC Nürnberg intensiver befassen: Can Uzun.
Der erst 18-jährige Uzun (hier ein Portrait und ein Profil) ist DIE Entdeckung der Zweitligasaison und man dürfte sich beim FCN lieber nicht die Frage stellen, wie die Saison am Valznerweiher wohl ohne dieses Supertalent laufen würde. Satte 13 Treffer hat Uzun bisher erzielt, allein in der Rückrunde traf er schon siebenmal. Was macht ihn so stark, Fabian Hürzeler? „Can Uzun hat Spielmacherqualitäten. Er kann den letzten Pass spielen, kann selbst sehr torgefährlich werden, hat einen sehr guten Abschluss, ein sehr gutes Gefühl für den Raum. Er löst sich gut von seinen Gegenspielern, ist immer wieder anspielbar, kommt mit seinem ersten Kontakt sofort raus aus engen Spielsituationen.“
Auffällig ist vor allem die Abschlussqualität von Uzun: 13 Treffer hat er erzielt, bei einem xG-Wert von 8,3 – er holt aus seinen Chancen also eine ganze Menge heraus. Und das ist in seinem Fall eine Frage der Qualität, nicht des Glücks, wie die Tore selbst zeigen. In der internen Torschützenliste folgen auf Uzun übrigens Kanji Okunuki und Lukas Schleimer, mit jeweils nur drei Treffern. Letzte Woche haben wir uns intensiv mit der Bedeutung von Fabian Reese für Hertha BSC befasst. Allein die Anzahl an Treffern zeigt schon: Die Wichtigkeit von Uzun für den FCN ist mindestens genauso hoch.
Mögliche Aufstellung
Laut Julian Berce ist vor allem fraglich, wie der 1. FC Nürnberg auf die Sperre von Jan Gyamerah reagieren wird. Eine Option sei, dass Jens Castrop auf die Rechtsverteidiger-Position wechselt. Das würde aber ein fettes Loch ins Zentrum reißen. Julian vermutet daher, dass Enrico Valentini auf der Position rechts hinten starten wird. Das Team ordnet sich dann wohl in einem 4-3-3 als Grundformation an. Daraus wird auch ab und an eine Fünferkette gegen den Ball. Das ist übrigens auch gegen den FCSP sinnvoll, weil dieser schon oft in dieser Saison gezeigt hat, gegen zentrumslastige Formation (4-3-3 oder 4-4-2 mit Raute) keine Probleme zu haben, sich über die Außenbahnen in die Gefahrenzone vorzuspielen.
Umstellung auf Viererkette?
Beim FC St. Pauli ist die Aufstellung in dieser Saison wohl noch nie so unklar gewesen, wie vor dem Auswärtsspiel in Nürnberg. Der mögliche Ausfall von Philipp Treu führt sogar dazu, dass man über eine Umstellung auf eine Viererkette nachdenkt. Hürzeler erklärt: „Wir müssen notgedrungen darüber nachdenken, weil wir nicht diesen klaren Schienenspieler rechts hinten haben. Dann ist es eventuell eine Option, auf eine Viererkette zu gehen. Da müssen wir aber von Tag zu Tag abwarten. Natürlich sollten wir das auch einstudieren. Das haben wir aber auch vor Hertha gemacht, weil wir da ähnliche Sorgen hatten.“
Der Posten hinten rechts dürfte bei einem Treu-Ausfall von Adam Dźwigała übernommen werden. Übrigens hat auch Connor „das Schweizer Taschenmesser“ Metcalfe schonmal auf der rechten Schienenposition gespielt. Er dürfte aber dringend vorne rechts gebraucht werden, wo der Bedarf durch das Fehlen von Afolayan, Banks und Ahlstrand hoch ist.
Scheller stünde bereit
Sollte Eric Smith nicht spielen können oder der FC St. Pauli mit Dźwigała auf der rechten Schienenposition starten, dann dürfte Tjark Scheller sein Startelfdebüt in der 2. Bundesliga feiern. Dass Scheller das draufhat, daran ließ Hürzeler jedenfalls überhaupt keinen Zweifel aufkommen („Er ist einfach gut.“). Trotzdem ist die personelle Situation beim FCSP, besonders in der Defensive, ziemlich auf Kante genäht.
Auch wenn Tjark Scheller das Niveau der 2. Bundesliga zuzutrauen ist, hoffe ich trotzdem auf eine Rückkehr von Smith und Treu. Nahezu sicher in der Startelf stehen wird Marcel Hartel, der damit seinen 100. Pflichtspieleinsatz für den FC St. Pauli feiern wird. Mögen noch einige folgen.
Große Herausforderungen
Zwei Dinge stellen den FC St. Pauli vor große Herausforderungen in Nürnberg: Die personelle Situation und die vielen Gratulationen. Ich weiß gar nicht, wie oft ich diese Woche bereits lesen musste, dass der FCSP den Aufstieg bereits geschafft habe. Auch wenn zehn Punkte ein schönes Polster sind, so ist die vorzeitige Gratulation zum Aufstieg natürlich völliger Bullshit. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Ein Gefühl, bereits vorzeitig etwas geschafft zu haben, ist pures Gift für die eigene Leistung. Fabian Hürzeler warnte entsprechend direkt nach dem Hertha-Spiel: „Wir haben nach Kiel alle gemeint, es wird jetzt ein Selbstläufer, dann kam Schalke.“
So wird der FC St. Pauli auf dem Weg nach Nürnberg also von einigen personellen Fragezeichen begleitet. In Nürnberg feierte Fabian Hürzeler übrigens sein Debüt als Cheftrainer des FCSP. Es war ein erfolgreicher, wenn auch etwas glücklicher Einstand. Das Team wird versuchen, an diese Erfolgsserie in Nürnberg anzuknüpfen. Mindestens 3.500 Fans werden es dabei im Stadion unterstützen.
Forza!
// Tim
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