In seiner neuen Kolumne nimmt uns Thees Uhlmann mal wieder mit auf Gedankenreise. Und wie immer wird es wild, schnallt Euch lieber an.
Foto: Stefan Groenveld
Ich fahre ja nicht gerne in den Urlaub. Je weiter weg, desto schlimmer.
Nicht wegen dem Fliegen, dem Essen, den Menschen mit ihren (An)Gewohnheiten oder so. Das ist natürlich alles total geil.
Nein, ich hab einfach keinen Bock anderen Menschen auf die Nerven zu gehen, weil ich ihre Sprache nicht sprechen kann und das die Homelander dann denken: „Was oxidiert er hier sinnlos in der Gegend rum und blockiert unseren Weg zur Lohnarbeit?“
Das ist eine ganz schlimme Vorstellung für mich. Da bleibe ich lieber zu Hause.
Mönchengladbach > Bali
Deswegen sage ich immer, wenn mich jemand fragt, ob ich mit ihm in Fernost-Urlaub möchte, dass ich lieber vier Wochen Urlaub in Mönchengladbach mache, als zwei Wochen auf Bali.
Städte mit einem schlechten oder gar keinem Image finde ich außerdem wahnsinnig interessant und gut.
Und flach ist es da. Junge, ist das da flach. Denkt man ja gar nicht, wegen der Mönchengladbacher Nähe zu Eiffel, Taunus, Alpen und Anden.
Ist aber so. Süd-Friesland ist das quasi.
Du bist gut – Ich ein Schwein,
Zum Glück bin ich vom Niederrhein.
Einen letzten Wunsch, den ich noch hab,
stell mich an die Wand in der Vitusstadt.
Ich war erst zweimal in Mönchengladbach.
Das eine mal kam so:
Ich saß in Köln im Zug nach B zurück und ich sitz da so rum und der Zug fährt los und ich denke noch:
„Häh?“ bin ich so am denken, „Der Zug fährt doch normalerweise über den Rhein in Richtung Heimat!“, aber natürlich nix weiter dabei gedacht, weil ich dann schon wieder an was anderes denken musste.
Beim Hügel beim alten Viva-Gebäude vorbei, wo ich mein aller erstes Fernsehinterview gemacht habe. Köln Ehrenfeld, Live Music Hall und so weiter all the way.
Und plötzlich meint der Schaffner über die Lautsprecher: „Ja, guten Tag. Einigen wird es vielleicht schon aufgefallen sein. Wir sind aus Versehen auf der falschen Seite vom Kölner Hauptbahnhof rausgefahren. Wir fahren jetzt erstmal nach Mönchengladbach und dann von oben durchs Ruhrgebiet. Ist zeitlich eh besser! Gute Fahrt!“
Und alle so am lachen und sich freuen. Das ist wirklich so passiert.
Das andere mal war das hier! 4:2-Auswärtssieg!
Himmel, was würde ich darum geben, dass ich einen Tagebucheintrag von mir zu dem Tag lesen könnte. Das einzige, was ich noch weiß, ist, dass das Spiel am alten Bökelberg war und das die Stufen wirklich beeindruckend steil waren.
Plastiktüten und Länderpunkte
Ich wohnte in Köln und ging zur Universität, mit meinen Lehrbüchern in einer Penny-Plastiktüte. Und jetzt habe ich wieder dieses Gefühl, dass ich mich deswegen gerade mega schäme und das gleichzeitig aber auch einfach sackgeil finde.
Und es gibt ja Leute, die sammeln wegen Fußball „Länderpunkte“. Und Grounds. Da sind sie ganz besonders aufgeregt und stolz drauf, wenn sie nicht „Fußballplatz“ sagen müssen. Dann sagen sie, als würden sie aus einer alten Waliser Fürstenfamilie kommen „Ich hab einen Grouuuund gemacht!“
Und sie laden Stadionwürste in ihrer Stadionwürstchen App hoch, damit andere Stadionwürstchenfotografierer das auch sehen können. Und ich finde das gut, denn ich bin auch so einer, denn ich will unbedingt mal in Mönchengladbach spielen. Den Ground hatte ich noch nicht.
Viersen, Aachen, Eupen in Belgien sogar, überall haben wir schon die Schönheit der Chance beschworen, aber noch nie in Mönchengladbach. Da muss man doch mal hin! Also, falls das hier jemand liest, der aus Mönchengladbach kommt und weiß, wo man ein schönes Konzert spielen könnte… gerne eine Nachricht an info@ghvc.de und in die Betreffzeile schreiben wir mal… denk denk denk…
„Günther Netzer der deutschen Rockmusik“!
Ja, das ist wirklich eine gute Betreffzeile.
Die neue Schrift
Hat sich jemand in dieser Kolumne eigentlich mal despektierlich über die neuerfundene FC St. Pauli-Schrift geäußert? (Anm. d. Redaktion: Vielleicht…)
Wenn dem so sei, dann möchte ich demjenigen folgendes mit auf den Weg geben, den er wahrscheinlich schon seit Jahren auf die gleiche enthirnt stumpfe Art und Weise immer weiter austritt und wankend müde latscht.
Einfach mal die Klappe halten, wenn man keine Ahnung, davon aber viel hat, denn
…die Schrift schockt so dermaßen!
Und das kam so:
Hatte meinem Neffen aus Stade (ja, der mit dem Bengalo, das er um null Uhr schwenkt) zu Weihnachten einen Gutschein zum Besuch eines Heimspiels von St. Pauli geschenkt. Und bevor das wieder nur ein Gutschein ist, denn es ist ja schon bald wieder Weihnachten, fragte ich ihn „You and me zu St. Pauli – Bayern, Gegengrade Steh?“ und er so: „Joah!“
Immer diese Enthusiasten der Gen-Z! Genial!
STD und SPD
Nee, war wirklich voll super. Lars, Tobi und ich am Hbf getroffen, Bettina und Hannes kommen aus Stade, was ja mal ein geiles Nummernschild für Amis ist, wenn die Stade besuchen, denn das Nummernschild von Stade ist ja STD ist, und dann müssen die Amis die ganze Zeit an „SEXUAL TRANSMITTED DESEASE“ denken.
Hahaha.
Egal jetzt, WAS ICH EIGENTLICH wollte, ist: Liebe ich mit meinem Neffen zum Fußball zu gehen. Das war ganz toll. Das machen wir jetzt häufiger.
Wir standen in der Gegengerade ziemlich genau in der Mitte mit der …sagen wir mal, Bezugsgruppe SPD HH-Nordwest.
Wenn die noch gut drauf sind, dann sind die auf jeden Fall charakterlich gefestigte Leute, die sich die Laune nicht durch den Arbeitsalltag zermürben lassen. Resilient sind die! Puh, endlich mal dieses Wort benutzt.
Tüten
Auf jeden Fall meinte einer von denen dann so in der 38. Minute: „Sollen wir mal ne` Tüte rausholen?“ Und der eine so: “Höchste Zeit!“ Und mein Hirn so: „Ey, bitte nicht!!!“
Ich gönnen jedem seinen Rausch, aber ich kann diesen Geruch wirklich nicht ertragen und das Haschgift lähmt auch die sozialdemokratisch-revolutionären Massen. Und was, wenn mein Neffe sich den Jolly schnappt und das Ding heiß raucht. Ich meine, es gibt immer jemanden, der das zuhause erklären muss. Und das bin, wie immer, ich.
„Soll ich mal ne Tüte rausholen?“ Und alle nicken ganz begeistert. Er greift in seine Tasche und sucht und holt … „KATJES SAURE EINHÖRNER“ unter bejubelnden Gegröle raus und die nächste dann „Salzige Heringe“ und dann noch „Englisches Weingummi“.
Genial. Viele Grüße.
Denn das war auch das einzig kulinarische in den 90 Minuten, denn an Bier kommt man nicht.
Es ist zu eng auf der Gegengrade und wenn man durch die ganzen Menschen mit 6-8 Bieren in der Hand durch muss, da kann man auch gleich Bali in den Urlaub fliegen, wenn einem das egal ist, dass man so vielen Menschen auf die Nerven geht mit seiner biertragenden Existenz.
Ich war wirklich schon betrunkener joggen, als das ich nüchtern von der Gegengrade aus dem St. Pauli – Bayern Spiel gekommen bin. Voll gut.
Und dann schaue ich so auf die gespielte Zeit auf der Bande und denke: „Himmel, sieht die Schrift schön aus!“ Und ich gebe es echt nicht gerne zu, wenn ich im Unrecht bin. Das können sie mir glauben. Da können sie alle fragen.
Und ich denke „Himmel, sieht die Schrift schön aus!“
Die Schrift ist so feingeistig flüchtig und elegant unaufgeregt. Fast wie aus einer Zeit, als man Uhren noch aufzog, aber trotzdem dachte, dass die Zukunft scheinen und leuchten wird. Als wenn der Jugendstil zum Art Deco sagt: „Entschuldigen Sie. Möchten Sie Pogo tanzen? Habe die Ehre!“
Finde ich wirklich wunderschön. Gönn Fonts, Präsi!
Das Bayernspiel war ja wirklich bizarr geil mal wieder, aber mit am aller geilsten fand ich, dass die GG ab der 85. Minute gerufen hat: „Wir wollen den Müller sehen. Wir wollen den Müller sehen. Wir wollen, wir wollen, wir wollen den Müller sehen!“
Weil es ja wirklich das kindliche im Erwachsenen ist, was einen dazu bringt, dieses zu singen.
Viel näher kann man in diesem Alter dem „Ich bin Schweini und du bist Saliakas. Let´s go!“ nicht kommen. Wunderschön finde ich das. Und der Müller fand das nämlich auch wunderschön am Millerntor. Hat er gesagt. Wirklich!
Und dann eben auch einfach: Bayern am Millerntor. Was für ein geiles Gefühl. Ganz vielen Dank an Alle, die das möglich gemacht haben. Den Busfahrer vom FC Bayern München zum Beispiel.
Bad Religion Company
Und eine Sache noch. Vincent Kompany, wenn Du das hier liest. Kannst Du mir mal erzählen, was Du 60 Minuten lang dem vierten Offiziellen ins Ohr gelabert hast? Das hört sich jetzt sehr schroff an, aber ich meine das gar nicht so.
Es interessiert mich einfach. Meine Theorie: Du dachtest, dass der zum Staff vom FCB gehört. Anders kann ich mir das nicht erklären.
Misery loves Company. Ribéry liebt Kompany. Sehen Sie, bin ich auch als erster drauf gekommen.
Zu Causa Bad Religion sage ich in der nächsten Kolumne vielleicht noch was. Da muss ich noch länger drüber nachdenken und Teile meiner Antwort könnten sie verunsichern. Haha!
Gerne könnt ihr auch Fotos von Eurer Auswärtsfahrt an info@ghvc.de schicken. Da würde ich mich freuen.
Oder, wenn Ihr eine Pauli-Frage an den Kolumnisten habt, beantworte ich die auch gerne, wenn ich eine Antwort habe.
Voran liebe St. Pauli Fans, zur zweiten Auswärts-Trainerentlassung. Kommt gut hin und kommt gut wieder nach Hause. Was bin ich Euch mögen.
// Thees
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Moin Thees, ich hätte da mal „eine Pauli-Frage an den Kolumnisten“ : WEISST DU DENN NICHT, DASS DAS SANKT PAULI HEISST ?
Klar weisst Du das, wolltest Dir nur mal billig Empörung abholen, gell?
Danke für deine wie immer feine Kolumne und ich musste an einer Stelle an was denken. Du schrubst da „Entschuldigen Sie. Möchten Sie Pogo tanzen? Habe die Ehre!“ und etwas in der Art hab ich mal erlebt. Zu Wendezeiten als es die DDR noch gab aber man da schon einfach hin und herreisen konnte habe ich mit meiner Band ein Konzert in Rostock (damals noch gänzlich unbelastet) gespielt und zwar in irgendeinem Jugendclub dessen Namen ich nicht mehr weiß. Wir waren etwas belustigt weil da nur eine recht kleine Tanzfläche vor der Bühne war und ansonsten an den Seiten und hinten Tische und Stühle. Waren wir sonst von unseren Auftritten nicht gewohnt. Alle Weichen standen mehr auf Tanztee als auf Punkkonzert. Wir fingen an zu spielen und sofort sprangen an den Tischen männlich gelesene Punker auf, gingen zu einer Punkette ihrer Wahl und forderten diese – möglicherweise genau wie von dir geschrieben – zum Tanz auf. Dann kamen die zusammen auf die Tanzfläche und tanzten dort pärchenweise Pogo. Das werde ich nie vergessen.
Find´ ich überhaupt nicht gut, Minderjährige mit Pyro – das ist ein extremst schlechtes Beispiel / Vorbild…..
Das ist ein super Vorbild. Wenn man denen in junge Jahren schon verantwortungsvollen Umgang damit beibringt, dann zünden sie das später als Ultras in der Kurve noch sicherer und jedes glückliche Kind mit Fackel widerlegt den populistischen „menschliche Fackeln“ Bullshit von all den Joachim Hermanns und Johannes B. Kerners.
Pyro hat im vollen Stadion (und bei anderen Menschenansammlungen) nichts zu suchen. Sicherheitsbedenken haben mit „populistischem bullshit“ nichts zu tun. Macht das man schön zu Hause im Kämmerlein………
Lieber Thomas,
Danke für Deine Meinung und die Kommentare.
Ich gehe davon aus, dass Du hier niemanden überzeugen wirst, die Argumente bzgl. Pro & Contra von Pyro im Fußball-Kontext sind hinlänglich ausgetauscht.
Aber selbstverständlich darfst Du es gerne weiter versuchen.