Erzgebirge Aue – FC St. Pauli 0:0 – offensiv isoliert

Erzgebirge Aue – FC St. Pauli 0:0 – offensiv isoliert

Der FC St. Pauli holt im Erzgebirge einen Punkt. Zwar zeigte sich das Team von Timo Schultz spielerisch besser, aber Aue hatte auf die Mittelfeldraute des FCSP eine passende Antwort. Diese Antwort führte dazu, dass das Spiel einen etwas trägen Eindruck hinterließ. Der FC St. Pauli mühte sich, um die spärlich vorhandenen Löcher zu finden, während Aue einzig und allein auf Umschaltmomente setzte, was den FCSP in der Halbzeit zu einer Umstellung zwang. Somit ist das Unentschieden durchaus leistungsgerecht.
(Titelbild: Bert Harzer/Eibner Pressefoto/Imago Images/via OneFootball)

Die Aufstellung

Im Vergleich zum Spiel gegen Holstein Kiel startete anstelle von Simon Makienok der flinkere Maximilian Dittgen (der zeitnah Nachwuchs erwartet – ich sauge die Insta-stories von Anette minütlich auf, aber noch ist Ruhe). Dies begründete Timo Schultz nach dem Spiel mit dem Tempo-Unterschied zwischen beiden Spielern. Eine Reaktion auf die mit Lufthoheit, aber auch leichter Trägheit bespickte Hintermannschaft von Aue.
Erzgebirge Aue veränderte sein Team im Vergleich zum 0:0 gegen Nürnberg am ersten Spieltag ebenfalls auf nur einer Position: Für den verletzten Nicolas Kühn startete Soufiane Messeguem auf der offensiven Außenbahn.

Der FC St. Pauli blieb beim gewohnten 4-4-2 mit Mittelfeldraute, agierte aber mit Dittgen ein wenig verändert in vorderster Reihe. Das Team vom Neu-Trainer Aleksey Shpilevski trat mit einem 3-3-3-1 auf den Platz. Beide Teams fokussierten sich somit sehr stark auf das Mittelfeldzentrum. Das führt meist schon aufgrund der vielen direkten Duelle im Zentrum dazu, dass nicht sonderlich viel Spielfluss zu erwarten ist. So kam es dann auch.

Erziel‘ die Führung oder krampf dich ab!

Gegen tiefstehende Teams erfolgreich zu sein ist und bleibt eine der schwierigsten Aufgaben im Profifußball. Und nicht nur der FC St. Pauli hat damit immer Probleme – auch alle anderen Zweitligisten, die dominanten Fußball spielen wollen. Warum das in der letzten Saison gegen Aue geklappt hat? Weil der FCSP damals früh in Führung gegangen ist (wie auch in den Spielen gegen Braunschweig und Würzburg). Dann können die Teams, die komplett auf Fehlervermeidung und Umschaltmomente ausgerichtet sind, ihr Spiel gar nicht erst aufziehen, sondern müssen selbst aktiv werden. Gelingt die, bestenfalls frühe, Führung nicht, wird es ein gaaanz unangenehmes Spiel.

Der FC St. Pauli hat aber gerade zu Beginn vieles in die richtige Richtung bewegt. Denn in inzwischen gewohnter Art und Weise startete der FCSP besser ins Spiel und hatte in den ersten zwanzig Minuten einige Möglichkeiten in Führung zu gehen. Gleich in der 2.Minute zeigte das Team wie das kompakte 3-3-3-1 von Aue auseinandergespielt werden konnte: Bei Ballbesitz auf der Außenbahn ging Becker tief auf Außen und zog dabei sowohl den mannorientierten Gegenspieler als auch zusätzlich auch den äußeren Innenverteidiger da hin. Der zweite äußere Innenverteidiger war durch die Positionierung von Kyereh auf der anderen Seite gebunden. Zentral zeigten Burgstaller und Dittgen dann gegenläufige Bewegungen, wodurch auch der dritte Innenverteidiger aus zentraler Position „herausgezogen“ wurde.
Leider konnte in besagter 2.Minute Maximilian Dittgen den von Luca Zander gespielten Ball nicht gut kontrollieren, sodass Gaetan Bussmann noch dazwischen kam. Leider war das nicht die einzige Situation in der Dittgen (im Gegenpressing ohnehin gut) gutes Freilaufverhalten und ausbaufähige Ballbehandlung zeigte (obwohl er mit dem Ball am Fuß eigentlich auch einiges anfangen kann). Schade, denn damit verbaute er sich einige richtig gute Momente.

Der taktische Ansatz war jedoch schon einmal richtig gut. Denn eine Dreierkette, wie Aue sie aufbot, ist vor allem dadurch zu knacken, dass die äußeren Innenverteidiger aus ihren zentralen Positionen gelockt werden, was in diesem Fall geschah.

Gut abgestimmte Laufwege, schlecht abgestimmte Hintermannschaft: In der zweiten Minute ergab sich für Maximilian Dittgen eine gute Gelegenheit. In der Folge zeigte der FC St. Pauli jedoch selten Aktionen, um die gegnerische Innenverteidigung in seine Einzelteile zu zerlegen.

Zusätzlich nutzte der FCSP wie gewohnt auch die individuelle Stärke bei Dribblings (whoscored zählte insgesamt 34 Dribblings für den FCSP bei einer Erfolgsquote von deutlich über 50% (Aue dribbelte achtmal)). Es blieb jedoch eher bei gut herausgespielten Situationen in denen was hätte passieren können, als das es Torabschlüsse zu hauf gab. Auch deshalb, da der FC St. Pauli ungewohnte Schwächen in Sachen Ballverarbeitung offenbarte. Zudem ist es fast erschreckend wie sehr das Spiel gestern dem ersten Spiel von Erzgebirge Aue ähnelte (gegen Nürnberg). Auch das endete 0-0. Auch Nürnberg startete mit einer Mittelfeldraute und spielte einen ansehnlichen, aber nicht erfolgreichen Fußball. Auch hier waren es die „Probleme im letzten Drittel„, die für das torlose Remis sorgten. Erzgebirge Aue scheint da ein generelles taktisches Profil entwickelt zu haben.

Erzgebirge Aue bot offensiv ziemlich wenig an. Abgesehen von Umschaltsituationen offenbarte Aue ziemliche Planlosigkeit. Zwar fächerte sich das Team ansehnlich zu einer Fünferkette im Aufbau auf, aber daraus entstand keine zwingende Situation. Etwas kritischer wurde es nur, wenn Gaëtan Bussmann den Ball lang nach vorne drosch und die Karte „Zufall“ ausspielte. Witzigerweise war es ausschließlich Bussmann, der die langen Bälle auspackte. Seine IV-Kollegen Gonther und Carlson waren abgesehen von Quer- und Rückpässen komplett unbeteiligt am Offensivspiel (Bussmann spielte acht lange Bälle ins Angriffsdrittel, Gonther und Carlson zusammen zwei). Diese Spielweise darf getrost als ziemlich einfallslos bezeichnet werden.

Die Umschaltsituationen wurden jedoch weitgehend gut vom Duo Ziereis/Medić verteidigt. Wie auch gegen Kiel zeigte Jakov Medić wieder starke 62% gewonnene Duelle (Luft und Boden), während Ziereis erheblich weniger Zweikämpfe führte, aber dafür die meisten Bälle seines Teams abfing. Noch beeindruckender in Sachen Zweikämpfen war einmal mehr Eric Smith auf der Sechs (bei insgesamt 17 Duellen 70% Boden- und 100% Luftduelle gewonnen!). Dessen Serie ist gerissen: Zum ersten Mal gewann der FC St. Pauli nicht das Spiel, wenn er beteiligt war. Was ein Transfer-Flop! Borne raus! Im Ernst: Eric Smith ist für mich ein wahnsinnig wichtiger Stabilitätsfaktor und seit Fabian Boll gab es keinen besseren auf dieser Position beim FC St. Pauli.

Verwarnt wegen sexy – Für dieses saubere Tackling, welches ich sofort heiraten möchte, sah Eric Smith die Gelbe Karte.
(Bert Harzer/Eibner-Pressefoto/imago images/via OneFootball)

Spalter! Spalter!

Offensiv bot Erzgebirge Aue wenig an. Bei der Vorbereitung auf den FC St. Pauli ließen sie sich aber schon was einfallen. Wobei diese defensive Spielweise niemanden überrascht haben dürfte, da Nürnberg am ersten Spieltag in die gleiche Falle getappt ist. Durch den starken Fokus auf das Zentrum und auch die augenscheinlich gute Vorbereitung auf das Aufbauspiel des FC St. Pauli wurde nach guter Anfangsphase mehr und mehr eine Art Keil in die Elf des FCSP getrieben. Die drei Offensiv-Akteure wurden zunehmend seltener kontrolliert angespielt, da der Druck von Aue vor allem auf die Spieler gelenkt wurde, die für die Anspiele der Stürmer zuständig waren (Smith wurde gar komplett in Manndeckung genommen).

Die zu Beginn gezeichneten Bewegungen der Achter auf die Außenbahnen wären eine gute Möglichkeit gewesen die Auer Hintermannschaft noch häufiger in Bedrängnis zu bringen. Allerdings war das auch irgendwie genau die Situation, die Erzgebirge Aue erzwingen wollte bzw. die der eigenen Idee der Offensive ganz gut passte. Denn wenn sich Finn Ole Becker und Rico Benatelli von ihren Positionen entfernten und es in der Folge einen Ballverlust gab, konnte Aue einige Gefahr in Umschaltmonenten erzeugen, da sie zentral Raum und teils sogar Überzahl hatten. Mir persönlich gefiel Ben Zolinsiki, da er sich gut in diesen Freiräumen bewegte und meist sogar beide Innenverteidiger forderte.

Da diese Umschaltmomente mit zunehmender Spieldauer immer besser aus Sicht von Aue klappten, reagierte Timo Schultz zur Halbzeit: In der ersten Halbzeit rückte Finn Ole Becker häufig auf die rechte Außenbahn und Rico Benatelli auf die Linksverteidiger-Position, damit der Aufbau über Außen ermöglicht und auch Raum im Zentrum für kippende Offensivspieler geschaffen wurde. Mit Start in die zweite Halbzeit blieben beide Spieler jedoch zumeist im Zentrum und erfüllten somit besser ihre Aufgaben in der Konterabsicherung. Dadurch wurde das Spiel etwas zäher, aber der FCSP wirkte stabiler.

Ein personeller Wechsel brachte dann neben der verbesserten Konterabsicherung in Halbzeit 2 auch wieder etwas mehr Kontakt zwischen Offensiv-Trio und dem Rest des Teams: Lukas Daschner interpretierte seine Rolle in der Offensive sehr viel klarer auf der Zehn als der für ihn ausgewechselte Maximilian Dittgen. Damit gelang es dem FC St. Pauli wieder häufiger Verbindungen zu schaffen. Einige Tormöglichkeiten waren die Folge. Es blieb jedoch dabei, dass nichts davon so richtig zwingend wurde. Nach expected Goals stand es am Ende 0.66 zu 0.59, wobei der FCSP einen Großteil der relevanten Chancen in den letzten 10 Minuten fabrizierte.

Zeigte auch im zweiten Pflichtspiel eine überzeugende Leistung: Nikola Vasilj
(imago images/via One Football)

Zwei verlorene oder ein gewonnener Punkt?

Das Unentschieden geht so schon in Ordnung. Gegen Erzgebirge Aue wird kein Team der Liga gut aussehen. Der FC St. Pauli hat viel versucht und investiert und nach schwieriger erster Halbzeit richtig auf ein gut eingestelltes Erzgebirge Aue reagiert. Die Art und Weise wie Aue gegen die Abläufe des FCSP verteidigte dürfte jedoch für die kommenden Gegner so etwas wie eine Blaupause werden. Hier ist mehr Flexibilität gefordert, aber auch mehr Radikalität (solch wahnwitzige Dribblings wie von Zalazar hätten dem Spiel gestern sehr gut getan).

Das klingt aber alles auch ein wenig zu negativ. Denn einen richtig guten Eindruck macht bisher die Defensive des FC St. Pauli. Natürlich liegt das an der individuellen Qualität, die in Person von Jakov Medić und Nikola Vasilj (und sowieso Eric Smith) neu verpflichtet wurde. Aber es sind auch kleinere Veränderungen zum Beispiel in der Rückverteidigung, die dazu führen, dass der FC St. Pauli nach zwei Spielen noch kein Gegentor gefangen hat. Das zweite Mal Zu-Null spielte der FC St. Pauli letzte Saison übrigens am 23.Spieltag. Der Gegner ist identisch mit dem nun folgenden Gegner in der Liga.

//Tim

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