FC St. Pauli – FC Ingolstadt 4:1 – Niemand siegt am Millerntor!

FC St. Pauli – FC Ingolstadt 4:1 – Niemand siegt am Millerntor!

Der FC St. Pauli zeigt einmal mehr zuhause am Millerntor seine offensive Stärke und gewinnt gegen einen deutlichen überforderten FC Ingolstadt verdient mit 4-1. Entscheidend war bei diesem Spiel vor allem das Verhalten in Umschaltmomenten, sowie die geradezu traumwandlerisch sicheren Kombinationen im Mittelfeld. Durch den vierten Heimsieg im vierten Spiel steht der FC St. Pauli nach sieben Saisonspielen verdient auf dem Aufstiegsrelegationsrang.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Was gestern ums Stadion herum bzw. auf den Rängen passiert ist, könnt Ihr hier von Maik nachlesen, schauen wir jetzt also auf den Rasen.

Die Aufstellung

…war dann doch recht überraschend für mich. Maximilian Dittgen ersetzte Simon Makienok im Sturmzentrum, was aus Tempogründen nachvollziehbar ist (auch wenn ich aus den gleichen Gründen Daniel-Kofi Kyereh dort erwartete). Zudem musste Finn Ole Becker verletzt passen, was zu einem beeindruckendem Startelfdebüt von Jackson Irvine führte. In der Innenverteidigung kehrte Kapitän Philipp Ziereis zurück. Ich hatte dort, wie sicher auch viele andere, James Lawrence vermutet. Timo Schultz hatte auf der PK vor dem Spiel gesagt, dass sich Jakov Medić auf der halblinken Innenverteidiger-Position etwas wohler fühlt. Eventuell hat das den Ausschlag gegeben. Zudem musste der FC St. Pauli kurzfristig auf Jannes WIeckhoff verzichten.

Auf Seiten des FC Ingolstadt gab es ebenfalls einige Veränderungen im Vergleich zur Vorwoche: Wie im Vorbericht bereits vermutet, startete Tobias Schröck anstelle von Nico Antonitsch in der Innenverteidigung. Auf der linken Abwehrseite war es Gladbach-Leihgabe Andreas Poulsen, der Dominik Franke ersetzte. Vorne im Angriff kam Patrick Schmidt für Fatih Kaya ins Spiel.

Geordneter Spielaufbau?

Tja, auch das hatte ich anders erwartet: Der FC Ingolstadt erwartete den FC St. Pauli nicht tief, sondern presste konsequent hoch. Gleiches machte der FCSP. So entwickelte sich ein Spiel bei dem sich anfangs Umschaltmoment an Umschaltmoment reihte. Bereits in dieser Anfangsphase hatte der FCSP Vorteile. Richtig deutlich wurden diese Vorteile aber erst, als es der FC St. Pauli etwa ab Minute 15 schaffte die erste Pressinglinie des FC Ingolstadt reihenweise zu überspielen. Das Training mit Fokus auf Schnittstellenpässe unter der Woche schien Früchte zu tragen.

Auf seine Bewegungen kam es an: Marcel Hartel öffnete aus etwas defensiverer Position die Räume für seine Mitspieler.
(BEAUTIFUL SPORTS/T. Sobczak/imago images/via OneFootball)

In dem ganzen Chaos wurde aber auch noch ein anderes Detail einmal mehr deutlich, welches bei aller Taktik und allen analytischen Feinheiten nicht vergessen werden darf: Der Kader des FC St. Pauli verfügt über eine unfassbar hohe individuelle Qualität. Besonders offensiv ist es wohl eine der höchsten der gesamten Liga.
Entsprechend durften wir gestern bestaunen, wie sich das Team mal wieder in einen Rausch spielte. Der FC Ingolstadt war damit schlicht überfordert. Das waren aber zuletzt am Millerntor auch schon Holstein Kiel, der HSV und Jahn Regenburg.

So war es dann eine Frage der Zeit, bis der FC St. Pauli nach famosen Minuten des schönen Kombinationsfußballs in Führung gehen würde. Nach zwei bereits sehr interessanten Varianten, die fast zum Erfolg führten, war es eine quasi klassische „Flanke, Kopfball, Tor“-Nummer, welche die Führung brachte: Leart Paqarada brachte die Ecke rein und Luca Zander zeigte, dass er nicht nur die Außenbahn mit viel Tempo rauf und runter rennen kann, sondern auch noch den Zunamen „Air“ verdient. Was für eine Sprunghöhe, was für ein Strahl von Kopfball – 1-0!

Raumöffner Hartel

In der Folge konnte man auch ein wenig mehr erkennen, wie der FC St. Pauli bei Ballbesitz sich einen geordneten Spielaufbau vorstellte: Entscheidend waren die Bewegungen von Marcel Hartel, während die Defensive den Ball hatte. Der bewegte sich entweder ganz auf die linke Außenbahn, um eine vertikale Passverlängerung für Paqarada zu ermöglichen (und einen Passweg zu Kyereh eröffnete) oder aber, und diese Bewegung sorgte für weit mehr Probleme bei Ingolstadt, er löste seine linke Halbposition auf und bewegte sich in den rechten Halbraum. Gerade auf diese Bewegung hatte Ingolstadt wirklich gar keine Antwort, sodass der FCSP dank Hartel den rechten Halbraum komplett öffnete und Hartel zusammen mit Zander und Irvine hier eine Überzahl ausspielen konnte.

Abfangjäger Aremu

Der Großteil des Spiels blieb aber aufgrund der vielen Ballverluste chaotisch. Umso wichtiger, dass der FC St. Pauli auf der Sechser-Position jemanden hatte, der viele Situationen für Ingolstadt bereits frühzeitig in der Entstehung entschärfen konnte. Afeez Aremu fing gestern satte elf Pässe ab (der durchschnittliche Top-Wert der Liga liegt bei zwölf) und hat jedes seiner Defensiv-Duelle gewonnen. Im Passspiel nach vorne hat er zwar noch deutlich Luft nach oben, aber viel wichtiger ist seine Rolle in der Defensive. Denn wie auch schon gegen Hannover war Aremu im Spielaufbau eher selten bis gar nicht beteiligt. Während seine Mitspieler offensiv teilweise völlig freidrehten, hielt er sich mit Vorstößen dezent zurück und sicherte so die Rückverteidigung

Zeigte nicht nur enormes Tempo sondern auch, dass er torgefährlich ist: Maximilian Dittgen.
(BEAUTIFUL SPORTS/T. Sobczak/imago images/via OneFootball)

Spielentscheider Dittgen

Also, naja, das Spiel selbst hat Dittgen natürlich nicht alleine entschieden. Aber seine Aufstellung würde ich schon als spielentscheidend bezeichnen. Denn er unterscheidet sich in seiner Spielweise schon erheblich von Simon Makienok und konnte gestern durch sein Tempo nicht nur enorme Torgefahr ausstrahlen. Dittgen wich häufig auf die Außenbahn aus, ließ sich auch mal etwas tiefer fallen und beteiligte sich sehr oft an den Kombinationen. Das tat dem Spiel des FC St. Pauli enorm gut, zumal die Ingolstädter Defensive mit dem hohen Tempo nicht mithalten und die häufigen Rotationen beim FC St. Pauli in der Offensive schlicht nicht mitgehen konnte.

Burgis Hacke, Hartels Außenrist, Kyerehs Schulter, Paqaradas linker Fuß

…diese vier Körperteile haben wir gegen Ingolstadt allesamt (teils mehrfach) im Einsatz gesehen. Es mag etwas plakativ sein, aber sie stehen sinnbildlich für eine neue Spielkultur beim FC St. Pauli. Wenn ihr Euch nur eine einzige Szene aus dem Spiel anschauen wollt, dann die Kopfball-Chance von Dittgen in der 19.Minute. Das ist soo fantastisch, aber auch so einfach herausgespielt. Wahnsinn! Wo jahrelang Dürre herrschte, explodiert nun die Spielfreude und Kreativität teilweise ins Unermessliche. Jahrelang gab es nur einzelne Spieler, die die für raumöffnende Pässe und Dribblings sorgten. Jahrelang fehlten die Mitspieler für gepflegtes Kurzpassspiel. Jahrelang segelten die Flanken wahlweise zu hoch, zu kurz, zu schwach in den Strafraum oder meist sogar hinter das Tor. Nun aber hat der FC St. Pauli eine Offensiv-Abteilung, die im ganzen pure Spielfreude versprüht. Ich wiederhole mich (und das tue ich gerne): Dieser Mannschaft beim Fußballspielen zuzuschauen macht unglaublich viel Spaß.

Comebacker Buchtmann gibt ein neues Element

Als wäre das nicht genug, durften wir gestern noch ein wunderschönes Comeback erleben: Christopher Buchtmann hat sich nach abermaliger Verletzung wirklich lange zurückkämpfen müssen. Nach vielen Jahren in denen ein fitter Buchtmann auch immer einen spielenden Buchtmann bedeutete, haben sich die Zeiten aber inzwischen geändert. Der FC St. Pauli hat auf den Positionen, auf denen Buchtmann sich wohlfühlt, viele gute Spieler im Kader. Daher ist Buchtmann aktuell zwar immer Teil des Kaders, aber nicht der Startelf. Nachdem bereits sein Auftritt in Hannover nach seiner Einwechslung vielversprechend war, zeigte Christopher Buchtmann gegen Ingolstadt, dass er in Sachen Kombinationsfußball mit seinen Kollegen zweifelsohne mithalten kann. Was ihn aber auszeichnet und auch von seinen Kollegen im Mittelfeld abhebt: Christopher Buchtmann ist enorm torgefährlich. 16 Tore hat er in drei Jahren beim FC St. Pauli zwischen 2016 und 2019 erzielt. Natürlich hat er in dieser Zeit weit nicht alle Spiele mitgemacht. Sollte Buchtmann endlich mal länger fit bleiben, dann wird seine Torgefahr dem Spiel des FC St. Pauli noch enorm weiterhelfen.

Bleibt Christopher Buchtmann fit, dürfte er diese Saison noch eine wichtige Rolle beim FC St. Pauli spielen.
(nordphoto GmbH/Tauchnitz/imago images/via OneFootball)

Ich könnte jetzt noch alle anderen Spieler einzeln durchgehen und abfeiern. Jackson Irvine zum Beispiel, der auf der Halbposition ganz anders als Becker, aber doch auch richtig gut gespielt hat, defensiv enorm wichtig war und nach vorne einiges mitentwickelt hat. Und das er nach dem Spiel dann entspannt und mit seinem Rucksack und einem fetten Grinsen im Gesicht am Jolly vorbeispaziert, sagt eigentlich alles.
Ich muss wohl auch Jakov Medić erwähnen, dem ich, basierend auf Daten, vorgehalten habe, dass er in seinem Passspiel nach vorne noch Luft nach oben hat. Gegen Ingolstadt fanden von seinen 16 Vorwärtspässen genau 16 auch zum Mitspieler.

Heilsbringer Quote

Vor dem Spiel waren der FC Ingolstadt und der FC St. Pauli in einer Statistik auf einem Abstiegsplatz: Beide Teams hatten die schlechtesten Quoten bei ihren Torschüssen im Bezug darauf, diese auch auf das Tor abzufeuern. Der FC Ingolstadt hat das gestern in erschreckend beeindruckender Manier bestätigt und teilweise aus hervorragenden Abschlusspositionen den Ball nicht auf das Tor gebracht (1 von 9 = 12.5%). Der FC St. Pauli hingegen hat 11 seiner 19 Torschüsse auch auf das Tor gebracht, also fast 60% – ein richtig guter Wert.

Die schwache Quote von Ingolstadt zeigt es und nüchtern betrachtet zeigte es das Spiel auch: Spätestens nach dem 2-0 durch Dittgen gab es schon einige Situationen gegen den FCSP, die von einem spielstarken Gegner wohl besser genutzt worden wären. So richtig sattelfest sitzen die Abläufe in der Rückverteidigung nicht bzw. wurden gestern nicht abgerufen.

Das darf dann gerne Thema der nächsten Trainingswoche sein. Und ist es nicht auch irgendwie schön bei einem 4-1 noch ein paar verbesserungswürdige Dinge anzumerken? Der Lohn des erneut starken Auftritts in einem Heimspiel ist der dritte Tabellenplatz. Der ist hochverdient angesichts der gezeigten Leistungen. 13 Punkte aus sieben Spielen sind ein richtig guter Schnitt. Einer, mit dem man am Saisonende aufsteigt. Allerdings nur, wenn die aktuelle Heimstärke auch auf die Auwärtsspiele übertragen werden kann. Nächsten Samstag in Karlsruhe darf damit angefangen werden.

Immer weiter vor!

//Tim

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3 thoughts on “FC St. Pauli – FC Ingolstadt 4:1 – Niemand siegt am Millerntor!

  1. Wie ich finde (mal wieder) eine schöne Analyse des Spiels.
    Für mich aber einen Tick zu euphorisch. Gerade in der ersten Halbzeit waren mir zu viele Fehlpässe und Ungenauigkeiten bei.
    Bei einem stärkeren Gegner werden wir da wohl eher auf Probleme stoßen, der FCI ist für mich ein klarer Abstiegskandidat diese Saison.

    Allerdings möchte ich vor Allem die „neuen“ in der Startelf bzw. die Einwechselspieler loben. Aktuell fällt niemand, egal wer rein kommt, Leistungstechnisch ab. Viel mehr hat man das Gefühl, die haben richtig Bock sich für die Startelf im nächsten Spiel zu empfehlen.
    Das Kadermanagement schein Schultz momentan richtig gut im Griff zu haben.

  2. Tatsächlich hatte auch ich den Eindruck, dass das alles andere als ein gutes Spiel von uns war – wenn wir jetzt das Niveau von 2021 als Vergleich anlegen. Aber gut. Wenn es dann immer noch zu 4:1 reicht, kann es ja gelassen besser werden.

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