Vorbericht: FC St. Pauli – Hansa Rostock (11.Spieltag, 21/22)

Vorbericht: FC St. Pauli – Hansa Rostock (11.Spieltag, 21/22)

Nach neun Jahren ist es am Sonntag also wieder so weit: Der FC St. Pauli empfängt den FC Hansa Rostock am Millerntor. Beide Klubs wollen ihre aktuellen Serien ausbauen und natürlich gerade ein so prestigeträchtiges Spiel nicht verlieren. Der FCSP ist sicher der Favorit – allerdings gar nicht mal so deutlich, wie es auf den ersten Blick zu vermuten wäre.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Zur weiteren Vorbereitung hört doch gerne mal in das „Vor dem Spiel“-Gespräch von Yannick mit Uwe a.k.a. Hanseator. Da gibt es auch bereits ein paar Antworten zu den hier präsentierten Statistiken zu hören.
Wenn ihr etwas zur Historie dieses doch sehr besonderen Aufeinandertreffen und auch zu den Geschehnissen neben dem Platz lesen möchtet, dann bitte hier entlang.

FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?

Timo Schultz vermeldete auf der Pressekonferenz vor dem Spiel, dass sich die personelle Situation immer mehr entspannt und mehr und mehr Spieler wieder im Team-Training sind. Das gilt jedoch nicht für Jannes Wieckhoff. Dessen Knieverletzung wurde bereits kommuniziert, nun ist auch die genaue Diagnose bekannt. Jannes Wieckhoff hat sich den Außenmeniskus gerissen. Das sei „etwas komplizierter“ sagt Timo Schultz, weshalb eine Operation notwendig gewesen und die Ausfallzeit auch etwas länger sei.

Ein Fragezeichen steht für das Spiel gegen Rostock hinter Leart Paqarada. Der musste am Mittwoch mit Knieproblemen das Training abbrechen. Es scheint sich nur um eine leichte Reizung zu handeln. Eine Entscheidung, ob er spielt, soll nun im Training getroffen werden. Als Ersatz stünde Lars Ritzka bereit. Und das nicht nur, weil er Linksverteidiger ist. Schultz hebt hervor, dass Ritzka es im Training „immer besser macht“ und in der U23 gute Leistungen zeigte. Trotzdem: Paqarada ist schon echt stark und das Interview mit dem Global Soccer Network hat herausgehoben, dass Ritzka und Paqarada zwei ganz unterschiedliche Linksverteidiger sind. Ein Ausfall von Paqarada kann nicht direkt ersetzt werden.

Ein genaues Update zu Eric Smith, Etienne Amenyido, Igor Matanović und Sebastian Ohlsson gab es auf der Pressekonferenz nicht. Schultz deutete aber an, dass Smith noch nicht einsatzbereit sei und auch Matanović sei für das kommende Spiel keine Kaderoption Vor allem, da er seit März kein Spiel bestritten hat. Etienne Amenyido und vor allem Sebastian Ohlsson sind schon länger im Training, aber waren ebenfalls ziemlich lange raus. Ich vermute mal, dass von diesen vier Spielern am ehesten Ohlsson in den Kader rückt (auch weil Wieckhoff verletzt ist).

Im Training und der U23 bereits mit ansprechenden Leistungen. Nun könnte aufgrund des möglichen Ausfalls von Leart Paqarada ein Startelf-Einsatz für Lars Ritzka bevorstehen.
(c) Peter Böhmer

Eine persönliche Anmerkung habe ich noch zur Pressekonferenz: Timo Schultz wurde mehrfach zum Banner im Hansa-Block letzte Woche befragt. Nun ist das natürlich ein wichtiges Thema, bei dem Medien händeringend nach zitierfähigen Aussagen suchen. Aber ist da der Trainer des kommenden Gegners die richtige Person? Warum sollten die Worte von Timo Schultz in dieser Sache zitierfähiger sein als die von Klaus-Peter aus Großborstel oder Annalena aus Bergedorf? Das verstehe ich nicht.
Ja, wir wünschen uns, dass auch die sportlich handelnden Personen Stellung beziehen zu Themen außerhalb ihres Sports. Aber ich finde, dass ein Trainer auf so einer Pflicht-Veranstaltung nicht mit Fragen konfrontiert werden sollte, die nichts mit dem Sport zu tun haben. Solche Dinge kommunizieren die Personen am besten entweder selbst (z.B. in den Sozialen Netzwerken) oder aber es wird ihnen wird die Möglichkeit gegeben, sich darauf vorzubereiten. Denn stellt euch mal vor, Timo Schultz sagt auf der Pressekonferenz, überfallen mit so einer Frage, bei diesem Thema etwas das missverständlich ist oder aber anders gemeint war (direkte Nachfragen zur Klärung sind auf digitalen PK’s fast unmöglich). Ich jedenfalls finde das ziemlich unfair Timo Schultz gegenüber und werde solche Fragen nicht oder nur mit äußerster Vorsicht stellen.

Hansa Rostock: Wer kann spielen, wer fehlt?

Da die Pressekonferenz nicht so zeitig um 9.10 Uhr beginnt, wie beim FC St. Pauli, können wir hier leider noch kein Personal-Update geben. Sicher fehlen werden Hansa-Trainer Jens Härtel aber Lukas Scherff (Kreuzbandriss), Maurica Litka (Trainingsrückstand nach Kreuzbandriss) und Calogero Rizzuto, der gegen Sandhausen seine fünfte Gelbe Karte sah. Von schwerwiegenden Verletzungen im Laufe der letzten Woche ist nichts bekannt, daher gehen wir mal davon aus, dass alle anderen Spieler einsatzfähig sein werden.

Neben John Verhoek könnte es trotz der Verletzung von Litka noch ein zweites Wiedersehen geben: Bentley Baxter Bahn dürfte mindestens ein paar Minuten am Millerntor bekommen. Der war letzte Saison und zu Beginn dieser Saison Stammspieler, hat diesen Status aber in den letzten beiden Spielen eingebüßt. Bahn fand sich im August 2014 nach guter Vorbereitung zum Saisonauftakt gegen Ingolstadt in der Startelf des FC St.Pauli wieder (die Offensivreihe der Startelf setzte sich damals aus Bahn, Verhoek, Görlitz(!) und Nöthe zusammen…). Es folgten noch zwei weitere Kurzeinsätze, ehe er in der Winterpause zu den Stuttgarter Kickers wechselte.

Was hat Hansa Rostock zu bieten?

So ziemlich genau das, was auch der Tabellenplatz nach zehn Spieltagen aussagt: Das Team von Jens Härtel hat Probleme mit der 2.Liga. Allerdings könnten die auch erheblich schlimmer sein. Angesichts des Kaders, der älteste der Liga (Durchschnittsalter 28.5 Jahre), dürfte die aktuelle Punkeausbeute sogar eher ein Erfolg sein. Das Team von Hansa Rostock wurde zu Saisonbeginn von vielen Seiten sehr viel schwächer eingeschätzt.

Hansa Rostock ist ein Team, dass schon ein wenig minimalistisch daherkommt und momentan von seiner Effektivität lebt. Bestes Beispiel ist Ex-FCSP-Angreifer John Verhoek. Der hat bereits sechs Saisontore erzielt und damit mehr als die Hälfte aller Rostocker Tore (11). Hierfür benötigte er nur 11 Torschüsse. Mehr als jeder zweite Schuss von ihm war also ein Treffer.
Das muss es aber auch, denn nicht nur Verhoek schießt selten auf das gegnerische Tor. Hansa Rostock hat die drittwenigsten Torschüsse der Liga abgegeben. Allerdings: Wenn sie auf das Tor schießen, dann meist aus guten Positionen. Nur 35 Torschüsse wurden außerhalb des Sechzehnmeterraums abgefeuert (kein Team hat weniger). Die Torwahrscheinlichkeit (xG) pro Schuss liegt bei 12.2% – eine richtig hohe Zahl (nur Darmstadt und der HSV haben eine durchschnittlich höhere).

Mehr als die Hälfte der Rostocker Tore sind über Standards gefallen. Vor weniger als zwei Jahren bedeutete so eine Statistik schrillende Alarmglocken bei mir. Denn der FC St. Pauli war schwach bei gegnerischen Standards, fing sich in der Saison unter Luhukay (und auch davor) bedenklich viele Standardgegentore. Das hat sich inzwischen geändert. Bereits letzte Saison waren es wenige Gegentore nach Standards. In dieser Saison gab es bisher kein einziges. Timo Schultz hat aktuell das Gefühl, dass sein Team bei Standards „sehr stabil steht“ und hebt hervor, dass sich die Abläufe bei Standards im Vergleich zu den letzten Jahren schon verändert haben.

Auf der anderen Seite ist es noch extremer: Hansa Rostock lässt (zusammen mit zwei anderen Klubs) die viertwenigsten Torschüsse der Liga zu, aber die Torschüsse haben eine sehr hohe Torwahrscheinlichkeit. Fast jeder sechste Torschuss des Gegners sitzt. Jeder sechste! (der FCSP hat bisher knapp 13 Torschüsse pro Spiel abgegeben).
Entsprechend sind die xG-Werte der Gegner von Hansa Rostock ziemlich hoch (nur Sandhausen lässt mehr zu). Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, da das Team letzte Saison nicht dank seiner formidablen Offensive, sondern dank einer stabilen Defensive aufgestiegen ist. Nur ein Klub fing sich damals weniger Gegentore (Mitaufsteiger Dresden), nur ein Klub ließ weniger zu (Mitaufsteiger Ingolstadt). Offensiv war das Team Mittelmaß.
Der entscheidende Unterschied zur Vorsaison? Hansa Rostock kommt nicht so gut ins Pressing und hat zusätzlich im eigenen Aufbau Probleme. Besonders wenn die aktuelle Effektivität in der Offensive, vor allem dank Verhoek, nicht mehr vorhanden ist, dann dürfte Hansa Rostock in Abstiegsnöte geraten.

Gut gelaunt, wenn der Gegner den Ball hat: John Verhoek
(Selim Sudheimer/Getty Images/via OneFootball)

Ganz allgemein würde ich Hansa eher als Team bezeichnen, das sich aus statistischer Sicht nicht so richtig in eine Schublade drücken lässt. In sämtlichen Statistiken ist Hansa eher unteres Mittelmaß, also nicht sonderlich aufregend.
Auffällig ist aber, neben den hohen Torwahrscheinlichkeiten offensiv und defensiv, dass Hansa nicht mit Druck umgehen kann. Diesen versucht das Team zu umgehen, das Pressing zu überspielen. Nur Erzgebirge Aue spielt häufiger einen langen Ball als Hansa Rostock. Knapp jeder fünfte Pass ist lang. Das sind in Hansas Fall dann etwa 60 lange Bälle pro Spiel. Zum Vergleich: Beim FC St. Pauli wird jeder zehnte Pass lang gespielt (beim HSV sogar nur jeder 18.).

Mögliche Aufstellung

Eine Aufstellung hier zu basteln, wäre vermessen. Denn bei Hansa habe ich noch nicht mal ’ne Ahnung, welche Formation die auf den Platz bringen könnten, da Härtel diese gerne an den jeweiligen Gegner anpasst. Und ich weiß nichts über den aktuellen Stand bei Verletzungen. Es wäre grober Unfug, wenn ich hier jetzt ne Aufstellung präsentiere.
Aber genau das, diese Unsicherheit bei der gegnerischen Aufstellung, stelle ich mir aus Sicht des FC St. Pauli in der Vorbereitung enorm schwierig vor. Wie schwierig das wirklich ist, habe ich mal bei Timo Schultz nachgefragt. Erschwert so eine Unsicherheit die Vorbereitung?

„Auf der einen Seite natürlich, weil Du dich als Trainer fragen musst, wo sich die Räume ergeben. Auf der anderen Seite haben wir uns in den letzten Spielen die Sicherheit erspielt, dass die Spieler auf dem Platz erkennen, was uns der Gegner anbietet, wo wir leichter ins Andribbeln kommen und wo wir eine Überzahl haben. Fabian Hürzeler sitzt ja auch auf der Tribüne und erkennt das relativ schnell, sodass wir theoretisch nur noch den Plan aus der Schublade holen müssten und unser Verhalten an das Gegnerverhalten anpassen.“

Timo Schultz über die Unsicherheit der gegnerischen Spielweise

Zum Ende seiner Antwort verweist Schultz noch darauf, dass es entscheidender sei, dass sein Team die bisher häufig gezeigte Spielfreude wieder auf den Platz bringt. Das versteht sich sicher von selbst.
Gut, sehr gut, richtig gut möglich, dass der FC St. Pauli mit Maximilian Dittgen startet. Besonders gegen Rostock ist das Tempo angebracht, da die dortige Abwehrreihe gerade bei eigenem Aufbau schnell Probleme bekommt. Ich finde zwar immer noch, dass Dittgen noch besser als Einwechselspieler ist, aber ein Startelfeinsatz ist, neben seiner Leistung in Heidenheim, auch angesichts der personellen Situation absolut realistisch. Christopher Buchtmann würde dafür aus der Startelf rutschen.
Allerdings war Dittgen gegen Heidenheim auch deshalb so gut, da diese auch den Raum für tiefe Läufe angeboten haben. Das könnte gegen Rostock etwas anders aussehen. Hansa dürfte dem FC St. Pauli mehr Ballbesitz erlauben, sodass der FCSP vermehrt spielerische Lösungen auf engem Raum finden muss. Ob es dann auch noch mit Dittgen passt, weiß ich nicht genau. Seine Stärken kommen ganz klar immer dann zum Tragen, wenn der Gegner Tiefe anbietet.

Könnte dem Gegner mit seinem Tempo abermals vor enorme Probleme stellen: Maximilian Dittgen
(c) Peter Böhmer

Bereits zum Saisonanfang hatte ich Timo Schultz gefragt, ob er eine Doppel-Sechs beim FC St. Pauli für sinnvoll erachtet. Seine Antwort damals: Er möchte erstmal mit der Mittelfeldraute weiterarbeiten, da es dem Team guttut. Mit der steigenden Fitness von Smith und der aktuellen Leistung von Aremu (und den immer wieder ansprechenden Leistungen von Benatelli nach Einwechslung), drängt sich das Thema aber wieder auf. So schickte uns Tim Hemmrich auf Twitter anfangs der Woche eine solche Frage (Danke dafür!). Timo Schultz hat sie beantwortet:

„Es spricht überhaupt nichts gegen eine Doppel-Sechs. Das wäre sicher mal eine etwas defensivere Variante, die absolut denkbar ist. Der Plan ist das auch irgendwann einzustudieren. Vielleicht bietet sich dafür die nächste Länderspielpause an.“

Timo Schultz über eine mögliche Doppel-Sechs.

Ganz klar, der FC St. Pauli ist Favorit. Alle Heimspiele gewonnen, Spitzenreiter. Da gibt es keine zwei Meinungen. Zuletzt konnte Rostock aber gegen Kiel und Sandhausen punkten und hat vermutlich auch den Vorteil, dass sie doch recht deutlich der Außenseiter sind.
Aber was sind schon Favoritenrollen in solchen Spielen, die weit über den Status eines einfachen Pflichtspiels hinausgehen? Dieses Spiel wird, ob mit oder ohne Gästefans, ein ganz besonderes. Denn ein emotional so aufgeladenes Duell schreibt andere Geschichten, es gelten andere Gesetze, die Machtverhältnisse werden teilweise schlicht außer Kraft gesetzt. Daher darf der FC St. Pauli nicht nachlassen, keinen Zentimeter hergeben, kein Prozentpunkt weniger investieren.

Forza!

//Tim

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4 thoughts on “Vorbericht: FC St. Pauli – Hansa Rostock (11.Spieltag, 21/22)

    1. Es hat nichts mit Welpenschutz zu tun. Aber warum befragen alle ihn danach? Da gibt es doch zigtausend besser geeignete Personen.
      Und gerade weil es nur eine Antwort darauf geben kann, fragt sich doch, warum die das ausgerechnet von ihm hören wollen. Vermutlich in der Hoffnung, dass er sich nicht ganz so sauber ausdrückt. Damit ne fette Schlagzeile produziert wird. Finde ich ziemlich grenzwertig diese Art des Journalismus.

  1. Kurz zur Aufstellung.
    Wie würdest Du Finn Ole Becker wieder ins Team integrieren?
    Kann er oder Jackson Irvine auf beiden Seiten der Raute spielen?
    Falls ja, würde ich eine Aufstellung mit Marcel Hartel auf der 10 und den beiden auf den Seiten ne spannende Alternative, gerade wenn Du schreibst, dass es gegen Hansa wahrscheinlich spielerisch Ansätze über Ballbesitz braucht.

    1. Ja, Becker passt auf beide Seiten. Hartel sehe ich eher auf der 10 als Becker, aber da wäre auch noch Buchtmann und Hartel ist halt defensiv auch echt gut auf der Halbposition. Der kann ja auch ganz gut kicken. Und Benatelli könnte auch hilfreich sein wegen der Ballsicherheit. Herrje, wenn Daschner und Amenyido erstmal fit sind, dann kannste eigentlich mit zwei guten Teams antreten.

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