Eine Leistung, die nach mehr schreit – Jackson Irvine überzeugte im Trikot des FC St. Pauli beim Pokalspiel gegen Union Berlin in der 2. Halbzeit auf der Sechser-Position. Das ist gar nicht so verwunderlich, wie ein Blick auf die Spiele der australischen Nationalmannschaft zeigen. Nun könnte er sich auch beim FCSP zu einem Sechser entwickeln.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Not macht erfinderisch
Eric Smith und Rico Benatelli verletzt. Dazu hatte Afeez Aremu über Adduktorenprobleme beim Pokalspiel gegen Union Berlin geklagt. Damit sind alle nominellen Sechser im Kader des FC St. Pauli momentan nicht oder nur eingeschränkt einsatzbereit. In der zweiten Halbzeit gegen Union war es daher Jackson Irvine, der sich auf der Sechser-Position wiederfand. Und er machte seine Sache sehr gut.
Das ist gar nicht so verwunderlich. Denn Irvine kennt diese Position zumindest ein bisschen. In der WM-Qualifikation ist er für die australische Nationalmannschaft meist immer Teil einer Doppel-Sechs. Allerdings gibt es massive Unterschiede zwischen der Arbeit einer Doppel-Sechs und einer alleinigen Sechs, wie beim FC St. Pauli. Denn bei einer Doppel-Sechs gibt es meist einen defensiveren und einen offensiveren Part (das Duo Besuschkow/Gimber von Jahn Regensburg ist da ein gutes Beispiel). Irvine spielt für Australien da eher den offensiveren Part, sucht nicht selten den Weg mit in die gegnerische Box.
Doch wenn ein Spieler alleine auf der Sechs spielt, ist grundsätzlich eine defensive Spielweise gefragt (abgesehen von der Wichtigkeit als Verbindungs- und Aufbauspieler). Gerade beim FC St. Pauli ist die Rückverteidigung ein kritisches Thema, daher ist das Einschalten in die Offensive so ziemlich das letzte, was man von einem Sechser erwartet. Kann Jackson Irvine als alleinige Sechs spielen, also abgesehen vom Auftritt in Berlin, als das Team untypisch in einem 3-5-2 agierte?
Daten schwer vergleichbar, aber Hinweise vorhanden
Um zu sehen, ob Jackson Irvine dauerhaft als alleiniger Sechser spielen könnte, habe ich mal einen Blick in die Daten geworfen. Dabei habe ich seine Werte aus den WM-Quali-Spielen und seine beiden Auftritte im DFB-Pokal (gegen Union und gegen Dortmund, wo er auf der Doppel-Sechs spielte) zusammengerechnet und vergleiche diese Daten nun mit den Werten der Sechser in der 2. Bundesliga.
Das ist eigentlich ein No-Go, Daten aus einem Wettbewerb mit denen aus einem anderen Wettbewerb zu vergleichen. Denn dafür benötigt es einen Faktor, der die Spielqualitäten in den Wettbewerben gegenrechnet. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Qualität bei der WM-Quali etwas geringer ist (je nach Gegner), die beiden DFB-Pokalspiele (jeweils gegen Erstligisten) jedoch höher eingestuft werden müssten. Alles in allem schätze ich, dass der Qualitätsunterschied nicht groß und daher die Daten eine gute Vergleichbarkeit haben. Trotzdem sind sie mit etwas mehr Vorsicht als üblich zu betrachten.
Jackson Irvine ist irgendwie ein besonderer Spieler. Das liegt unter anderem daran, dass er allein schon vom Erscheinungsbild nicht den Eindruck eines Profi-Fußballers erweckt. Aber auf dem Platz ist er vor allem aufgrund seiner physischen Stärken enorm wichtig für sein Team (das sieht man ihm noch viel weniger an). Timo Schultz bestätigte das bei uns im Podcast. Er erzählte, dass seine Familie Irvine als „Gauner“ bezeichnet, weil er immer so über den Platz schleicht. Und Schultz hob im Gespräch besonders die physischen Eigenschaften von Irvine hervor.
Das zeigte sich auch im bisherigen Saisonverlauf. Denn Jackson Irvine kam meist immer auf der Halbposition zum Einsatz, konnte da aber vor allem mit seinen physischen Eigenschaften überzeugen. So verwundert es dann auch nicht, dass Schultz im Podcast über Irvine sagte: „Er ist der einzige Rautenspieler, den ich mir auf der Sechs vorstellen kann.“
Die Daten bestätigen diesen Eindruck: Seine Quoten bei Luft- und Bodenduellen sind überdurchschnittlich und es gibt keine Defensiv-Statisitk, in der Irvine unterdurchschnittlich ist. Zudem kann Irvine auch als Passspieler überzeugen. Gerade, dass er zumeist auf der Halbposition in der Raute spielt und entsprechend unter höchstem Druck die Bälle erhält und weiterleiten muss, könnte ein Vorteil auf der Sechs sein. Denn Irvine könnte durch das Mehr an Zeit, die Spieler auf der Sechs haben, womöglich auch noch besser im Passspiel sein.
Stark in der Luft und am Boden
Der Vergleich zu den anderen beiden Sechsern beim FC St. Pauli mit ausreichend Spielzeit, Eric Smith und Afeez Aremu, zeigt dann auch, dass Jackson Irvine einen großen Vorteil mit sich bringt: Er ist sowohl am Boden als auch in der Luft sehr stark in den Zweikämpfen. Smith konnte da am Boden zuletzt nicht mithalten, Aremu nicht in der Luft. Rico Benatelli hat auch in seiner starken Phase in der Vorsaison in diesen Statistiken nicht überzeugen können (er hat aber zweifelsohne andere Stärken).
Nochmal zurück zum Passspiel, da ich hier einen Abstrich machen muss: Es gibt erhebliche Unterschiede in den Ansprüchen für das Passspiel auf der Sechs (risikoarm) und auf der Halbposition gibt (risikoreicher). Ob Irvine da immer die richtige Balance finden würde, also die Situationen richtig einschätzen kann, wann welche Pässe angebracht sind, kann anhand von Daten und nur ersten Eindrücken auf der Position nicht eingeschätzt werden.
Irvine und die Sechs – Passt das jetzt?
Nachdem Timo Schultz vor einigen Woichen auf einer Pressekonferenz die Frage, ob er sich Jackson Irvine grundsätzlich auf der Sechser-Position vorstellen könne, kurz und knapp mit „Ja“ beantwortete, haben wir ihn auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den KSC mal etwas genauer danach befragt, was Irvine auf dieser Position auszeichnet und was er da noch besser machen kann. Aber zuerst haben wir erfahren, warum Irvine bisher meist auf der Halbposition spielt:
„Wir haben Jackson bei uns bisher auf der Rautenposition eingesetzt, weil wir zum einen auf der Sechser-Position nominell gut besetzt sind und zum anderen, weil wir glauben, dass seine Stärken auf dieser Position noch besser zum Tragen kommen. Er ist ein Spieler, der mit seiner Physis, Kopfballstärke und Torgefahr nicht nur zwischen beiden Boxen, sondern auch in beiden Boxen sehr präsent ist.“
Timo Schultz zur Frage, wie gut Jackson Irvine auf die Sechser-Position passt.
Timo Schultz sagte uns auch, aufgrund welcher Eigenschaften Jackson Irvine dann eben doch ganz gut auf die Sechs passt. Denn eine seiner größten Stärken sei sein „Gefühl für Zweikämpfe, also die Entscheidung, wann er vorstechen kann und wann er lieber im Raum bleibt.„.
Schultz betont, dass Irvine in der australischen Nationalmannschaft immer auf der Doppel-Sechs gespielt hat. Beim FC St. Pauli sei es als alleiniger Sechser noch wichtiger, dass man sich als Spieler taktisch diszipliniert verhält. Diese Disziplin könne er „bestimmt an den Tag legen“ sagt Schultz. Aber man „beraubt ihn dabei sicher auch seiner extremen Laufstärke.“. So ganz optimal scheint Timo Schultz die Personalie Jackson Irvine auf der Sechs also nicht zu finden.
Aber das muss er auch nicht, damit Irvine trotzdem auf der Sechs zum Einsatz kommt. Denn die nominellen Sechser drohen weiter auszufallen. Und auch wenn Jackson Irvine auf der Rautenposition gerade in der Offensive noch einige Besonderheiten und Stärken einbringen kann, scheint er aktuell die beste Lösung auf der Sechs zu sein. Aus meiner Sicht ist es nicht ausgeschlossen, dass er auch dauerhaft dort heimisch werden könnte.
In der jetzigen Situation, mit vielen verletzten Spielern, braucht es „Aha-Momente“. Momente, bei denen Spieler plötzlich auf ungewohnten Positionen gute Leistungen zeigen oder Spieler, die sich trotz Sprung ins kalte Wasser freischwimmen können (wie zum Beispiel Marcel Beifus). Jackson Irvine könnte auf der Sechs in den nächsten Wochen einen erheblichen Teil zum Erfolg beim FC St. Pauli beitragen.
//Tim
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Moin.
Ich finde Du hast das sehr gut beschrieben, Irvine hat mir gg Union sehr gut gefallen auf der 6 – vor allem da Aremu doch mehr und mehr unsicher wurde vor der Halbzeit. Die Ballverluste taten da ganz schön weh. Denke aber trotzdem, dass Smith und Aremu wenn sie denn fit und in Form sind auf der 6 bleiben werden, da uns Irvine sonst auf der 8 fehlt…und die beiden haben in „Normalform“ ja nachgewiesen dass sie den Job auf der 6 beherrschen.
Ja, da stimme ich dir zu. Interessant finde ich aber den Gedanken, ob Irvine nicht vielleicht sogar noch besser wird, wenn er in diese Position „hineinwächst“