Einmal mehr in dieser Saison tat sich der FC St. Pauli im Spiel gegen eine Dreierkette schwer. Auch Werder Bremen, der kommende Gegner, spielt mit so einer Formation. Was es für Lösungen gibt, zeigte unter anderem das Hinspiel.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Zwischendurch resignierte Timo Schultz ein wenig. Auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den FC Ingolstadt wurde er darauf angesprochen, in welcher Formation er den Gegner erwarte und er sagte: „Ich habe mir abgewöhnt zu gucken, wie die Mannschaften vorher gespielt haben, weil es gegen uns dann ja meist ein bisschen anders aussieht.„.
In den Spielen zuvor hatte sein Team nicht selten leidvoll erfahren, dass die gegnerischen Mannschaften teils massiv von ihren Grundformationen abgewichen sind. Nur deshalb, weil sich im Verlauf der Hinrunde gezeigt hat, dass der FCSP mit seinem Offensivspiel wesentlich schlechter zurechtkommt, wenn es gegen eine Dreierkette geht.
Und so stellten gleich eine ganze Reihe von Teams ihr System um, wichen von Formationen ab, die sie sonst die ganze Saison über spielten. Allein in 2022 agierten sechs Team mit einer Dreierkette gegen den FCSP. Fünf davon stellten sogar extra für das Spiel auf eine Formation mit einer Dreierkette um.
Warum weichen Teams so krass von ihren Stammformationen ab, wenn es gegen den FCSP geht? Weil es wirklich erfolgsversprechend ist, wie die Statistik zeigt:
Der FC St. Pauli gegen… | eine Dreierkette | eine Viererkette |
Sieg | 4 | 12 |
Unentschieden | 4 | 3 |
Niederlage | 5 | 3 |
Punkte gesamt | 16 | 42 |
Punkteschnitt | 1.23 Punkte pro Spiel | 2.17 Punkte pro Spiel |
Anmerkung: Die Pokalspiele gegen Magdeburg (3er-Kette) und Dresden (4er-Kette) sind jeweils als Unentschieden in die Statistik eingeflossen.
Bevor ich diese Statistik erstellt habe, hatte ich gedacht, dass es da zwar schon ein paar Unterschiede geben würde in den Punkten, die der FCSP gegen Teams mit Dreier- oder Viererkette holt. Aber dass dieser Unterschied so massiv ist, habe ich mir nicht vorstellen können. 2,17 Punkte holte der FCSP pro Spiel, wenn es gegen Teams mit einer Viererkette ging. Nur gegen den HSV (Rückspiel), Hannover (Hinspiel) und Darmstadt gab es Niederlagen. Satte 12 von 18 Spielen wurden gewonnen.
Spielte der FC St. Pauli aber gegen eine Dreierkette gab es in 13 Spielen nur vier Siege, bei einem Punkteschnitt von 1,23. Ein deutlicher Unterschied.
Dreierkette ungleich Dreierkette
Ich habe mich bisher schwergetan mit der generellen Aussage, dass der FC St. Pauli ein Problem gegen gegnerische Dreierketten hat. Denn natürlich werden Formationen unterschiedlich interpretiert und es gibt eine ganze Menge kleiner und größerer Variationsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung einer Dreierkette. Ein gutes Beispiel dafür ist der Vergleich zwischen der Spielweise von Jahn Regensburg und Hannover 96 in den Spielen gegen den FCSP. Beide Teams traten mit einer Dreierkette an, aber Regensburg wählte insgesamt eine enorm offensive und risikoreiche Spielweise. Hannover 96 hingegen versuchte aus einer tiefen Stellung heraus zu agieren (wie auch Hansa Rostock) – und hatte damit Erfolg.
Es gibt also signifikante Unterschiede.
Timo Schultz macht immer dann, wenn er auf die Problematik gegnerischer Dreierketten angesprochen wird deutlich, dass die gegnerische Formation allein nicht das Problem sind: „Wir haben diese Saison auch sehr gute Spiele gegen Dreierketten gezeigt. Ich sehe das Problem eher in der eigenen Zweikampfführung, in der Griffigkeit gegen den Ball und dass wir die Kompaktheit halten. Einige der Spiele gegen Dreierketten sind auch einfach unglücklich verlaufen. Daher tue ich mich immer schwer das an einem System fest zu machen. Teilweise war aber gegen defensiv denkende Dreierketten unsere Konterabsicherung aber auch einfach nicht so gut.„
Schlecht für den FC St. Pauli: Wenn am Samstag am Millerntor das Spitzenspiel gegen Werder Bremen steigt, dann wird der Gegner nicht einmal seine Formation extra umstellen müssen. Werder agiert seit einiger Zeit sehr erfolgreich mit einer Dreierkette.
Gut für den FC St. Pauli: Der SV Werder Bremen ist ein offensiv denkendes Team. Das ist dann vielleicht doch der eine große Unterschied, den ich bei den Dreierketten machen möchte und der anhand der Ergebnisse auch Sinn ergibt. Der FCSP hat zumeist Probleme gegen defensiv denkende Dreierketten, die dann ja eher Fünferketten sind. Spielt ein Team seine Dreierkette offensiver aus (weiter oben im Text hatte ich das Beispiel Regensburg vs. Hannover genannt), dann ist die Situation eine andere. Gegen die Dreierketten von Regensburg (Rückspiel), Schalke und Heidenheim (Hinspiel), alles eher offensive Formationen, konnte der FCSP gewinnen. Im Hinspiel gegen Werder gab es zumindest einen Punkt. Es gibt also Hoffnung. Aber der Unterschied des Punkteschnitts bei Spielen des FCSP gegen Dreier- oder Viererkette ist so markant, dass man es schon als generells Problem bezeichnen kann, unabhängig davon, wie der Gegner die Formation dann interpretiert. Denn der FCSP tat sich auch in Spielen gegen offensive Dreierketten schwer (denkt mal an das Pokalspiel gegen Magdeburg).
Daher ist auch klar, dass sich der FC St. Pauli viel leichter gegen gegnerische Viererketten tut. Und irgendwie finde ich das auch ganz schön, dass es diesen eklatanten Unterschied in der Punkteausbeute gibt, wenn es gegen Dreier- oder Viererketten geht. Denn es zeigt einmal mehr, wie wichtig Taktiken im Fußball sind und dass es sich dabei nicht einfach um Zahlenspielerei handelt.
Der FCSP muss also weiterhin Lösungen finden, vor allem gegen defensiv denkende Dreierketten, muss sein eigene Spielidee womöglich ein wenig justieren und besser an das gegnerische System anpassen.
Einen ersten Versuch die Probleme gegen Dreierketten während des Spiels zu lösen, konnten wir am vergangenen Samstag beobachten, als der FCSP zur Halbzeit ebenfalls auf eine Dreierkette umstellte. Funktioniert hat das leider so gar nicht. Timo Schultz beklagte nach dem Spiel, dass sein Team überhaupt nicht mehr zu Entlastungs-Aktionen gekommen sei und stellte kurz nach dem Rostocker Führungstreffer wieder auf das 4-4-2 mit Raute um. Dass es keine Entlastung gab, ist wenig verwunderlich, wenn man sich einmal anschaut, wo die natürlichen Schwächen einer Dreierkette liegen:
- Das Aufbauspiel kann mit einer Dreierkette statisch werden, da es wenig natürliche Möglichkeiten für Rotationen gibt (unterscheidet sich grundlegend vom 4-4-2 mit Raute).
- Der Arbeitsaufwand für die beiden Flügelverteidiger ist enorm, da sie sich dauerhaft offensiv und defensiv einschalten müssen.
- Eine Formation mit einer Dreierkette ist, wenn nicht als striktes 3-4-3 gespielt, grundsätzlich anfällig auf den Außenbahnen gegen Überladungen (was sich damit nicht groß vom 4-4-2 mit Raute unterscheidet)
Wenn es ein 3-4-3 ist, dann besteht die Gefahr in der Mittelfeldzentrale in Unterzahl zu geraten. - Die drei Innenverteidiger müssen viele komplexe Entscheidungen im Defensivverhalten treffen und sind noch mehr als sonst als Aufbauspieler gefordert.
Anders als bei der Mittelfeldraute, wo schon aufgrund der Formation immer natürliche vertikale Passwege vorhanden sind und im Mittelfeld immer wieder rotiert werden kann, bietet eine Dreierkette wenig Rotationsmöglichkeiten (bzw. sie müssen viel aktiver iniziiert werden). Entsprechend muss mehr getan werden, um das Offensivspiel anzukurbeln. Das ist gegen Rostock überhaupt nicht passiert, als das Team mit einer Dreierkette agierte. Und das war dann aus meiner Sicht auch eines der großen Probleme in dem Spiel, denn das Team ist durch die Formation und wenigen Rotationen sehr statisch geworden und konnte nicht mehr entlasten.
Gerade der dritte Punkt, also die Anfälligkeit auf der Außenbahn ist interessant. Denn bei Spielen gegen den FC St. Pauli ist dies eher ein zu vernachlässigender Punkt, da auch das 4-4-2 mit Raute genau in diesem Bereich auf dem Platz eher selten Überzahl-Momente generieren kann. Dafür haben die Teams dann eine zusätzliche Absicherung in der Defensive. Allein aus diesem einen Punkt ergibt sich, warum Dreierketten vielversprechend sind gegen Formationen mit Mittelfeldraute. Beide Teams vernachlässigen ihr Außenbahnspiel und sorgen für noch engere Räume in der Zentrale.
Muss der FC St. Pauli also seine Formation umstellen, um besser gegen Teams mit einer Dreierkette klar zu kommen?
Wäre die Antwort einfach, dann wäre das sicher bereits passiert. Eine Umstellung mit stärkerem Fokus auf die Außenbahnen würde auch Spieler mit veränderten Eigenschaften verlagen, die so nicht unbedingt im Kader des FCSP zu finden sind. Aber es gibt auch gleich eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie man mit einer Mittelfeldraute gegen eine Dreierkette erfolgreich sein kann:
Eines der Spiele, welches der FC St. Pauli gewann, obwohl der Gegner mit einer Dreierkette auflief, war gegen Schalke 04 im Dezember (hier die Analyse). Dort war es nicht nur ein Problem der offensiven Interpretation von Schalke, sondern die drei Angreifer des FCSP zeigten eine eher untypische, aber sehr erfolgreiche Bewegung bei Ballbesitz: Sie zogen enorm breit. Durch diese Bewegungen nach außen konnten die gegnerischen Flügelverteidiger besser gebunden werden und so blieb mehr Zeit für das eigene Aufbauspiel. Wenn der Gegner mit den Innenverteidigern rausschiebt, dann bieten sich den beiden Achtern Möglichkeiten in die Tiefe zu gehen. Wie das funktionieren kann, hat man nicht nur im Spiel gegen Schalke gesehen, sondern auch im Spiel gegen Dresden (Rückspiel – hier die Analyse), obwohl es sich dabei um eine Viererkette handelte. Dort bewegte sich Kyereh in der zweiten Halbzeit sehr weit nach außen, um Gegenspieler Akoto hinten zu binden, wodurch der FCSP enorm druckvoll wurde.
Es gibt also gute Ansätze, um auch gegen gegnerische Dreierketten erfolgreich zu sein. Auch beim Hinspiel gegen Werder Bremen schaffte es das Team in der zweiten Halbzeit viel besser gegen die Formation der Bremer zu agieren. Witzigerweise klappte es da in der ersten Halbzeit nicht wirklich gut mit den breitziehenden Angreifern (hier die Analyse). Vielmehr waren es lange Bälle, die in der zweiten Halbzeit Erfolg brachten. Auch das ist, solange Simon Makienok vorne mit dabei ist, eine gute Option. Diese muss allerdings, wie alle anderen Varianten auch, strikt durchgezogen werden. Ein langer Ball auf Simon ist Unsinn, wenn sich seine Mitspieler nicht richtig um ihn herum positionieren. Es ist also eine entweder/oder-Entscheidung (Breitziehen oder Hochspielen). Wenn eine der beiden Varianten klappt, dann hat das auch gleich Auswirkungen auf das weitere Aufbauspiel, da die Gegner üblichwerweise mit mehr Spielern in der letzten Reihe darauf reagieren und es so mehr Zeit für Spieler wie Paqarada geben würde.
Es dürfte also auch gegen Werder Bremen dabei bleiben, dass der FC St. Pauli mit einer Mittelfeldraute aufläuft. Denn es gibt einige Möglichkeiten, die das Team auch mit einer Mittelfeldraute hat, um erfolgreich zu sein. Allerdings zeigt die Statistik klar an, dass das eigene Offensivspiel gegen Dreierketten stark verbessert werden muss.
// Tim
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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.
Ich wäre ja Mal für ein flaches 4-4-2 mit Kofi und Amenyido als Flügelspieler.
Burgstaller Makienok
Kofi Hartel Irvine Amenyido
Paqarada Medic Zier Zander
Vasili
Das klingt sehr spannend.