Interview: James Lawrence

Interview: James Lawrence

Vor etwas mehr als zwei Monaten endete die Zeit von James Lawrence beim FC St. Pauli. Im Interview mit ihm werfen wir einen Blick auf die vergangenen drei Jahre, seine schönsten und wohl auch seinen enttäuschendsten Moment beim FCSP.
(Titelbild: Peter Böhmer)

James, mich interessiert Dein erster Kontakt zum FC St. Pauli. Hattest Du den Vereinsoffiziellen des RSC Anderlecht gesagt, dass Du wechseln willst? Oder hatten diese Dir die Suche nach einem neuen Verein nahegelegt?

James Lawrence (JL): Als mein erstes Jahr in Anderlecht endete, war die Clubführung nicht glücklich mit den Leistungen in der Saison insgesamt und sie entschieden sich für einen kompletten Neustart. Neuer Sportdirektor, neuer Geschäftsführer, neuer Trainer. Als diese da waren, wurde auch der Kader einmal aufgeräumt und ich war einer der betroffenen Spieler. Vincent Kompany kam als Spielertrainer und wollte als linker Innenverteidiger spielen, wie ich auch. Das ist schon etwas schwierig, wenn der neue Trainer ausgerechnet auf deiner Position spielen will (*lacht). Ich war also offensichtlich nicht erste Wahl und konnte mir ausrechnen, nicht allzu viel Spielzeit zu bekommen. Der Verein teilte mir auch mit, dass sie in der Zukunft nicht mehr mit mir planen würden. Wir brauchten also eine Lösung und das war entweder ein Transfer oder eine Leihe. Der Sportdirektor war Frank Arnesen, der zuvor ja auch beim HSV war. Er kannte daher die Stadt und wusste einiges über den FC St. Pauli und er wusste, dass St. Pauli auf meiner Position suchte. Er kam dann auf mich zu. Ich hatte eine sehr gute Beziehung zu Arnesen, da er immer auf meiner Seite stand. Er sagte mir, dass der FC St. Pauli sehr gut zu mir passen würde.

Hattest Du denn schon vom FC St. Pauli gehört, bevor Dir Frank Arnesen davon erzählte?

JL: Ich hatte zwar von St. Pauli gehört, aber nicht viel mehr als den Namen. Als Arnesen mir sagte, dass es gut passen würde, war das der Moment für mich, mir das genauer anzuschauen. Und so begann ich meine Recherche…

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Und was hast Du bei dieser Recherche herausgefunden?

JL: Als Erstes ploppten auf Google die Fans, die Vereinskultur und –werte auf. Ich suchte etwas weiter und es kamen das Stadion, der Stadtteil und die Philosophie hinter dem Verein. Ich schaute mir Videos des Stadions und der Atmosphäre an, stellte fest, dass es eine sehr spezielle Atmosphäre und ein spezielles Stadion ist. Man kann sich nicht darauf vorbereiten, wie es dann tatsächlich ist, aber es kam in den Videos schon recht gut rüber. Ich dachte: „This looks really, really cool!“.

Es ist schon komisch, wie die Umstände deine Überlegungen leiten, denn zum Ende der Vorsaison mit Anderlecht hatten wir eine wirklich schwierige Zeit mit den Fans. Sie waren offensichtlich unzufrieden mit uns. Wir wurden für Fehlpässe oder ähnliches ausgebuht, es war eine wirklich schwierige Beziehung zwischen Fans und Spielern. So war das eines meiner wichtigsten Anliegen: Zu schauen, wie die Fans drauf sind, wie sie reagieren, wie sie sich einbringen und teilnehmen an einem Spiel und wie der Support ausfällt. Das war ein wichtiger Punkt für mich.

Kaum da, schon ein Stadtmeister – wenige Wochen nachdem James Lawrence beim FC St. Pauli anheuerte, gewann er das Derby zuhause mit 2:0.
(c) Stefan Groenveld

Dein erstes Spiel war gegen Holstein Kiel. Du hattest erst wenige Tage mit dem Verein verbracht und gleich getroffen. Was für ein Erlebnis war das?

JL: Es ging alles sehr schnell seit dem ersten Gespräch mit Frank Arnesen. Da die Saison schon lief, wollten das alle auch sehr schnell abwickeln. Also war ich recht schnell unterwegs nach Hamburg und dann war da auch schon das erste Spiel. Es war merkwürdig, denn da war keine Zeit um über alles nachzudenken und es einzuordnen, ich musste spielen und das so gut wie eben möglich. Zwei oder drei Trainingseinheiten hatte ich vorher, das war alles sehr aufregend. In dem Spiel dann zu treffen und die Fans zu hören, die ich vorher auf YouTube angeschaut hatte – das war unglaublich.

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Nur ein paar Wochen später ging es in Deine erste Stadtmeisterschaft. Ich kann mir vorstellen, dass das einer der besten Erinnerungen an Deine Zeit beim FCSP ist. Stimmt das?

JL: Ich habe heute früh darüber nachgedacht, weil ich dachte, dass Du mich das wahrscheinlich fragen würdest. Und ja, das erste Derby war „das Eine“. Es war etwas ganz Besonderes, irgendwie unbeschreiblich, dieses Gefühl, das man in der Woche vor dem Spiel hat. Es ist eine ganze Woche voller Spannung, Aufregung und Nervosität. Und auch der Tag des Derbys: Ich habe noch nie so viel Polizei gesehen, so viele Fans auf den Straßen, noch nie so viel Trubel um den Platz und im Stadion. Dann kommt man ins Stadion um sich aufzuwärmen, und alle sind schon auf der Tribüne, alle sind bereit, alle jubeln. Und dann mit St. Pauli das Derby nach so langer Zeit zu gewinnen. Das war einfach unglaublich. Da bekomme ich jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.

Aber auch das Dortmund-Spiel letzte Saison war etwas ganz Besonderes. Es war ein bisschen schade, dass es nicht voll war, aber allein schon wegen der Größe des Spiels gegen eine der besten Mannschaften in Deutschland. Und dann nicht nur das Spiel zu gewinnen, sondern es auch noch zu verdienen. Da rauszugehen und die ersten zehn Minuten so zu spielen, wie wir es getan haben, das war für mich etwas ganz Besonderes.

Bleiben wir in Deiner ersten Saison: Jos Luhukay war der Trainer, und viele Leute sagten, dass er wie ein mürrischer alter Mann wirkte. Wie war es im Inneren?

JL: Ich hatte ein recht gutes Verhältnis zu Jos, denn ich konnte Niederländisch sprechen und er konnte Niederländisch sprechen, so dass wir uns auf dieser Ebene verständigen konnten. Ich glaube, es war die ganze Saison über nicht einfach für ihn, vor allem, wenn es sportlich nicht rund läuft und die Erwartungen höher sind. Er musste sich mit der großen Aufmerksamkeit der Medien auseinandersetzen, und er hat das alles auf sich genommen und versucht, sein Bestes zu geben, um die Mannschaft zu schützen. Sein Verhältnis zu den Spielern war gut, aber ich glaube, dass es innerhalb der Mannschaft gewisse Fraktionen gab, die sich überhaupt nicht mit ihm verstanden haben. Das wird es bei jeder Mannschaft geben, wenn ein neuer Trainer kommt und einige Spieler nicht spielen. Natürlich sind diese Spieler unglücklich. Und ich glaube, das war ein bisschen schwierig, vor allem gegen Ende seiner Amtszeit.

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Aber auf mich wirkte Jos sehr warmherzig und offenherzig. Er wollte wirklich das Beste für uns als Gruppe von Spielern. Das haben wir auch daran gemerkt, dass er uns vor den Medien in Schutz genommen hat. Aber irgendwann wurde es zu viel für ihn, und das war der Anfang vom Ende. Aber ich glaube, wie er in den Medien rüberkam, war nicht so, wie er wirklich war. Hinter den Kulissen ist jeder anders, und er hat sich sehr um uns als Gruppe von Spielern gekümmert und wollte wirklich das Beste für uns. Aber ich denke, es war für jeden eine andere Erfahrung.

Du hast auf Leihbasis für den FCSP gespielt – wolltest du nach der Saison zurück nach Anderlecht oder wolltest du bleiben?

JL: Nein, ich wollte bleiben. Zurück nach Anderlecht zu gehen wäre nicht schlimm gewesen, aber nicht ideal für mich. Ich habe sehr gehofft, dass ich nach St. Pauli zurückkehren kann. Ich habe meiner Familie gesagt, dass dies der Verein ist, bei dem ich sein möchte, und wir haben versucht, alles zu tun, um dorthin zurückzukehren.

Am Ende hat es geklappt, du bist zurückgekommen. Aber es hat sich viel verändert – Timo Schultz war der neue Cheftrainer und es kamen viele neue Spieler. Wie hat sich der Charakter des Teams verändert?

Es war ziemlich erfrischend. Es war sozusagen eine neue Chance für alle. Auch die Spieler, die in der letzten Saison nicht zum Zug gekommen sind, haben eine neue Chance bekommen. Ich denke, Timo hat das sehr gut gemacht. Er hat wirklich jedem eine Chance gegeben. Es war egal, was vorher passiert ist oder wie die Entscheidungen des vorherigen Trainers waren. Es war eine Art Neuanfang und das war ein sehr gesundes Umfeld, denn auf einmal war jeder motiviert, gut zu spielen. Es war also sehr erfrischend, wieder hierher zu kommen und diesen neuen Stil und diese neue Ideologie in Bezug auf die Spielweise und die Ziele, die wir als Mannschaft erreichen wollten, zu haben.

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In der ersten Hälfte der Saison hattet Ihr als Mannschaft Probleme. Was waren die Gründe dafür?

JL: Ich denke, es war völlig normal, dass wir diese Schwierigkeiten hatten. Ich würde es nicht einmal Schwierigkeiten nennen, sondern einen Anpassungsprozess. Wir mussten uns an eine neue Philosophie, einen neuen Spielstil anpassen. Wir mussten im Grunde ein ganz neues System erlernen. Das brauchte einige Zeit, um sich darauf einzustellen. Und obwohl wir nicht die gewünschten Ergebnisse erzielten, wurden unsere Leistungen immer besser. Wir hatten alle den Glauben, dass wir die Dinge irgendwann zu unseren Gunsten würden drehen können. Es war nicht einfach, wir haben Spiele verloren und es war frustrierend, aber wir haben uns immer wieder auf unsere Entwicklung und die Zuversicht besonnen, dass wir die Dinge zu unseren Gunsten drehen können. Und mit ein paar kleinen Änderungen in der Weihnachtspause fing es plötzlich an, für uns zu funktionieren.

Deutschland, Hamburg, 18.01.2022, Fussball DFB Pokal Achtelfinale 2021 - 2022, FC St. Pauli - Borussia Dortmund im Millerntor-Stadion  Schlussjubel bei er Mannschaft vom FC St. Pauli  - Torwart Dennis Smarsch (FC St. Pauli) - James Lawrence (FC St. Pauli) und Maximilian Dittgen (FC St. Pauli)
Eines der Highlights von James Lawrence: Der Sieg im Pokal-Achtelfinale gegen Borussia Dortmund.
(c) Peter Böhmer

Der Trainerstab, insbesondere die Assistenztrainer Loïc Fave und Fabian Hürzeler, legen den Schwerpunkt auf die individuelle Entwicklung der Spieler. Würdest du sagen, dass du dich als Spieler während deiner Zeit beim FC St. Pauli verbessert hast?

JL: Ich denke, ich habe viel gelernt. Das Gute an Loïc und Fabi war, dass sie neue und frische Ideen, neue Trainingsmethoden und neue Vorgehensweisen mitgebracht haben, was man nur mit einer jüngeren Generation von Trainern erreicht. Das war eine sehr gute Sache. Ich will nicht sagen, dass es immer funktioniert hat, denn das hat es nicht, es war immer ein ‚hit and miss‘, weil einige Dinge auch Experimente waren. Für mich war es eine sehr positive Sache, weil ich dadurch etwas lernen konnte, und ich denke, dass ich mich als Spieler auf jeden Fall weiterentwickelt habe, vor allem taktisch in diesem neuen System.

Als du für den FC St. Pauli gespielt hast, wurdest du auch ein paar Mal für die walisische Nationalmannschaft nominiert. Die Europameisterschaft hast du allerdings wegen einer Muskelverletzung verpasst. War das eine der härtesten Erfahrungen als Profifußballer bisher?

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JL: Wir befanden uns in einem Trainingslager in Portugal und es lief wirklich gut. Es sah gut aus für mich und meine Rolle in der Mannschaft. Beim letzten Training in Portugal haben wir ein 11-gegen-11 gespielt, was ziemlich anstrengend war. Ich habe mich während des Spiels gut gefühlt und wir sind danach in den Pool gestiegen, um unsere Muskeln abzukühlen. Als ich aus dem Pool kam, spürte ich, dass meine Wade sehr angespannt ist. Der Physiotherapeut meinte, wir sollten am nächsten Tag zurückfliegen, um das überprüfen zu lassen. Wir flogen also an einem Sonntag zurück nach Wales. Ich musste eine vierstündige Fahrt nach London auf mich nehmen, um einen MRT-Scan zu machen. Am selben Tag wurde auch der Kader bekannt gegeben. Ich war im Kader, wie ich erwartet hatte und war sehr glücklich. Auf dem Rückweg nach Wales rief mich der Arzt an und sagte mir, dass es sich um einen kleinen Muskelfaserriss handelt, der mich etwa sechs Wochen außer Gefecht setzen wird. Ich habe die ganzen zwei Stunden zurück nach Wales geweint. Es war furchtbar für mich. Ich habe versucht, einen Weg zu finden, trotzdem zu spielen, habe mit Trainern und Betreuern gesprochen, aber sie wollten keinen größeren Riss riskieren und brauchten Spieler, die komplett fit waren. Also musste ich mich von allen verabschieden und das Camp verlassen, weil sie einen anderen Spieler einberufen wollten. Das hat mir komplett das Herz gebrochen. Das ist wahrscheinlich eines der schlimmsten Gefühle, die man als Profisportler haben kann. Ich hasse es, auf der Tribüne zu sitzen, ich schaue nicht gerne zu, weil ich dort das ganze Spiel über ein nervöses Wrack bin und das habe ich auf dem Spielfeld überhaupt nicht. Es war also wirklich hart für mich die Europameisterschaft zu verpassen, selbst das Anschauen im Fernsehen war hart.

Kommen wir zurück zu Deiner Zeit beim FC St. Pauli: Wie besonders war es für Dich, für einen Verein zu spielen, der eine ganz klare Ethik und entsprechende Werte hat?

JL: Es ist etwas ganz Besonderes. Es gab in der Vergangenheit Zeiten, in denen ich für Vereine gespielt habe und gar nicht gemerkt habe, was für ein Glück ich damals hatte. Ich glaube, bei St. Pauli habe ich gemerkt, wie glücklich ich war. Es war etwas ganz Besonderes für mich, einen Verein zu haben, mit dem ich in gewisser Weise mit allem einverstanden war. Ich habe mir alles angeschaut, was St. Pauli macht, das ganze soziale Engagement, die Statements, die Veränderungen, die die Fans versucht haben durchzusetzen und dachte: ‚Das ist einfach genial!‘. Es war eine Ehre für mich, daran beteiligt zu sein, Teil der Veränderung sein zu dürfen, die Fans vornehmen, die Dinge, die sie in der Gesellschaft vorantreiben. Ich hatte schon immer einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, seit ich klein war. Und ich denke, dass meine Wertvorstellung vollkommen mit der des FC St. Pauli übereinstimmt, deshalb war es für mich etwas ganz Besonderes.

Und jetzt, nach drei Jahren, ist Deine Zeit beim FC St. Pauli zu Ende. Einige Deiner Kollegen, oder besser gesagt, einige Leute aus dem Umfeld Deiner Kollegen sagten, dass die Kommunikation über die Nicht-Verlängerung der Verträge beim FCSP nicht fair war. Wie war das für Dich?

JL: Sie haben Recht, es war nicht fair. Ich kann nur über meine Erfahrungen sprechen und darüber, was ich durchgemacht habe. Ich habe zwei Tage vor Ende der Saison erfahren, dass mein Vertrag nicht verlängert wird. Wir hatten im Winter Gespräche geführt und meinem Agenten wurde signalisiert, dass mein Vertrag verlängert werden würde. Es gab eine Klausel in meinem Vertrag, die besagte, dass ich automatisch eine einjährige Verlängerung bekommen würde, wenn ich während der Saison eine bestimmte Anzahl von Spielen bestreiten würde. An Weihnachten sah es so aus, als würde ich diese Anzahl von Spielen schaffen. Damals wurde mir mitgeteilt, dass man davon ausgeht, dass ich diese Anzahl von Spielen absolvieren werde. Falls nicht, wollten sie mich trotzdem für die nächste Saison haben. Sie signalisierten ‚Egal, was passiert, wir wollen den Vertrag verlängern‘.

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In den folgenden sechs Monaten gab es dann wenig bis gar keine Kommunikation. Wir haben versucht, in Kontakt zu treten, aber es kam einfach keine Antwort. Ich weiß, dass ich nicht der Einzige war, das ist vielen Spielern passiert. Zwei Tage vor dem letzten Spiel erfuhr ich dann, dass mein Vertrag nicht verlängert werden würde.

Ich glaube, es gab eine Menge Frustration bei den Spielern, was die Kommunikation angeht. Meiner Meinung hätten sie einfach mit uns reden müssen. Wenn sie es nicht wissen, ist das in Ordnung, aber dann sollten sie wenigstens das kommunizieren. Wenn sie gesagt hätten: „Wir wissen es noch nicht, ihr könnt euch nach anderen Optionen umsehen“, dann wäre das in Ordnung gewesen, aber das haben sie nicht getan. Wir wurden sozusagen in einer Grauzone zurückgelassen. Wir wussten nicht, wo wir in der nächsten Saison sein würden, ob wir noch in Hamburg leben würden oder nicht. Wir haben alle Wohnungen, es gab Spieler mit neugeborenen Kindern, Familien, Töchtern. Meiner Meinung nach hätten wir hier ein bisschen mehr Respekt verdient. Nicht nur, weil wir noch für St. Pauli spielten, sondern auch für alles, was wir dem Verein gegeben haben. Ich finde es wirklich sehr schade, um ehrlich zu sein. Ich habe vorhin gesagt, dass ich einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn habe und große Probleme damit habe, wenn etwas nicht fair ist, und für mich war es wirklich nicht fair. Es gab einige Spieler, die nicht einmal am Saisonende erfahren haben,wie es weitergeht. Sie hatten keine Gelegenheit, sich von den Fans zu verabschieden. Ein Spieler hat es über die sozialen Medien erfahren. Das ist wirklich eine Schande.

HANNOVER, GERMANY - SEPTEMBER 11: James Lawrence of Hamburg during the Second Bundesliga match between Hannover 96 and FC St. Pauli at HDI-Arena on September 11, 2021 in Hanover, Germany.
James Lawrence und der FC St. Pauli – das passte!
(Frederic Scheidemann/Getty Images/via OneFootball)

Du warst schon bei vielen Vereinen, auch während deiner Jugendkarriere. Hast Du so etwas schon einmal erlebt?

JL: Ich habe es schon einmal erlebt, aber nicht in einem so großen Ausmaß, mit so vielen Spielern gleichzeitig. Ich habe es schon einmal erlebt, dass Spieler in Grauzonen ohne Kommunikation gelassen wurden. Aber bei St. Pauli liefen am Ende der letzten Saison sehr viele Verträge aus. Das ist aber auch aus Vereinssicht schwierig. Man muss so viele verschiedene Entscheidungen treffen, man muss mit vielen Leuten reden.

Normalerweise würde ich sagen, wenn man als Spieler oder als Berater nicht kurz vor Vertragsende von den Vereinsverantwortlichen gehört hat, sollte die Situation ziemlich klar sein. Stimmt das nicht?

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JL: Nein, denn bis zu den letzten Spielen haben wir um den Aufstieg gekämpft. Wir wussten nicht, was das Problem war. Vielleicht war es ein Geldproblem und wenn man aufgestiegen wäre, hätte das kein Problem mehr sein sollen. Vielleicht haben sie auch gedacht, wenn wir aufsteigen haben die Spieler nicht die Qualität, um in der ersten Liga zu spielen, während sie, wenn wir in der zweiten Liga bleiben, einige Verträge verlängern wollten. Ich denke, in dieser Situation war es für den Verein nicht einfach, denn es gab verschiedene Faktoren – aber gleichzeitig musste man sich auf die Spiele und die Leistung konzentrieren. Es war eine Situation mit all dem, was hinter den Kulissen ablief, in der man als Mannschaft eigentlich aufgeregt und hoch motiviert sein sollte, in der man alles tun sollte, um aufzusteigen – aber im Hinterkopf hatte man eben auch diese unklare Situation. Es ist hart, aber wir sind Profis, wir müssen das beiseiteschieben und unser Bestes geben. Das können wir tun, aber ich glaube nicht, dass es möglich ist, diese Gedanken völlig auszublenden. Ich denke, dass sowas immer ein paar Prozent ausmachen wird. Wir können sagen, dass es unsere Leistungen nicht beeinträchtigen sollte, aber realistisch betrachtet, wird es das natürlich doch. Es ist kein großer Leistungsunterschied, wir reden hier über winzige Anteile, aber es wird einen Effekt gehabt haben.

Ich denke, wir alle verstehen, wie der Fußball funktioniert und ich kann natürlich nicht für alle sprechen. Aber wenn der Verein zu mir gekommen und gesagt hätte: „Hör mal, wir planen nicht mit dir für die nächste Saison. Wir wollen den nächsten Schritt gehen, wir wollen ein neues Gesicht holen, jemand jüngeres, jemand mit anderen Fähigkeiten als du“, dann würde ich aus verschiedenen Gründen sagen: „Vielen Dank, meine Zeit hier war wirklich toll. Ich werde bis zum Ende der Saison mein Bestes geben“. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: Erstens, weil ich persönlich so bin. Zweitens, weil ich den Verein liebe und ihm den größtmöglichen Erfolg wünsche. Und drittens, weil ich einen neuen Verein finden muss, mich fit und bereit zeigen muss, zeigen, dass ich auf hohem Niveau spielen kann, weil ich zum bestmöglichen Verein gehen möchte. Und natürlich, wenn ich von einem Verein komme, der in der letzten Saison sehr erfolgreich war, z.B. in die Bundesliga aufgestiegen ist, dann hat man auf dem Transfermarkt ein ganz anderes Gesicht. Es gibt also genug Gründe, warum es für mich kein Problem gewesen wäre, das zu hören, und ich denke, für viele andere Spieler auch. Es wäre auch in Ordnung gewesen, wenn sie uns gesagt hätten, dass sie es noch nicht wissen. Das Schlimmste für die Spieler war, einfach nichts zu wissen.

James, es ist jetzt zwei Monate her, dass die Saison zu Ende ging. Was hast du in der Zwischenzeit gemacht?

JL: Ich habe mir eine Auszeit genommen, ein paar Wochen. Ich war in London, habe meine Familie, meinen Bruder und einige Freunde besucht. Ich war… also, wie viel willst du über meinen Urlaub hören (*lacht)?

Im Grunde alles!

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JL: Ich war wandern, im Norden Englands. Ich wollte aktiv in der Natur sein, einfach den Kopf frei bekommen und ein bisschen loslassen. Es war wirklich wunderschön. Dann kam ich zurück nach Amsterdam, wo meine Eltern leben. Ich war hier bei ihnen, und ich habe hier ein performance team, zu der ich normalerweise in jeder Sommer- oder Winterpause gehe, wenn ich Verletzungen oder ähnliches habe. Sie haben mich auf die neue Saison vorbereitet. Ich arbeite jetzt seit etwa sechs Wochen mit ihnen zusammen. Es ist wirklich gut, denn es gibt viele andere Profifußballer, die in der Pause dort trainieren. Wir haben ein sehr hohes Fußballniveau. Donyell Malen war zum Beispiel drei Wochen lang dort. Ich habe das also in den letzten Wochen gemacht, mich fit gehalten und mich auf die nächste Herausforderung gefreut.

Jetzt geht es darum abzuwarten, auf die Dinge zu warten, die auf einen zukommen. Ich glaube, ich habe schon etwa neun Angebote abgelehnt, ich warte auf etwas passendes, auch wenn es jetzt ein bisschen spät wird. Das ist der Punkt, an dem ich jetzt bin. Braucht St. Pauli noch einen linken Innenverteidiger? (*lacht)

Im Ernst: Es war nicht einfach in den letzten Wochen und auch ein bisschen stressig, aber ich habe gute Optionen auf dem Tisch und ich hoffe, dass sich die Dinge ziemlich schnell ändern.

James, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast! Wir wünschen dir alles Gute!

// Die Fragen stellte Tim

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13 thoughts on “Interview: James Lawrence

  1. Moin Tim,
    Vielen Dank für das im Nachhinein geführte Interview mit James. Menschlich einfach top, spielerisch auch nur für unsere Fussballphilosophie wohl zu alt und verletzungsanfällig? Gerne mehr davon.

  2. Auch von mir großes Lob für das Interview, auch wenn mein Herz blutet.
    Menschlich hat so viel mit Sir James gepasst & für mich sind solche Spieler im Kader mehr wert als der größtmögliche sportliche Erfolg.
    Abermals die Kritik an der sportlichen Leitung zu lesen, ist zwar nicht schön, aber nötig! Der Blick als treuer Anhänger ist oft getrübt, gerade wenn ein Trainer aus den eigenen Reihen das Gesicht der sportlichen Leitung ist.
    Ein Umbruch mag nötig gewesen sein, aber nicht so. Ich hoffe, dass wir als Basis des Vereins in Zukunft mehr Druck aufbauen, Bedenken äußern, etc.

    Nochmals danke für das spannende Interview!

  3. Hearing this from James (and I see no reason to doubt what he says is true) kind of makes me see Oke Göttlich and his recent interview on the Abendblatt podcast in a different light. Oke kept banging on about how different we supposedly are as a club, that people working for the club need to be treated with respect, that communication needs to be open and clear… but there was apparently nothing of all that just a few weeks ago. And this hasn’t been the first season players speak up about not being treated with respect by the club.

    So at what point’s anyone gonna have a word with Bornemann?

  4. Danke Tim, für das wirklich gelungene Interview.
    Die Ehrlichkeit von James erschlägt einen ja fast. Und lässt einen auch enttäuscht wegen der Rolle des FCSP zurück.
    Klar, Fußball ist Geschäft und einen zeitnahe Umstrukturierung der Mannschaft war und ist notwendig. Aber ich finde, dass es mit den viel beschworenen Werten des FCSP nicht zusammenpasst, wenn man mit Menschen so umzugehen scheint.
    Das sollte aufgearbeitet werden.

  5. Vielen Dank für das tolle Interview. Ich finde es richtig, sehr kritisch mit dieser internen Kommunikation umzugehen. Dennoch ist es für die Verantwortlichen nicht einfach zu kommunizieren, denn alles geht direkt an die Presse und bringt dann doch Unruhe. Hätte man das in der Winterpause offener angesprochen, dass man im Sommer neu plant egal ob 1. oder 2. Liga, wäre es noch möglich gewesen. Irgendwann war der Zeitpunkt dann zu riskant, um nicht noch mehr Unruhe nach den schlechten Ergebnissen reinzubringen. Das hätte man dann schnell so hingedreht, dass der FC schon für die 1. Liga plant.

    Klar gab es da Versäumnisse und man hätte möglicherweise offener über eine noch nicht möglichen Entscheidung sprechen müssen. Aber dann jeden einzelnen Spieler, der noch keine Verlängerung erhalten hat, bei Transfermarkt.de mit 5 Gerüchten wiederzufinden, ist dann auch nicht das, was man benötigt um sportlich erfolgreich zu sein. Ist und bleibt in dem Geschäft eine Gratwanderung und das muss jedem Profi bewusst sein.

  6. Wow, was für ein Interview! Was für eine Offenherzigkeit! Was für ein Typ!

    Mit Blick auf die Kommunikation sollte Bornemann wirklich einmal in sich gehen, auch wenn Lawrence hier natürlich letzten Endes bloß die Spielersicht wiedergibt.
    Wenn Bornemann in der umgekehrten Situation, z.B. bei einer Nichtverlängerung Paqaradas, sich am Saisonende vor die Fans stellen und sagen würde: „Tja, wir wussten bis zuletzt nicht, ob es nicht doch noch klappt und deshalb haben wir uns nicht nach einem neuen LV umgesehen“ – dann wäre er wohl seinen Job los.
    Mit Ungewissheiten umzugehen, gehört nun einmal zum Leben eines Fußballprofis dazu und Tims Argumente halte ich diesbezüglich für valide. Wenn man nichts vom Verein hört, dann sollte man sich ungeachtet der Umstände nach einem neuen Arbeitgeber umsehen (als jemand, der selbst nur mit Zeitverträgen arbeitet, kenne ich die Situation zur Genüge). Dass man unter bestimmten Umständen möglicherweise dennoch im Verein bleiben kann, ist ja so oder so nicht mehr als eine Option. Übrigens ja auch eine der wenigen Gründe, weshalb es Spielerberater vielleicht doch zu recht gibt. Wer, trotz der von Lawrence selbst beschriebenen Unsicherheiten, nur auf die Karte „St. Pauli“ gesetzt hat, der sollte sich auch einmal an die eigene Nase fassen. Denn, wäre es wahr, wäre es nicht gerade ein Ausweis professionellen Verhaltens. Ich meine, da schwingt auch viel Frust mit, weil die Spieler gerne geblieben wären.

    Was freilich bleibt, ist die Frage, ob ein bloß professionelles Verhalten nicht doch einfach zu wenig für unseren Verein ist, wie in den Kommentaren ja auch mehrfach moniert. Und natürlich Lawrence viel Freude an seiner neuen Station Nürnberg zu wünschen.

    1. Um die Einseitigkeit der Spielersicht noch einmal zu unterstreichen:

      „Mit etwas Bitterkeit blickt der Defensivspieler auf das unschöne Ende bei seinem langjährigen Klub zurück, wo ihm erst vier Tage vor dem letzten Heimspiel der vergangenen Saison mittgeteilt wurde, dass seine Zeit bei den „Kiezkickern“ vorbei ist und es auch davor keine Verhandlungen zu einer möglichen weiteren Zusammenarbeit gab. „Letztendlich habe ich es erst da erfahren, aber ich habe bereits im Februar/März entschieden, dass es für mich unabhängig von der Entscheidung des Vereins dort nicht weitergeht. Wir wollten auch so oder so etwas Neues sehen. Dass es letztendlich so abgelaufen ist mit St. Pauli war etwas Schade für mich nach der ganzen Zeit, aber das ist der Fußball. Vom Kopf her war ich schon länger bereit für eine neue Aufgabe. Diesen Schritt zu setzen war nicht nur seit drei Wochen erst in meinem Kopf, sondern das war ein längerer Prozess“, legt Ziereis dar.“

      Aha – „schade, dass es so abgelaufen ist“, obwohl Ziereis seit Monaten (!) wusste, dass er seinen Vertrag nicht verlängern würde… von Reue, dass er dem Verein dies nicht mitgeteilt hat, keine Spur.

  7. Ein wirklich schönes Interview mit James. Danke dafür, Tim.

    Sportlich und von seiner Verletzungsanfälligkeit kann ich die Entscheidung des Vereins verstehen, dass der Vertrag nicht verlängert wurde. Aber um den Typen und Menschen James Lawrence ist es sehr schade, der passte wirklich gut zu uns.

  8. Ich fand das Interview mit James auch klasse. Er ist ein klasse Typ. Auch wenn viele jetzt zusammenzucken, muss ich trotzdem sagen, dass ich den Verein sehr gut verstehen kann. Was die Spieler nicht sagen, ist, dass es auch immer um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen geht.

    Betrachten wir die Situation ganz nüchtern:
    Ein Arbeitnehmer, der auch deswegen nur befristete Verträge eingeht, weil er sich weiterentwickeln und noch bessere Optionen/Gehälter in der Zukunft erspielen könnte, dabei in der Gesamtbevölkerung ohnehin schon zu den absoluten Topverdienern gehört, beschwert sich über die folgende Tatsache:
    – im Winter, als sein Verein unangefochten auf dem ersten Platz gestanden hat, was eine Vervielfachung des Spielerbudgets in der nächsten Saison bedeutet hätte, wurde ihm signalisiert, dass sein Vertrag verlängert wird
    – Als dann in der Rückrunde der Erfolg ausblieb, der Aufstieg verpasst wurde (was die finanzielle Situation plötzlich deutlich anders aussehen ließ) und er noch dazu aufgrund seiner Leistungen aus dem Kader verdrängt wurde(!), hat ihm der Verein mitgeteilt, dass der Vertrag leistungsbedingt nicht verlängert wird.

    Dass er dann noch sagt, dass er bei einer offenen Kommunikation über das geplante Vertragsende, sich mehr angestrengt hätte, um sich ins Schaufenster zu stellen, ist – sorry- leider nochmal die ganz falsche Einstellung. Die Reaktion des Vereins ist für absolut nachvollziehbar.

    Man kann die Diskussion auch von der anderen Seite aufziehen:
    Es ist ja unser Verein. Machen wir doch die Rechnung: Sind wir 30.000 Mitglieder bereit, unsere Mitgliedsbeiträge um 20 EUR pro Jahr zu erhöhen, damit James ein weiteres Jahr als Ergänzungsspieler mit 500k Jahresgehalt plus Nebenkosten mit dabei sein darf?

    Sorry, James, Du bist ein feiner Kerl. Es tut mir leid, dass es für Dich nicht weitergeht beim FC St. Pauli. Aber wenn Deine wirtschaftlichen Interessen nicht mehr mit denen unseres Vereins zusammenpassen, muss man sich leider trennen. Das ist so im Geschäftsleben und das muss auch beim FC St. Pauli so sein. Es wäre trotzdem besser, wenn der Verein es schaffen würde, dies auf eine wertschätzende und vor allem nachvollziehbare Art und Weise zu kommunizieren, aber hinter der sachlichen Entscheidung stehe ich. Es ist schemrzhaft, aber richtig, dass der Verein inzwischen mit der nötigen Rationalität handelt.

    Forza

    Jan

    1. Moin Jan,
      Ich bin da grundsätzlich bei Dir und will gar nicht widersprechen, nur eine Interpretation Deinerseits teile ich nicht:

      „Dass er dann noch sagt, dass er bei einer offenen Kommunikation über das geplante Vertragsende, sich mehr angestrengt hätte, um sich ins Schaufenster zu stellen[…]“

      Ich finde nicht, dass es das sagt – und ich bin mir sehr sicher, dass er das nicht meint und auch nicht denkt.
      Andersherum erklärt er, warum der Verein keine Angst davor haben sollte, offen mit den Spielern zu reden – und auch ein „für Dich geht es hier nicht weiter“ wäre eben für ihn kein Grund, nachzulassen.
      Das sind nur feine Nuancen, aber ich glaube Du tust ihm da Unrecht.

      Viele Grüße, Maik

  9. Ich finde es ja höchst interessant das der Verein sich zu einer Stellungnahme hinreißen lässt.Zumal im Interview im Hamburger Abendblatt vom 29.6.22
    Philip Ziereis so ziemlich die gleiche Aussage getroffen hat bezüglich dem unrühmlichen Ende.Lasst uns einfach nach vorne Blicken und das Thema abhaken, dass wird sich beim FC St Pauli auch nicht mehr ändern.Forza FC St Pauli auf 3 Punkte in Hannover

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