Jackson Irvine und der FC St. Pauli haben sich auf die Verlängerung des Vertrages geeinigt. Damit wird der FCSP auch zukünftig einen Spieler in seinen Reihen haben, der anders ist – und dadurch unfassbar gut ans Millerntor passt.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Lange hat es nicht gedauert bis wir feststellten, dass Jackson Irvine irgendwie gar nicht mal so gut in das klischee-behaftete Dasein eines hochbezahlten Fußballprofis passt. Als Maik und ich zusammen das Spielerprofil erstellten wurde uns bewusst, fiel schnell auf, dass der FC St. Pauli da einen besonderen Spieler verpflchtet hat. Entsprechend haben wir folgenden Satz im Spielerprofil untergebracht: „Der FC St. Pauli hat mit Jackson Irvine nicht nur fußballerisch einen interessanten Spieler verpflichtet.“
Basis für diesen Satz, war unter anderem dieses zwei Stunden lange Video, bei dem man so gar nicht das Gefühl gewann, dass da tatsächlich ein Fußballprofi Teil der Unterhaltung ist.
Ein etwas anderer Fußballprofi
Allerdings hatten wir zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie gut Jackson Irvine dann wirklich zum FC St. Pauli passen würde. Erst als ich ihn mal nach einem Spiel mit einem Rucksack bewaffnet zu Fuß am Jolly vorbeispazieren sah, aufgeschlossen, freundlich und augenscheinlich bereit für Kontakte in die Fanszene hinein, wurde das Bild von ihm klarer. Es ist weit nicht das einzige Mal, dass Irvine, der alte Hipster, in den Straßen auf St. Pauli abseits des Fußballs angetroffen wurde.
Jackson Irvine führt ein „normales“ Leben im Leben eines Fußballprofis. Er fährt mit dem Bus zum Training, sucht Wohnungen auf „St. Pauli, Schanze, Eimsbüttel“ via Insta (wer tut das nicht?) und, ja das gehört auch dazu, wird auf einigen Abendveranstaltungen angetroffen. Er lebt, nicht nur für den Fußball. Das ist in all der sterilen Umgebung, welche die Fußballblase mit sich bringt, eine äußerst angenehme Abwechslung. Und so sorgt er, gewollt oder nicht, zumindest ein wenig dafür, dass die Verbindung zwischen Fans und Spielern bestehen bleibt.
Sicher ist: Diese Aktivitäten abseits des Profifußballs machen ihn zu einem besonderen Spieler. Sicher ist aber auch, dass ihm genau das ganz schnell vor die Füße fallen würde, wenn die Leistungen auf dem Platz mal nicht stimmen sollten. Davon scheint Jackson Irvine aber ziemlich weit entfernt, allein schon aufgrund seiner Spielweise.
Seit dieser Saison unverzichtbar
Seit Beginn dieser Saison ist Jackson Irvine zusammen mit Leart Paqarada Kapitän des FC St. Pauli. Was neben dem Platz absolut sinnvoll ist, ist es auf dem Platz umso mehr. Denn Irvine steht für eine Art des Fußballs, der dem Team jahrelang gefehlt hat. Nachdem er die ersten Spiele der Saison 21/22 noch verletzungsbedingt verpasste, ist er mir zum ersten Mal aufgefallen, als er im Spiel gegen Ingolstadt seinen am Boden liegenden Gegenspieler anschrie. Das hatte ich gefühlt Jahrzehnte nicht gesehen am Millerntor. Und auch wenn das etwas martialisch gewesen sein mag, so wurde dadurch dann auch sofort das Bild des etwas zu fairem FC St. Pauli weggewischt.
So war schnell klar, dass dem FCSP ein solcher Spielertyp ziemlich lange gefehlt hat. Es wurde allen bewusst, dass Irvine in einem Team voll mit kreativen Feingeistern eine etwas andere und damit äußerst wichtige Rolle einnimmt. Denn Jackson Irvine ist ein sehr physischer Spieler. Das betonte Timo Schultz bereits, als Irvine verpflichtet wurde („Dazu bringt er auch eine gewisse Physis und robuste Spielweise mit.“). Nur so richtig glauben wollte ich es anfangs nicht, denn einen physisch starken Spieler hatte ich mir immer irgendwie anders vorgestellt.
Innerhalb weniger Wochen, nachdem Irvine seine ersten Spiele für den FCSP absolviert hatte, veränderte sich mein Bild von ihm ziemlich rasant: Der schlaksige, etwas unrund laufende Spieler da unten auf dem Rasen, scheut kein Duell und setzt Maßstäbe in Sachen Laufarbeit. In dieser Saison führen überhaupt nur drei Mittelfeldspieler mehr defensive Duelle, niemand hat mehr Kopfballduelle gewonnen und pro 90 Minuten gibt es niemanden in der ganzen Liga, der mehr intensive Läufe zieht.
Als wäre das nicht schon wertvoll genug für einen Fußballverein, ist Jackson Irvine seit dieser Saison auch noch richtig torgefährlich geworden. Er hat sich aufgrund seiner drei Kopfballtore den Namen „Airvine“ verdient, obwohl er eigentlich sogar bereits vier Kopfballtore diese Saison erzielte (in Fürth köpfte er ins eigene Tor).
Interessant finde ich, wie Timo Schultz ihn mal bei uns im Podcast beschrieben hat (ab Minute 18:00):
„Meine Kinder nennen ihn den „Gauner“, weil er immer wie ein Dieb über den Platz schleicht. Wenn man sieht, was er bei uns einbringt, welche Dynamik, welche Laufstärke, wie viele intensive Läufe in die eigene und die gegnerische Box, seine Kopfballstärke, die Torgefahr – Irvine ist ein herausragender Spieler. Als er die ersten Male bei uns mit Turnschuhen über den Trainingsplatz lief, dachte ich „Huch, schauen wir mal was daraus wird!“, aber sobald er die Fußballschuhe anhatte wurde er ein anderer Mensch, anderer Spieler und er passt wie die Faust auf’s Auge ans Millerntor.“
Timo Schultz über Jackson Irvine.
Vieles von dieser Spielweise haben wir eigentlich erst jetzt so richtig wahrnehmen können, als Irvine zu Beginn dieser Saison von der rechten Halbposition auf die Doppelsechs wechselte. Ich werde das Gefühl nicht los, dass diese Formation mit einer Doppelsechs nicht nur geschaffen wurde, um auf Außen eine bessere Zuteilung zu haben, sondern auch, weil die jetzige Position als offensiver Sechser die bestmögliche von Jackson Irvine ist. Wenn eine Formation so an einen Spieler angepasst werden würde, sagt es viel über den Stellenwert des Spielers aus.
Auf dem Platz hat Jackson Irvine also eine ziemlich gewichtige Rolle eingenommen. Die jetzige Vertragsverlängerung ist daher logisch, der Zeitpunkt kurz vor dem Derby und angesichts der sportlich kritischen Situation aus dem Grundbaukasten „Gute Stimmung in schweren Zeiten schaffen“ entnommen. Aber in gewisser Weise ist die Verlängerung dann doch besonders. Denn in der Mitteilung des Vereins steht, dass sein ursprüngliches Arbeitspapier bis Juni 2024 gelaufen ist. Da ist von außen betrachtet also gar nicht unbedingt die große Not gewesen, diesen Vertrag bereits jetzt zu verlängern. Denn bei einer Laufzeit von noch fast zwei Jahren dürfte es dringendere Arbeitspapiere beim FCSP geben.
Der Verein erklärte, dass der Vertrag „langfristig“ verlängert wurde. Jackson Irvine ist 29 Jahre alt. Es könnte sich also um einen Vertrag handeln, an dessen Ende Irvine ein Alter erreicht haben könnte, in dem er schon als „Fußball-Rentner“ gilt. So bleibt ein wenig die Frage, warum der Vertrag gerade jetzt verlängert wurde. War es eine Frage des Gehalts, welches vielleicht nicht ganz zu seiner Rolle als Stammspieler und Kapitän passte?
Timo Schultz erklärte im verlinkten Podcast, dass Irvine schon ein wenig eine Wundertüte gewesen sei und man sich gar nicht sicher war, ob das alles so funktionieren würde. Entsprechend wäre davon auszugehen, dass sich das finanzielle Risiko in einem überschaubaren Rahmen hielt und das Gehalt dazu passend wäre. Allerdings steht dem gegenüber eine Vertragslaufzeit bis 2024, das im Sommer 2021 geschnürte Gesamtpaket dürfte also schon ziemlich mächtig gewesen sein. Da beim FC St. Pauli aber bekanntlich keine Laufzeiten der aktuellen Verträge kommuniziert werden und umso weniger bestehende und/oder gegriffene Klauseln oder gezahlte Gehälter, drifte ich an dieser Stelle etwas zu sehr in den spekulativen Bereich ab und lasse es lieber bleiben.
So freue ich mich einfach sehr, dass Jackson Irvine dem Verein erhalten bleibt. Denn diese Liaison, sie passt einfach. Call me a braun-weiß bebrillten Romantiker, aber wenn Irvine die eigentlich üblichen Floskeln fallen lässt („Es bedeutet mir viel, dass der FC St. Pauli mich als Teil seiner Zukunft sieht, denn ich fühle mich im Verein und in der Stadt unglaublich wohl. Es ist eine große Ehre und macht mich sehr stolz, das Team nach so kurzer Zeit als einer der Kapitäne führen zu dürfen.“), dann kaufe ich ihm trotzdem jedes Wort zu 100% ab.
Mit einer Spielweise, die unfassbar ehrlich ist und dem stets vollen Einsatz, den er bringt, aber auch seiner Authentizität neben dem Platz hat sich Jackson Irvine innerhalb von nur einem Jahr schon einen ziemlich geräumigen Platz in den Herzen vieler FCSP-Fans ergaunert. Er verkörpert dabei einen politisch stabilen Menschen, der nicht nur auf dem Platz vieles von dem ausmacht, was wir uns von einem FCSP-Profi wünschen. Auf viele weitere tolle Jahr… ach komm: Für immer mit dir, Jackson!
// Tim
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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.
Super Ich freue mich sehr.
Und ein ganz wichtiges Zeichen gerade jetzt.
Für immer mit dir, Jackson!
Nice! We needed something FCSP positive. This is good. Now let’s go get it.
Die Nummer 7. bleibt! Ein echtes und das richtige Statement in diesen Zeiten! ….Jacksooooon….
Das passt sogar ausgezeichnet und kommt absolut zum richtigen Zeitpunkt.
Forza
Gratulation zur Vertragsverlängerung! Für mich ist Jackson „Airvine“ die
australische Hipster-Variante von unserer Torwächter-Legende Volker Ippig.
NDR, Sport 3, 16.06.1991: Volker Ippig nach der 2-5 Niederlage
gegen den BVB am 34.Spieltag der Saison 1990/1991
Danke für diesen schönen Text, hat mir den Morgen versüßt. Nicht nur die Nachricht an sich, sondern explizit dein Text. Daumen hoch!