Hürzeler fand’s behäbig, Wahl fühlt sich doof und Smith tanzt zur Halloween-Party – die Stimmen zum Heimsieg des FC St. Pauli gegen den KSC.
(Titelbild: Peter Boehmer)
Viel war drin zwischen dem FC St. Pauli und dem Karlsruher SC (die Analyse + die Statistiken). Dieses Spiel hat eine ganze Menge Geschichten geschrieben. Man könnte die kommende Woche problemlos damit füllen, wenn nicht die zweite Pokalrunde direkt vor der Tür stünde. Heute, am Montag, steht bereits die Pressekonferenz vor dem morgigen Spiel gegen Schalke an. Entsprechend müssen wir die ganzen schönen Geschichten aus dem KSC-Spiel etwas kürzer darstellen, die eine oder andere etwas nach hinten schieben. Die Stimmen zum Spiel haben wir natürlich trotzdem eingefangen.
Trainerstimmen
Eichner: „können wir uns sonstwo hinschieben“
„Es war 65-70 Minuten ein Spiel wie gemalt für uns,“ so startete KSC-Trainer Christian Eichner in sein Statement zum Spiel und beschrieb damit das, was wohl alle im Stadion ebenfalls fühlten. Sein Team habe „die Räume sehr stark verdichtet“ und sei „trotzdem immer mal wieder vorne aufgetaucht, hoch angelaufen“. Dadurch sei es gelungen „den FC St. Pauli mit seinem großartigen Positions- und Ballbesitzspiel nicht zur Entfaltung kommen zu lassen.“
Das Spiel ist laut Eichner „ausgeglichen“ gewesen in der ersten Hälfte. Auch nach Wiederanpfiff sei es erst einmal so weitergegangen („die ersten 15-20 Minuten habe ich ähnlich gesehen“). Doch dann änderte sich etwas: „Es war dann immer mehr Druck da, wir kamen weniger raus, haben für weniger Entlastung sorgen können.“
Es sei „bitter“ gewesen, dass der Ausgleich ausgerechnet per Flanke zustande kam („nicht die Kernkompetenz des FC St. Pauli“). „Danach,“ so Eichner, „war klar, dass nochmal high life hier stattfinden würde.“ Der FCSP sei dann im Stile einer Spitzenmannschaft noch zum Siegtreffer gekommen, erklärte er weiter. Sein Fazit: „Ich habe eine sehr, sehr gute KSC-Mannschaft gegen eine bisher herausragende St. Pauli-Mannschaft im Jahr 2023 gesehen. Dafür können wir uns nichts kaufen. Das können wir uns, sportlich betrachtet, sonstwo hinschieben. Wir haben 2:1 verloren, unser Weg ist aber anständig.“
Hürzeler: „im Kopf extrem behäbig“
Auf den Pressekonferenzen nach dem Spiel bekommt immer der Gästetrainer zuerst die Gelegenheit, etwas zu sagen. Und die von Eichner gewählten Worte empfand Fabian Hürzeler als so passend, dass „alles gesagt wurde und ich das alles bestätigen kann.“ Der KSC habe „ein sehr, sehr gutes Auswärtsspiel gemacht“ und den FC St. Pauli „maximal gefordert.“
Sein Team sei „nicht so klar im Positionsspiel und den Abläufen“ und „im Kopf extrem behäbig“ gewesen, sagte Hürzeler, wie immer angenehm deutlich.
So musste der FC St. Pauli nach einem schleppenden Beginn in die zweite Halbzeit „All-in“ gehen: „Wir haben die Außenverteidiger rausgenommen und offensive Flügelspieler reingebracht.“ Ein Kompliment machte Hürzeler seinen Spielern, weil sie „Ruhe bewiesen“ hätten: „Sie sind ihrem Stil treu geblieben, haben nichts Wildes gemacht.“ Nur so sei es möglich gewesen „Dominanz aufzubauen.“
Doch trotz des Sieges, trotz der Leistungssteigerung, sei es wichtig, „bessere Lösungen zu finden“ und besonders für die ersten zwei Drittel des Spiels fand Fabian Hürzeler ganz klare Worte in Richtung seiner Mannschaft:
„Es ist wieder ein Zeichen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist in der Liga. Klar kann die Mannschaft ein gewisses Selbstverständnis haben, mit der sie ins Spiel reingehen kann. Aber mit 90 Prozent funktioniert das in dieser Liga nicht. Das sollte wieder ein Learning für uns sein, ein kleines Warnzeichen, das es von Anfang mit maximaler Bereitschaft mit und gegen den Ball gehen muss.“
Fabian Hürzeler erwartet mehr von seinem Team
Spielerstimmen
„So wie wir die erste Hälfte gespielt haben, das muss schon besser werden,“ erklärte Hauke Wahl nach Abpfiff in der mixed zone. Es sei bereits vor dem Anpfiff klar gewesen, was auf den FCSP zukommen würde: „Es war zu erwarten, dass es ein hartes Stück Arbeit werden wird.“
Nach der Halbzeit habe es das Team, auch aufgrund einer Umstellung, wie Wahl erklärt, besser hinbekommen, die Schienenspieler mit Pässen ins Spiel zu bringen. Die große Druckphase nach dem 1:1, als der KSC kaum noch hinten rauskam, führt der 30-jährige Innenverteidiger dann aber auch auf den „Geist vom Millerntor“ zurück, bei dem man sogar hätte aufpassen müssen, „dass wir bei aller Offensive keine Dummheiten machen, nicht noch das 1:2 kriegen und dann mit leeren Händen dastehen.“
Wahl: „Das muss besser werden“
Angesprochen auf die Unruhe von den Rängen aufgrund des teils lasziven, den Gegner auffordernden Aufbauspiels, sagte Wahl: „Es fühlt sich ein bisschen doof an, weil man denkt, die Zeit läuft einem weg. Aber ich glaube, wir reden über zehn Sekunden, die sich einfach länger anfühlen. Von daher ist es kein großes Problem.“ Die Pfiffe von den Rängen haben ihn selbst aber weniger gestört („Ich mach das, was der Trainer will. Da ist es mir relativ egal, was außenrum los ist.“).
Die Spieler des FC St. Pauli kamen, wie nach Heimsiegen üblich, in sehr kurzen Abständen durch die Mixed Zone. Während ich also die Worte von Hauke Wahl aufnahm, sprach nebendran bereits Jackson Irvine in ein Mikro. Marcel Hartel tat das auch. Der biegt sowieso immer kurz nach Eintritt in die Mixed Zone nach rechts zu den wartenden Medienvertreter*innen ab. Die Lunge des FCSP hat auch für viele Worte nach Abpfiff noch Luft.
„Die Stimme von Jacko hol ich mir später im Tausch gegen Wahl, kein Problem“, dachte ich mir, während Wahl über das langsame Spiel des FCSP berichtete. Denn anders als üblich, konnte ich ganz allein mit Wahl sprechen, was die Aufnahme wertvoller machte. Der Kollege, der zu Beginn des Gesprächs noch dabei war, entschied sich zwischendrin dafür, ein paar Worte von Philipp Treu einzusammeln. Und da Wahl eigentlich immer sehr reflektiert, ehrlich und in Zitaten spricht, werden seine Worte nach Abpfiff gerne genommen. Eine gute Grundlage für Tauschgeschäfte also.
Drum ’n‘ Bass mit Eric Smith
Doch während Hauke Wahl sprach, durfte ich am eigenen Leib erfahren, wie sich das anfühlt, wenn die Sekunden langsamer ablaufen. Plötzlich schien es, als sei Wahls Sprechgeschwindigkeit gedrosselt. Die Worte verließen nur zäh seinen Mund, seine Stimme wurde tief und langsam, während um uns herum die Sekundenzeiger auf „Drum ’n‘ bass-Party“ umzustellen schienen. Eric Smith tanzte, mit einem Trikot wie einen Turban um den Kopf gewickelt, im hektisch tickenden Rythmus des Sekundenzeigers erst in die Mixed Zone hinein und verschwand Bruchteile später gen Kabinentrakt (Das mit dem Turban stimmt, wirklich!). Vermutlich wollte er sich schnell auf die Halloween-Party im Hause Irvine vorbereiten (das stimmt auch). Genau so langsam wie sich die Worte von Wahl wie ein Kaugummi aus seinem Mund zogen (edit: Damit meine ich die fiktive Sprechgeschwindigkeit, denn Hauke Wahl sagt immer sehr kluge Sachen in der mixed zone), schaltete sich mein Kopf ein: „Wie soll ich meine Wahl-Aufnahme gegen jene von Smith tauschen, wenn es gar keine von ihm gibt?“
Die Platte fing an, sich wieder normal zu drehen. Fuck. Die Aussagen von Smith sind immer so gut. Irgendwo brauchte ich jetzt ne knackige Aussage her. Von Hauke vielleicht? So schnell, wie die alle durch die mixed zone sausen, muss ich das bei ihm versuchen, oder? Panik machte sich in mir breit. „Hey Hauke, war das jetzt im Stile eines Spitzenreiters? Seid ihr ein Spitzenteam?“
Allein schon die Pause, die sich Wahl nach der Frage nahm – dieser kurze Bruchteil von Sekunden, der richtig kurz ist, aber eben diesen einen Moment länger dauert als üblich – war genug, um wieder zu Sinnen zu kommen und festzustellen, dass die Güte dieser Frage begrenzt ist. Entsprechend, nach der etwas zu langen Pause, klang die Antwort (zu der er nach einer weiteren Pause noch ein paar, an dieser Stelle unwichtige, Wörter hinzufügte): „Keine Ahnung.“ Wow, welch knackiges Zitat, aber hochverdient aufgrund der Frage.
Irvine: „Späte Tore sind die süßesten“
Schnell weiter also zu Jackson Irvine: „Sometimes the late ones are the sweetest“ (Manchmal sind sie späten Tore die süßesten), sagte er in Bezug auf die beiden späten Treffer. Aber er erklärte auch, dass das vorher nicht so zuckersüß war: „It was a frustrating afternoon at times, similar to the first half in Paderborn“ (Es war zeitweise ein frustrierender Nachmittag, wie auch die erste Halbzeit in Paderborn.) und legte den Finger direkt in die Wunde: „When teams playing static in the middle, it is difficult for us to find solutions, when they don’t want to attack us in these areas“ (Wenn Teams statisch im Zentrum spielen, haben wir Schwierigkeiten Lösungen zu finden, wenn uns der Gegner nicht attackieren möchte in diesen Zonen).
Für Irvine sind diese Schwierigkeiten mit der Spielweise von Paderborn und dem KSC völlig normal „Over the course of the season, you have to come up with different solutions against different styles of defending“ (Im Verlauf der Saison brauchst Du verschiedene Lösungen gegen unterschiedliche Verteidigungsstile).
Trotz dieser offensichtlichen Probleme des FCSP im Offensivspiel, stellte Irvine fest, dass das Team genügend Chancen produzierte, um das Spiel zu gewinnen. Ein Schlüssel für den Erfolg war die eigene Mentalität: „We stayed patient, we believe in us and have quality“ (Wir sind geduldig geblieben, glauben an uns und haben die Qualität).
Tabellenführer mit Arbeitsauftrag
Viel wird über die Stimmung, über Pfiffe Mitte der ersten Halbzeit diskutiert. Fabian Hürzeler hob heraus, dass er es gut fand, dass seine Spieler sich nicht davon beeinflussen ließen. Wahl erklärte, dass ihn das nicht interessiere. Johannes Eggestein (dass der Artikel über JE11 in der Mache ist, versteht sich von selbst) erklärte, dass man sich team-intern über eine ganz andere Reaktion von den Rängen sicher war, wenn es gelingen würde initial auf dem Platz etwas zu bewegen: „Wir haben uns gesagt, dass wir ruhig bleiben müssen. Wir wussten, dass wir, selbst wenn wir hier erst in der 80., 85., lass es die 88. sein, ein Tor schießen, dann steht das Stadion Kopf und dann, dann ist alles möglich. So war es tatsächlich auch.“
Der FC St. Pauli gewinnt zwar das Spiel gegen den Karlsruher SC, weiß aber auch ganz genau, dass es noch einiges an Arbeit gibt. Das wurde zwar bereits oft geschrieben, aber man kann nicht oft genug betonen, wie optimal so eine Situation ist: Du gewinnst bereits, bist Tabellenführer, und weißt trotzdem, wo Deine Baustellen sind. Zusätzlich haben erneut eingewechselte Spieler (Optionen gibt es genug, weil es aktuell so wenige Ausfälle gibt) gezeigt, dass sie das Team voranbringen können.
Der team-interne Konkurrenzkampf und das Wissen um die Baustellen, aber auch die eigene Stärke (und den Glauben daran), sind für die kommenden Gegner alles andere als ein guter Ausblick.
// Tim
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