K(r)ampf im letzten Drittel

K(r)ampf im letzten Drittel

Nach zwei Spieltagen in der Bundesliga zeigen die Zahlen, dass der FC St. Pauli defensiv stabil steht und gut nach vorne kommt, dort aber die Durchschlagskraft fehlt.
(Titelfoto: Stefan Groenveld)

Es wurde zwar sicher nicht damit gerechnet, dass der FC St. Pauli nach zwei Spieltagen, und damit während der Länderspielpause, von der Tabellenspitze grüßt. Doch dass es nun Platz 18 (gleichbedeutend mit Platz 17) geworden ist, tut schon ein bisschen weh, keine Frage. Die ersten beiden Spiele in der Bundesliga haben dem FCSP deutlich aufgezeigt, was dem Team noch fehlt, um Zählbares einfahren zu können.

Nach der Niederlage bei Union Berlin prasselte in den Sozialen Medien viel, sehr viel Kritik auf den FC St. Pauli ein. Kritik an Cheftrainer Alexander Blessin, der mit einer falschen Aufstellung und Ausrichtung spiele. Kritik an Sportchef Andreas Bornemann, der keinen wettbewerbsfähigen Kader zusammengestellt habe. Doch auf der anderen Seite gibt es auch viel Vertrauen in die Arbeit der verantwortlichen Personen beim FCSP. Sicher ist, dass sich einige wohl noch daran gewöhnen müssen, dass die Spiele nun nicht mehr so sahnig laufen wie noch in der 2. Bundesliga. Sicher ist aber auch, dass der Saisonstart durchaus besser hätte laufen können, vielleicht sogar müssen.

Defensiv Top, offensiv Flop

Der Blick in die Statistiken nach zwei Spieltagen – bitte unbedingt beachten, dass diese Zahlen nach nur zwei Spielen noch nicht mehr als Hinweise sein können – ist beides: Ernüchternd und ermutigend. Je nach Anbieter liegt der FC St. Pauli laut xG-Wert auf Platz 18 (Wyscout) oder Platz 17 (FBref und Understat). Insgesamt hat das Team erst 19 Schüsse abgegeben, gar erst vier davon gingen auch auf das gegnerische Tor. Nur Augsburg (drei Schüsse auf das Tor) und Bremen (nur 16 Schüsse) weisen hier schlechtere Zahlen auf. Nein, das war nicht der ermutigende Teil, der kommt jetzt, Stück für Stück.

Bei der Güte der zugelassenen Torchancen liegt man relativ weit vorn (Platz 1 bei Wyscout, Platz 3 bei Understat, Platz 6 bei FBref). Nur Borussia Dortmund hat in den bisherigen beiden Partien weniger Schüsse zugelassen. Dazu passt auch, dass sich der FCSP bisher drei Gegentore gefangen hat und alle drei in Zusammenhang mit einer Standardsituation zu bringen sind. Das zeigt, dass der FC St. Pauli aus dem Spiel heraus sehr schwer zu knacken gewesen ist für Heidenheim und Union. Diese Zahlen sollten Mut machen. Genauso wie die beiden Spiele. Weil sie zeigten, dass man in der Liga mithalten kann, wenn, ja wenn es denn gelingt, mehr aus den eigenen Möglichkeiten zu machen.

Idee passt, Umsetzung nur teilweise

Ein eigener Treffer aber ist bisher nicht gelungen. Der FC St. Pauli hat es in beiden Spielen bisher zu selten geschafft, nachhaltig gefährlich für das gegnerische Tor zu werden. Das liegt nicht unbedingt daran, dass es Blessin und seinem Team nicht gelingt, den richtigen Matchplan zu entwerfen. Gegen Heidenheim ging das taktische Muster mit dem Herausziehen der Sechser aus der Zentrale sehr gut auf (hier die Analyse). Gegen Union Berlin, so Taktik-Experte Benny Grund im Rasenfunk, zeigte der FCSP „eine Blaupause, wie man Union bespielen muss.“ Die initialen langen Bälle des FCSP hätten genau das ausgelöst, was Union verwundbar mache (Innenverteidiger lösen sich aus der Kette nach vorne = Kompaktheit geht verloren). Doch, so Grund, fehle es dem FC St. Pauli an den richtigen Anschlussaktionen, was er auch mit (zu) geringer individueller Qualität in der FCSP-Offensive erklärt.

Es war in den ersten beiden Partien also schon gut zu erkennen, wie Alexander Blessin Fußball spielen lassen wollte. Dass man dabei jeweils mehr als 60 Prozent Ballbesitzanteil hatte, ist zwar nicht optimal, wenn man gerne hoch pressen lässt, so wie Blessin es gerne mag. Die ligaweit meisten Balleroberungen im gegnerischen Drittel (FotMob) zeigen aber klar auf, worauf sich die Gegner gefasst machen dürfen, sollten sie mal flach aufbauen wollen. Was man bereits erkennen konnte: Der FC St. Pauli spielt diese Saison sehr viel schneller nach vorne als noch unter Fabian Hürzeler. Laut FBref spielte das Team bereits 186 lange Pässe – das sind mit Abstand die meisten der Bundesliga und in keiner einzigen Partie unter Hürzeler spielte der FCSP mehr lange Pässe als in den beiden Bundesliga-Spielen unter Blessin, oft waren es sogar nur halb so viele.

Hamburg, Deutschland, 25.08.2024, Fussball, Bundesliga, FC St. Pauli - 1. FC Heidenheim Eric Smith spielt einen langen Ball im Spiel gegen den 1. FC Heidenheim. Der 27-jährige Innenverteidiger des FC St. Pauli ist ein Ästhet des Fußballs. Copyright: Stefan Groenveld
Eric Smith und seine zielgenauen langen Bälle werden dem FC St. Pauli hoffentlich nicht allzu lange fehlen. Der Verein gab nach seiner verletzungsbedingten Auswechslung leichte Entwarnung. // (c) Stefan Groenveld

Deutliche Veränderung im Spiel des FC St. Pauli

Ein Problem der langen Pässe: Von diesen kamen bisher nur rund 50 Prozent an, was durchaus noch verbessert werden kann. Doch diese Quote ist gewissermaßen auch einkalkuliert. Als Blessin mit KV Oostende in Belgien um den Klassenerhalt spielte, er kam damals im Sommer neu zum Team, war die Erfolgsquote der langen Bälle sogar noch ein Stück schlechter. Erfolgreich war man mit dieser Spielweise trotzdem: Das Team wurde am Saisonende überraschend Tabellenfünfter.

Wenn es um Pässe ins letzte Drittel geht, dann sieht das sogar ganz gut aus: Der FCSP hat bisher die drittmeisten Pässe ins letzte Drittel gespielt, die Erfolgsquote dabei ist auch ok. Und dann gewinnt man auch noch viele Bälle zurück im letzten Drittel. Der Nährboden für erfolgreiches Offensivspiel ist also vorhanden. Nur sind die Offensivaktionen im letzten Drittel massiv ausbaufähig. Zum Beispiel kamen bisher weniger als 20 Prozent der Flanken beim Mitspieler an (Platz 17) – das könnte ein Anzeiger dafür sein, dass die Boxbesetzung bei Flanken bisher nicht so optimal gewesen ist oder aber die Flanken selbst nicht. Die Rückkehr von Manos Saliakas wird da hoffentlich einiges verbessern. Auch im flachen Passspiel ist das bisher nicht ausreichend. Kein Team der Liga hat weniger oft den Mitspieler im gegnerischen Strafraum gefunden als der FC St. Pauli.

Erfolgreich ins, aber zahnlos im letzten Drittel

Es fehlt also noch etwas beim FC St. Pauli, um in der Bundesliga wirklich richtig mithalten zu können. Das Team ist defensiv bisher stabil gewesen, spielt sich gut ins letzte Drittel hinein, aber dort fehlt es an Durchschlagskraft. Ob diese zunehmen kann, wenn Elias Saad und Dapo Afolayan von Beginn an mit auf dem Platz sind? Möglich. Das nicht zu probieren, wäre fahrlässig. Allerdings ging der taktische Plan im 3-5-2, zumindest auf dem Papier, gegen Heidenheim und Union auf.

Doch was nützt der theoretische taktische Vorteil, wenn er auf dem Platz nicht zielbringend umgesetzt werden kann? Die vielen Ungenauigkeiten und Ballverluste vor allem im letzten Drittel führen dazu, dass der FC St. Pauli bisher zu selten in Tornähe kam. Viel wird davon abhängen, wie gut sich Robert Wagner und Connor Metcalfe in dem neuen Spiel zurechtfinden. Bisher hatten beide Schwierigkeiten damit, für kreative Momente im Spiel zu sorgen. Diese würden dem Team von dieser Position aber enorm helfen. Leider ist der Kader auf dieser Position auch dünn besetzt (was erklärt, warum der FCSP unbedingt Josh Kemlein holen wollte), sodass man bei einem Ausfall oder Leistungstief kreativ werden muss (Treu oder Afolayan wären sicher mal interessant auf diesen Positionen) – oder man denkt eher in Richtung 3-4-3.

Hamburg, Deutschland, 25.08.2024, Fussball, Bundesliga, FC St. Pauli - 1. FC Heidenheim Manolis Saliakas schlägt eine Flanke im Spiel gegen den 1. FC Heidenheim. Der 27-jährige Rechtsverteidiger des FC St. Pauli feierte sein Comeback nach längerer Pause. Copyright: Stefan Groenveld
Mit der Rückkehr von Manolis Saliakas kehrt hoffentlich auch wieder die Flankengenauigkeit beim FC St. Pauli zurück. // (c) Stefan Groenveld

Saad-Verletzung wiegt schwer

Die Überlegung, mit einem 3-4-3 zu starten, ist sicher drin in den Köpfen. Gegen Union wurde man mit dieser Formation gegen Spielende nochmal sehr druckvoll. Das aber nicht nur, weil die Formation gegen tiefstehende Gegner besonders vielversprechend ist, sondern vor allem deshalb, weil mit Saad und Afolayan zwei sehr ballsichere und dynamische Spieler auf den Platz kamen. Ihr Impact war vermutlich auch deshalb groß, weil sie gegen eine bereits langsam müde werdende und sowieso eher etwas hüftsteife Union-Defensive spielten. Taktische Lösungen hatte der FCSP in diesem Spiel nämlich auch im 3-5-2 genügend zur Hand. Doch Saad und Afolayan haben womöglich das Potenzial, um die Problemfelder Pass- und Flankengenauigkeit sowie Kreativität im letzten Drittel zumindest zu verbessern, wie an ihren Zahlen aus der Vorsaison zu erkennen ist.

Allerdings dürften die Nachrichten von Montag stark in Zweifel ziehen, ob es in naher Zukunft wirklich eine andere Formation zu sehen geben wird. Denn der FC St. Pauli meldete, dass man im Falle von Eric Smith leichte Entwarnung geben kann, sich Elias Saad aber eine Bänderverletzung im Sprunggelenk zugezogen hat und vorerst ausfallen wird. Ob sich eine Umstellung auch dann noch anbietet, wenn Saad nicht zur Verfügung steht? Eher unwahrscheinlich.

Augsburg ebenfalls mit Problemen

Der Blick in die Zahlen zeigt also recht deutlich, dass es die gesicherten Abläufe und die fehlende Kreativität im letzten Drittel sind, die dem FC St. Pauli aktuell (noch) Probleme bereiten. Wichtig wird nun sein, dass man die Ruhe nicht verliert und die Länderspielpause dazu nutzt, um die offensiven Abläufe zu verbessern. Blöd ist dabei natürlich, dass mit Metcalfe und Irvine zwei Spieler auf Reisen sind, die in dieser Zeit viel aufzuholen hätten und dass mit Saad und Smith zwei Spieler erstmal aussetzen müssen.

In den Trainingstagen bis zum kommenden Spiel wird sich Alexander Blessin vermutlich genau überlegen, wie er sein Team nächstes Mal taktisch und personell, aufstellen wird, wenn es wieder gegen einen tiefstehenden Gegner geht. Denn insgesamt, das zeigen die Torschuss-Statistiken, erspielte sich der FC St. Pauli bisher zu wenige Chancen. Die nächste Möglichkeit könnte sich bereits kurz nach der Länderspielpause bieten, wenn der FCSP beim FC Augsburg zu Gast ist. Ein Gegner, der nach dem Transfersommer, in denen viele Leistungsträger den Club verließen, und den ersten beiden Spielen wohl auch zum Kreis der Abstiegskandidaten gezählt werden muss. Dort könnte der FC St. Pauli also alles andere als chancenlos sein – wenn das Spiel im letzten Drittel verbessert wird.

Der Mutmacher zum Schluss: Wisst ihr, wie Alexander Blessin damals mit Oostende (vor der Saison 20/21 als Absteiger Nr. 1 gehandelt) in die am Ende erfolgreiche Saison gestartet ist? Genau… Immer weiter vor!
// Tim

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10 thoughts on “K(r)ampf im letzten Drittel

  1. Nannte man das früher nicht Kick and Rush? Und wer ist bei uns für das Rush zuständig? Blöde, dass 4 wichtige Spieler auf Länderspielreise sind und Smith verletzungsbedingt auch nicht beim Einspielen in der Länderspielpause dabei ist. Wir brauchen jede Menge Geduld und Hoffnung.

    1. Klar, ist möglich. Ich denke aber, dass eine Umstellung primär aufgrund der individuellen Qualitäten von Saad und Afolayan Sinn machen würde. Ob Banks das Level auch hat, da bin ich nicht sicher.

  2. Vielen Dank für die Analyse. Mir fiel auf, dass du die Stürmer, die eingesetzt wurden, nicht gesondert betrachtest. Daher die Frage: Glaubst du, dass eine andere Zusammenstellung (meinetwegen Jojo und Alber oder Jojo raus und dafür zwei große Stürmers) uU erfolgreicher sein würde?

    1. Also wenn es eine veränderte Besetzung geben sollte, dann dürfte sich diese unter Eggestein, Guilavogui, Afolayan und Saad aufteilen. Alle anderen Stürmer sehe ich aktuell nicht. Zoller erst dann, wenn er richtig fit wird (dann aber auch richtig gut – er passt perfekt in ein System mit zwei Angreifern).
      Im 3-4-3 sieht das etwas anders aus. Da würde auch Albers passen, weil er andere Fähigkeiten mitbringt. Aber erste Wahl ist er da auch nicht.

  3. a question for Tim.

    Do you think it would make sense to swap Irvine and Wagner. It would put Irvine on 8 and Wagner on 6. I have the feeling that might bring more Oomph in attacking phases.

    also because Wagner played this position(6) at Fürth. I think it would make sense to perhaps try this change

    1. Haha, I discussed exactly this idea yesterday. Generell, yes this wpuld make sense. Jacko is a dynamic player, might suit well on this position as he can be also very creative.
      However, Wagner played in Fürth not as a single DM (doubled the position together with Green). I’m not sure how well he can play it alone. Furthermore, Irvine was sure the much better fit in the forst two matches as both Teams played a lot of long-range Passes and the DM of FCSP is forced into aerial duels.
      However, I’m quite sure that we will see Jacko on this position this season.

  4. Ich habe meine 19,10 gespendet. Weil ich euer Format wirklich mag und wichtig finde. Vor allem es zeigt mal auf, was theoretisch im Sportjournalismus bzw. in der Meinungskolumne möglich wäre. Der heutige Artikel ist richtig gut, da bin ich wieder gespannt, was der Kicker und der NDR abschreiben 😉
    Obwohl ich natürlich nicht immer mit euch einer Meinung bin, bei gewissen Dingen in der Fanszene, als Kind der 90er-Gegengerade finde ich halt nicht alles neue toll. Wir haben so viel an individuellem Witz und Spontanität in der Fanszene verloren. Aber wenn man nur die Nachrichten und Meinungen liest, die einem gefallen, isoliert man sich selbst und verliert das Verständnis für die anderen.

    1. Danke für die Unterstützung und die warmen Worte. Wir genießen es sehr, dass die „Kommentar-Kultur“ hier in den allermeisten Fällen auf sehr respektvollen Niveau stattfindet.

  5. zur ganzen wahrheit gehört allerdings auch, daß unsere abwehr in den ersten beiden punktspielen nun nicht wirklich erstligareif gefordert wurde. sowohl unions als auch heidenheims offensive (bis auf den konter zum ersten gegentor) waren gegen uns (auch) nicht erstligareif. sowas haben wir vorige saison eine liga tiefer reihenweise wegverteidigt und nach hause geschickt.
    diejenigen, welche unsere abwehr dann vor erstligaprobleme stellen werden, kommen erst noch. mal schauen, wie wir es dann machen.
    ansonsten sehe ich es wie boller im abendblatt: wir werden unsere punkte sammeln. aber wir sollten nicht zu lange warten, damit zu beginnen…
    sport frei

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