Der FC St. Pauli hat den Titel des Stadtmeisters gegen den Hamburger SV verteidigt. Der HSV musste einmal mehr anerkennen, dass der FCSP die Nr. 1 in Hamburg ist.
Tatsächlich musste nur ein wenig aus diesem Teaser, der bereits vor Anpfiff geschrieben wurde, herausgelöscht werden. Wir erlebten gestern phasenweise ein begeisterndes Fußballspiel, welches dann leistungsgerecht mit einem Unentschieden endete.
(Titelbild: Martin Rose/Getty Images/via OneFootball)
Zwar ein Derby – Aber doch alles anders
Es ist schon komisch. Besonders beim Derby ist mir persönlich aufgefallen, wie sehr ich Euch alle gemeinsam im Stadion und auch auswärts z.B. im Volkspark vermisse. Was hätten wir das beschissene Wetter und den elend langen Marsch ins Nirgendwo an der Hamburger Stadtgrenze verflucht, nur um dann bei den beiden Toren völlig auszurasten und den ganzen Nervkram für einige Zeit zu vergessen. Das Spiel des FCSP gestern hat mich richtig stolz gemacht. Ich bin stolz darauf, dass wir mutig im Volkspark aufgetreten sind. So ein Duell auf Augenhöhe gab es als Derby wirklich noch nie, wenn wir mal ehrlich sind, trotz mehrerer Derbysiege. Aber eben weil ich so stolz auf meine Farben bin, tut es dann doch noch ein bisschen mehr weh, dass ich diesen Stolz nicht im Stadion hinausschreien konnte. Auch wenn ich da eher pessimistisch bin, hoffe ich sehr, dass wir diese Saison noch einmal gemeinsam ins Stadion können.
Stattdessen verbrachte ich die erste Halbzeit mit meiner Nichte auf dem Arm. Die ist gerade einmal sechs Wochen alt und kann nun von sich behaupten, dass ihr Klub den Titel des Stadtmeisters verteidigt hat. So ein kleines Ding auf dem Arm sorgt dann für Entspannung, was sicher hilfreich war, denn vor dem Fernseher ist so ein Spiel für mich fast noch schlechter auszuhalten als im Stadion.
Die Aufstellungen
So richtig tief möchte ich bei diesem Bericht gar nicht in die Analyse gehen. Beide Teams taten von der Formation her genau das, was bereits im Vorbericht beschrieben wurde: Der HSV lief offensiv in einem 3-4-3 auf, der FCSP stellte sich mit einem 3-5-2 dagegen. Einzig die Auswahl der Spieler, die in diesen Formationen starteten, wich leicht von der Prognose ab: Beim HSV starteten Josha Vagnoman, Aaron Hunt und Amadou Onana anstelle von Kittel, Jung und Dudziak. Der FCSP musste auf Philipp Ziereis verzichten und ließ Christopher Avevor auf der Bank. Das bedeutete, dass Marvin Knoll ins Abwehrzentrum rückte und für ihn Rico Benatelli auf der Sechserposition startete.
Der Start gehört dem FCSP – doch der HSV trifft mit der ersten Aktion
Braun-Weiß startete besser, dank des hohen Pressings, welches in den ersten Minuten gespielt wurde. Das bereitete dem HSV merklich Probleme, weshalb es dann auch gleich auf Seiten des FCSP gute Möglichkeiten durch Makienok gab. Das hohe Pressing war aber gar nicht unbedingt mit hohem Tempo vorne verbunden: Makienok, Kyereh und Zalazar stellten die Dreierkette des HSV zu, Benatelli gesellte sich zu Onana – fertig waren die HSV-Probleme im Aufbau. Das lag auch daran, dass es weiter hinten konsequent nach vorne verteidigt wurde. Lange Bälle im Aufbau, das Stilmittel, welches der HSV dann zwangsläufig wählte, hatte man bis hierhin beim HSV in dieser Saison eher selten gesehen. Nun gab es keine andere Lösung.
Kaum hatte ich mir die freudige Verwunderung über das abermals mutige Auftreten des FCSP aus den Augen gerieben, da machte der HSV quasi mit seiner ersten richtigen Offensivaktion das 1-0. Und meinen Ärger darüber konnte ich dann auch vor meiner Nichte nur schwer verbergen. Da gibt es nun genau den einen Stürmer beim HSV, der eine ganz besondere Bewachung verdient. Genau der kann aber in der 12.Minute völlig ungedeckt am Fünfer einköpfen. Nach zugegebenermaßen toller Eröffnung von Gyamerah (später mehr zu ihm), enteilte Vagnoman auf rechts Dittgen (das musst Du erstmal schaffen). Dadurch muss Buballa seine Position verlassen. Ihm folgen dann auch Knoll und sogar Zander, der eigentlich als linker Flügelverteidiger agierte. Während sich alle in Richtung Vagnoman orientieren, bewegt sich Terodde in die andere Richtung – und steht damit völlig blank. Richtig ärgerlich. Genau diese zwei Worte schrieb ich bereits im Spielbericht zum Darmstadt-Spiel, als ich ebenfalls feststellen musste, dass genau der Stürmer, der maßgeblich für Tore beim Gegner verantwortlich ist (Serdar Dursun) frei zum Kopfball kommt. Dieses Abwehrverhalten muss besser werden.
Wer drückt dem Spiel seinen Stempel auf? – Jan Gyamerah
Direkt im Anschluss an das Tor tritt der HSV dann kurzzeitig ziemlich dominant auf. Das lag vor allem daran, dass Jan Gyamerah seine Rolle als Innenverteidiger im Aufbauspiel sehr offensiv interpretierte und der FCSP darauf keine richtige Antwort fand. Ein ums andere Mal konnte er doch recht ungestört bis tief in die Hälfte des FCSP dribbeln und spielte dort häufig auch einige gute Pässe. Da konnte man dann mal sehen, wie sehr ein spielstarker Innenverteidiger so ein Spiel an sich reißen kann. Allein durch Gyamerah entwickelte der HSV nahezu alle seine Angriffe im Spiel über die rechte Seite. Obwohl sich mit Tim Leibold auf der anderen Seite ein richtig guter Kicker befindet, wurde dieser eigentlich eher selten in den Spielaufbau eingebunden.
Bemerkenswert, dass sich der FCSP aus dieser Druckphase des HSV befreien konnte und das Spiel wieder etwas ausgeglichener gestaltete. Wie haben wir das geschafft? Indem unbeirrt des Gegentores an den eigenen Ideen festgehalten wurde und auch weiterhin mit viel Mut aufgebaut wurde. Trotz guter Anfangsphase und den nach der kurzen aber heftigen Druckphase des HSV wieder etwas ausgeglicheneren Minuten, kam der Ausgleich dann doch etwas unerwartet. Aber die Entstehung des Tores war nicht überraschend: Simon Makienok ist sicher kein so begabter Techniker wie z.B. Henk Veerman. Man kann von ihm keine Wunderdribblings auf einem Bierdeckel erwarten. Aber wie schon oft erwähnt ist der Typ der geborene Wandspieler. Nicht nur, weil er mit seiner Größe wie eine Wand aussieht und entsprechende Kopfballstärke mitbringt. Vielmehr spielt er auch in engen Situationen sehr kontrollierte Pässe. Genau so einer war seine Ablage auf Rodrigo Zalazar (der den Angriff mit einer tollen Seitenverlagerung eröffnete). Nicht spektakulär, kein Kunststück, aber eben genau das, was es in der Situation brauchte. Woah! Und das Ding passte so genau, großartig.
Zweite Halbzeit – der HSV wird druckvoller, der FCSP stellt um
Mit einem leistungsgerechten 1-1 ging es also in die Pause. Und aus dieser heraus zeichnete sich direkt wieder das gleiche Bild ab: Der HSV baute viel Druck über die rechte Seite auf. Das führte jedoch selten zu echten Torchancen, auch deshalb, weil der FCSP immer irgendwie ein Körperteil dazwischen bekam. Am Ende zählt die Statistik ganze 26 Ballklärungen des FCSP. Der HSV tat dies nur 12x. Gefallen hat in dieser Druckphase des HSV besonders Marvin Knoll, der im Abwehrzentrum seine bisher beste Saisonleistung zeigte.
Zwar gab es auch zu Beginn der zweiten Halbzeit einige gute Umschaltsituationen für den FCSP (und eine Chance für Becker in der 52. Minute, der zu Beginn der zweiten Halbzeit die Seiten mit Zalazar getauscht hatte), allerdings nahmen diese mit zunehmender Spieldauer ab, sodass der Druck des HSV noch größer wurde. Mit der Einwechslung von Avevor folgte dann die Umstellung auf eine Viererkette (genauer gesagt ein 4-4-2, wenn ich das auf den Fernsehbildern richtig entschlüsseln konnte). Das war eine gute Entscheidung, auch wenn sie etwas Power in der Offensive kostete. Aber es brachte defensiv wieder deutlich mehr Stabilität.
Entsprechend konnte der FCSP ab der 70. Minute das Spiel wieder ausgeglichener gestalten. Es gab endlich wieder längere Ballbesitzphasen.
„Kyereh ist nicht im Spiel, aber den darfste nicht auswechseln“
Eine solche längere Ballbesitzphase war es dann auch, die zur FCSP-Führung führte. Ein Glück hatte ich zu diesem Zeitpunkt meine Nichte nicht mehr auf dem Arm. Scheiße, wir gingen hier in Führung. Und wie! Als in der 70. Minute Zalazar und Dittgen den Platz verließen, wurde neben mir auf der Couch angemerkt, dass Daniel-Kofi Kyereh zwar bisher gar nicht in Erscheinung getreten ist, aber eben auch für ganz besondere Momente auf dem Platz bleiben muss. (Anm. Maik: Wahnsinn… für sechs Wochen ein immenser Fußballsachverstand bei Deiner Nichte!) Dieser Moment, dieser kurze, unauffällige Genie-Streich war in der 82. Minute gekommen. Butterweich leitet er in der Drehung den Ball auf Simon Makienok weiter, der den Ball mit der guten alten Pieke im Tor des HSV unterbrachte. BÄM! Der Böller in der Wohlwillstraße knallte ziemlich und mir wurde bewusst, dass es wohl einige Wohnzimmer auf St. Pauli gab, die gerade ähnliche Explosionen in eben jenem erlebten. Scheiße, wir konnten das Ding hier und heute gewinnen!
Nur leider war Simon Makienoks Pieke das letzte Körperteil eines FCSP-Spielers, welches den Ball berührte bevor es wieder 2-2 stand. Direkt mit dem Wiederanstoß macht es der HSV ziemlich und der FCSP nicht so richtig gut und 25 Sekunden danach erzielt Terodde das Tor. Ich glaube, wenn der FCSP dieses Ergebnis auch nur zwei Minuten länger hätte halten können, hätte es auch zum Sieg gereicht. Hat er aber nicht.
Ein 2-2 bleibt ein todsicheres Ergebnis
Einmal mehr muss der FCSP zwei Gegentore in einem Spiel hinnehmen. Das war in fünf von sechs Ligaspielen der Fall. Bemerkenswert, dass sie keines dieser Spiel verloren haben und zum vierten Mal diese Saison nach einem Rückstand noch ein Unentschieden holten. Und in allen diesen Spielen gab es ein 2-2.
Wenn ein Team in der 82. Minute in Führung geht, dann darf es sich schon ärgern, wenn es nicht gewinnt. Wenn man das Spiel aber ganz objektiv betrachtet, dann war das ein durchaus leistungsgerechtes Unentschieden. Der HSV hat schon gezeigt, dass er einen guten Fußball spielen kann. Und der FCSP hat gezeigt, dass er dagegenhalten kann.
Immer weiter vor!
Sieben Punkte aus sechs Spielen klingt jetzt nicht so richtig nach zufriedenstellend. 11 Gegentore auch nicht. Aber ich persönlich bin mit diesem Saisonauftakt zufrieden. Für einen Klub, der letzte Saison nur nicht abgestiegen ist, weil die Saison glücklicherweise nach 34 Spielen vorbei war und der im Sommer einen erheblichen Umbruch erlebte, ist das schon eine gute Ausbeute. Wenn das Team jetzt noch hinten den Laden dicht bekommt (im 4-4-2 wirken wir etwas stabiler), ohne vorne die Power zu verlieren, dann geht’s ab.
Aber erstmal dürfen wir uns auch weiterhin stolze Stadtmeister nennen. Hamburg ist und bleibt Braun-Weiß!
Noch ein Wort zur Stimmung: Es war knapp… aber vom Gästeblock kam tatsächlich noch weniger als vom Heimpublikum, muss man neidlos so anerkennen. Und wenn 1.000 Leute handverlesen ins Stadion dürfen, zu einem Derby – ja, dann rufen die bei eigener Führung (und auch sonst) halt lieber „Scheiß St.Pauli!“ als die eigene AG nach vorne zu schreien, was auch sonst? Lappen.
// Tim
p.s. Drüben bei den guten Menschen vom magischerfc-Kollektiv wird noch bis heute Abend Geld gesammelt für wichtige Dinge (sogar wichtiger als Stadtmeisterschaften)
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Panik und Hoffnung vor dem Derby. Danach bleibt Freude, wie unsere BiB tatsächlich Fußball spielen, kämpfen, zaubern und das auch neunzig Minuten wollen. Tolle Leistung!
Schulle hat also für Knolli eine Position gefunden, da darf er gerne weitermachen. Er spielt da weitaus besser als vor der Abwehr.
Die Dreierkette spielt sich doch mittlerweile etwas besser ein, meine Formation ist es (noch) nicht. Aber wenn wir viele Tore schießen wollen, dann soll es so sein. Ist mir allemal lieber, als das Gemurks früherer Tage unter einem anderen Trainer.
Ein herzlicher Gruß ans Präsidium und anwesende St.Paulianer*innen für das Ständchen vorm / beim Anpfiff! (Wir dürfen in der Astra-Stube zu Neukölln ja nicht singen (haha).)
Was bleibt am Tag danach: ohne Fans ist Fußball eine ganz miese Nummer, schließe mich deinem Lappen-Kommentar vorbehaltlos an.
LG an alle Stadtmeister*innen